Spiritualität |
I'm guided by the beauty of our weaponsVorstellungen ausgewählter Videoclips XLIVAndreas Mertin I Die Blumen des Bösen
II First We Take Manhattan Jennifer Warnes; 1987Es gibt die Faszination des Bösen und es gibt die Leidenschaft der Gewalt. Es gibt die tiefgründige Sehnsucht, aus der Langeweile auszubrechen und es gibt den Wunsch, etwas Außergewöhnliches zu machen. Es gibt die gescheiterte Hoffnung und es gibt den Drang nach Radikalität. Von all dem handelt ein Lied, das 14 Jahre nach seiner Veröffentlichung auf ganz tragische Weise von der Wirklichkeit überholt wurde. First we take Manhattan, than we take Berlin wurde von Leonard Cohen gedichtet und es schildert sicher nicht die musikalische Eroberung der Welt a la David Bowie, sondern die Gedanken und Äußerungen eines Terroristen, der bis dahin als Schläfer getarnt war.
Die Atmosphäre ist die Zeit des fortdauernden weltweiten Terrorismus, in Amerika wütet der Unabomber aus dem Untergrund, in Deutschland ist die dritte Generation der RAF aktiv, in Italien gehen die Roten Brigaden ihrem Ende entgegen. Leonard Cohen sagt über sein Lied:
Es geht also um die Faszination der persönlichen Konsequenz, um das Vermeiden von Lebenslügen und Kompromissen. Es geht um Lebensentwürfe: erreicht man mit dem, was man macht, seine Ziele; oder muss man nicht zu anderen Mitteln greifen? Nicht zuletzt geht es die Angst vor dem bösen Mann, die in Faszination umschlägt. Es gibt von Anfang an verschiedene Versionen des Liedes, die allererste erscheint im Jahr 1987, gesungen von Cohens Background-Sängerin Jennifer Warnes. Im Musikvideo zum Lied hört man, noch bevor das Lied startet, eine deutsche Nachrichtensprecherstimme, die von Ermittlungen im Zusammenhang mit dem Attentat auf die deutsch-arabische Gesellschaft am 29. März 1986 berichtet. Die Stimme fadet aus und wird vom einsetzenden Lied überlagert. Das Video spielt dann aber nicht in Berlin, sondern in New York City und man sieht die Sängerin, Leonard Cohen und den Gitarristen Stevie Ray Vaughan vor der Stadtkulisse. Nur einmal blitzt die Hochhauskulisse Manhattans auf und man meint, die Twin-Tower zu erkennen. [Wie auch das abgebildete Cover eine Spur auf das World-Trade-Center legt.] III First We Take Manhattan Leonard Cohen; 1988Ein Jahr nach der Veröffentlichung des Liedes durch Jennifer Warnes erscheint das Lied 1988 schließlich als erster Track auf Leonard Cohens Album I’m your man in textlich leicht variierter Form. Zur Singleauskopplung des Liedes gibt es ein Musikvideo, das Leonards damalige Lebensgefährtin, die französische Fotografin Dominique Issermann in Schwarz-Weiß gedreht hat. Es konzentriert sich ganz auf die intrinsische Motivik und setzt dazu verschiedene Bildebenen zueinander in Beziehung. Stellenweise erinnert es an italienische Spielfilme der 60er-Jahre.
Zu Beginn sehen wir eine halbe Minute lang einem Mövenschwarm beim Flug zu, bevor dann Leonard Cohen mit einer Rückenansicht ins Blickfeld gerät. Der nächste Cut zeigt ihn weiterhin in Rückenansicht einen Strand entlanglaufen (mit einer entfernten Assoziation an Caspar David Friedrichs „Mönch am Meer“). Die folgende Nahaufnahme zeigt, wie Cohen einen Zettel aus seinem Mantel zieht, auf dessen Vorderseite MANHATTAN steht, und auf der Rückseite BERLIN. Der folgende Schnitt zeigt die Person mit einem Koffer in der Hand am Strand aufs Meer zugehen, wobei sie eine lange Spur im Sand hinterlässt. Es folgt wieder eine Rückenansicht von Cohen in der Nahaufnahme, diesmal aber mit einer Begleiterin. Damit wechselt der Clip zusammen mit dem Liedtext auf die Beziehungsebene:
Wir blicken in die großen Augen des erstaunten Mädchens, das einsehen muss, dass das, was der Freund bisher nur angedeutet hat, Realität wird:
Der Aufbruch:
Und dann erfasst die Kamera den Strand, an dem das Paar sitzt, und man sieht immer mehr “Schläfer” mit einem Koffer in der Hand zum Meer streben. Danach dreht sich Cohen in der Nahaufnahme zum ersten Mal um, so dass wir ihn Face to Face sehen können und er formuliert seine Absage an die oberflächliche Welt direkt in die Kamera: I don't like your fashion business, mister Nach einer Zwischenepisode mit einem jungen Mann und einer jungen Frau sehen wir dann wie die Gruppe der „Schläfer“ ihre Koffer am Strand abstellt und dann die Szene nach rechts verlässt: First we take Manhattan, then we take Berlin. Noch einmal kreist Leonard Cohen um sich selbst, um dann ganz am Ende des Clips alleine am Strand mit den Füßen im Wasser und dem Rücken zum Betrachter zu stehen. Der Videoclip spielt erkennbar mit einem größeren Assoziationsspektrum als nur dem des Terroristen, der nach langer Zeit des Wartens aufbricht. Wir erkennen Anspielungen auf den biblischen Exodus aus Ägypten ins Gelobte Land, auf die Flucht der Juden aus Europa nach Palästina in den 40er Jahren, ganz allgemein auf das Exil, aber natürlich auch viel Persönliches von Leonard Cohen und seiner Lebenswelt. Aber sein zentrales Thema bleibt die Faszination des Extremen. Direkt nach dem Erscheinen des Albums spricht Leonard Cohen in einem Interview mit seinem spanischen Übersetzer Alberto Manzano lange über die Bedeutung des Songs:
Und wieder kommt Cohen auf seine Faszination durch den Extremismus zu sprechen:
Auch vier Jahre später, 1992 im Interview mit Paul Zollo kommt Cohen auf „First we take Manhattan“ zu sprechen:
In den neueren Interviews, insbesondere denen nach dem 11. September 2001 gibt es keine Bezugnahme auf das Lied. Nur Mikal Gilmore, den ich einleitend zitiert habe, kommt im Vorwort seines Gesprächs mit Cohen im Herbst 2002 auf den naheliegenden Zusammenhang zu sprechen:
IV First We Take Manhattan Beerbungen und VariationenNatürlich sind Lied wie Clip auch Projektionsfolien, auf denen sehr viel abgebildet werden kann, nicht zuletzt nach den Ereignissen vom 11. September 2001. Und zahlreiche Fans und Gruppen im Internet illustrieren First we take Manhattan mit Bildern der Gewalt und des Attentats auf das World Trade Center. Ich lasse im Folgenden mal alle berühmten Cover-Versionen weg (wie z.B. die von R.E.M.), sondern konzentriere mich weitgehend auf politische Applikationen:
Und damit das nicht das letzte Wort in diesem Text ist, hier noch eine interessante Version des Liedes von Cohen selbst aus dem deutschen Fernsehen, datiert Anfang 1988:
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Artikelnachweis: https://www.theomag.de/96/am519.htm |