Begrabt mein Herz an der Biegung des Flusses

Narrative Funktionsbindungen des Motivs „Leichenüberführung“ im Spielfilm[1]

Hans J. Wulff

Rückführungen

Das implizite Recht jedes Menschen, in seiner Heimaterde begraben zu werden, wird von Angehörigen und Nachkommen in aller Regel geachtet. Wenn politische Umstände oder die Suche nach Arbeit zur Auswanderung gezwungen hatten, entsteht das Problem, dass die Kosten der Überführung oft horrend hoch sind und es nur in Ausnahmefällen öffentliche Gelder oder andere Zuschüsse wie etwa Leistungen einer speziellen Versicherung gibt. Dass das Festhalten am Recht der Toten auf Bestattung in der Heimat so sehr von den Überlebenden geachtet wird, ist natürlich mit einer Reflektion der eigenen ethnischen oder religiösen Identität verbinden. Der Tod eines Nahestehenden macht es nötig, nicht nur die Beziehung zum anderen über den Tod hinaus zu klären, sondern auch die Grundlagen, die die Überlebenden an den Wertekanon binden, in denen auch die Rück- oder Überführung des Leichnams begründet wird.

In der Entscheidung, wo die Beerdigung sein soll, findet sich eine letzte Respektsbekundung dem Verstorbenen gegenüber, hier wird er noch einmal als gleichberechtigtes Subjekt behandelt – wenn nicht finanzielle Gründe oder verschlossene Grenzen die Überführung verhindern.

Es ist die Aufgabe der vorliegenden Skizze, eine kleine Gruppe von Filmen vorzustellen, die sich mit der Rückführung von Toten über nationale Grenzen hinweg beschäftigen, die verschiedenen Kontexte, in die sie eingebettet sind, die unterschiedlichen dramaturgischen Strategien vorzustellen, denen die Geschichten folgen (mit wenigen Ausnahmen, in denen die Reise aber durch eine Vielfalt kulturell gesetzter Grenzen führt).[2] Ausgangspunkt der Überlegung ist immer die Beobachtung, dass alle Filme eine symbolische Aufladung betreiben und mit Bedeutungen spielen, die den Umgehensformen mit den Toten und den Ritualen der letzten Ehrung entspringen.

Methodisch von größter Bedeutung ist die Annahme, dass nicht die Auflehnung, nicht der Protest gegen die Schlechtbehandlung der Toten oder ähnliches den Sinnhorizont des Motivs schaffen, sondern dass es genau um das Gegenteil geht: In der Ehrung der Verstorbenen werden die Toten zum letzten Mal als Mitglieder einer sozialen Gemeinschaft behandelt. Sie erfahren eine letzte Gratifikation, für die sie aber nur noch symbolische Adressaten sind. Die eigentlich Angesprochenen sind die Nachgebliebenen, die sich im Vollzug und im Spiegel des Rituals der Beerdigung wie auch der Totenüberführung ihrer sozialen Zugehörigkeiten und Verbindlichkeiten versichern.

Politische Akte ...

Gibt es ein Recht auf Bestattung? Oder verliert der Tote mit dem Ableben seine Würde auf Selbstbestimmung seines letzten Ortes? Eine nachgerade groteske Antwort gibt The Three Burials of Melquiades Estrada (Three Burials – Die drei Begräbnisse des Melquiades Estrada, USA/Frankreich 2005,  Tommy Lee Jones), in dem ein Freund (Tommy Lee Jones) des von der amerikanischen Grenzpolizei ermordeten Farmarbeiters Estrada es übernehmen muss, den Leichnam zurück an den Geburtsort des Getöteten zu seiner Familie zurückbringen muss, verfolgt von der Polizei, unterstützt von anderen Mexikanern, die sich ebenso von den US-Grenzsoldaten unterdrückt fühlen. Das Recht der Toten auf eine Ruhestätte als Symbol für die Repressivität, der die Mexikaner in der Grenzregion begegnen, als Anlass für Widerstand, so dass die Reise der Toten in eine absurde Verdrehung der Armuts- und Arbeitsmigration der Lebenden und eine groteske Machtprobe zwischen Amerikanern und Mexikanern mündet.

Filme wie Three Burials inszenieren die Überführung der Leiche als einen explizit politischen Akt, eine symbolische Auflehnung gegen rassistische Mißachtung oder Unterdrückung.

...und die Figur des Rückführers oder: Reisen zu sich selbst

Es ist dem motivischen Thema selbst geschuldet, dass die meisten Filme zum Genre der Road Movies gehören. Und so, wie auch andere Filme dieses Motivkreises die Reise als ein Heraustreten aus den Routinen des Alltäglichen interpretieren, als besondere Form der Selbstvergewisserung und der Reflektion auf Tiefenwerte der eigenen Identität, sind auch Rückführungsfilme in diesem Horizont interpretiert gewesen. Schon Three Burials, in dem sich der Rückführer großer Gefahr und polizeilicher Verfolgung aussetzte, ist lesbar als dessen radikale Ich-Werdung.

Die Versöhnung zweier Brüder ist in 45 Minuten bis Ramallah (BRD 2013, Ali Samadi Ahadi) ein klar erkennbares dramatisches Ziel: Als der palästinensische Vater auf einer Hochzeit in Israel stirbt, beschließen die beiden miteinander zerstrittenen Söhne (Navid Akhavan, Karim Saleh), den letzten Wunsch des Vaters zu erfüllen, in seinem Geburtsort in der Nähe von Ramallah beigesetzt zu werden, das in den palästinensischen Autonomiegebieten liegt. Auf der Fahrt geraten die beiden in die Konflikte zwischen Israel und Palästina hinein: Nicht nur wird das Auto mit der Leiche des Vaters gestohlen und unabhängig von ihnen nach Ramallah gebracht, sie werden auch von den Israelis für potentielle Attentäter, von den Palästinernsern für Kollaborateure gehalten, sie finden die Leiche des Vaters bei einer Terrorgruppe wieder und werden als Selbstmordattentäter auserkoren, können aber in letzter Minute mit dem präparierten Auto fliehen – und schließlich den Vater in Ramallah beerdigen. Der Streit zwischen den Brüdern ist beigelegt. Das Motiv, das die Handlung antreibt, ist das stillschweigend geltende Recht der Toten auf eine selbsterwählte Ruhestätte, das die Lebenden umsetzen müssen, selbst wenn eine Reise durch ein zutiefst zerrissenes Bürgerkriegsgebiet nötig ist. Weil die Brüder diesen Anspruch des Vaters respektieren und sie – wenn auch zunächst nur zähneknirschend – die Gefahren der Reise auf sich nehmen, zeigen sie auch, dass sie die moralischen Werte der Familie teilen. Dem Film unterliegt eine tiefe Bedeutungsschicht, in der es um Werte und deren Verbindlichkeit geht und die die Grundlage dafür bildet, dass die Brüder einander als Teil der gleichen Wertegemeinschaft erfahren (und zudem noch durch die gemeinsam durchstandenen Demütigungen und Gefahren miteinander vertraut werden).

Ein ganz anders gelagertes neueres Beispiel ist The Human Resources Manager (Die Reise des Personalmanagers, Israel/Deutschland/Frankreich 2010, Eran Riklis): Die Titelfigur (Mark Ivanir) arbeitet als Personalmanager in Jerusalems größter Bäckerei. Er steckt in einer tiefen persönlichen Krise: Von seiner Frau wurde er verlassen, seine Tochter geht zunehmend auf Distanz zu ihm, zudem hasst er seine Arbeit. Als eine ausländische Mitarbeiterin bei einem Selbstmordattentat ums Leben kommt und sich niemand für ihre Leiche interessiert, hat der Personalmanager plötzlich eine Mission, die er nicht ablehnen kann: Ein Journalist versucht, den Fall öffentlich zu machen und bittet ihn, den Sarg der jungen Frau in ihre osteuropäische Heimat zu überführen. Die beiden – begleitet von einem Vize-Konsul und einem ständig alkoholisierten Fahrer sowie dem aufsässig pubertierenden Sohn der Mitarbeiterin – machen sich zu einer abenteuerlichen Reise in den Balkan auf. Es mag die Absonderlichkeit des Unternehmens sein, die fast groteske Zusammensetzung der Gruppe der Rückführer, die Begegnung mit einer unvertrauten Fremde, der die Tote zugehörte, die den Personalmanager aus der Ausweglosigkeit seiner persönlichen Umstände herauslösen und ihn wieder zu sich selbst führen.[3]

Auch Luo ye gui gen (Nicht ohne meine Leiche, Hongkong/VR China/Niederlande, Yang Zhang) erzählt eine Geschichte vor dem Hintergrund der Arbeitsmigration: Einer von zwei befreundeten Bauarbeitern in Shenzhen stirbt bei einem Arbeitsunfall; der andere hat ihm versprochen, in zurück in sein Heimatdorf im 1.700 Kilometer entfernten Drei-Schluchten-Tal zu bringen. Er selbst hat kein Geld, die Baufirma hat lediglich 5.000 Yuan herausgerückt – das Geld soll der Familie des Toten zukommen und nicht für die Überführung verschwendet werden. Er ist gezwungen zu improvisieren und startet eine Reise quer durch das zeitgenössische China. Er trifft andere Reisende, wird in diverse Abenteuer verstrickt. Am Ende hat er nicht nur den Leichnam in dessen Heimatdorf abgeliefert, sondern auch noch eine junge Frau kennengelernt. Wie stark der Film auf dem Märchenmotiv einer Reise ins Glück aufbaut, wie nahe er den Märchenelementen des Auszugs des Helden, der Probe, der Versuchung und der finalen Belohnung kommt, ist evident. Die Ehrbezeugung vor dem toten Freund durchzieht zwar den ganzen Film, sie ist aber nicht zentral.[4]

Die Beispiele signalisieren, dass es der Hintergrund der Migration ist, der die so neue Prominenz des Motivs begründet. Folgt die Auswanderung dem Impuls der Arbeit und des Geldes, ist die letzte Reise durch Werte wie Heimatverbundenheit, familiale Herkunft, ethnische und nationale Identität begründet. Dass die Überführung auch zum Initialmoment einer oft burlesk sich ausentwickelnden, satirisch gefärbten Auseiandersetzung mit transnationalen Gegebenheiten werden kann, versteht sich von selbst. Ein Beispiel ist das Projekt der Überführung in Sağ Salim (Sağ Salim - Unverletzt, Türkei 2012, Ersoy Güler), das zum der Ausgangspunkt einer burlesken Krimikomödie wird: Ein gutmütiger Dorftrottel (Burçin Bildik), der sein Einkommen aufzustocken sucht, soll eine Leiche in den Heimatort des Toten transportieren. Ein Unfall und die Begegnung mit einem angehenden Ehrenmörder, dessen entlaufener Tochter, einem Drogenschmuggler und der türkische Mafia verhindern, dass er die Leiche einfach nur abliefern kann.[5] Dass der Film nicht einfach nur auf den Stereotypien der Kriminalburleske aufruht, sondern ebenso vor dem Hintergrund der europäischen Arbeitsmigration und der Transnationalität der Handlungs- und Lebensräume zu denken ist, versteht sich von selbst.[6]

Fast wie eine Inversion der Totenreise vom Gast- in das Heimatland wirken Filme, die von Westeuropäern erzählen, die in die Heimat zurückexpediert werden müssen. Ein Beispiel ist das Road-Movie Drum Bun - Gute Reise (Schweiz/Ungarn 2003/04, Robert Ralston): Der ebenso naive wie snobistische Martin Schlegel (Felix Theissen) erfährt vom tödlichen Jagdunfall seines ungeliebten Vaters in Rumänien und soll den Leichnam nach Deutschland überführen. Das Unternehmen entwickelt sich zur Odyssee durch die Provinz: Schon am Flughafen kommt seine Brieftasche mit den Papieren abhanden; das altersschwache Auto, das er notgedrungen kauft, gibt auch schon bald den Geist auf. Ohne Sprachkenntnisse, wird er glücklicherweise vom rumänischen Pärchen Imi (Tibor Pálffi) und Agi (Kriszta Biró) mitgenommen, die selbst gerade in Beziehungsproblemen stecken. So übersteht er diverse Katastrophen, um schließlich im Krankenhaus zu erfahren, dass der Leichnam seines Vaters bereits von dessen ungarischer Witwe (Krisztina Bíró) abgeholt wurde, von deren Existenz Martin bisher nicht mal wusste. Sie hat die Leiche einäschern lassen. Der Titel wirkt wie ein augenzwinkernder Vorverweis auf das, was dem Helden widerfährt (drum bun! = Glückliche Reise!). Die Reise erweist sich tatsächlich als Kette von Krisen und Erprobungen, mit denen er fertigwerden muss. Und der Film erkundet nebenbei den culture clash zwischen westeuropäischer Stadt- und rumänischer Landkultur – der Tod des Vaters ist nur der Katalysator der Reise.

Krimis mit überführten Leichen

Manchmal werden Leichentransporte zum Ausgangspunkt burlesker Krimi-Verwicklungen. Balkan Traffic (Deutschland/Österreich/Kroatien 2007, Markus Stein, Milan V. Puzic) ist ein solcher Fall. Der Film erzählt von einem Bosnier (Marko Pustišek) und einem Serben (Vladimir Pavic), die ihr Geld damit verdienen, Gastarbeiterleichen von Berlin in den Balkan zu schmuggeln – bis einmal statt der Toten die sehr lebendige Polizistin Ulla (Petra Schmidt-Schaller) im Sarg liegt, die als Schnapsleiche die Reise angetreten hatte, weil die beiden Leichenschmuggler sie für die Leiche gehalten hatten, die sie überbringen sollten.

Nach einer wirren Handlung – in der immer wieder die Bedeutung der Totenverbringung für deren Familien angesprochen wird – endet der Film damit, dass Ulla zusammen mit dem Serben selbst eine Leiche über die Grenze bringt.

Eine ganz eigenartige Mischung von Handlungsmotiven stellt die TV-Komödie Bis zum Ellenbogen (BRD 2007, Justus von Dohnányi) dar. Der Film erzählt von drei Deutschen, die während des Urlaubs in der Schweiz zufällig Bekanntschaft schließen.

Einer stirbt; er ist Bankier aus Hamburg. Die beiden anderen nutzen seine Rolle als erster, der morgens in der Bank ist, aus und rauben eine große Menge Schwarzgeld. Aber sie bringen den Toten auch zum „Ellenbogen“ auf Sylt und übergeben ihn den Wellen: Er hatte den beiden erzählt, dass seine Verlobte dort letztes Jahr ertrunken sei und er sich nach seinem Tod auch eine Seebestattung wünsche.

Kriminelle Energie verbunden mit der Verbindlichkeit sozialer Beziehungen: ein Hintergrund für den Leichenschmuggel, den es in dieser Form selten gibt.[7]

Das Motiv der „falschen“ resp. „vorgetäuschten Leiche“ spielt in einer ganzen Reihe von Krimiburlesken eine Rolle. Ein frühes Beispiel ist der Laurel-und-Hardy-Film A-Haunting We Will Go (Dick und Doof als Geheimagenten; aka: Wir gehen zaubern; aka: Dick und Doof in geheimer Mission; aka: Fauler Zauber; aka: Die Geheimagenten, USA 1942, Alfred Werker), dem ein Sarg, in dem ein Gangster in eine andere Stadt geschmuggelt werden soll, und ein Sarg, der zur Ausrüstung eines Zauberers gehört, vertauscht werden; Laurel und Hardy, die sich bei dem Zauberer verdingen, können ihn nach einer ganzen Flut burlesker Slapstickiaden schließlich der Polizei übergeben.

Eine andere Krimi-Variante ist die Nutzung von Sargüberführungen als Versteck für Schmuggelgut, insbesondere Drogen. Ein Beispiel ist Trouble in Paradise (Gefährliches Paradies - Ein Sarg voller Heroin; aka: Taifun vor Ravalo, USA 1989, Di Drew), in dem eine reiche Amerikanerin (Raquel Welch) die Leiche ihres Mannes aus Hongkong überführen lässt, allerdings bei der Überführung Schiffbruch erleidet und sich zusammen mit einem Matrosen (Jack Thompson) auf eine kleine Insel retten muss. Was sie nicht weiß: Ihr Mann lebt (und wird auf der Insel auftauchen), der Sarg enthielt eine gewaltige Menge Heroin. Ähnlichen Mißbrauch von Särgen findet man auch in anderen neueren Drogenschmuggel-Filmen. So verwendet ein mexikanischer Drogenbaron in Bad Boys II (USA 2003, Michael Bay) Särge mit Leichen, um Geld und Drogen über die Grenze zu schaffen. Selbst in dem James-Bond-Film Diamonds Are Forever (Diamantenfieber, Großbritannien 1971, Guy Hamilton) wird ein Überführungssarg dazu benutzt, Diamanten im Inneren der Leiche ins Ausland zu schmuggeln. In allen diesen Beispielen ist die Fremdnutzung des Überführungssarges möglich, weil er im Grenzverkehr eigene Dignität besitzt, die Unversehrbarkeit der Toten sogar von den Grenzbeamten geachtet wird.

Rituale und symbolische Politik

Recht auf Rückführung: das genießen nur diejenigen, die im Auftrag des Staates unterwegs gewesen sind und im fremden Land umkamen. Es gibt kaum einen US-amerikanischen Kriegsfilm (über welchen der neueren Kriege seit Vietnam auch immer), der keine Szenen enthielte, der die von der amerikanischen Flagge bedeckten Särge Gefallener im Flugzeug, bei der Ver- oder Entladung von Transportmaschinen und einer folgenden Bestattung unter Beachtung aller Rituale der militärischen Ehrenbekundung zeigten.[8] Die toten Soldaten werden zurückgebracht, um den Daheimgeblieben zu zeigen, welche Opfer die Gemeinschaft bringt, um sich gegen das Fremde zu schützen oder sich für seine Werte an allen Orten der Welt einzusetzen. Die Rückführung der Leichen ist gerade in dieser nichtprivaten Konstellation ein demonstratives Format, das nur auf den ersten Blick den Toten und ihrem Opfer für die Gemeinschaft (oder den Staat) Respekt erweist. Symbolische Politik eben: weil die Adressaten der Inszenierung die noch Lebenden sind, die im Ritual ihrer Zugehörigkeit zur Wertegemeinschaft rückversichert werden (oder sich selbst dieser vergewissern).[9]

Die Rückführung der gefallenen Vietnam-Soldaten ist nicht immer nur Teil eines Ehrenrituals, sondern kann auch dramaturgisch als Ankündigung drohenden Todes gesetzt sein. „Willkommen in Vietnam, auf geht‘s!“ schallt den Soldaten entgegen, die 1967 gerade auf einer US-Militärbasis angekommen sind (in dem Film Platoon, USA 1986, Oliver Stone) – und gleichzeitig sieht einer der Angekommenen voller Irritation, dass in unmittelbarer Nähe Leichensäcke zu einem Transportflugzeug gefahren werden. Es ist nicht nur der Blick des Infanteristen Chris Tayler (Charlie Sheen), der die Szene aufraut und von jedem Pathos befreit, sondern auch eine verhaltene, sakral anmutende, von Alltagsgeräuschen des Flugplatzes durchwebte Musik, die auf das kommende Geschehen vorbereiten – ein Gemenge von Todesnähe und Drogengebrauch, um Angst zu modulieren.

Natürlich lässt sich das Überführungs- und Beerdigungsszenario auch als Groteske auslegen, um die Unsinnigkeit der Konkurrenz verschiedener politischer Systeme zu illustrieren. Ein Beispiel ist die auf einer 1952 von Wolfgang Kohlhaase geschriebenen Geschichte basierende TV-Komödie Begräbnis einer Gräfin (BRD 1991, Heiner Carow). Eine Gräfin ist bei Kriegende in den Westen geflohen. Sieben Jahre später stirbt sie und möchte in heimischer Erde bestattet werden. Doch die Überführung bringt nur Schwierigkeiten: Ausgerechnet der linientreue Bürgermeister (Dieter Montag) verhindert mit seinem Übereifer die von der Partei befohlene Rückführung des gräflichen Leichnams in den verrotteten Westen – weil die ebenso übereifrigen Grenzbeamten den metallenen Sarg misstrauisch geöffnet haben und nach der Hygiene-Verordnung von 1907, derzufolge geöffnete Särge nicht transportiert werden dürfen, eine Rückführung in den Westen nicht mehr möglich ist. Doch er zwingt den Pfarrer (Hans Christian Blech), die Gräfin in einer Ecke des Gottesackers zu bestatten; zudem wird der Trauerzug mit einem quergestellten Traktor behindert. Der Film versucht, im Tonfall der Satire einen Blick zu ermöglichen auf die Engstirnigkeit und Spießigkeit der DDR-Bürokraten der Jahre nach der Gründung der DDR.

Eine satirische Reise ist auch Guantanamera (Guantanamera; aka: Guantanamera - Eine Leiche auf Reisen); Spanien/Kuba/Deutschland 1995, Tomás Gutiérrez Alea, Juan Carlos Tabío): In Kuba hat jeder Tote hat das Recht, in seinem Heimatort beerdigt zu werden. Allerdings ist die Überführung mit unüberwindbaren Hindernissen gepflastert – Benzinrationierungen etwa, die man nur überwinden kann, wenn der Sarg an jeder Bezirksgrenze auf ein neues Auto umgeladen wird. Ein Parteifunktionär (Carlos Cruz) unternimmt es, die Reise zu organisieren. Dabei ist seine Frau (Mirtha Ibarra), eine Universitätsdozentin, die unterwegs einen ehemaligen Studenten trifft und dabei bemerkt, dass ihre Ehe dabei ist zu verdorren, sowie der uralte Geliebte der Verstorbenen und ein Chauffeur, ein Spezialist für halblegale Dollargeschäfte. Die Fahrt wird zu einer Odyssee durch das spätkommunistische Kuba und seine überbürokratischen Absurditäten. Guantanamera ist Liebesgeschichte, Road Movie und beißend-ironischer Abgsang auf das kubanische Staatssystem. Der Film endet mit der Beerdigung, auf der der Funktionär eine flammende Rede hält – allerdings vertreibt hereinbrechender Sturzregen das Publikum. Der Redner bleibt auf einem Sockel stehen; er wird nicht mehr herunterkommen. Die Überführung ist hier die Startkondition und nicht das eigentliche Thema des Films – dieses ist die Durchmusterung alltäglicher Lebensbedingungen im Kuba der Zeit des Films.

Summa

Eingangs hatte es geheißen, dass Beerdigung und Rückführung der Toten reflexiv adressiert seien: Diejenigen, die dem Toten die letzte Ehre erweisen, erleben sich gleichzeitig als solche, die am Ritual der Ehrerbietung teilnehmen und darum Teil der Deutungs- und Ritualgemeinschaft sind, der auch der Tote zugehörte. Zu einem zunehmend prominenter werden Motiv wird die Rückführung erst in der letzten Vierteldekade – offensichtlich im Zusammenhang mit der sich vergrößernden Freizügigkeit vor allem der Arbeitsmigrationen, aber auch mit dem Altern der Gastarbeiter der ersten Generation (seit den späten 1950ern). Eine genauere Untersuchung steht aber aus.

Eine Durchmusterung des Korpus zeigt, dass sich die Annahme in fast allen Varianten des Motivs zeigen lässt; aber sie zeigt auch, wie verschieden die funktionalen Bindungen der Leichenüberführungen sind:

(1) Manchmal sind sie zentrales Thema der Geschichte. Von dem Projekt des Totentransports aus werden die tiefensemantischen Bedeutungen entfaltet, die nicht nur den Umgang einer Gesellschaft mit ihren Toten demonstrieren, sondern auch Schlaglichter werfen auf die inneren Überzeugungen der Handelnden, ihre Werthaltungen und ihre Bindungen in die Tradition.

(2) Manchmal sind sie nur Marginalia der Handlung. Narratologisch nehmen sie dann den Status der Komplikation an, ein Widerfahrnis der Handlung, das die Handelnden überbinden müssen.[10]

(3) In wenigen Fällen sind sie initiale Plotpoints, Ausgangsbedingungen der Handlung. Von hier aus entwickelt sich die Geschichte, ohne dass der Totentransport selbst zum zentralen Thema würde.

(4) Und manchmal werden sie in das Funktionsgefüge von Genres eingebunden. Insbesondere im Krimi können sie zu Kernelementen des Plots werden – auch der Schmuggel von Leichen gehört zu den Delikten des Strafrechts.

(5) Gerade in den letzteren Formaten wird oft mit Strategien der Satirisierung gespielt, in denen tiefere Bedeutungshorizonte aktiviert werden, die z.B. auf politische Themen, diskursive Brüche und Konflikte und Stereotypien des Wissens vor allem über andere Kulturen und Nationen fußen.

Das Gros der Filme setzt das Projekt der Leichenüberführung als Katalysator der eigentlichen Geschichte und als initiales Ereignis ein, das die Reise nötig macht. Immer gibt schon dieses einen Hinweis auf die Charakterzüge der handelnden Figuren, auf das, was sie zum Antritt der Reise bewegt und wie sie später durch die Reise verändert werden. Die Reisen sind in aller Regel als Episodenfolge ausgeführt, als Kette von meist zufallsgesteuerten Begegnungen mit anderen Figuren, mit anderen Lebensbedingungen, Sitten und Kulturen. Die Filme mit Leichenüberführungen werden so zu einem Motiv der kulturellen Begegnung, sie durchlöchern oft die kulturelle Selbstgewissheit der Figuren (mit Ausnahme der Rückführung von Gefallenen aus Kriegsgebieten).

Für alle diese Varianten gilt, dass der Ort der Begräbnisstätte semantisch aufgeladen wird und zu einem symbolischen oder diskursiven Wert wird, der den Aufwand der Leichenüberführung rechtfertigen kann. Das Motiv des Leichentransports wird so zu einem unmittelbaren Zugang zu einer Bedeutungswelt, die von Werten handelt, die angesichts des Umgangs mit Toten auch die Konditionen des Umgangs verschiedenster Regimes mit lebenden Bürgern entlarvt.

Fast alle Filme fußen auf Prämissen, die die Entscheidung über die Lokalität der letzten Ruhestätte mit letztlich konservativen Interpretamenten wie „Herkunft“, „Heimat“, „Ort der Familie“, „Nationalität“ oder mit religiösen Belegungen der Toten motivieren.

Wenige Filme gehen andere Wege: Ein verheirateter amerikanischer Industrieller (Jack Lemmon) und eine alleinstehende, lebensfreudige Engländerin (Juliet Mills) begegnen sich in einem kleinen Hotel auf Ischia, wo sein Vater und ihre Mutter jahrelang ein heimliches Liebesverhältnis unterhielten und gemeinsam tödlich verunglückt sind. Die beiden Toten müssen in die  USA bzw. nach England verbracht werden. Billy Wilders Avanti! (Avanti, Avanti, USA 1972) ist eine Burleske um das Motiv der Toten im fremden Land. Zwar reagiert der prüde Amerikaner zunächst empört, doch verliebt er sich in die Engländerin – sie werden von nun an die Tradition des Liebesurlaubs auf Ischia, das die Eltern vorgelebt hatten, fortsetzen. Und sie beschließen, die Leichen des Paares auf Ischia beizusetzen. In dem Sarg, der unter großem diplomatischen Pomp schließlich in die USA geflogen wird, liegt die Leiche eines Ex-Mafiosos, der in einer grotesken Seitenhandlung ums Leben kam. Die gute gesellschaftliche Form ist gewahrt, das wahre Geschehen kommentiert die Vorgeschichte und ist eine Verbeugung vor dem Geheimnis, das die Toten geteilt und bewahrt hatten. Und der Schluss signalisiert, dass die Freiheit der Toten nicht mit dem Tod endet, sondern dass ihr lebensgeschichtlich eigentlicher Ort auch ein Ort des Glücks sein kann, selbst dann, wenn die Toten darüber ein Geheimnis bewahrt hatten.

Anmerkungen

[1]    Begrabt mein Herz an der Biegung des Flusses (Originaltitel: Bury My Heart at Wounded Knee) ist ein Sachbuch des amerikanischen Autors Dee Brown aus dem Jahr 1970 ( New York: Holt, Rinehart & Winston 1970; dt. Ausg.: Hamburg: Hoffmann & Campe 1972; zahlr. Neuaufl.). Es beschreibt wichtige Episoden aus der Geschichte der nordamerikanischen Prärieindianer in der Zeit zwischen den 1860er Jahren bis zum titelgebenden Massaker am Wounded Knee im Jahre 1890. Dank muss ich meinen Freunden Matthias Christen, Anna Drum, Anna Frank, Karl Juhnke, Stephen Lowry, Brigitte Mayr, Franz Obermeier, Hans-Joachim Schlegel und Tom Stern erstatten, die mich auf Filme hingewiesen haben, die ich ohne sie nicht gefunden hätte. Gleichwohl konnte ich nicht alle Hinweise in den folgenden Artikel einarbeiten, zumal zahlreiche Überführungen dramaturgisch nur als „auslösende Momente“ verwendet werden und den Anstoß der Geschichte, manchmal auch nur eines ihrer marginalen Details bilden.

[2]    Auf die Dokumentation der Dracula-Filme, die ja ebenfalls auf dem Transport von Särgen beruhen, habe ich hier verzichtet. Auch die Western, die von Leichenüberführungen handeln, habe ich ausgespart; allerdings sei Sam Peckinpahs Erstling The Deadly Companions (Gefährten des Todes, USA 1961) erwähnt, der von einer Mutter un ihrem erschossenen Kind erzählt, das sie an der Seite seines Vaters beisetzen will, und die bei der gefährlichen Reise durch Indianergebiet, von drei Männern begleitet wird, die eigentlich eine Bank überfallen wollten.

[3]    Die Leichenüberführung als Reise zu erfahren, die einen Austritt aus den Routinen und Begrenzungen des Alltags zu erfahren und sich damit dem eigenen Lebensentwurf anzunähern, ist auch die Kernmoral des in einem kanadischen Kleinstädtchens beginnenden Road-Movies Highway 61 (Kanada/Großbritannien 1991, Bruce McDonald). Sein Protagonist ist ein schüchterner junger Friseur (Don McKellar), der davon träumt, eines Tages in New Orleans mit seiner Trompete als Bluesmusiker aufzutreten. Als er eines Tages eine Leiche im Hinterhof findet und die Schwester des Toten (Valerie Buhagiar) ihn bittet, diesen zur Beerdigung nach New Orleans zu bringen, und er nach kurzem Zögern zustimmt, beginnt ein abenteuerliche Reise (mit dem Sarg auf dem Dach des Autos), auf der die beiden einem alleinerziehenden Vater mit drei Mädchen, gelangweilten Musikmillionären und einem Vorstadteinwohner, der sich für den Teufel hält, begegnen. Der Friseur ist am Ende seinem eigenen Lebensentwurf nähergekommen, der als so unveränderbar wirkende Alltagstrott hat seine Macht über den jungen Mann verloren.

[4]    In motivischer Nähe ist auch der südkoreanische Film Nagunenun gilesodo schizi annunda (Der Mann mit den drei Särgen; aka: Der Wanderer hält auch auf der Landstraße nicht an, 1987, Lee Chang-Ho): Ein junger Mann unternimmt eine Reise ins Sperrgebiet an der Grenze zwischen den beiden koreanischen Staaten, um die Asche seiner verstorbenen Frau in ihrer Heimat auszustreuen. Allerdings nur in einer winzigen Episode erzählt Sonnenallee (BRD 1999, Leander Haußmann) von der Asche Onkel Heinz‘, den die Mutter in der Kaffeebüchse in den Osten schmuggelt.

[5]    Auch das Sequel der erfolgreichen Komödie Sa? Salim 2: Sil Bastan (Sa? Salim 2: Aufs Neue, Türkei 2014, Ersoy Güler) setzt mit einem Leichentransport ein – nun ist es Salim mit seiner Freundin Nihal (Ezgi Asaroglu), die eine Reise antreten, um einen Verstorbenen in dessen Heimat zu überführen. Im gleichen Kontext sollte auch Im Juli (BRD 2000, Fatih Akin) genannt werden, dessen Held der etwas weltfremde, aus Hamburg stammende Lehramtsreferendar Daniel (Moritz Bleibtreu) nach Istanbul aufgebrochen ist, um dort eine junge Frau zu treffen, die er anhimmelt. Ohne zu wissen, wie er dorthin gekommen ist, trifft er auf einer Landstraße mitten in Bulgarien auf einen deutsch-türkischen Autofahrer (Isa = Mehmet Kurtulu?), der eine Leiche im Kofferraum transportiert – und sie werden an der bulgarisch-türkischen Grenze ertappt und verhaftet. Als Isa aber erzählt, der Tote sei sein sich illegal in Deutschland aufhaltender Onkel, den er nach dessen Herzversagen zur Beisetzung bis in die Türkei geschmuggelt habe, weil eine offizielle und amtlich genehmigte Überführung nicht möglich gewesen sei, erwerben sich die beiden den höchsten Respekt der türkischen Grenzbeamten. Gerade die Rückführung Verstorbener in die Türkei ist in Filmen (insbesondere deutsch-türkischer Filmemacher) mehrfach angesprochen worden. So beginnt die zweite Episode von Fatih Akins Auf der anderen Seite (BRD/Türkei 2007) mit dem Bild eines Sarges, der über ein Transportband aus einem Flugzeug herausfährt, ein Bild, das später invertiert wird und das wiederum einen Sarg zeigt, der die Türkei verlassen wird.

[6]    Etwas anders gelagert ist TV-Komödie Die Oma ist tot (BRD 1998, Angelo Colagrossi), in der eine polnische Großmutter während eines Besuchs von Verwandten in der BRD stirbt. Von den Kosten für eine Bestattung oder Überführung in die Heimat abgeschreckt, macht sich die ganze Familie auf, die Tote in ihr Heimatdorf zu transportieren.
Eines der wenigen melodramatischen (allerdings nur in einer einzigen Handlungssequenz entfalteten) Beispiele ist The English Patient (Der englische Patient, USA/Großbritannien 1996, Anthony Minghella): Die Geliebte des Helden ist in Ägypten umgekommen; ihr letzter Wille war es,  im Garten ihres Elternhauses am Meer bestattet zu werden; der Held versucht, sie zunächst nach Kairo zu bringen – doch wird das Flugzeug von deutschen Soldaten abgeschossen.

[7]    Einfacher gebaut ist die Story von RX (Simple Lies, USA 2004, Ariel Vromen), der von drei US-amerikanischen Studenten erzählt, die sich ein Zugeld verdienen wollen, indem sie Drogen von Mexiko in die USA schmuggeln. Einer stirbt dabei und muss in die USA zurückgebracht werden.

[8]    En detail präsentiert Gardens of Stone (Der steinerne Garten, USA 1986, Francis Ford Coppola) die Rituale auf dem Arlington-Friedhof in Washington. Vgl. dazu Peter Bürger: Vom Kult der Soldatengräber. In: Telepolis, 2009, URL: http://www.heise.de/tp/artikel/30/30900/1.html. Den letzten Teil der Überführung eines gefallenen 19jährigen Soldaten zeigt der HBO-Film Taking Chance (USA 2009, Ross Katz) – vor allem, weil auf allen Stationen der Reise dem Toten von US-Bürgern höchster Respekt gezollt wird. Die tiefen Verbindungen der Leichenrückführung mit amerikanischer Identität wird so in seltener Klarheit greifbar.

[9]    Gerade die Überführung der Leichen von Staatsoberhäuptern ist immer eine politische Inszenierung für das Volk. Vgl. beispielsweise den frühen Dokumentarfilm Die Feierliche Überführung der Leichen des Erzherzogpaares nach Wien (Österreich 1914).

[10]   Ein recht beliebiges Beispiel ist Little Miss Sunshine (Little Miss Sunshine, USA 2006, Jonathan Dayton, Valerie Faris), in dem der unterwegs verstorbene Großvater auf der Reise nach Kalifornien weiter mitgenommen werden muss, was aber skurrile Nebenhandlung bleibt. Und auch die initiale Überführung der Leiche des Vaters nach Frankreich – er hatte den Wunsch geäußert, in französischer Erde zu ruhen – in Forget Paris (Vergiss Paris!, USA 1995, Billy Crystal) ist nur der erste Schritt, der die Voraussetzungen der Verwicklungen der folgenden Liebeskomödie schafft.

Artikelnachweis: https://www.theomag.de/96/hjw13.htm
© Hans J. Wulff, 2015