„Landschaftmalerei in ihrem Einfluss
auf die Belebung des Naturstudiums“

Alexander von Humboldt

Im fünfbändigen „Kosmos – Entwurf einer physischen Weltbeschreibung“, dem Hauptwerk Alexander von Humboldts, kommt dieser im vierten Kapitel des zweiten Bandes auch auf die Bedeutung der Malerei für das Naturstudium zu sprechen. Und dabei streift Humboldt selbstverständlich auch die Leistung van Eycks auf diesem Gebiet. Er setzt ein mit einer grundsätzlichen Überlegung zur Leistung der Landschaftsmalerei:

„Wie eine lebensfrische Naturbeschreibung, so ist auch die Landschaftmalerei geeignet die Liebe zum Naturstudium zu erhöhen. Beide zeigen uns die Außenwelt in ihrer ganzen gestaltenreichen Mannigfaltigkeit; beide sind fähig, nach dem Grade eines mehr oder minder glücklichen Gelingens in Auffassung der Natur, das Sinnliche an das Unsinnliche anzuknüpfen. Das Streben nach einer solchen Verknüpfung bezeichnet das letzte und erhabenste Ziel der darstellenden Künste. Diese Blätter sind durch den wissenschaftlichen Gegenstand, dem sie gewidmet sind, auf eine andere Ansicht beschränkt: es kann hier der Landschaftmalerei nur in der Beziehung gedacht werden, als sie den physiognomischen Charakter der verschiedenen Erdräume anschaulich macht, die Sehnsucht nach fernen Reisen vermehrt, und auf eine eben so lehrreiche als anmuthige Weise zum Verkehr mit der freien Natur anreizt.“


Es folgt eine kurze Geschichte der Auseinandersetzung mit der Kunst und der Landschaft in der Malerei. Und hier äußert sich Humboldt dann zur niederländischen Malerei und insbesondere zur Leistung van Eycks. Zur Zeit der Abfassung seines Textes befinden sich die Seitenteile des Genter Altars im Besitz des Berliner Museums (die der preußische König von einem Londoner Händler erworben hatte, nachdem Gent sie aus finanzieller Not verkaufen musste), weshalb Humboldt gut aus eigener Anschauung formulieren kann:

„Es ist daher von nicht geringer Wichtigkeit für die Geschichte der neueren Kunst, »daß die berühmten Brüder Hubert und Johann van Eyck dem Wesentlichen nach aus einer Schule der Miniaturmaler hervorgegangen sind, welche seit der zweiten Hälfte des 14ten Jahrhunderts in Flandern eine so große Vollkommenheit erlangt hatte.« Sorgfältige Ausbildung des Landschaftlichen findet sich nämlich zuerst in den historischen Bildern dieser Brüder van Eyck. Beide haben nie Italien gesehen; aber der jüngere Bruder Johann genoß den Anblick einer südeuropäischen Vegetation, als er im Jahr 1428 die Gesandtschaft begleitete, welche der Herzog von Burgund Philipp der Gute wegen seiner Bewerbung um die Tochter König Johanns I von Portugal nach Lissabon schickte. Wir besitzen hier in dem Museum zu Berlin die Flügel des herrlichen Bildes, welches die eben genannten Künstler, die eigentlichen Begründer der großen niederländischen Malerschule, für die Cathedralkirche zu Gent angefertigt hatten. Auf den Flügeln, welche die heiligen Einsiedler und Pilger darstellen, hat Johann van Eyck die Landschaft durch Orangenbäume, Dattelpalmen und Cypressen geschmückt: welche äußerst naturgetreu über andere dunkele Massen einen ernsten, erhabenen Charakter verbreiten. Man fühlt bei dem Anblick des Bildes, daß der Maler selbst den Eindruck einer Vegetation empfangen hat, die von lauen Lüften umweht ist.

Bei dem Meisterwerke der Gebrüder van Eyck stehen wir noch in der ersten Hälfte des 15ten Jahrhunderts, als die vervollkommnete Oelmalerei eben erst angefangen hatte die Malerei in Tempera zu verdrängen und doch schon eine hohe technische Vollendung erlangt hatte. Das Streben nach einer lebendigen Darstellung der Naturformen war erweckt; und will man die allmälige Verbreitung eines sich erhöhenden Naturgefühls verfolgen, so muß man erinnern, wie Antonello di Messina, ein Schüler der Brüder van Eyck, den Hang zu landschaftlicher Auffassung nach Venedig verpflanzte, und wie die Bilder der van Eyck'schen Schule selbst in Florenz auf den Domenico Ghirlandajo und andere Meister in ähnlichem Sinne eingewirkt haben.“

Artikelnachweis: https://www.theomag.de/97/avh1.htm
© Alexander von Humboldt, 2015