Was ich noch zu sagen hätte

Das Blogsurrogatextrakt XIV

Andreas Mertin

EKD und Antisemitismus                                                                                     09.11.2015

Heute melden die Agenturen, die EKD habe sich auf ihrer Synodentagung in Bremen entschieden vom Antijudaismus und in der Folge vom Antisemitismus der Reformatoren, der Reformation und der Protestanten distanziert. Das gehört inzwischen zu den Pathosformeln eines aufgeklärten Protestantismus, wird aber nicht glaubwürdiger, wenn man es zum 200. Mal wiederholt. Ich glaube meiner Kirche ihre Distanzierung vom Antijudaismus nicht. Spätestens wenn in wenigen Tagen die Krippen in den Kirchen aufgestellt werden, kann man die Oberflächlichkeit dieses Bekenntnisses beobachten. Trotz ihres vorgeblichen „sola scriptura“ werden Protestanten wie Katholiken landauf, landab dem Christuskind wieder Ochs und Esel beigesellen, damit den Juden auch möglichst drastisch klargemacht wird: Ochs und Esel kennen ihren Herrn, aber sein Volk (die Juden) erkennt ihn nicht. Dieses Motiv der Abwertung und Abgrenzung der Juden war den Christen so wichtig, dass es schon die erste uns bekannte Geburtsdarstellung des Herrn zierte. Und nichts in der Geschichte konnte Christen davon abbringen, dieses Element, das sich in keinem neutestamentlichen Text findet (und aus dem Alten Testament auch nur zur Herabsetzung der Juden herausgeklaubt wurde), wieder zu inszenieren. Natürlich, unsere Gemeinden wissen nicht, was sie da tun. Aber sollten sie es nicht besser wissen? Sollten sie nicht spätestens nach 1945 erforscht haben, welchen ikonographischen und ideologischen Ballast sie seit Jahrhunderten mitschleppen? Wenn man sie darauf hinweisen würde, dann würden sie wahrscheinlich dennoch ihre Krippen mit Ochs und Esel ausstatten, aber daneben ein Schild aufstellen, dass versichert, man wolle mit dieser Darstellung nicht die Juden herabsetzen. Es sei eigentlich nur Folklore, sicher historisch antijudaistische Folklore, aber heute wisse das ja niemand mehr (außer den Juden natürlich).

Die in Bremen tagende Synode der EKD kann übrigens diese für die Christen charakteristische Umgangsform mit belasteten ikonographischen Elementen gleich vor Ort studieren. Die Türen des protestantischen Bremer Doms sind antisemitisch durch und durch. Das schien den Christen in Bremen fast 100 Jahre kein Problem zu sein. Als sie dann von einem jüdischen Besucher darauf aufmerksam gemacht wurden, entfernten sie die Türen keinesfalls, sondern – man ahnt es schon – stellten ein Schild daneben, auf dem man sich vom Gehalt der Türen distanziert. Wie bigott kann man nur sein? Soweit zur Distanzierung vom Antijudaismus. Es wird vermutlich noch über 100 Jahre vergehen, ehe wir den manifesten Antijudaismus in all den Kunstwerken und Bildern aufgearbeitet haben, die unsere Kirchen zieren.


„Religiös schwerbehindert“                                                                               09.11.2015

Die katholische Blockwartseite kath.net ist durch einen treffsicheren Metapherngebrauch gesegnet. Fragt sich nur von wem. Aktuell schreibt ein Helmut Müller über die katholische „Kirche in einer Gesellschaft von religiös Schwerbehinderten“. Das ist eine ebenso interessante wie herabsetzende Formel. Dazu fällt einem gleich so viel ein, dass man gar nicht weiß, wo man anfangen soll. Bisher war man es gewohnt, nach dem einschlägigen Bonmot von Jürgen Habermas von „religiös Unmusikalischen“ zu sprechen. Das hat durchaus seinen Reiz, weil es in der Metapher unterstellt, dass jeder seine Charismen hat, zu denen nun auch die Religiosität gehören kann, aber nicht muss. Die Charismen verteilen sich, wie jeder weiß, höchst unterschiedlich. Dass jemand künstlerisch nicht so begabt ist, wird man ihm nicht vorhalten können, ebenso wie den Umstand, dass er religiös nicht über ein ausdifferenziertes Sensorium verfügt. Was ändert sich in der Aussage, wenn ich statt von einem „religiös Unmusikalischen“ von einem „religiös Schwerbehinderten“ spreche? Zunächst einmal wechsle ich auf der Metaphern-Ebene von einer Gabe zu einer Krankheit. Religiosität ist demnach kein Geschenk, keine Gabe, sondern ein Teil menschlicher Gesundheit. Wer über sie nicht verfügt, ist krank. Das ist schon ein starkes Stück. So eine herabsetzende und bösartige Rede sollte man sich auch als „religiös musikalischer Mensch“ verbitten. Normal ist nur der Katholik, der der katholischen Lehre folgt. Ein Jude ist vermutlich in dieser Perspektive etwas behindert, ein Protestant etwas mehr, die Atheisten aber vollends. Krank eben. Nun hat der Begriff des „Schwerbehinderten“ in einer aufgeklärten Gesellschaft auch eine gesellschaftlich verabredete Bedeutung. Es reicht nicht, wie ein pubertierender Gassenjunge zu brüllen: bisse behindert oder was? Behindert sind nach allgemeiner Überzeugung Menschen, die von der menschlichen Normalität in gesundheitlicher oder gesellschaftlicher Form abweichen. Für den begabtesten Menschen unserer Gesellschaft sind alle anderen Menschen behindert, weil sie ihm gegenüber Defizite aufweisen. Genau das meint aber der Begriff der Behinderung bzw. Schwerbehinderung nicht. Er setzt keine ideale Norm, von der aus alles Abweichende denunziert wird. Er bildet sich vielmehr in der Mitte der Gesellschaft. Sonst kommt man in die Situation des Geisterfahrers, der nach der Radiomeldung ausruft: Was heißt hier ein Geisterfahrer, das sind Hunderte! Wer also ernsthaft von religiöser Schwerbehinderung spricht, sollte überlegen, was eigentlich gesellschaftlicher Normalfall in Sachen Religion ist und wo im Blick auf die Gaußsche Normalverteilung die Abweichungen liegen. Und da könnte der religiöse Fanatismus, der auf Einhaltung der katholischen Lehre pocht, selbst gerade die Abweichung sein, die er bekämpfen will. Behinderung, das ist der nächste Aspekt, ist in den seltensten Fällen etwas, was man sich selbst gewählt hat. Es ist in aller Regel ein Schicksal, eine Krankheit, ein genetischer Defekt, das Ergebnis eines Unfalls. Ob dies mit der Haltung zur Religion und mit religiösem Denken vergleichbar ist? Der Geisterfahrer des besagten Artikels auf kath.net meint: In einer „Gesellschaft von religiös Schwerbehinderten“ zu leben, fordert ihren Tribut. Nicht mehr „das Heilige“ zu kennen oder dafür aufgeschlossen zu sein, ganz im Profanen aufzugehen, ist das Kennzeichen dieser Gesellschaft. Bin ich der Einzige, der dabei die Rede des Selbstgerechten aus dem Gleichnis Jesu mithört? Gott, ich danke dir, dass ich nicht wie die anderen Menschen bin, die Räuber, Betrüger, Ehebrecher oder auch wie dieser Zöllner dort. Und müsste man nicht unserem Geisterfahrer von kath.net auch sagen, was Jesus dazu sagt: „Ich sage euch: Dieser (scil. der Zöllner) kehrte als Gerechter nach Hause zurück, der andere nicht. Denn wer sich selbst erhöht, wird erniedrigt, wer sich aber selbst erniedrigt, wird erhöht werden.“


Im Auftrag - Für eine Kirche der Kunst                                               12.11.2015  

Seit einigen Jahren scheint es für die Kirchen wieder normal zu werden, über Auftragskunst nachzudenken. Hinweg mit der Autonomie der Künste, zurück zu den religiösen Vorgaben für Bildende Kunst im Raum der Kirche. Wer meint, so etwas kulturell Belangvolles zustande zu bringen, soll das nur tun. Nur: was dem einen recht ist, sollte dann auch dem anderen billig sein. Ich schlage also eine Tagung vor, auf der sich Künstler und Vertreter des Kunstsystems treffen, um die Rahmenbedingungen einer ihnen passenden Theologie / Religion / Kirche zu diskutieren. Das ist doch nur logisch. Wenn die Theologie der Kunst die Regeln vorgibt, dann kann umgekehrt die Kunst auch der Theologie die Regeln vorschreiben. Es sind schließlich gleich-berechtigte Diskurse. Wie könnte das aussehen? Eine Theologie mit Bilderverbot wird vermutlich nicht gefragt sein, Kreuzestheologie ist auch nicht so richtig angesagt, interkulturelle Theologie (analog zu den grassierenden Biennalen) wäre nicht schlecht. Von allem etwas, kein Christus, das würde Juden und Muslime verstören, keine Heilige Schrift, das wäre für eine visuelle Theologie völlig unangemessen. Schließlich gehen die Bilder der Schriftreligion um Tausende von Jahren voraus. Keine Sündenlehre, eher Freiheit, Liberalität, Grenzüberschreitung. Man könnte sich da schon eine passende Theologie zusammenbasteln. Und man könnte die Theologen beauftragen, eine solche Patchworktheologie für die Kunst zu entwerfen. Viel schlimmer als die Überlegungen der Kirchen zur Auftragskunst könnte das auch nicht sein. Es ist ja auch nicht einzusehen, warum immer nur die Kirche sich die scheinbar zu ihr passende Kunst aussucht. Das können Künstler und Kunstsystem umgekehrt auch.


Versuch einer Prophetie                                                                                     29.11.2015

Im Jahr 2017 wird Andreas Rudolf Bodensteins (genannt Karlstadt) Schrift „Von abtuhung der Bylder / Vnd das keyn Betdler vnther den Christen seyn soll“ in der evangelischen Kirche von einer unerhörten Aktualität sein. Man geht wohl nicht fehl in der Annahme, dass im Kontext der Jubelfeiern für Luther Millionen für die zeitgenössische Selbstdarstellung des Luthertums ausgegeben werden. Einen sachlichen Konnex zwischen dem, was Luther umtrieb, und dem, wie sich die Kirche in der Kultur repräsentieren möchte, gibt es nicht. Sie leugnen den Blickwinkel Gottes, der auf die Armen und die zu kurz gekommenen gerichtet ist. Oder in den Worten Martin Luthers:

„Das erfahren wir täglich, wie jedermann nur über sich, zur Ehre, zur Gewalt, zum Reichtum, zur Kunst, zu gutem Leben und allem, was groß und hoch ist, sich bemüht. Und wo solche Leute sind, denen hängt jedermann an, da läuft man hinzu, da dient man gern, da will jedermann sein und der Höhe teilhaftig werden ...  Wiederum in die Tiefe will niemand sehen. Wo Armut, Schmach, Not, Jammer und Angst ist, da wendet jedermann die Augen ab. Und wo solche Leute sind, da läuft jedermann davon, da flieht, da scheut, da lässt man sie und denkt niemand, ihnen zu helfen, beizustehen und zu machen, dass sie auch etwas sind.“
[
M. Luther, Das Magnificat, verdeutscht und ausgelegt WA 7, 544-604.]

Die Millionen, die im Kontext des Luther-Jubiläums (ein Reformationsjubiläum mag man es ja kaum nennen) ausgegeben werden, wären besser eingesetzt, wenn sie dafür sorgten, dass keyn Betdler vnther den Christen wäre. Da würde Luther Karlstadt ganz sicher beipflichten.

Artikelnachweis: https://www.theomag.de/98/am523.htm
© Andreas Mertin, 2015