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Magazin für Theologie und Ästhetik


Pasquinade Popetown

Der Skandal der Skandalisierung

Andreas Mertin

Vortrefflichster Herr! Sintemalen wir oft solche leichtfertige Streiche zusammen ausgeführt haben, und Ihr Euch
nichts darum kümmert, wenn einer einen schlechten Witz gegen Euch loslässt, wie ich es jetzt im Sinne habe:
deshalb fürchte ich auch nicht, Ihr möchtet es übel aufnehmen, dass ich Euch jetzt eine Neckerei berichte, da ja
auch Ihr derartige Sachen machtet; und ich weiß, Ihr werdet lachen, weil es ein [wirklich] wunderbarer
Handel ist. Und so gehabt Euch denn noch besser, als Euer bester Freund es Euch wünschen könnte. [1]


Als die Redaktion des Magazins für Theologie und Ästhetik im Februar 2006 beschloss, dieses Heft dem Thema "Religion und Zensur" zu widmen, konnte Sie nicht ahnen, dass es allein im Bereich der christlichen Kirchen in kürzester Zeit mehr als zehn Zensurversuche oder auch faktische Verhinderungen kultureller Äußerungen geben würde. Es scheint so, dass die muslimischen Reaktionen auf die Karikaturen in der dänischen Zeitschrift Jylland Posten weltweit die religiösen Gemüter ermutigt und angespornt hätte, gegen alles und jeden zu protestieren, der ihnen nicht in den Kram passt: Gustav Mahler und den Karneval, Bildende Kunst und T-Shirts, Comics und Kinofilme (siehe dazu die Übersicht in diesem Heft des Magazins für Theologie und Ästhetik).

Allein die evangelische Kirche in Deutschland hat es seit Januar 2006 geschafft,

  1. Journalisten aufzuforden, nicht alles zu publizieren, was sie de jure publizieren dürfen, also ihre Meinungsfreiheit selbst zu beschränken;
  2. Kinobetreiber aufzufordern, einen türkischen Film abzusetzen;
  3. Fernsehsender aufzufordern, eine Fernsehserie nicht auszustrahlen.

Für eine Konfession, die einmal angetreten war, das Verhältnis von Gesetz und Evangelium neu zu begreifen bzw. in seinem Ursprungssinn zu reaktualisieren, ist das schon eine beachtliche Leistung. Von der Freiheit der Christenmenschen wie von ihrer Bereitschaft zur Toleranz ist da wenig zu spüren.

Weitaus dramatischer fällt die Bilanz für die katholische Kirche aus, deren antimodernistische Tendenzen gegenüber der Kultur der Gegenwart allmählich wieder voll zum Tragen kommen. Der Satz Man darf sich nicht alles gefallen lassen ist zum innerkirchlichen Common sense des Christentums geworden. Von Matthäus 5, 39 (Ich aber sage euch, dass ihr nicht widerstreben sollt dem Übel, sondern: wenn dich jemand auf deine rechte Backe schlägt, dem biete die andere auch dar) hat sich die christliche Kirche zugunsten eines gesellschaftlichen Machtapparats zur Durchsetzung kirchlicher Interessen verabschiedet. Ich bin gespannt, welche Exegese von Matthäus 5, 39 der Bischof von Fulda vorschlägt, um seinen Boykottaufruf gegen MTV von Mitte April 2006 zu rechtfertigen. Das ist weniger Protest gegen die Verletzung religiöser Gefühle als vielmehr kalte Machtpolitik zur Befriedung unliebsamer Äußerungen.

Popetown

Aktueller Anlass der Verhinderung kultureller Äußerungen ist die britische Satiresendung Popetown“, die schon 2004 in Großbritannien und 2005 in Neuseeland auf Betreiben der katholischen Kirche nicht ausgestrahlt wurde, in Italien auf dem Index landete und nun von MTV in Deutschland seit dem 3. Mai 2006 ausgestrahlt wird. Bei Popetown handelt es sich um eine Satire, Protagonisten sind u.a. ein kindlicher Papst, ein priesterlicher ‚Held‘ und zahlreiche kirchliche Verschwörer.

MTV stellt die Sendung so vor: "Als Leiter des "Back Office" im Vatikanstaat muss sich Pater Nicholas um alles Organisatorische in «Popetown» kümmern. Keine leichte Aufgabe, denn schon auf höchster Ebene ticken Zeitbomben: Da ist der 77-jährige exzentrische Papst, der den Charme eines unausstehlichen Siebenjährigen versprüht, sowie der korrupte Kardinal, der Waisenkinder in die Sklaverei verkauft. Und auch das eigene Personal ist eher sonderlich als sonderlich hilfreich. Dennoch: Optimist und Menschenfreund Nicholas versucht jeden Morgen auf ein Neues Gutes zu tun – Badestunden mit dem Papst eingeschlossen." [MTV]

Wer sich den Trailer und die ersten Folgen der Sendung anschaut, stößt auf eine eher simple konstruierte Sendung - insbesondere was die Konturierung der Charaktere der Personen angeht -, allerdings mit interessant eingeschobenen Darstellungen der Originalschauplätze. Dass die Comiczeichnung schlecht sei, wie ein kirchlicher Medienvertreter behauptete, wird man dagegen kaum mit guten Gründen vertreten können. In der gegenwärtigen Comickultur hat die Serie eine durchaus vertraute Gestaltungsform - sieht man von den eingeschobenen Architekturverweisen ab, die etwas Besonderes darstellen.

Maurice Sand, Commedia dell'Arte, Figur des Arlecchino 1671Genremäßig ist vielleicht "Groteske" die passende Charakterisierung der Serie: "Eine Groteske ist eine übertriebene und dadurch witzige Erzählung oder ein ebensolches Drama. Meist handelt es sich um einen kürzeren, derb-komischen oder närrisch-seltsamen Text, der auf verzerrende, ungewöhnliche Art und Weise verschiedene, nicht zusammenpassende Elemente, unvereinbare Gegensätze, vor allem Komisches und Grausiges, miteinander verbindet. Verbunden werden oft Lebensweisheit und Irrationales." [ wikipedia] In dieser Perspektive lässt sich Popetown problemlos wahrnehmen und einordnen.

Trotzdem entsteht allein schon bei der Ankündigung einer Comic-Serie, die sich satirisch mit dem Papst und dem Vatikan beschäftigt, weltweit Protest und kein Land der Erde (mit Ausnahme eines einzigen Senders in Australien) traut sich, die Serie auszustrahlen. Wobei die Zeitschrift DIE ZEIT zu Recht schreibt, dass "keiner der lautstark Protestierenden, ob Politiker, Kirchenfürsten oder Normalverbraucher, das Werk kennen dürfte. Aber bekanntlich protestiert es sich um so ungehemmter, wenn man unbeleckt ist von Faktenkenntnis." So wird es wohl gewesen sein.

Es wäre den Protestierenden daher anzuraten, sich einmal intensiver mit der Geschichte der Kritik an der Kirche und vor allem auch mit der Geschichte des mittelalterlichen Karnevals zu beschäftigen. Manche der an Popetown geäußerten Kritiken würden sich dann vielleicht von selbst erübrigen. Muss man darauf hinweisen, dass es im Rahmen des mittelalterlichen Karnevals durchaus üblich war, dass kirchliche Rituale parodiert wurden, ja dass ein "Pseudopapst" gekürt wurde und es sogar einen Kinderbischof gab? Es ist ja nicht ganz unplausibel, anzunehmen, dass sich die Macher der Comic-Serie gerade auf diese Tradition beziehen. Auch eine Verbindung zur Commedia dell'Arte lässt sich durchaus erkennen. Dabei geht es mir gar nicht darum, die Comic-Serie durch den Verweis auf historische Vorbilder aufzuwerten, statt dessen möchte ich eher etwas Gelassenheit im Umgang mit Religionssatire anmahnen. Die Zeiten, in denen kirchenkritische Kulturwerke nur anonym erscheinen konnten oder verboten bzw. verbrannt wurden, sollten lange vorbei sein.

Deshalb hat Jürgen Krönig in der ZEIT Recht, wenn er schreibt: "Doch das Konzept westlicher Freiheit, das wir für eine zivilisatorische Errungenschaft halten, umfasst nun mal das Recht, auch Religionen und Kirchen verspotten, ja beleidigen zu können. Ein Recht, das Christen im konkreten Einzelfall murrend, ja widerwillig hinnehmen mögen. Aber generell ist es in den westlichen Gesellschaften von allen Seiten akzeptiert. Jeder Versuch, diese Freiheit einzuschränken, stößt auf erbitterten Widerstand, allen voran von Künstlern, Intellektuellen und Journalisten."

Satire

Nun ist es ja nicht so, dass das Christentum den satirischen Einsatz von Bildern nicht beherrschen würde und vor einem neuen und schwer zu verdauenden Phänomen stünde. Humor, Satire und Ironie gehören konstitutiv zu den Bild- und Lebenswelten der christlichen Religion - quasi von den Anfängen an. Man muss nicht erst auf Johan Huizingas "Herbst im Mittelalter" oder Michail Bachtins Studien zur Lachkultur verweisen, um das zu erkennen. Eine gehörige Portion von Humor charakterisiert das Christentum noch an den heiligsten Orten.

Ist es nicht auch Kennzeichen subtilen Humors, der paganen Umwelt ihre allgegenwärtige Symbolik zu entreissen, indem man sie christlich umdeutet und sich damit aneignet - so wie es das verfolgte Urchristentum mit den religiösen Symbolen in den Katakomben getan hat? Ist es nicht pure Ironie, wenn Gottes blanker Hintern in der Sixtinischen Kapelle seit über 130 Jahren über die jeweilige Papstwahl wacht oder wenn an derselben Stelle der Schöpfer mit einer jungen Frau im Arm den ersten Mann Adam erschafft? Und ist es nicht überaus komisch, dass Gott, der im zweiten Gebot definitiv und autoritativ festgelegt hat, dass von ihm keinerlei Bildnis angefertigt werden soll (Exodus 20, 4: Du sollst dir kein Bildnis noch irgendein Gleichnis machen, weder von dem, was oben im Himmel, noch von dem, was unten auf Erden, noch von dem, was im Wasser unter der Erde ist), an nahezu jeder Ecke im Vatikanstaat wie überall in den Kirchen von Rom bildlich fixiert wird? Dies alles kann doch nur als innerreligiöse Realsatire begriffen werden.

Und mit der Popularisierung des Bildgebrauchs und dem Beginn der religiösen Bild-Agitation in Zeiten der Reformation sind dann - auf beiden Seiten - alle bis dahin vielleicht noch geltenden Schranken der Satire und alle Hemmungen der satirischen Verunglimpfung des religiösen Kontrahenten gefallen:

"Die Reformation entdeckte die Satire als publizistisches Mittel der polemischen Agitation im Streit um die christliche Lehre. Je nach religiöser Zugehörigkeit ihrer Autoren richteten sich die satirischen Streitschriften und Flugblätter gegen die Katholische Kirche beziehungsweise gegen die Vertreter der Reformation. Dabei wurden sowohl die widerstreitenden Gruppen, als auch erstmals ihre individuellen Exponenten Ziel der satirischen Angriffe. Der Papst als Esel oder Drache, Johannes Eck als Schwein, Thomas Murner als Katze, oder der Theologe Lemp als bissiger Hund und dazu kontrastierend Luther als siebenköpfiges Ungeheuer oder des Teufels Dudelsack. Vielfach erfolgte im Rückgriff auf biblische Situationen eine aktualisierende Zuspitzung auf das Tagesgeschehen. Gestalten der Apokalypse versah man mit den päpstlichen Insignien, die Hure von Babylon trägt die Tiara, an Stelle von Babylon schildert die Septemberbibel das zugrunde gehende Sündenbabel Rom. Bildsatiren der Reformationszeit wurden in hoher Zahl und vielfältigen originellen und vor allem derb-volkstümlichen Exemplaren aufgelegt und verbreitet. Gleichwohl erfolgten die Veröffentlichungen der Karikaturen aus Gründen des Selbstschutzes häufig anonym. Berichtet wird von Haftstrafen für Zeichner, Drucker und Kolporteure für ihre 'Schmähschriften'." [ wikipedia, Art. Satire]

Im Vergleich zu den Karikaturen und Satiren der Reformationszeit aber auch im Vergleich mit der vulgärmaterialsitisch inspirierten Kirchensatire am Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts, erweist sich Popetown als geradezu harmlose satirische Darstellung kirchlicher Verhältnisse. Da hat der Medienwissenschaftler und Direktor des Instituts für Medienpolitik in Berlin, Lutz Hachmeister, Recht, wenn er bemerkt: "Jede realistische Dokumentation über die Rolle der katholischen Kirche im Mittelalter wäre für das Ansehen des Vatikans schädlicher als diese Zeichentrickserie." (Lutz Hachmeister hatte 2005 das Fernsehfestival Cologne Conference organisiert, bei dem die Serie Popetown unter den Top Ten der Veranstaltung rangierte.)

Wenn allerdings schon bei der einfachen Satire auf den Papst - für einen in Nordrhein-Westfalen aufgewachsenen Theologen im Kontext des rheinischen Karnevals eine fast alltägliche Erscheinung - die religiösen Nerven blank liegen, was soll dann erst bei einer wirklich ernst zu nehmenden schriftstellerischen satirischen Beschäftigung mit dem Vatikan geschehen? Oder dient die ganze künstliche Aufregung der letzten Monate gerade dazu, eine wirkliche Kritik an der Verfasstheit der Kirche schon im Keim zu ersticken? Vieles spricht genau für diesen Verdacht!

Straßenkrawall und brechende Fensterscheiben

Auf welchem unglaublichen Niveau sich katholische Vertreter inzwischen im Streit mit ihren Kritikern bewegen, zeigt eine Presseverlautbarung des Landeskommitees der Katholiken in Bayern, die am 26. April 2006 publiziert wurde. Deren Vorsitzender Helmut Mangold schreibt dort, mit Popetown würden "keineswegs nur religiöse Gefühle verletzt. Vielmehr spricht daraus Menschenverachtung". Und er fügt hinzu: "Ganz offensichtlich haben die Verantwortlichen des Senders keine Lehren aus den heftigen Debatten um die so genannten Mohammed-Karikaturen gezogen" und fragt daran anschließend: "Müssen erst Straßenkrawalle stattfinden und Fensterscheiben zu Bruch gehen, damit in Deutschland religiöse Toleranz auch gegenüber Christen gilt?" Diese nahezu unverhohlene Drohung mit einem christlichen Straßenmob zeigt, wie weit sich diese christlichen Institutionen und ihre Vertreter von der biblischen Botschaft entfernt haben. Die im deutschen Sprachgebrauch vorherrschende Konnotation des Wortes "Menschenverachtung" ist übrigens Rassismus, Fremdenfeindlichkeit, Brutalität und Gewalt. All das hat mit Popetown aber auch rein gar nichts zu tun. Wer hier fahrlässig fremdenfeindliche Übergriffe gegen Menschen mit Karikaturen und Satiren gleichsetzt, kratzt am Fundament der Demokratie und diskreditiert zugleich den humanen Gehalt des Christentums.

Der CSU-Fraktionschef im bayerischen Landtag, Joachim Herrmann, ging laut SPIEGEL sogar noch einen Schritt weiter: Mit einem eher kruden Vergleich mühte er sich um den Beleg der Gefährlichkeit solch blasphemischen Gedankenguts. Im März 2001 hätten die Taliban die Buddha-Statuen in Afghanistan zerstört. Man sehe, wohin das geführt habe: "Zu den schrecklichen Flugzeugangriffen in Washington und New York am 11. September." Die Produzenten und Sender von Popetown sind sozusagen geistige Taliban, die noch Schlimmerem den Boden bereiten. Und da gilt es offenkundig: Wehret den Anfängen - notfalls mit den Mitteln der Terrorabwehr. Vermutlich gibt es bald ein bayerisch-christliches Heimatschutzministerium. Hinzugefügt werden muss freilich, dass Herrman sich insbesondere auf die ziemlich flache Werbeanzeige für die Sendung bezog.

Erfolg hatten die Gefühlsbetroffenen darin, dass MTV ankündigte, zunächst nur eine Folge der Comic-Serie auszustrahlen und die Entscheidung über eine eventuelle Fortsetzung von den (erwartungsgemäß positiven) Zuschauerreaktionen abhängig zu machen. Zudem wurde eine begleitende Diskussionsveranstaltung angekündigt, bei der Kritiker und Befürworter ihre Argumente austauschen sollten.

Wenn das Ganze ein von MTV von vorneherein geplanter Medien-Coup war, dann ist er nicht nur genial geplant, sondern auch außerordentlich erfolgreich durchgeführt worden. Am Abend des 3. Mai 2006 verdreifachte MTV seine übliche Zuschauerquote, was werbetechnisch als absoluter Erfolg gelten kann. Die angesetzte Diskussionsrunde war infolge der Absage der Kritiker - also der CSU und der katholischen Kirche - schlicht langweilig und daher überflüssig. Niemand will mediale Diskussionen ohne kontroverse Ansichten sehen. Die ausgestrahlte Episode war von MTV geschickt ausgewählt, so war an keiner Stelle auch nur im Ansatz anstößig (es sei denn, man hält einen Papst mit einer Waffe in der Hand für anstößig - aber dann sollte man erst einmal die Geschichte der Päpste lesen).

Inhalt der ausgestrahlten ersten Folge war ein ganz normaler Tag im Vatikan, der Papst empfängt eine kirchliche Besuchergruppe, die Kardinäle suchen den maximalen Ertrag kirchlicher Kampagnen, die Kirchen-Journalistin übt die optimale mediale Vermittlung des Katholizismus. So weit, so normal, nur dass eben im Stil der Groteske alle handelnden Personen verzerrt dargestellt werden. Schon die Rahmung der Handlung deutet den zentralen Konflikt an: Was ist, wenn sich die Kirche als zu menschlich (im positiven wie im negativen Sinne) erweist, wenn ihr aggiornamento sie so verändert, dass sie dem Medienbetrieb und dem Zeitgeist ununterscheidbar angepasst sind (In diesem Punkt haben die Macher der Serie und die gegen sie protestierenden Bischöfe eine erstaunliche Nähe!).

Ausgangspunkt der Rahmenhandlung ist ein Religionsunterricht, in dem der Religionslehrer als Entertainer auftritt. Sein aktuelles Thema ist die Dualität des Guten und des Bösen (also eher ein gnostisches Thema), exemplifiziert an der Gegenüberstellung von Kain und Abel, Jekyll und Hyde bzw. der Gallagher-Brüder Noel und Liam(!) von der Band Oasis. Dabei erweist er sich als quasi professioneller Tierstimmenimitator, der die Stimmen der Tiere, die demnächst die Arche betreten, täuschend echt nachmachen kann. Das gibt die Thematik der Notizen und Zeichnungen eines gelangweilten Schülers vor, der das Thema "täuschend echt nachmachen" aufgreift und sich eine Geschichte eines "täuschend echt nachgemachten" Papstes ausdenkt und als Comic in sein Heft kritzelt. Und so beginnt die Erzählung von einem Papst, der mit seinen Vertrauten (der Nonne Maria und seinem Assistenten Pater Nicholas) so gut Verstecken spielt, dass er verloren geht und durch ein schnell herbeigeschafftes jüdisches Entertainer-Double (ein so genannter Lookalike) aus Brooklyn ersetzt werden muss.

Nebenbei bemerkt: Kulturhistorisch ist die Idee der zwei Körper des Papstes nicht uninteressant und vermutlich wird es den gedoubelten Papst historisch auch schon gegeben haben. Zumindest als Anspielung auf die Geschichte der Gegenpäpste ist das Ganze nicht ohne Witz.

Technisch empfinde ich die Art der Schnittfolge der Serie in zweierlei Hinsicht bemerkenswert. Zum einen im Kontrast der Zeichnung der Figuren und der streckenweise liebevollen architektonischen Hintergrundgestaltung. Die Figuren sind eher konventionell und zielgruppenorientiert, die Architektur eher hochkulturell orientiert. Die Anspielungen auf mediale Referenzobjekte sind erwartungsgemäß dicht. Was mich irritiert hat, war eher, wie wenig die Übergänge und Schnitte ausgefeilt waren. Videoästhetisch war das eine Form des "Art brut", eine primitive Konstruktion, mit der man erst einmal zurecht kommen muss. Ob das nun handwerkliche Fehler sind oder Absicht, wird man noch genauer untersuchen müssen.

Medienpädagogisch wird man den Bischöfen und Kardinälen empfehlen müssen, sich zunächst mit der Rahmung der fiktionalen Erzählung auseinander zu setzen. Das aber ist eine Kompetenz, über die - trotz aller exegetischen Ausbildung - Bischöfe und Kardinäle selten verfügen, wie nicht zuletzt das inzwischen historisch gewordenen Beispiel des Videoclips zu "Like a prayer" von Madonna zeigt. Dass Kon-Texte über Deutungen entscheiden, sollte Theologen vertraut sein - aber die Rezeption zu Popetown beweist das Gegenteil.

In einem gewissen Sinne ist nicht nur die Rahmung der Handlung ein zentraler Angriff auf die Mediatisierung der Religion. Auch wenn die Geschichte des Christentums durchgehend eine der Mediatisierung ist, so bereitet es uns Unbehagen, wenn eine als "heilig" oder "bedeutsam" empfundene Institution so routiniert und zugleich so durchschaubar auf Medienkampagnen setzt. Aus diesem elementaren Unbehagen - das ich nach dem medialen Overkill beim Tod des letzten Papstes, der Wahl des aktuellen Papstes und des Weltjugendtages gut nachvollziehen kann - speist sich, so könnte ich jedenfalls vermuten, der ethische Impuls der Comic-Sendung. Anfangs hatte ich gedacht, eine Comic-Sendung wie Popetown könne keine Kirchenkritik sein, sondern sei eben ein jugendspezifisches Format der Ironisierung und Distanzierung. Das ist es auch und sicher vor allem. Aber es ist auch reale Kirchenkritik. Ein Ignorant, der behaupten würde, dass hier nicht reale Tendenzen der Großkirchen gespiegelt werden. Dass inzwischen der mediengerechte Auftritt wichtiger ist als die Orientierung am Evangelium, dass die Inszenierung des sozialen Leids weniger zu dessen Abschaffung als zur Optimierung der Einspielergebnisse dient, scheint mir unbestreitbar. Sollten also die protestierenden Vertreter der Kirche die Serie vorab gekannt haben, erfolgte ihr Protest weniger wegen der grotesken Verzerrung als vielmehr wegen der großen Ähnlichkeit zur Realität. In Zeiten, in denen Bischöfen der Fernsehauftritt wichtiger ist als der Gemeindebesuch, ist Popetown ein mehr als notwendiges Korrektiv.

Populärkultureller Zuspruch

Letztlich bleibt aber die Frage nach der Adressatengruppe der Serie. MTV wendet sich nicht an normale Kirchenbesucher, nicht an Oberkirchenräte mit empfindsamen Gemüt oder gar an Kardinäle. Ihr Zielpublikum sind die Eingeborenen der MTV-Generation, die mit Medien und Medienkritik und vor allem mit Kritik durch Medien groß geworden sind. Meine Nichte, 11 Jahre alt, fand popetown jedenfalls cool. Ihr Vater hat mehrfach nachgefragt, aber sie blieb dabei: es hat ihr gefallen. Und ihr Urteil ist mir wichtiger, als die jedes Bischofs oder Kardinals, der über keine medienspezifische Kompetenz in diesem Bereich verfügt. Meine Nichte versteht eben etwas vom gezeigten Format und die kirchlichen Amtsträger nicht! Schon bei simplen Nachfragen zu verwandten Formaten wie den Simpsons, Southpark oder Beavis and Butt-Head müssen sie passen. Natürlich werden Würdenträger, die sich als hermeneutische Generalisten verstehen, das anders sehen, aber darin irren sie. Medienkultur und ihre Deutung hat auch etwas mit generationsspezifischer Kompetenz zu tun. Das kann man als Älterer nachvollziehen, aber nicht besserwisserisch vorwegnehmen oder abtun.

Mehr als 70% der befragten jugendlichen Rezipienten hatten keine Probleme mit Popetown. und die Kollegen, die meinen, erst einmal pflichtschuldigst die Qualität von Popetown inkriminieren zu müssen, erheitern allenfalls. Derlei Kotaus vor dem bildungsbürgerlichen und hochkulturellen Urteil sind historisch überholt. Wir können uns mit Formaten wie Popetown befassen und sie beurteilen, ohne vorab darauf hinweisen zu müssen, dass es sich um ein minderwertiges Format handelt.

Noli me tangere - Die Totengräber der Kultur

Die Lehre, die einige der religiös Berührten und kulturell Unbelehrbaren aus ihrer Niederlage vor Gericht und in der Öffentlichkeit gezogen haben, ist die Drohung mit der Verschärfung der Gesetze. Ihre Eskalationsrhetorik ist aber kein Schutz religiöser Menschen, sondern ganz im Gegenteil, deren Bedrohung. Denn die Verschärfung zielt ja gerade auf die Andersdenkenden - auch in religiösen Fragen anders Denkenden. Sie sollen mundtot gemacht werden. Ob es sich um Kinofilme, Literatur, Musik, Comics, Satire oder Lebensstil handelt - was abweicht, soll in die Schranken verwiesen werden. Das ist die kulturelle Barbarei auf niedrigstem Niveau. Während die Kirchen schon seit beinahe 200 Jahren kulturell so gut wie nichts auf die Beine bringen, soll nun auch der Rest der Kultur dem angepasst werden. Nivellierung nennt man das und das Ergebnis kann man der kirchlichen Kultur seit 1800 entnehmen. Nein Danke!

Vorsicht Ironie: Kulturexamen für Kirchenvertreter!

Satirisch würde ich angesichts dieser Entgleisungen eine Rückkehr zu Bismarcks Überlegungen einer klaren Trennung von Kirche und Staat vorschlagen. Dessen so genannter Kanzelparagraph von 1871 beinhaltete folgenden Vorschlag: „Ein Geistlicher …, welcher … die Angelegenheiten des Staates in einer den öffentlichen Frieden gefährdenden Weise zum Gegenstande einer Verkündigung oder Erörterung macht, wird mit Gefängnis oder Festungshaft bis zu zwei Jahren bestraft.“ Die Maigesetze von 1873 enthielten einen offenkundig auch heute absolut notwendigen Punkt kultureller Aufklärung von Christen: Geistliche dürfen nur nach Ablegen eines staatlichen Kulturexamens ein Amt übernehmen.

Anmerkungen
  1. Aus dem Vorwort der Dunkelmännerbriefe (Epistolae obscurorum virorum), der berühmtesten Satire des deutschen Humanismus (1515).

© Andreas Mertin 2006
Magazin für Theologie und Ästhetik 41/2006
https://www.theomag.de/41/am187.htm