Paradigmen theologischen Denkens - zwei Nachträge

Stefan Schütze

Zu meiner Zusammenstellung aktueller „Paradigmen theologischen Denkens“, vor allem aus der theologischen Diskussion im englischsprachigen (amerikanisch-kanadischen und angelsächsischen) Bereich, die mir bei der Suche nach einem für mich heute tragfähigen und sagfähigen Glauben geholfen haben, will ich hier noch zwei „Nachträge“ ergänzen, welche sich aus meiner seitherigen weiteren Lektüre ergeben haben, und welche die bisherige „Denkfolie“ dieser Paradigmen m.E. noch weiterführend bereichern und vervollständigen können.

a)    Statische oder dynamische Gesamtperspektive? Gordon Kaufmans Beitrag zu einer Pluralistischen Theologie der Religionen

Lektürebasis: Gordon D. Kaufman, God Mystery Diversity: Christian Theology in a Pluralistic World, Minneapolis 1996

Gordon Kaufman hat seine eigenen Gedanken zu einer Pluralistischen Theologie der Religionen, wie sie sich aus seinem Konzept theologischer Rekonstruktionsarbeit ergeben, in Aufnahme älterer Veröffentlichungen und in Weiterführung seiner Gedanken von „In Face of Mystery“ in seinem 1996 erschienenen Buch „God – Mystery - Diversity: Christian Theology in a Pluralistic World“ zusammenfassend dargestellt.

Ich will seine Position innerhalb des religionstheologischen Pluralismus auf dieser Grundlage hier kurz skizzieren, und dabei mit den in meinem „Paradigmen“-Haupt-Artikel dargestellten Entwürfen von Hick auf der einen und Ward auf der anderen Seite in Beziehung setzen. Daraus ergeben sich m.E. einige für die dort aufgeworfenen Fragen weiterführende Gedanken.

Kaufman bezieht sich einerseits sehr positiv auf Hick und hält in Würdigung seiner Verdienste um die Entwicklung einer pluralistischen religiösen Perspektive fest: „I do want to express my deep appreciation for all that he has done to lead many of us to see its importance for theology today“. Andererseits betont er, dass er in der konkreten Ausführung doch „not in agreement“ sei „with Hick’s way of adressing the problems raised by religious diversity“[1].

Kaufman kritisiert dabei v.a. den aus seiner Sicht zu statischen Charakter von Hicks religiöser Metaphysik und seinem mit ihr verbundenen Wahrheitsbegriff: Die traditionellen exklusivistischen, inklusivistischen, relativistischen und pluralistischen Konzepte einschließlich dessen von Hick „attempt to resolve an essentially historical issue … in static or structural, instead of dynamic, terms. In so doing they implicitly presuppose that history has already come to its end, at least with respect to the relation of the various religious faiths to each other; and that it is possible, therefore, to see now in the present what the proper and permanent structure of those relationships is.“[2]

Diese Kritik an der zu statischen metaphysischen Ontologie auch von Hicks Ansatz trifft sich dabei in gewisser Weise mit der von Ward geäußerten Kritik an seiner unzureichenden Möglichkeit der Formulierung eines echten Wahrheitsfortschritts in der religiösen Entwicklung der Menschheit.

Obwohl Wards Gottesbegriff eigentlich deutlich konservativer ist als der Hicks oder Kaufmans, wirkt sein Konzept eines „konvergenten Pluralismus“ in mancher Hinsicht in der von Kaufman geforderten Weise doch auch dynamischer als das von Hick: Ward betont stärker die Möglichkeit der Entwicklung innerhalb der einzelnen religiösen Traditionen: „One must at least leave room for improvement.“[3] Und er ordnet die Formulierung religiöser Wahrheiten ähnlich wie Kaufman ein in ein Konzept einer grundsätzlich in Bewegung befindlichen und sich immer neu verändernden religiösen Entwicklung der Menschheit, nach der wir heute in eine neue Phase der Religionsgeschichte eingetreten sind, „moving to a new way of understanding, to a global vision, a convergent spirituality and a Socratic faith“, wie Ward es formuliert[4], oder in den Worten Kaufmans: „The process of human cultural creativity that had for for hundreds of generations flowed through many relatively separate and distinct channels has in this century, with the growing interdependance of all human life in the limited space available on Planet Earth, brought the various seperated segments of humanity into increasingly complex interconnections.“[5]

Hier wirkt sich aus, dass Ward und Kaufman die Entwicklung der menschlichen Religiosität stärker in eine diachrone Perspektive eingliedern, während Hick die großen religiösen Traditionen in ihren unterschiedlichen Konzeptualisierungen des Absoluten eher synchron in Beziehung setzt. Die Einordnung religiöser Konzepte in einen evolutionsgeschichtlichen kulturellen Horizont bringt an sich schon eine stärkere Dynamik in die Religionstheologie. Religiöse Orientierungen können als bewegliche „Adaptionsversuche“ an das Ganze der Wirklichkeit (Theißen) statt als eher fixe geschichtsübergreifende „Konzepte“ des Absoluten gedeutet werden; vgl. auch Haughts Kritik an Tillichs Ontologie, s. Haught, Deeper than Darwin, 165ff.

Kaufmans konsequent „biohistorical understanding of the human“ ermöglicht es, Religionen nicht als in sich geschlossene, fertige Blöcke zu vergleichen, in denen bestimmte religiöse Erfahrungen eine bestimmte fixe Gestalt gewonnen haben, sondern als geschichtliche Größen in Bewegung, die heute mehr und mehr in einer global vernetzten Perspektive weiter entwickelt und verstanden werden müssen.

Dabei benennt er die Bewegungsrichtung der „Humanisierung“ als zentrales Kriterium zur Beurteilung und Rekonstruktion aller religiösen Traditionen: Was der Entwicklung einer humaneren Welt und der Lösung der bedrängenden gegenwärtigen von Mensch verursachten Weltprobleme dient, ist wichtig und muss für die Zukunft bewahrt und weiter entwickelt werden. Was aber den Blick von der weiteren Humanisierung und Bewahrung dieser Welt weg lenkt auf eine metaphysische Überwelt, ein die Gegenwart relativierendes Jenseits, eine Gesamtsicht der Wirklichkeit, die gegenwärtiges Unrecht als hinzunehmendes Schicksal in der Folge eines in einem früheren Leben erworbenen Karmas zementiert, muss bei der weiteren Entwicklung der religiösen Orientierungen der Menschheit in allen Religionen zurück gelassen und ausgeschieden werden: „It is the task of theology – and of the corresponding modes, in other traditions, of reflection on our humanity and what is ultimately significant for us humans – to define and clarify and interpret the criterion of humanization, to engage in reflection and discussion leading to deeper and fuller understanding of its significance and import, and to attempt to measure and assess in its terms the great claims and emphases about human life and destiny made by the various religious and cultural traditions of humankind.“[6]

Dieses Kriterium der „Humanisierung“ erinnert einerseits deutlich an Hicks ethisches Kriterium von love/compassion als „Früchten“ der Religionen, an denen ihre konkreten Erscheinungsformen zu messen und zu bewerten sind, erscheint aber andererseits wiederum als seine dynamischere Weiterentwicklung, weil es im Ansatz v.a. auf die Zukunft, nicht primär auf die Gegenwart und Vergangenheit der Religionen ausgerichtet ist.

Das hat Konsequenzen auch für den religiösen Wahrheitsbegriff (religious truth oder truths): Nicht so sehr der gegenwärtige Wahrheitsgehalt unterschiedlicher religiöser Konzepte (literally, analogically oder mythologically) steht bei Kaufmans Ansatz im Mittelpunkt des Interesses, sondern ihr Wahrheits- und Wirkpotential im Blick auf die weitere kulturelle und religiöse Evolution der Menschheit. „In this view, religious truth is not so much a possesion owned by a particular tradition as it is something expected to emerge in the conversation among persons of differing faith-commitments – as they work together seriously in their collaborative effort to to understand and assess their diverse frames of orientation. Instead of taking truth to be a property of particular words, symbols, propositions, or texts, which can be learned and passed on (more or less unchanged) from one generation to the next, it is here regarded as a living reality that emerges from within and is a function of ongoing conversation among a number of different voices. In this model, religious truth is something that develops and is transformed in unpredictable ways as the conversation proceeds. It is not to be expected, then, that some final, complete, or unchanging truth will ever be reached.“[7]

b)    Peter C. Hodgons Konzept einer trinitarisch figurierten „constructive Christian theology“ als Beitrag zur „Revision“ zentraler Aussagen der christlichen Glaubenslehre im Kontext der Denkvoraussetzungen der „Postmoderne“

Lektürebasis: Peter C. Hodgson, Winds of the Spirit: A constructive Christian Theology, Louisville Kentucky 1994

Der emiritierte „Professor of Theology“ der Vanderbilt Divinity School in Nashville, Tennessee, Peter C. Hodgon, hat mit seinen „Winds of the Spirit“ einen Gesamtentwurf systematisch-theologischen Denkens im Rahmen der Denkvoraussetzungen der „Postmoderne“ vorgelegt, der aus meiner Sicht zwar nicht die gleiche Innovationskraft für heutiges christliches und religiöses Denken aufweist, wie z.B. die Entwürfe von John Hick, Gordon D. Kaufman oder Philip J. Hefner, der aber viele mit heutigem theologischem Nachdenken verbundene Fragen m.E. erhellend und mit umfangreichem Bezug auf andere gegenwärtig wichtige Beiträge behandelt, dabei insbesondere zu den Fragen einer pluralistischen Religionstheologie und zur möglichen Rekonstruktion des Gotteskonzeptes im Rahmen heutiger wissenschaftlicher Kosmologie wichtige ergänzende Gedankenanstöße liefert, und zur Aufgabe der „Revision“ zentraler weiterer theologischer Themen sehr hilfreiche und weiterführende Vorschläge macht.

Im Folgenden will ich ausgewählte Teile seiner Gedankenführung in „Winds of the Spirit“ darstellen, insbesondere mit den Ansätzen von John Hick, Keith Ward und Gordon D. Kaufman in Beziehung setzen, dabei aber ausgesprochen selektiv vorgehen, d.h. nur das aufgreifen, was mir für meine eigene Suche nach heute tragfähigen Formulierungen religiöser und christlicher „believes“ (Cantwell-Smith) wichtig erschien.

Seine theologische Position ordnet Hodgson selbst so ein: „I am comitted to a theology of critical engagement that is ‚revisionist’ in character. ‚Revisionist’ means here the necessity of ‚revisioning’ all the central claims of Christian faith in light of the critical questions raised by the modern and especially now the postmodern world – revisioning them in such a way that their potential for redemptive transformation will be released anew. This means I am comitted to the agenda of liberal theology as modified in the direction of liberation theology and pluralistic inquiry.“[8]

Dabei benutzt er für die Beschreibung des Charakters solcher „revisionistischer“ theologischer Denkarbeit einerseits – in ählicher Weise wie Kaufman - den Begriff der „construction“, die auch in seiner Sicht durch die „dekonstruktivistische“ Grundsituation der „Postmoderne“ und die veränderten aktuellen situativen Herausforderungen v.a. „Rekonstruktionsarbeit“ ist: „In order to construct we must deconstruct. But because of deconstruction, we must construct. Indeed, one of the challenges of a deconstructive age is to take up the constructive task afresh. Becaus of the destruction, waste, fragmentation, an loss, that are all around us, we must engage in constructive acts in order to exist as humans as well as to live as Christians and think theologically.“[9]

Hodgson setzt diese Aufgabe heutiger theologischer (Re)Konstruktionsarbeit dann in Beziehung zu den großen systematischen Entwürfen des 20. Jahrhunderts, und unterscheidet sie wie folgt von diesen: „I believe that the time has come to take up the constructive challenge in theology once again. The deconstructive context in which we live today means that we are unlikely to see any dominant, comprehending systems; ours is not the age for another Barth, Tillich, or Rahner. Attempts to create such systems will prove pretentious and unpersuasive. Rather what is called for is a variety of constructive proposals and experiments, each limited and partial, each contributing to an unattainable and inexpressible whole from a particular angle of vision or insight.“[10]

Hier scheint mir insbesondere seine Einordnung heutiger theologischer Diskussionsbeiträge als „variety of constructive proposals“ sehr hilfreich. In diesem Sinne kann man auch die „Paradigmen“, die mir für die Formulierung eines „für mich heute sagfähigen und sagfähigen Glaubens“ wichtig erscheinen, trotz ihres unterschiedlichen und teils widersprüchlichen Charakters dennoch als bruchstückhafte Beiträge zu einem möglichen neuen Ganzen zueinander in Beziehung setzen, und sie im Rahmen einer theologischen Vorgehensweise integrieren, die nach den Worten Kaufmans Ausdruck einer „radical inclusiveness rather than exclusiveness“[11] und in diesem Sinne einer synthetischen und konvergenten theologischen Methode zur Herausarbeitung socher „proposals“ ist.

Diese andere Charakterisierung der Form heute nötiger theologischer Konstruktionsarbeit, die Hodgson verwendet, ist die anfangs bereits erwähnte programmatische Form des „revisioning“, ein Begriff, der auch u.a. für die theologischen Denkstrukturen in Keith Wards „Vision to Pursue“ sehr wichtig ist. Hodgson selbst führt diesen anderen theologischen Programmbegriff so weiter aus: „’Revisioning’ means seing things anew, attaining a new vision of the whole, not just revising details here and there. It involves risks of distortion and loss, but it is the adventure to which we are called theologically.“[12] Wie Ward betont er, dass diese „revisionist“ Grunddimension theologischer Konstruktionsarbeit keine Erfindung der Neuzeit ist, sondern insbesondere in der Tradition der Reformation und ihres „concept of theology as semper reformanda“ steht.[13]

Dabei ist für Hodgson wichtig, dass die heute nötige theologische Rekonstruktions- bzw. Revisionsarbeit eingebettet ist in drei grundlegende situative Kontexte, die für die Fragerichtung der „Postmoderne“ und die heutigen Herausforderungen der Orientierung menschlichen Lebens entscheidend sind. „What is called for is a hermeneutic of practices, of those practices that are most characteristic of postmodernity and that may provide a way beyond the very crises that produced them. In what follows I shall identify three such practices and, by interpreting them, attempt to draw out their theological significance. My thesis is that the answer to the callenge of postmodernity – how to speak meaningfully of God’s precence and action in the world – is already implicit in these practices. … The three practices are the emancipatory, the ecological, and the dialogical.“[14]

Der „Emaniatory Quest“ (67ff.) beinhaltet die lateinamerikanische und asiatische, die „African American“, und die Feministische Befreiungstheologie. Für die Beschreibung der „winds of the Spirit“, das transformative Wirken der göttlichen Gegenwart in der Welt, ist für Hodgson im Sinne dieses ersten „quest“ der Begriff der „liberation“ leitend, den er aus der Barth’schen Bestimmung Gottes als „the One who loves in freedom“ ableitet. Gottes Gegenwart in der Welt ist grundlegend zu verstehen als „transformative“ und „liberating energy“.

Der „Ecological Quest“ (86ff.) beinhaltet die konstitutive Einzeichnung heute möglicher Gottesrede in „Postmodern Science and the New Cosmology“ und damit verbunden die Einbeziehung ökologischer Fragen und des Bewusstseins der „Interrelatedness of Life“. Dieser zweite für die heute nötige theologische Revisionsarbeit konstitutive „quest“ entspricht damit dem, was ich in meinem „Paradigmen“-Haupt-Artikel „die erste ‚Rekonstruktionaufgabe’: Einordnung theologischer Aussagen in unsere heutige wissenschaftliche Kosmologie“ genannt habe. Nur, wenn Theologie nicht nur anthropologisch, sondern primär kosmologisch orientiert ist, kann sie auch für die gegenwärtige ökologische Krise auf der Erde orientierende und transformative Kraft entfalten.

Der „Dialogical Quest“ (99ff.) beinhaltet die Öffnung zu einer Pluralistischen Religionstheologie und damit verbunden einer Revision der christlichen Trinitätslehre als Konzeptualisierung Gottes im Bild einer „Unity in Diversity“. Dieser dritte „quest“ entspricht damit dem, was ich in meinem „Paradigmen“-Haupt-Artikel „die zweite ‚Rekonstruktionaufgabe’: Einordnung theologischer Aussagen in eine globale religiöse Perspektive“ genannt habe.

Wie Hans-Martin Barth ordnet Hodgson dazu die Aufgabe einer „christlichen Theologie der Religionen“ in eine trinitarische heuristische Denkfigur ein, unterscheidet sich aber in der Ausführung des trinitarischen Rahmens deutlich von diesem: „For Christians to think about God in the context of religious pluralism, it makes sense to utilize the resources already present in our tradition rather than to invent totally new concepts. But for the trinitarian dogma to be utilized in this context, it must be revisioned or refigured in a fairly radical way. ... The traditional trinitarian figures of Father, Son and Spirit are not sacrosanct. In this respect I disagree with those postliberal theologians who are attemting to use a patriarchal and/or christocentric trinitarianism as the basis of an inclusivist theology of religion. For them the orthodox doctrine and categories set the parameters within which plurality can be legitimately discussed, and no enlargement of trinitarian vision is achieved."[15]

Neben solcher theologischer Kritik an einer exklusivistischen oder inklusivistischen Position begegnet er auch dem immer wieder geäußerten relativistischen Argument, die Position des religionstheologischen Pluralismus sei eine neue Variante des westlichen Imperialismus, der die reale Pluralität der Kulturen nicht achte, sondern wiederum unter ein ihnen  fremdes, westliches Leitmuster beuge. Dabei nimmt er diese Einwände durchaus ernst: „These are serious and weighty objections that must not be passed over lightly. … They rightly highlight the difficulties of dialogue across deep cultural and religious differences; their warnings against naivité, optimism, essentialism, power imbalances, and homogenization are well taken. At the same time they have a tendency to caricature the pluralist position and not to acknowledge its own recognition of these complexities. The categories of dialogue, pluralism, justice, freedom, equality, etc., may well be Western in provenance, but that in itself does not invalidate them; they represent a Western contribution to human self-understanding and well-being. Besides, as Aloysius Pieris points out, Asia has always been pluralistic, and its religions are seeking liberation in a variety of forms. To claim these categories as simply Western is itself a form of cultural imperialism.“[16]

Sein Gotteskonzept entwickelt er dann konkret unter anderem im Gespräch mit dem Kaufmans, möchte sich aber von ihm auch deutlich unterscheiden: „In my view God is not simply the cosmic ordering process itself but a personal spiritual eros that empowers the process and makes creativity serindipitous rather than destructive.“[17] Mit seiner weiteren Ausführung dieses Gedankens versucht Hodgson, insbesondere auch die Verwendung des Personbegriffs für Gott in veränderter Weise weiter möglich zu machen. Hodgson versteht Gott zwar nicht naiv theistisch als „finite person“, aber doch quasi-theistisch als metaphysischen Inbegriff von „personhood“, eben als „personal spiritual eros“ in mit und unter der kosmischen Kreativität.

Gott ist für Hodgson zugleich persönlicher Grund des Seins und transpersönliche „primal energy“, in der sich „God’s power of being in the dimensions of physical-organic life“ manifestiert. „Primal energy or eros works through the energy system of the cosmos, but in virtue of its primordial  and ideal … status it is not identical with natural processes, rather it is the spiritual ground of such processes.“[18] Obwohl mich der versteckte bleibende Theismus seiner Vorschläge hier nicht ganz überzeugt, und ich Kaufmans Überlegungen zu einem konsequent nicht antropomorphen und nicht anthropozentrischen Gotteskonzept für weiter gehender und erhellender halte, finde ich den Gedanken, Gott nicht allein als die kosmische Kreativität selbst, sondern in Anlehnung an Tillich als ihren Grund und ihre Tiefe zu verstehen, als den „Eros“ oder die „Energie“, die sich in dieser Kreativität entfaltet und sie zugleich eben „serindipitous rather than destructive“ macht, doch auch eine hilfreiche und Kaufmans Rekonstruktion des Gottesgedankens kritisch erweiternde Denkmöglichkeit.

Hodgson entfaltet sein trinitarisches Gotteskonzept dann auch in durchaus nicht klassisch theistischer, sondern eher prozesstheologischer Weise: „God is a complex relational act or process or ‚figuration’ including identity (oneness or wholeness), difference (love), and mediation (freedom)“.[19] „Apart from the world God is purely self-related, ideal but not yet real, rich in potential but not actual. In and through relationship with the world, God becomes ‚spirit’. The images of spirit in the ancient languages – Hebrew, Greek, Latin – are those of material vitality or power: breath, wind, air, light, fire, water. God as spirit is engaged in, embodied by, the world. God is the power, energy, or love, that enlivens and redeems the world; and when God returns to godself through worldly mediation, the freedom that God is in essence becomes existent.“[20]

Dennoch erscheint mir seine ausgeführte trinitarische „Figuration“ Gottes doch phasenweise der Gefahr einer zu stark spekulativen Gedankenführung zu erliegen, die der apohatischen Grundstruktur jeder möglichen menschlichen Gottesrede nicht mehr ausreichend Rechnung trägt. Zwar räumt Hodgson ein, unsere aus der Gegenwart heilshafter Veränderungs- und Befreiungsprozesse in der Welt abgeleiteten positiven Aussagen über Gott seien durch und durch „statements (of) our own, the products of our trusting faith and bold imagination, not direct revelations of God“[21] Man fragt sich aber dann doch, auf welcher Grundlage er all seine Beschreibungen über die innere Struktur der göttlichen Wirklichkeit und über die „immanente Trinität“ tatsächlich wissen will, und wird an Kaufmans Warnung erinnert, dass eine heute plausible trinitarische Rekonstruktion des Gotteskonzeptes „not a speculative concept pretending to set forth the inner structure of the divine being“ sein darf, „something about which we can have no knowledge.[22]

Abschließend möchte ich noch zwei ausgewählte weitere (sachlich eng miteinander zusammenhängende) „proposals“ Hodgons für eine Revision der Grunddimensionen des christlich-religiösen Denkens herausgreifen, die für die Schwerpunkte meines eigenen theologischen Nachdenkens zur Zeit von besonderer Bedeutung sind.

Zur Deutung des Glaubens an die Auferstehung bzw. Auferweckung Jesu und ihre mögliche Revision im Rahmen eines postmodernen Wirklichkeitsverständnisses schreibt Hodgson: „What is risen is not the corpse of a dead man but a gestalt, a sociohistorical dynamic that coalesced in and around a specific human being and with which this human being is still identified. The resurrection experience seems rather to have something to do with the fact that the historical, remembered Jesus is recognized to be personally, effifaciously present in certain words, actions, and communal structures that evoke a new way of being human in the world, a way of faithfulness, liberation, and love. … Jesus is recognized and thus present in a structure or gestalt of word and act with which his personal being has become paradigmatically identified.“[23] Diese Deutung der Ostererfahrung, die einen Mittelweg zwischen heute unhaltbarem wörtlichem Verständnis der Auferstehungsaussagen und ihrer bloßen Spiritualisierung geht, erscheint mir in der Tat richtungsweisend und sehr hilfreich.

In diesen Zusammenhang gehören auch Hodgsons Gedanken zur „revision“ der individuellen Eschatologie im Anschluss an Gedanken Karl Rahners: „If immortality means that the soul is incabable of dying and can be separated from its mortal body, then it must be rejected. But it can also be used to express negatively what the term eternity conveys positively: not a continuation of temporal life after death but a quality that transcends temporality. … Self-identity after death is preserved, not by individuated physical continuity, but by participation in a community or spiritual realm of being in which the self is not lost but taken up into a higher unity of structure. There the self finds an identity that is founded outside itself. … The ultimate spiritual community into which we are raised is God’s own communal being as the whole or all that encompasses all that is, but we are also raised into the world as God’s body, so that our embodiment after death becomes pancosmic rather than acosmic. Because we are raised into the world, and because the world is taken up into God, we are raised into God.“[24]

Hier werden nicht nur Grundeinsichten Karl Barths („Gott ist mein Jenseits“) und Eberhard Jüngels („Der Tod als „Verewigung des gelebten Lebens“) aktualisiert und modifiziert[25]. Die Interpretation des „Ewigen Lebens“ als Aufhebung (im doppelten Sinne!) des Selbst in den Kosmos bzw. den göttlichen Grund aller Dinge verträgt sich auch mit der von Dorothee Sölle vertretenen Deutung der individuellen christlichen Hoffnung im Bild der Rückkehr eines Tropfens in das Meer: „Im Ozean der Liebe Gottes ist auch Platz für mich kleinen Tropfen. Wenn ‚so shall I never die’ so gemeint ist, kann ich es mitsingen, wenn es aber auf die Unsterblichkeit des Ego hinauswill, dann halte ich das für einen falschen Wunsch, der gegen die Geistin des Lebens gerichtet ist.“[26]. Dennoch erscheint mir hier noch einige weitere Revisions- und Rekonstruktionsarbeit nötig, um die christliche Hoffnung im Angesicht der menschlichen Sterblichkeit in einer mit heutigem biologischen und neurologischem Wissen vereinbaren Weise neu zu verantworten.

Literatur

Barth, Hans-Martin: Christlicher Glaube im Kontext nichtchristlicher Religionen, in: Hans-Gerd Schwandt (Hg.), Pluralistische Theologie der Religionen. Eine kritische Sichtung, Fankfurt a.M. 1998, S. 97-115

Haught, John F.: Deeper than Darwin: The Prospect for Religion in the Age of Evolution. Taschenbuchausgabe, Boulder, Colorado 2004

Hick, John : An Interpretation of Religion. Human Responses to the Transcendent. Second Revised Edition. Houndmills, Basingstoke, Hampshire 2004

Hodgson, Peter C.: Winds of the Spirit: A constructive Christian Theology, Louisville Kentucky 1994

Jüngel, Eberhard: Tod. Gütersloh 1979

Kaufman, Gordon D.: God – Mystery - Diversity: Christian Theology in a Pluralistic World, Minneapolis 1996

Kaufman, Gordon D.: In Face of Mystery: A Constructive Theology, Cambridge, Massachusetts 1993

Sölle, Dorothee: „Endlichkeit und Ewiges Leben. Zur Mystik des Todes,” in: Fromm Forum (German edition), Tübingen (Selbstverlag), No. 6 (2002), S. 30-38

Ward, Keith: A Vision To Pursue. Beyond the Crisis in Christianity, London 1991

Anmerkungen

[1] Kaufman, Diversity, 187

[2] Kaufman, Diversity, 19

[3] Ward, Vision, 174f.

[4] Ward, Vision, 134

[5] Kaufman, Diversity, 76

[6] Kaufman, Diversity, 40f.

[7] Kaufman, Diversity, 213

[8] Hodgson, Winds, 17

[9] Hodgon, Winds, 39

[10] Hodgson, Winds, 40f.

[11] Kaufman, Mystery, xiii

[12] Hodgson, Winds, 17f.

[13] Hodgson, Winds, 17

[14] Hodgson, Winds, 66

[15] Hodgson, Winds, 111

[16] Hodgson, Winds, 305

[17] Hodgson, Winds, 192

[18] Hodgson, Winds, 141f

[19] Hodgson, Winds, 47

[20] Hodgson, Winds, 49

[21] Hodgson, Winds, 131

[22] Kaufman, Mystery, 457

[23] Hodgson, Winds, 271f

[24] Hodgson, Winds, 329f., vgl. auch 271f.

[25] vgl. Jüngel, Tod, 145ff.

[26] Sölle, Endlichkeit, 38

Artikelnachweis: https://www.theomag.de/66/sts2.htm
© Stefan Schütze, 2010