Popmusik als HerausforderungGotthard Fermor: Ekstasis.
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Gotthard Fermors unter dem Titel "Ekstasis. Das religiöse Erbe in der Popmusik als Herausforderung an die Kirche" veröffentlichte Doktorarbeit teilt sich in zwei Abschnitte: 1. Wahrnehmung und Analyse, 2. Theologische Würdigung und Kritik. Der Hauptaugenmerk liegt dabei auf der Wahrnehmung und Analyse. Wahrnehmung und AnalyseFermor möchte "in erster Linie Reflexionshorizonte für die kirchliche Praxis entwickeln" (15). Dazu untersucht er mögliche interdisziplinäre Zugänge zur "Lebenswirklichkeit Popmusik" (17-50) und die religiösen Dimensionen der Popmusik (51-77), um dann am Leitbegriff der Ekstasis drei Ebenen zu differenzieren: Eine erste Ebene von Musik im gesamtkörperlichen Vollzug, eine Ebene von Musik und ihrem imaginativem Charakter und schließlich eine Ebene, die er Musik und ihr geistiger Gehalt nennt (79f.). Die Fragen, auf die Fermor im Zusammenhang von Popmusik und Religion eine Antwort sucht, benennt er zusammenfassend so: "1. Was passiert da? 2. Wo kommt das her und wie hat es sich entwickelt? 3. Wie kann man es analysieren und interpretieren? 4. Wie kann man es theologisch wahrnehmen, in würdigender und kritischer Absicht? Welche Folgerungen kann man dabei für die kirchliche Praxis ziehen?" (89). Anhand zweier Konzertstudien (The Doors - Konzertzusammenschnitte aus den 60er Jahren und Michael Jackson - Bukarest-Konzert, Dangerous-Tour 1992) zeigt Fermor, "dass die ekstatischen, Communitas-haltigen, kultischen und rituellen Elemente heute nach wie vor entscheidende Prägemerkmale von Popkonzerten sind, die einer religiösen Interpretation zugänglich sind" (121). Das kann sicher nicht bestritten werden, aber es fragt sich an dieser Stelle doch, inwieweit das so zugrunde gelegte Untersuchungsmaterial repräsentativ ist: inwieweit ist mit der Entscheidung für herausragende Kultphänomene wie die Doors und Michael Jackson nicht bereits eine Vorentscheidung getroffen, die das spätere Ergebnis bereits impliziert? M.a.W. wie repräsentativ sind die Ergebnisse für die Musikbranche im Ganzen? Es ist ja kein Zufall, dass die theologischen interessierten Betrachter der Musikszene - den Rezensenten mit eingeschlossen - sich immer auf bestimmte Gruppen und Inszenierungen stützen. Empirisch wäre aber eine Praxis zu nennen, die sich die Materialauswahl nicht selbst zurechtlegt. Im Folgenden skizziert Fermor die "religionsgeschichtlichen" Wurzeln der Popmusik und ihre Wirkungen bis in die Kultur des Rock'n'roll (121-152). Fermors These ist es, dass dieses religiöse Erbe, "im weiteren Verlauf diverse religiöse Suchbewegungen aus sich herausgesetzt hat, deren Bedingungsfaktoren als Aspekte dieses religiösen Erbes bis heute prägend sind. Als solche Faktoren, deren jeweilige Kombination die Unterschiedlichkeit der religiösen Suchbewegungen in unterschiedlichen Epochen der Popmusik ausmachen, seien hier genannt:
Ob diese Faktoren zur Erklärung der heutigen Ingebrauchnahme und Wahrnehmung religiöser Motive zureichend sind, scheint mir jedoch fraglich. Sie sind vielleicht noch zutreffend im Blick auf manche Produzenten der Musik, ob sich aber die Fans, also die Rezipienten nicht inzwischen unter ganz anderen Faktoren der Musik nähern, wäre eigens zu untersuchen. Nach einer Auseinandersetzung mit der so genannten "christlichen Popmusik" wendet sich Fermor der "Analyse der ekstatischen Musikreligiosität in der Popmusik" (167-207) zu. Das geschieht kulturanthropologisch unter Bezug auf Victor Turners Ritualtheorie (167-177), religionssoziologisch (178-185), sowie traditionsgeschichtlich unter Aufnahme von Traditionen im Alten und Neuen Testament (185-207). Theologische Würdigung und KritikDer zweite große Abschnitt des Buches widmet sich dann der zusammenfassenden theologischen Würdigung und Kritik (208-244). Es geht darum, "gelebte Religion in den Lebenswelten der (Post) Moderne wahrzunehmen, zu würdigen, zu kritisieren und einer selbstkritischen Beschreibung von praktisch-theologischer Theoriebildung zugänglich zu machen" (211). Wie eine perspektivische Praktische Theologie die Praxis der Kirche bereichern kann, sucht Fermor im Durchgang durch die zuvor erarbeiteten kulturanthropologischen, religionssoziologischen und traditionsgeschichtlichen Erkenntnisse einsichtig zu machen. Praktisch-theologisch verweist er dann auf die hermeneutisch-phänomenologisch-ästhetische Perspektive, die uns auf die Leiblichkeit, das Form-Inhalt-Problem und die Erfahrungsgebundenheit aufmerksam macht. Ein kritisches Potenzial sieht Fermor z.B. in der Bewahrung vor Idolisierung: "So können auch theologische Theorieangebote hilfreiche Auslegungen von Popmusikerfahrungen bieten, ohne die phänomenologische Anbindung dieser Erfahrungen destruieren zu müssen. Praktisch-theologische Reflexionsangebote können insofern dazu beitragen, den Freiheitscharakter von entgrenzenden Popmusikerfahrungen zu bewahren, indem sie kritisch die Einschätzung des Verweischarakters solcher Erfahrungen auf ein Unverfügbares besonders herausstreichen. In dieser Relativierung der anthropologischen Möglichkeiten im theologischen Horizont wird der Tendenz zur abschließenden Idolisierung solcher Erfahrungen gewehrt." (224) Den ritual- und festtheologischen Ertrag bestimmt Fermor u.a. so: "Popkonzerte können in ritualtheologischer Perspektive als einer der herausragenden Indikatoren für das Bedürfnis, die Notwendigkeit und die tatsächlichen Inszenierungen von rituellem Geschehen in (post)moderner Zeit gewürdigt werden. In ihrem liminoiden Aspekten können Popkonzerte nicht nur in kulturanthropologischer, sondern auch in religiöser Hinsicht einen enormen Reichtum an Inszenierungsmöglichkeiten vor Augen führen. Ihr liminoider Charakter ist dabei theologisch vor allem deshalb bedeutsam, da Popkonzerte durch ihre kreativ-ludisch-improvisatorischen Elemente - befördert durch die spezifischen synästhetisch inszenierten musikalischen Strukturen - das Freiheitsmoment von rituellem Geschehen stark machen." (226) Aus dem Folgenden finde ich einen Einspruch Fermors gegen eine These von Manfred Josuttis interessant. Dieser hatte gesagt: "Der Gottesdienst sagt explizit, was die Party soll." Fermor meint dazu: "Diese These ist m.E. deshalb zu problematisieren, da die Wahrnehmung der rituell-religiösen Vollzugsdimensionen beispielsweise in der Popmusik den Gottesdienst in der (post)modernen Gesellschaft an sein Potential anthropologischer Vollzüge im Sinne des Reichtums an Glaubensmedialität allererst erinnern kann und zur Verwirklichung dieser Dimensionen herausfordert. Auch wenn das Erleben von rituell-religiösen Vollzügen in Popkonzerten nicht schon notwendig das Bewusstsein über diese Dimensionen impliziert, ist der Verweis auf die Vollzugskontexte der Gottesdienste der Kirchen zur Aufklärung dieser Erlebnisse hinsichtlich ihres 'eigentlichen' Gehalts doch ein gewagtes Unternehmen, das es schwer haben wird, in phänomenologischer Hinsicht Parallelen in den Erlebnisqualitäten zusammenzutragen. M.E. sollte sich dieses Unternehmen im Einlassen auf die Formen ekstatischer Musikreligiosität von Popmusik zumindest irritieren lassen. Deshalb meine ich, dass die These von Josuttis zunächst herumzudrehen ist: Die Party ... zeigt dem Gottesdienst, was in ihm auch noch möglich sein könnte." (228) Die Party als Therapieprogramm für fade Gottesdienste? Das scheint mir doch ebenso wenig plausibel wie die entgegengesetzte These. Beide Thesen kranken m.E. an einer unpassenden Vergleichsebene, welche vielleicht eher - wie im Folgenden bei Fermor auch deutlich wird - beim Fest zu suchen ist. Kulturtheologisch schließt sich Fermor jenen neueren theologischen Besinnungen an, die verstärkt auf Paul Tillich Bezug nehmen, die er um die Reflexion der naturreligiösen Gehalte der Popmusik ergänzen möchte (234). Die "neostrukturalistische Lesart der Tillichschen Pneumatologie als der 'Einheit von Struktur und Ekstase' ist besonders dazu geeignet, die potentielle Theologizität von Popmusikerfahrungen insbesondere in ihren entgrenzend-ekstatischen Aspekten würdigen zu helfen. Entscheidend ist es hier zu betonen, dass die Wirkung des göttlichen Geistes als Entgrenzungsphänomen ('Ekstase') in den Naturzusammenhängen der diese ermöglichenden musikalischen Strukturen verortet wird. Popmusik ist insofern potentiell 'geistliche Musik' in ihren liminoiden, dionysisch-apollinischen, rituell-ekstatischen Aspekten, deren Unabgeschlossenheit und Erlösungssehnsucht in den Analysen dieser Arbeit durchgängig betont worden war." (237) Das "Zentrum der im engeren Sinne praktisch-theologischen Fragestellungen zur Würdigung und Kritik des religiösen Erbes in der Popmusik aus kulturtheologischer Perspektive" beschreibt Fermor abschließend so:
Abgeschlossen wird das Werk von einer umfangreichen Bibliographie zum Thema "Popmusik und Religion" (274-301), die nach den verschiedenen Aspekten der Bearbveitung des Themas sortiert ist. FazitFermors Arbeit erweist sich als Werk mit hoher Fachkompetenz, das produktive Anstöße sowohl für die theologische wie die innerkirchliche Diskussion liefert. Die spätestens mit dem Impulspapier der EKD anstehende Diskussion um die "kulturelle Kommunikationskompetenz von kirchlicher Praxis" kann sich hier wertvolle Anregungen holen. Zur KritikMeine kritischen Einwände beziehen sich zum einen auf grundsätzliche Fragen, zum anderen auf einen damit verbundenen bestimmten Sprachgebrauch: 1. der Ansatz am so genannten "religiösen Erbe"; 2. die damit verbundene implizite Ursprungstheorie; 3. der distanzierende Gebrauch des Wortes Post-Moderne; 4. der reduzierte Gebrauch des Wortes Ästhetik; und 5. schließlich der kulturtheologische Bezug auf Paul Tillich. ErbeDer Verwendung des Wortes Erbe scheint mir von einer bestimmten, notwendig usurpatorischen Prägung. Es setzt eine Kontinuität voraus, die in der Form der Differenzierung m.E. angemessener zu beschreiben wäre. Es ist ja das Anliegen dieses Magazins, den Gedanken der neuzeitlichen Differenzierung in der modernen Diskursentwicklung gegenüber dem Gedanken der Substitution und der kulturellen Einheit stärker zu machen. Im Diskurs über die bildende Kunst wäre zum Beispiel ein derartig unbefangener Umgang mit Begriffen wie "Musikreligiosität", wie Fermor in pflegt, nicht mehr möglich. Der Begriff Kunstreligiosität wäre sofort (s)einer frühromantischen Herkunft verdächtig. Die Romantik war aber m.E. der letzte Zeitabschnitt, an dem man kulturelle Phänomene so eng miteinander verbinden konnte. Faktisch wäre ein Modell unterschiedlicher Diskursebenen präziser. Georg Simmel hat in diesem Sinne die Differenz von Kunst und Religion so beschrieben: "An und für sich haben Religion und Kunst nichts miteinander zu tun, ja sie können sich in ihrer Vollendung sozusagen nicht berühren, nicht ineinander übergreifen, weil eine jede schon für sich, in ihrer besonderen Sprache, das ganze Sein ausdrückt." Es soll dabei nicht bestritten werden, dass es die von Fermor skizzierten Phänomene gibt, die Frage ist aber doch, wie weit das trägt. Fermor geht selbst darauf ein: "Die geschichtliche Darstellung der Entwicklung dieser ekstatischen Musikreligiosität und den religiösen Suchbewegungen, die dieses Erbe der afroamerikanischen Musikentwicklung spätestens seit den 60er Jahren in der Popmusik aus sich herausgesetzt hat, sollte deutlich machen, dass das religiöse Erbe in der Popmusik zunächst ein Erbe von ekstatischen Religionsformen ist, vermittelt vor allem durch ihre musikalischen Strukturen. Die traditionellen religiösen Vorstellungsgehalte verlieren oder verändern sich im Prozess der Säkularisierung dieser Religionsformen ... Es ist also im Rock'n'Roll (spätestens) nicht mehr unbedingt der Heilige Geist oder ein Orisha oder Loa das Movens dieser ekstatischen Erfahrungen und Gott nicht mehr notwendig das Ziel der religiös-musikalischen evocatio bzw. adoratio, sondern z.B. ein geliebtes Gegenüber. Diese Vorstellungsgehalte tauchen aber seit den 60er Jahren im säkularen Kontext als religiöse Suchbewegungen in synkretistischer Weise wieder auf und bilden bis heute einen wesentlichen Bestandteil in der Produktion und Rezeption von Popmusik. Man kann also formulieren, dass zunächst die musikalischen Zugangsweisen zur 'anderen Welt' bewahrt werden, nicht unbedingt die symbolischen und mythischen Vorstellungsgehalte für die 'andere Welt' aus der Tradition. 'Besessen' ist man also allenfalls vom ekstatischen Erlebnis der Musik. Die traditionellen Gehalte einer Musikreligiosität, die mit solch einer Erlebnisform beschrieben wird, werden in der Geschichte der Popmusik zunehmend variabel und pluriform behandelt." Im Blick auf Letzteres wird man Fermor zustimmen können. Aber der unterstrichene Satz lässt doch fragen, wer hier eigentlich definiert, was z.B. "religiöse Suchbewegungen" oder "synkretistische Weise" ist. Mir leuchten die Bestimmungen jedenfalls nicht ein. Auch bei dem, was Fermor im Folgenden ausführt, bin ich skeptisch: "Die These in dieser Arbeit ist allerdings, dass die musikalisch-religiösen Herkunftsformen von Popmusik - die ekstatische Musikreligiosität der afroamerikanischen Tradition, die Kult- und Ritualaspekte im Musikerleben etc. -, die sich als Retentionen musikalischer Strukturen transformiert in der Popmusik erhalten haben, hier die Brücke bilden, die diese variablen symbolischen Verarbeitungen dieser Musikerfahrungen befördern. Dieses Musikerleben 'wittert' sozusagen seine Herkunft aus religiös-rituellen Kontexten und ist sich nicht selten dieses Erbes bewusst. Ohne dessen institutionellen Aspekte schon mit zu übernehmen, setzt dieses Musikerleben als religiöse Suchbewegung doch in der aufgezeigten Notwendigkeit nach symbolischen Verarbeitungen ekstatischer Musikerfahrungen eine Hinwendung zu geprägten Traditionsgehalten verschiedener Religionen aus sich heraus." (156) Das ist in dieser Form (also dass Musikerleben als religiöse Suchbewegung eine Hinwendung zu geprägten Traditionsgehalten verschiedener Religionen aus sich heraus setzt) eine starke These, m.E. eine zu stark formulierte These. In ihrer schwachen Form (nämlich, dass Musikerleben eine Bezugnahme auf Traditionsgehalte verschiedener Religionen ermöglicht), halte ich sie für plausibel. Was in der Selbstinterpretation der Rockmusiker noch einleuchten mag, ist auf der Ebene der Selbstinterpretation der jugendlichen Rezipienten schon schwieriger nachzuweisen. Was aber unbedingt erforderlich ist, ist eine Angabe der Falsifikationsbedingungen dieser These. Sonst haben wir es mit einem Hase-und-Igel-Spiel zu tun. Wann wird man sagen können, dass sich das ekstatische Musikerleben von seinen religiösen Ursprung so gelöst hat, dass man von einer kulturell ausdifferenzierten eigenständigen Form sprechen kann? Oder ist "Ekstase" notwendig mit "Religion" verbunden? Dann würde aber doch die einfache Suche nach allgemeinen Phänomenen der Ekstase ausreichen, um als theologischer Igel auszurufen: Ik bin all hier! Die implizite UrsprungstheseEs ist ein für den Protestanten vielleicht naheliegender Gedanke, den Ursprung gegenüber der Tradition und der Transformation stark zu machen (ad fontes!). Aber der Rekurs auf den Ursprung hat spezifische Probleme. Ausgangspunkt dieser These ist die Annahme, oft aber auch nur das Gefühl, dass in den frühesten Erscheinungsformen die Wesensbestimmung einer Sache am einfachsten sei, dass hier sich noch am Reinsten zeige, was zwei kulturelle Sparten verbinde. Zum anderen motiviert den Rekurs auf den Ursprung das scheinbare Wissen, dass Musik und Religion anfangs im magischen Kult vereint waren. Der Fehler dieser Gedanken liegt zunächst in der Annahme, dass im Ursprung die Wahrheit liegt. Das ist aber nicht zwingend, man kann mit guten Gründen auch das Gegenteil vertreten. Denn wenn die gesamte Kultur ein prozessuales Geschehen - also in Entwicklung begriffenes Geschehen - ist, dann ist der Rekurs auf den Ursprung hinfällig, er setzt am falschen Ende der Geschichte, nämlich am Anfang an. (Post) ModerneEs gehört inzwischen zu den kaum noch erträglichen Usancen theologischer Literatur, das Wort Postmoderne in Anführungsstriche zu setzen, das "Post" einzuklammern oder in irgendeiner anderen Form das "Unbehagen an der Postmoderne" auszudrücken. Letztes Beispiel dafür war das Impulspapier der EKD. Fermor schließt sich diesem Gebrauch an vielen Stellen - aber nicht immer - an. Einerseits möchte er eine "postmodern belehrte Forschungsperspektive" einnehmen (184), andererseits verbleibt er in der Form der zeichenhaft ausgedrückten Distanzierung. Hier ist gegenüber dem verbreiteten Eiertanz eine präzise Sprachform einzuklagen. Was unterscheidet die Formulierung "(Post-) Moderne" von der Formulierung "Moderne und Postmoderne"? Welchen Distanzierungsakt meint das in Anführungsstriche gesetzte Wort 'Postmoderne'. Die Antworten sind nicht gleichgültig im Blick auf das Forschungsergebnis. Es ist ein Unterschied, ob man von der Einheit als konstitutiver Kategorie ausgeht, ob man an der verlorenen Einheit leidet, sie aber akzeptiert, oder ob man gerade in der unwiderrufbaren Pluralität das Charakteristikum der Gegenwart sieht. Wenn Moderne und Postmoderne im Blick auf die religiösen Elemente der Popmusik ununterscheidbar sind, führt der Rekurs auf die Differenz von Moderne und Postmoderne nur in die Irre. Man sollte dann nur Moderne und Nicht-Moderne unterscheiden. Wenn aber die Pluralisierung der Diskurse Folgen trägt, dann sind sie gerade im Blick auf die Diskursdifferenzierung von Popmusik und Religion zu benennen. Alles andere ist Augenwischerei. Wenn also die von Fermor benannten Charakteristika der Postmoderne - z.B. plurales Nebeneinander, Dezentralisierung und Differenz - zutreffen, was bedeutet das für seine eigenen Forschungen und Begriffe. ÄsthetikDer im Anschluss an Henning Schröer eingebrachte Gebrauch des Wortes Ästhetik will mir überhaupt nicht einleuchten. Es ist eine der typisch theologischen Unterbestimmungen des Ästhetischen im Sinne der Aisthesis (Ästhetik als Wahr-nehmungs-anthropologie!), die hier zum Tragen kommt. Das scheint mir nicht mehr der aktuelle Stand philosophischer Wissenschaft zu sein, in deren Arbeitsfeld ja die Bestimmung der Ästhetik gehört. Reduziert man Ästhetik auf Wahrnehmung und Sinnlichkeit, wird ein notwendiger Pol des Zusammenspiels von Sinnlichkeit und Reflexion unterschlagen. Ob die Worte "hermeneutisch" und "ästhetisch" überhaupt zusammengehen (geschweige denn in eine Wortfolge wie "hermeneutisch-phänomenologisch-ästhetische Perspektive" gezwängt werden können), ist philosophisch mit starken Gründen bezweifelt worden (vgl. dazu Christoph Menke: Die Souveränität der Kunst. Ästhetische Erfahrung nach Adorno und Derrida. Frankfurt 1991). Die vormoderne Bestimmung war die, ästhetische Erfahrung als verstehende Erfassung eines Kunstwerks als einer Darstellung von etwas zu begreifen. Dieser Vorgang wird als Deutung des Kunstwerks bezeichnet. Letztlich 'funktioniert' das Kunstwerk, insofern es in der Auslegung auf ein Drittes bezogen werden kann. Hermeneutisch erscheint das Werk als Ensemble von Buchstaben, dessen Geist mittels Deutung erhoben werden muss. Modern wäre dagegen eine Beschreibung, welche "die ästhetische Erfahrung zur Instanz einer Umwertung der alten, metaphysisch bestimmten Hierarchien zwischen Geist und Buchstabe erhebt ... An die Stelle der Aufhebung des Buchstabens in den in ihm verkörperten Geist soll in der ästhetischen Erfahrung seine Erhaltung gegenüber dem ihm entgegengesetzten Geist treten" (Christoph Menke). M.E. wird nur so - d.h. antihermeneutisch - der (subversive) Gehalt des Ästhetischen überhaupt erst erfahrbar. TillichEs scheint die notwendige Folge der Aufnahme von Überlegungen Paul Tillichs zu sein, von Ekstasis zu sprechen. Meine oben schon angedeutete Frage der "Beerbung" Paul Tillichs ist, ob nicht hier weniger wahrgenommen, als vielmehr konstruiert, d.h. eine bestimmte Brille aufgesetzt wird. Analog ist schon vor 36 Jahren Tillichs Kulturtheologie auf die Bildende Kunst angewandt worden und was kam heraus? Visuelle Ekstasis! "Darum gewinnt auch das ästhetische Phänomen des Enthobenseins aus der Zeit theologische Relevanz. Als Erfüllungserlebnis der Ewigkeit in der Zeit muss es vom Glauben unbedingt ernst genommen werden. In visueller Ekstasis jenseits der Zeit stehen ist wenn auch noch so gebrochen - eschatologische Vorwegnahme. An einem Ort, wo er es nie vermutet, trifft der Glaube sein Eigenstes. Nicht nur im Hinweg von der Welt, sondern auch und gerade im Erleben der Fülle der Zeit begegnet der Glaube jenem ästhetischen Erleben. Diese unerwartete Übereinstimmung sollte Anlass sein, dass der Glaube radikaler denn je nach dem Schon-Jetzt des Eschatons Ausschau halten sollte ... Hier wird Leben zum Fest, zum erfüllten Augenblick, der zwar nicht mythisch in feststehenden Abständen wiederkehrt, sondern je und je Ereignis wird. Was sich Vorstellbarem entzieht, wird erfahrbar ... Wird in visueller Gestimmtheit die lineare Zeit übersprungen, sieht der Glaube eine Intentio verwirklicht, die er selbst innehat. Darum wird der Glaube solches Erleben nicht ablehnen, sondern sich daran freuen. Seine eigene Vorwegnahme findet im visuellen Berauschtsein Ausdruck und Gestalt. Der Freude des Enthobenseins, Befreit- und Entlastetseins gibt sich der Glaube freiwillig hin. Wo Glaube Spuren des Neuen Seins an sich erlebt hat, wird er eschatologisch. Wo er eschatologisch wird, überspringt er Welt und Zeit. Es drängt ihn dazu, das Neue Sein als gegenwärtiges zu schmecken, zu fühlen, ja sogar zu sehen. Glaube ist nicht Schauen, aber er lebt in der Vor-Schau, der Vor-Gestalt, der Vorwegnahme. Die neuen Bildwelten ihr ekstatisches Erleben sind phänomenal solche Vorformen, Vorweggestalten ... Als Vorformen eschatologischer Hoffnung, die im Jetzt zur Erfüllung kommt, sind sie Gestalten, denen der Glaube sich selbst wiederfindet." (Horst Schwebel: Autonome Kunst im Raum der Kirche. Hamburg 1968, S. 80) Wenn es aber jedes Mal so ist, dass jemand, der sich auf Überlegungen Tillichs bezieht, im untersuchten Kulturbereich auf Ekstasis stößt, welche Ausgrenzungen nimmt er dann vor, d.h. wie geht er mit denn nicht darunter zu rubrizierenden Kulturphänomenen um? Gerade das macht die Frage nach den Kriterien der Materialauswahl, die Fermor vorgenommen hat, noch einmal dringender.
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