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Von Athen lernen?Die documenta 14Andreas Mertin Auf der Suche nach der Logik der documenta ...
Also muss man sich für die Logik der Erschließung der documenta 14 auf einen anderen Weg begeben. Adam Szymczyk hat vorgeschlagen, aus dem Untergrund des Kulturbahnhofs in die Vorstädte der Stadt zu wandern und von dort ins Zentrum vorzustoßen, um dann den Spaziergang in der Peripherie zu beschließen. Aber auch das scheint mir bei aller Sympathie für eine Spaziergangswissenschaft nicht sehr logisch zu sein. Denn die künstlerischen Gewichte innerhalb seines Parcours sind doch sehr ungleichgewichtig verteilt.
Sehr schnell haben sich nicht nur in der feuilletonistischen Wahrnehmung Hauptwerke der documenta herauskristallisiert, auch wenn die verschiedenen Beobachter nicht einig sind, welches Werk nun dazu gehört und welches nicht. Was dem einen als der beste Beitrag erscheint, ist dem anderen viel zu marktschreierisch. In allen Berichten über die documenta 14 triumphiert aber ein ganz besonderes Kunstwerk, so dass man sagen kann: Im Zentrum der documenta 14 steht eine nach 30 Jahren wiederholte Geste: „das am größten und Instagram-tauglichste Werk der Ausstellung“[3], das Parthenon-Imitat von Marta Minujín aus ehemals verbotenen Büchern. Im Tempel
All dies war das historische Vorbild, der Parthenon in Athen, im irren Lauf der Zeiten. All das ist in jede Begegnung und jede Auseinandersetzung, ja jede Zitierung des historischen Vorbildes Parthenon eingeschrieben. Nur Baedecker-Touristen rekurrieren auf die reine Form und die primäre Funktion des athenischen Parthenon. Alle anderen aber sehen in ihm eine Kultstätte mit wechselnden gesellschaftlichen und (zivil-)religiösen Zuschreibungen. Man könnte ohne Schwierigkeiten den alten „Funkkolleg Kunst. Eine Geschichte der Kunst im Wandel ihrer Funktionen“ mit seiner Differenzierung von religiöser Funktion, ästhetischer Funktion, politischer Funktion und abbildender Funktion von Kunst am Beispiel des Parthenon durcharbeiten.[4] In einem anderen Sinne sollte man freilich doch lieber nicht „von Athen lernen“, denn viele Details der Athener Demokratie entsprechen mehr den Vorstellungen von Pegida, Lothar de Maiziere oder Donald Trump als es den aufrechten Symbolnutzern heutiger Zeiten lieb ist.
Das sollte davor warnen, Symbole wie das Parthenon ohne weitere Reflexionen für heutige politische und gesellschaftliche Prozesse in Beschlag zu nehmen. In Kassel sammelt die Konzeptkünstlerin Marta Minujín also wie schon vor 30 Jahren noch einmal verbotene Bücher aller Zeiten, um daraus das Parthenon in 1:1-Größe nachzubilden. Sicher schwebt ihr dabei ein progressiver Diskurs über Redefreiheit, Zensur und Unterdrückung vor, der sich auf den Zusammenbruch der argentinischen Militärdiktatur vor 30 Jahren bezieht.
Und auch die andere 1:1-Reproduktion des Parthenon aus dem Jahr 1897 in Nashville, Tennessee, scheint mir eher in diese Richtung zu weisen. Es sind durchaus populärkulturelle Gesten, die aber gerade durch ihre ostentative Monumentalität ihre kritischen Spitze wieder verlieren. Das gute Gefühl, das man in Kassel vermittelt bekommt, weil man ja über derartigen Zensurbestrebungen steht und vielleicht eher der Ansicht ist, „das wird man ja noch sagen dürfen“ erscheint mir überaus ambivalent. Und wie bei den touristischen Fotos des originalen Parthenon wirkt auch der Kasseler Parthenon am besten, je distanzierter man ihn aufnimmt, wenn man also auf das Parkdeck des benachbarten Kaufhauses hochfährt und das Gebilde von weitem fotografiert. Oder wenn man es bei Dunkelheit mit touristischer Illumination abbildet. Sobald man aber näher tritt und die rhetorische Illumination verblasst, ist es dann doch etwas enttäuschend banal. Dass auf dem Friedrichsplatz in Kassel vor dem Fridericianum am 19. Mai 1933 in der Nachahmung der „Aktion wider den undeutschen Geist“ Bücher verbrannt wurden, hätte ja auch dazu genutzt werden können, einmal über den studentischen und universitären Anteil an der Verbreitung des Ungeistes nachzudenken. So bleibt es bei der Geste, die nun en Detail auch ungerecht und maßlos (im Wortsinne) wird: wenn in der DDR der Vertrieb von Micky-Maus-Heftchen und Tarzans Abenteuern verboten war, ist das qualitativ etwas anderes, als wenn Bücher jüdischer und kommunistischer Autoren in Deutschland brannten oder Salman Rushdies Leben von Islamisten bedroht wird. Und wie ist es mit dem Europa der Gegenwart? Wenn ich mit einigen der Schriften, die ich auf meinem Computer habe, etwa nach Großbritannien reise würde, würde ich u.U. inhaftiert, denn der bloße Besitz ist dort strafbar. Das gilt etwa für die Propaganda-Zeitschrift des IS mit ihren Bombenbau-Anleitungen. Ist das nun Zensur und gehören Dabiq oder Rumiyah deshalb auch auf den Bücher-Parthenon in Kassel? Und findet sich auch Adolf Hitlers „Mein Kampf“ unter den ausgestellten Büchern? Und ab wann wird dann ein solches Sammelsurium unsinnig? Gesten allein ersetzen noch keine politische und gesellschaftsphilosophische Reflexion. Kritisch wäre daher mit dem Kunstwerk von Marta Minujin umzugehen, weniger im Blick auf die Arbeit der Künstlerin selbst, da diese sich historisch erklärt, wohl aber mit Blick auf die Kuratoren der documenta, die bewusst auf einen unterhaltenden Eyecatcher im Stil des Großkapitalismus der Sinne gesetzt haben. Walter Grasskamp hat in seiner Sozialgeschichte des Kunstmuseums[7] auf die frühe Verquickung von Krieg, Religion und Kunstsammlung verwiesen. Die Schatzhäuser der antiken Gottheiten in Delphi präsentierten die im Krieg erbeuteten Kulturgüter der Feinde und wurden so zu den frühesten Museen. Selbst das bereits als Musentempel entworfene Fridericianum ist in diesem Sinne ein Präsentationsort der Herrschenden gewesen. Nein, auch das Parthenon der Bücher ist kein wirklich geeigneter Einstiegsort, um von Athen zu lernen. Vielleicht hätte man vor oder an den Toren Kassels anfangen müssen. Also an Ibrahim Mahamas Torwachen (dem Check Point Sekondi Loco). Überaus beeindruckend, aber wie das Parthenon eine wiederholte Geste, dieses Mal sogar eine mehrfach wiederholte Geste. Irgendwann fiel mir eine, dass ich auch schon eine Installation von ihm im K21 in Düsseldorf gesehen hatte. Sicher ist die Arbeit auch eine Art Gatekeeper und Eyecatcher, aber eben doch kein Schlüssel zur documenta. Deshalb breche ich an dieser Stelle ab und mache mich dann doch auf ins Fridericianum, dem traditionellen Kult-Ur-Ort der documenta. -> Hier geht es weiter im Fridericianum ... Anmerkungen[2] Ebd. [3] Ebd. [4] Busch, Werner (Hg.) (1997): Funkkolleg Kunst. Eine Geschichte der Kunst im Wandel ihrer Funktionen: Piper. [5] Wikipadia, Art. Demokratie, https://de.wikipedia.org/wiki/Demokratie#Geschichte [6] Zit. nach Wikipedia, Art. Walhalla, https://de.wikipedia.org/wiki/Walhalla#Baugeschichtlicher_Hintergrund [7] Grasskamp, Walter (1981): Museumsgründer und Museumsstürmer. Zur Sozialgeschichte des Kunstmuseums. München: Beck (Beck'sche schwarze Reihe, 234). |
Artikelnachweis: https://www.theomag.de/108/am590.htm |