documenta 14 |
Der Königsplatz„Für mich ist es eine universelle humanitäre Botschaft.“Andreas Mertin
Die Liste der Preisträger seit 1980 liest sich wie ein Who-is-who der Kunst. Im Jahr 2017 geht der Preis an Olu Oguibe, jenen Künstler, der für das documenta-Kunstwerk auf dem Kasseler Königsplatz verantwortlich zeichnet. Über diese Auszeichnung habe ich mich gefreut. Und zwar aus mehrfachem Grund. Zum einen weil es eine interessante Arbeit ist, zum anderen weil sie sehr viele intertextuelle Verweise hat, mehr, als man auf den ersten Blick vermutet. Und nicht zuletzt, weil ein sogenannter „Kulturbeauftragter“ der EKD sie überaus herablassend kritisiert hat. Olu Oguibe gehört seit vielen Jahren zu den wichtigen Kommentatoren und Interpreten afrikanischer Kunst. Einschlägig ist sein zusammen mit Okwui Enwezor, dem Leiter der documenta 11, 1999 erschienenes Buch „Reading the contemporary: African Art from Theory to the Marketplace.“[2] Die Stadt Kassel stellt im Rahmen des Bode-Preises den Künstler so vor:
Zur Begründung der Preisverleihung schreibt die Stadt:
Man wird der Argumentation des Ausschusses, der den Preis vergibt, nur zustimmen können. Die Arbeit ist, wenn man sich auf sie einlässt, intertextuell überaus reich. Im Interview hat der Künstler die Zielsetzung, die Programmatik und nicht zuletzt die konkrete Materialität des Kunstwerks erläutert. Für manchen vielleicht überraschend, ist dies eines der teuersten Kunstwerke der documenta 14, ein „geordneter“ Abbau ist nicht möglich, sondern nur ein Abbruch des Objektes. [Mit der Verleihung des Bode-Preises an den Künstler zeichnet sich freilich eine andere Lösung ab.] Der Künstler, der sich in Athen mit den Ereignissen rund um den Biafra-Krieg Ende der 60er-Jahre auseinandersetzte, beschäftigt sich in Kassel mit des Folgen des Flüchtlingsdramas in Europa. Die von ihm errichtete 16 Meter hohe Stele in Form eines afrikanischen Obelisken trägt an allen vier Seiten dieselbe Inschrift in jeweils anderer Sprache: "Ich war ein Fremdling und ihr habt mich beherbergt". Das Zitat aus Matthäus 25, 35 gehört zur Rede Christi als Weltenrichter. Der Satz ist nicht imperativisch, sondern resultativ (de facto aber noch nicht gesprochen, sondern proleptisch, denn er wird nach der Überlieferung des Matthäus erst beim Weltgericht Anwendung finden). Der Künstler bezieht sich auf ihn, weil er selbst das Trauma des Biafra-Krieges als Kind miterlebt hat. Der documenta-Kommentar von Ugochukwu-Smooth Bzewi schreibt dazu:
Und die documenta setzt dazu ein Gedicht von Olu Oguibe:
Gefragt, welche Botschaft denn sein Kunstwerk habe, geht Olu Oguibe nicht nur ausführlich auf die biblische Botschaft ein, sondern kontextualisiert sie präzise für Kassel. Dass nämlich in Kassel nicht nur aktuell Flüchtlinge aufgenommen wurden, sondern dass die Stadt mit den Hugenotten seit 400 Jahren eine Kultur der Aufnahme von Migranten hat, ist für ihn ebenso wichtig wie der Verweis auf die türkischen Gastarbeiter (daher türkisch als Sprache). Das Interview, das Heinz-Norbert Jocks mit Olu Oguibe für das Kunstforum International gegeben hat, empfehle ich jedem Theologen, jeder Theologin zur Lektüre, bevor(!) diese qualifizierende Äußerungen über das Werk von sich geben.[5] Olu Oguibe verweist auf den humanitären Kern der jesuanischen Botschaft. Er selbst sei kein religiöser Mensch, glaube aber, dass die Worte Jesu im Matthäusevangelium über die spezifische Religion hinaus Bedeutung hätten: „Für mich ist es eine universelle humanitäre Botschaft.“ All das sollte man fokussiert zur Kenntnis nehmen, bevor man über das Kunstwerk urteilt. Und angesichts dessen bin ich schockiert, wie herablassend sich der Kulturbeauftragte der Evangelischen Kirche in Deutschland auf seinem Blog „Kulturbeutel“ (wer denkt sich nur solche Schwachsinnstitel aus?) über das Kunstwerk von Olu Oguibe äußert.[6] Nach der Lektüre seines Beitrages kann ich nur sagen: Offenkundig wissen die weißen Männer es immer besser als Afrikaner, wohin ein Zitat gehört, wer es zitieren darf und vor allem, unter welchen Kriterien es eingesetzt werden darf. Gut, so ein weißer evangelischer Pfarrer braucht nicht so genau hinzusehen, es reicht ihm sein Bauchgefühl. Die De-Zentrierung der Statue von Olu Oguibe auf dem Königsplatz bemerkt er nicht bzw. weiß nichts damit anzufangen. Dabei hätte man schon an der Geschichte von Gianlorenzo Berninis Platzierung des Obelisken auf dem Petersplatz in Rom die Bedeutsamkeit einer derartigen künstlerischen De-Zentrierung einsehen können. Erst der Duce „hat dann mit dem Abriss des Borgo Nuovo und der neuen Via della Conciliazione diese Asymmetrie beseitigt und das Gefüge sozusagen ‚auf Linie gebracht‘“ (Karin Wendt).[7] On der Kunst kommt es, das sollte ein mit Kultur Beauftragter wissen, auf feinste Details an. Dass, wie der Kulturbeauftragte behauptet, der Bezug auf das Matthäus-Evangelium auf dem Kunstwerk nicht präsent sei, kann vermutlich nur ein Pastor aus Hamburg vertreten, der das religiöse Wissen seiner Mitbürger bereits vollständig abgeschrieben hat und deshalb immer Fußnoten einfordert. In Kassel das sollte ihm Bischof Hein vielleicht nahebringen ist das nicht notwendig, da kennt nahezu jeder Bürger die Verse aus dem Matthäus-Evangelium. Persönlich habe ich auf dem Kasseler Königsplatz, als ich mir das erste Mal das Kunstwerk anschaute, einen Vater erlebt, der minutenlang anhand der Aufschrift auf dem Obelisken seiner etwa 16 Jahre alten Tochter die Weltgerichtsrede Jesu erläuterte. Das ist die vitale Religionskultur in Kassel. Doch Claussen weiß es besser, denn er ist dazu berufen worden, der Kirche die Kultur und dieser die Kirche zu vermitteln. Er hat sich intensiv mit dem Kunstwerk, dem Künstler und dessen Oeuvre auseinandergesetzt und kann uns nicht nur seine spontanen Reflexe, sondern sein begründetes ästhetisches und religiöses Urteil vermitteln. Das hatte ich jedenfalls gedacht, bevor ich auf seinen Kommentar stieß. De facto halte ich den Blogeintrag für zumindest kolonialistisch, wenn nicht sogar implizit rassistisch, insofern er einen in Afrika geborenen Künstler zu belehren sucht, wie dieser afrikanische Kulturgüter einsetzen darf. Er schreibt:
Nun, zunächst einmal: Olu Oguibes Obelisk ist überhaupt keine Flüchtlingskunst. Weder in dem Sinne, in dem die Röhren von Hiwa K. auf dem Friedrichsplatz als Flüchtlingskunst gedeutet werden könnten, noch in dem verfehlten Sinne, in dem die Arbeit von Thomas Kilpper in und auf der Kasseler Karlskirche als solche missverstanden werden könnte. Ehrlich gesagt finde ich schon das Wort „Flüchtlingskunst“ durch und durch inhuman es sind nicht zufällig konservative deutsche Feuilletonisten, die so abwertend sprechen. Nicht umsonst hat das Wort eine pejorative Bedeutung wie die rechte Rede vom Gutmenschentum. Kritisch soll schon der Umstand sein, dass die Flüchtlingsfrage in der Kunst thematisch wird. Angeblich darf sie das nur, wenn ... und dann folgen eine Reihe von Kriterien, die durch und durch ethischer und nicht ästhetischer bzw. künstlerischer Natur sind. Aber wie gesagt, darum geht es im konkreten Fall gar nicht. Olu Oguibes Obelisk ist nämlich ein Kunstwerk, das auf das (bereits erfolgte!) Verhalten der Kasseler Bevölkerung im Angesicht von Flüchtlingen rekurriert. Es ist ein Monument für konkretes bürgerschaftliches Engagement (vergleichbar mit manchen Arbeiten von Jochen Gerz). Man muss vermutlich aus Hamburg anreisen, um das missverstehen zu können. Was stört den Kulturbeauftragten eigentlich am Kunstwerk und seiner Botschaft? Er schreibt:
Es wäre besser gewesen, Claussen hätte genau hingeschaut. Von einer Aufforderung, gar von einem Imperativ kann gar keine Rede sein. Denn wenn, wie Claussen ja unterstellt, die Betrachter den Kontext der jesuanischen Weltgerichtsrede gar nicht kennen, wie wird aus dem deskriptiven Satz „Ich war ein Fremdling, und ihr habt mich beherbergt“ ein Imperativ? Als (implizite) Handlungsaufforderung wirkt der Satz doch nur im Rahmen der jesuanischen Weltgerichtsrede. Und ja, dann ist es ein Imperativ, an den die Christen sich zu halten haben. Nur wer als Theologe das Gesetz im Evangelium, das sich in Matthäus 25,35 äußert, weit von sich weist, kann anders sprechen. Claussen hält das Kunstwerk für eine „gesinnungsethische Machtdemonstration“. Wäre es doch so einfach! Wir stellen ein Schild auf und schon ändert sich das Verhalten. Deutschland ist nicht freundlich gegenüber Flüchtlingen, weil manche Bürger Schilder hochhalten auf denen steht: Refuges Welcome! Sondern weil es angesichts einer humanitären Katastrophe fast eine Million Menschen aufgenommen hat. Apropos „gesinnungsethische Machtdemonstration“: Es reicht Claussen nicht, von einer gesinnungsethischen Demonstration zu sprechen. Auch darüber könnte man streiten. Welche Macht(!) aber hat ein Künstler, der ein Kunstwerk auf einem öffentlichen Platz aufstellt? Nicht mehr Macht als Michelangelo mit dem David oder Donatello mit der Judith auf dem Platz vor dem Palazzo Vecchio in Florenz. Und auch nicht mehr Macht als Benvenuto Cellini mit seiner Perseus-Statue in der danebenstehenden Loggia. Eine Macht, die nur im Zusammenspiel mit den Betrachtern funktioniert! Die Bevölkerung freilich kann eine Statue, einen Obelisken, ein Kunstwerk durchaus im Sinne einer revolutionären Geste deuten und nutzen, wie die Arbeiten von Donatello und Michelangelo (übrigens entgegen der Intention ihrer Auftraggeber) zeigen. Zum Abschluss entwickelt Claussen eine Kriteriologie gelingender ‚Flüchtlingskunst‘. Merke: Pfarrer wissen besser als die Betroffenen, wie Kunst auszusehen hat, denn Zeit ihres Lebens wurden sie schließlich als Experten für Flüchtlings-Kunst, Atomkraft, Wirtschaftspolitik, Globalisierung, Ökotrophologie, Gesellschaftsveränderung und was weiß ich ausgebildet. Sie wissen immer alles besser. Also:
Wer ist das Subjekt, das so spricht und der Kunst Normen vorsetzt? Und zudem einem Afrikaner, aus dessen Kultur der Obelisk kommt, vorschreiben will, wo er einen solchen aufstellen darf und wo nicht und was er dabei zu beachten haben (echtes Anliegen verkörpern, Schicksal von Flüchtlingen nicht benutzen, ästhetisch Eigenes, humanes Nachdenken nicht abschließen). Das ist schon wirklich dreist. Aber seine Kriteriologie macht nicht einmal Sinn. Klar, einem Kulturbeauftragten der EKD rutscht so ein Heidegger-Slang wie: man müsse ein „echtes Anliegen“ vertreten, schnell mal raus und angesichts der EKD wissen wir alle, dass ‚echt‘ hier die gleiche Bedeutung hat wie die „Echt Antik“-Schilder auf Überlandfahrten in Deutschland. Vermutlich ist auch das Reformationsjubiläum der EKD ein „echtes Anliegen“. Unterstellt wird aber letztlich, der humanitäre Impuls des kritischen Theoretikers und Künstlers mit Migrationserfahrung Olu Oguibe sei gar nicht authentisch (eben nicht ‚echt‘), ja in Wirklichkeit benutze er das Schicksal von Flüchtlingen nur. Claussen dagegen täte so etwas nicht. Wie ignorant kann man sein (und wie hermeneutisch ungebildet!): es geht im konkreten Fall um eine Geste der Anerkennung für die bereits geleistete Aufnahmebereitschaft der Kasseler Bevölkerung in den letzten 400 Jahren! Die Kasseler haben im 17. Jahrhundert, als sie eine Stadtbevölkerung von etwa 8000 Bewohnern hatten, 2000 Hugenotten aufgenommen. Das entspricht einer Quote, die Deutschland erfüllt hätte, wenn es 2015 16,5 Millionen Syrer aufgenommen hätte! Und in den Jahrhunderten später haben sie immer wieder Migranten aufgenommen wovon die Arbeit „Heimat“ von Ahlam Shibli in der sogenannten neuen Neuen Galerie überzeugend Auskunft gibt.[10] Weil Olu Oguibe dies sieht, anerkennt und vorbildlich findet, gibt er nicht zuletzt als Künstler mit entsprechenden biografischen Erfahrungen den Kasselern eine entsprechende künstlerisch gestaltete Resonanz. Claussen reicht das nicht. Wenn schon ein künstlerischer Dank für geleistete Flüchtlingsarbeit, dann müsse es schon etwas ästhetisch Eigenes sein, meint er und spricht diese Eigenschaft damit implizit der Arbeit von Olu Oguibe ab. Das klingt aus dem Munde eines ‚weißen Pfarrers‘ nur noch lächerlich. Da es offenkundig kein zerknirschter Appell an die westlichen Kolonialherren sein soll, ihre von den Afrikanern(!) erbeuteten Obelisken zurückzugeben, weiß ich nicht, was Claussen eigentlich will. Dürfen Künstler aus Afrika etwa keine Obelisken verwenden, weil das schließlich nichts Neues ist und Europäer sich schon seit Jahrhunderten an den geklauten Obelisken aus Afrika erfreuen oder sie nachbauen? Und gilt dieses Prinzip immer und überall? Und darf es deshalb auch kein Parthenon vor dem Fridericianum geben, kein Walhalla bei Regensburg und keine neugotische(!) Kirche in Hamburg? Und wer ist die Autorität, die das entscheidet? Oder sind das nur subjektive Geschmacksurteile a la „Versteh ich nicht mag ich nicht darf er nicht.“ Der Künstler Olu Oguibe bezieht sich dagegen expressis verbis auf den Raub des Obelisken von Axum durch Mussolini, der erst 2005 zurückgegeben wurde.
Der Obelisk selbst ist wie das biblische Zitat zunächst also das „außerästhetische Substrat“ mit dessen Symbolik und Geschichte der Künstler arbeitet und ihn in den Kontext von Kassel einordnet. Man sollte als ein die Bildende Kunst beurteilender Theologe die Ebenen schon zu unterscheiden wissen. Ästhetisch geht es um eine Wieder-Besetzung eines Symbols gegen die sich einige Erben der früheren Kolonialherren offenkundig wehren. Im Kulturbeutel des Kulturbeauftragten der EKD, soviel musste ich lernen, haben Obelisken, die von aus Afrika stammenden Künstlern in Kassel platziert werden, offenbar keinen Platz. Die Stadt Kassel, die Jury, die den Arnold-Bode-Preis vergibt, die documenta und das Fachmagazin Kunstforum International (das Oguibes Kunstwerk aufs Titelblatt nahm), beurteilen das Kunstwerk Gott sei Dank! ganz anders. Theologisch, um das letzte Kriterium des Kulturbeauftragten aufzugreifen, geht es auch bei dem zitierten Text Jesu aus der Weltgerichtsrede nicht darum, ein humanes Nachdenken abzuschließen, sondern darum gerade weil es proleptische Rede ist -, dieses zu eröffnen. Erst wenn Jesus diese Worte im Jüngsten Gericht einmal wirklich sprechen wird, ist die Geschichte zu Ende. Bis dahin aber können wir auch als Theologen nur dankbar sein, wenn die Kultur der Gegenwart den Christusimpuls aufnimmt und ihn sich in humanistischer Perspektive aneignet. Das Kunstwerk von Olu Oguibe leistet genau dies: es konkretisiert eine universelle humanitäre Botschaft anhand eines Zitates, das Matthäus als Wort des Herrn überliefert. -> Hier geht es weiter zum Ottoneum ... Anmerkungen[1] Wikipedia, Art. Arnold-Bode-Preis. [2] Oguibe, Olu & Enwezor, Okwui (Hg.) 1999. Reading the contemporary: African art from theory to the marketplace. 1. MIT Press ed. Cambridge, Mass, London: MIT Press; Inst. of International Visual Arts. Vgl. auch Oguibe, Olu, Ho, Melissa & Enwezor, Okwui 1998. Cross/ing: Time, space, movement. Santa Monica, Calif.: Smart Art Press. (Smart Art Press, Bd. vol. 5, no. 43Bd). Sowie: Hassan, Salah M., Oguibe, Olu & Allen, Siemon 2001. Authentic, ex-centric: Conceptualism in contemporary African art. Ithaca, NY: Forum for African Arts; Prince Claus Fund Library. [4] Ebd. [5] Vgl. Kunstforum international, Band 248, 2017, S. 462f. [6] http://chrismon.evangelisch.de/blogs/kulturbeutel/kulturbeutel-johann-hinrich-claussen-ueber-fluechtlingskunst [7] Vgl. Karin Wendt (2001), La Macchina Heroica. Der Petersplatz des Gianlorenzo Bernini, https://www.theomag.de/13/kw9.htm [8] Claussen, a.a.O. [9] Ebd. [11] Kunstforum international, 04/2017, S. 204. |
Artikelnachweis: https://www.theomag.de/108/am593.htm |