![]() documenta 14 |
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Agni Parthene (griechische Version) |
Agni Parthene (kirchenslawische Version) |
Bevor ich auf die Videos und ihre Wahrnehmung eingehe, noch eine Notiz zur Wahl des Hymnos. Interessant finde ich, dass der Filmemacher uns einen vor allem die Orthodoxie verbindenden Hymnos des 19. Jahrhunderts vorstellt und nicht den wesentlich älteren Hymnos Akathistos, der aus dem 7. Jahrhundert stammt. Das ist deshalb irritierend, weil seine Arbeit nicht zuletzt um diese Zeit kreist. Der Hymnos Akathistos wird dagegen nicht nur seit 1200 Jahren in der Ostkirche gesungen, sondern hat auch eine freilich jüngere Rezeptionsgeschichte im Westen. Und er wirkt zumindest für meine Ohren wesentlich moderner und populärkultureller als der eher bewusst erhaben wirkende jüngere Hymnos. Agni Parthene verfügt dagegen über eine komplexere Variationsgeschichte innerhalb der orthodoxen Traditionen. Die Wikipedia verfügt hier für das detaillierte Studium über eine übersichtliche Tabelle mit anklickbaren Klang- und Gesangsbeispielen auf Youtube. Hier zum Beispiel
Man muss nun den „Clash of Civilisations“ begreifen, der sich im Westflügel der Orangerie ereignet. Es ist kein Konflikt zwischen Muslimen und Christen, wie man angesichts der übegreifenden Überschrift denken könnte, kein grundsätzlicher zwischen Religion und Kunst, was naheläge, sondern vielmehr einer zwischen ästhetischem und religiösem Verhalten. Es ist, als wenn auf einer documenta nicht Jay Schwartz, sondern Johann Sebastian Bach aufgeführt würde und das Publikum auch wie bei einer Bachschen Kantate reagieren würde. Wir sind es in der ästhetischen Moderne gewohnt, Gespräche vor Kunstwerken zu führen, ihre Komposition und die ästhetische Durchdringung zu würdigen, vor allem aber auch: zu erörtern. Die Arbeit von Romuald Karmakar aber zwingt die documenta-Besucher insofern sie nicht gedankenlose Barbaren sind ins meditative Schweigen. Das ist eine Grenzüberschreitung im mehrfachen Sinne. Fröhlich plaudernd steigen die Besucher den Weg von der documenta-halle herunter, um dann geradezu gnadenlos auf die Knie gezwungen zu werden.
Das ist nicht nur produktiv, sondern zwingt auch in die Reflexion darüber, wovon man hier eigentlich Zeuge wird. Einen „Moment des Eigensinns“ nennt Hanno Rauterberg in seinem ZEIT-Artikel „Romuald Karmakars Ausflug in die Welt archaischer Chorgesänge“.[1] Andererseits ist in Zeiten, in den CDs mit gregorianischen Gesängen Platz 3 der Billboard Hot 100 erreichen, der Rekurs auf orthodoxe Hymnen vielleicht auch nur eine Anpassung an den Publikumsgeschmack, der das Exotische liebt. Aber auch das hatte Rauterberg schon gesehen: „Es ist eine Ausstellung voller Dokumente und Reliquien, die meist ein wenig knittrig ausschauen und deren Patina bestens zur Retroseligkeit der Gegenwart passt. Irgendwann, irgendwie war früher alles besser, das ist die Grundstimmung dieser Nostalmenta.“[2]
Die zweite Arbeit des Künstlers ist ein elektronisches Laufband an der westlichen Außenfassade der Orangerie (Die Entstehung des Westens Von den Anfängen in der Antike bis zum Fall von Konstantinopel, 2017, LED-Installation, 75 Min.). Auf einem schmalen Band erscheinen wie in einem Nachrichtenticker diverse Meldungen aus der Geschichte des Christentums, der Kreuzzüge, von der Belagerung Jerusalems und nicht zuletzt von der Eroberung Konstantinopels, der Hauptstadt des byzantinischen Reiches, durch die Ottomanen im Jahr 1453.
Von jeder Documenta gibt es vermutlich Anekdoten darüber, was alles schief lief und wo erst nach mehreren Interventionen etwas gelang oder auch: wo ein Künstler das zerstörte Werk zur wahren Kunst erklärte. Das fing vermutlich nicht erst mit Christos Luftsäule 1968 an und endete natürlich nicht mit Ai Weiweis eingestürztem Turm Template 2007. Dies Mal hat es die Blutmühle von Antonio Vega Macotela erwischt. Sie funktioniert schlichtweg nicht. Alle Bilder, die das Gegenteil behaupten, sind in den ersten Tagen der documenta entstanden, als die Nutzung sich noch nicht gegen das Holz und seine Konstruktion durchgesetzt hatte. Nach gefühlten zwei Tagen der Publikumsnutzung war das Ding defekt. Nach der Reparatur durften nur noch jeweils zwei Besucher die Mühle antreiben und schon nach einem Tag stand sie wieder still. Danach sollte sie angeblich nur noch in Anwesenheit des Künstlers genutzt werden, ging aber auch unter dieser Kontrolle wieder kaputt. Und nun steht sie still. Geradezu ironisch klingt da die Beschreibung des Werkes im Kunstforum International: „Es ist die technisch perfekte Rekonstruktion jener Mühlen, die von den spanischen Kolonialherren gebaut wurden, um mithilfe indigener Sklaven Münzen zu prägen.“ Technisch perfekt nenne ich etwas anderes. Und das Kunstforum fährt fort: „Zur documenta in Kassel steht sie jetzt in Übergröße auf der Wiese als Sinnbild für Sklavenarbeit, Ausbeutung im Kolonialismus, auch als Kritik an kapitalistischen Arbeitsbedingungen. Und sie lädt zum Mitmachen ein: Für zwei Runden Sklavenarbeit fällt ein geprägter Silberling durch eine Röhre in eine Truhe. Später wird der Gegenwert aller Münzen im Internet in eine digitale Währung verwandelt.“[3] Daraus wird wohl nicht viel werden. Es sei denn, es fände sich ein lokaler Ingenieur, der die Mühle wieder in Gang brächte.
Täglich werden wahrscheinlich Hunderte von Hunden in der Karlsaue ausgeführt. Die werden ein wenig verstört sein von den Geräuschen, die sie nun aus den Lautsprechern unter einigen Asthaufen vernehmen müssen.
Von Vernissage TV gibt es einen lustigen Zusammenschnitt, der einen Einblick in die Kontextualisierung und Funktionsweise der Arbeit zeigt.
Inspiriert ist das Werk von der antiken griechischen Komödie ‚Die Frösche‘ von Aristophanes. Nur dass hier die Tonaufzeichnungen echter Frösche mit denen menschlicher Froschimitatoren konkurrieren. Die Hunde werden darüber richten.
Richtig beeindruckt hat mich das Gerüst „Trassen“ von Olaf Holzapfel nicht. Sicher, man kann über Fachwerkbau und Holzkonstruktionen nachdenken, über künstliche Zeichen in der Natur, aber viel weiter kommt man irgendwie nicht.
Eine andere Trasse durch die Karlsaue hat Lois Weinberger gezogen. Dieses Mal also nicht im Kulturbahnhof, wie auf der documenta unter Catherine David, sondern in der Aue. Er ist „gegen die Ästhetik des Reinen und Wahren, gegen ordnende Kräfte“. Der herangewehte Wildwuchs, der auf postindustriellen Brachen und an der städtischen Peripherie gedeiht, sei stofflich betrachtet ungezähmt und daher „natürlicher“ als die von der Gesellschaft streng kontrollierten Zonen heutiger „Wildnis“. Deshalb hat er etwas vom Rasen der Aue entfernt und harrt nun der Entwicklung. „Aufgabe von Kunst heute ist es, Chaos in die Ordnung zu bringen“ sagte schon Adorno.
Bleibt noch die ein Letztes: „Die Ciudad Abierta (Offene Stadt) ist Kommune, pädagogisches Experiment und praxisnahes Architekturlabor in einem. Sie wurde von einer Gruppe umherziehender Künstler_innen und Dichter_innen auf einem verlassenen, windumtosten Landstrich aus Gras und Sand am Rande des Pazifischen Ozeans gegründet, etwa dreißig Kilometer nördlich der chilenischen Hafenstadt Valparaiso.“ Und nun hat sie sich in der Karlsaue niedergelaassen und begrüsst die Besucher zum offenen Diskurs.
-> Und hier geht es weiter im Palais Bellevue ...
[3] Kunstforum International Band 248, 2017, Titel: documenta 14 Rundgang, S. 296
Artikelnachweis: https://www.theomag.de/108/am596.htm
© Andreas Mertin, 2017