Das Abendmahl in der Kunst

Eine visuelle Reise - 3. Von Riemenschneider bis Tintoretto

Andreas Mertin

Wir bewegen uns auf unserer visuellen Reise zum Thema Abendmahl nun über die Alpen in den Norden. Die nächsten Stationen liegen vor allem in Deutschland und bewegen sich erst zur Jahrhundertmitte wieder zurück nach Italien.

Hans Holbein d.J.  - 1501

Kurz nach 1500 schafft Hans Holbein der Jüngere für die Predella des Frankfurter Dominikanerklosters einen Zyklus von fünf Bildern, in dessen Zentrum das Abend­mahl steht. Auf der linken Seite finden wir den Einzug in Jerusalem und die Tempelreinigung, auf der rechten die Fußwaschung und Jesu Gebet im Garten Gethsemane. Auffällig zunächst, dass wir eine ganz andere Form der Menschendarstellung vor uns haben. Die Menschen erscheinen bäuerischer oder sagen wir wie Landbevölkerung. Holbein versammelt die Jünger nicht mehr rund um den Tisch oder hinter einer Tischfront, sondern gliedert sie in zwei bis drei Reihen um den Tisch. So entsteht der Eindruck einer gedrängten Fülle. Auf dem Tisch steht auf einer Art Stövchen das Lamm, darum herum ordentlich wie auf einem bürgerlichen Tisch die Teller für die Jünger. Wie bei einer Messe trinkt ein Jünger aus einem Kelch, andere Trinkgefäße gibt es nicht auf dem Tisch. Hinzu kommen ein angeschnittenes und ein ganzes Brot samt zwei Messern. Christus reicht nun einem ziemlich herabsetzend dargestellten Judas ein Stück Brot, schaut ihn  dabei aber nicht an, sondern blickt direkt auf den Betrachter. Es herrscht eine eher bedächtige Atmosphäre zwischen den Jüngern, Gesten des Entsetzens oder der Empörung fehlen vollständig. 

Tilman Riemenschneider - 1502-05

Etwas zurückhaltender in der Darstellung des Judas ist Tilman Riemenschneider, der 1502 für die Rothenburger Stadtkirche S. Jakob ein Abendmahl für den Heiligblutaltar schnitzt. Vom Abendmahlstisch erkennen wir wenig, wir sehen einige Trinkbecher, Teller mit Brot und eine zentrale Schüssel, mehr nicht. Es gehört zu den Besonderheiten dieser Arbeit, dass Judas fast schon als zentrale, im Vordergrund stehende Figur erscheint, nicht herabgesetzt, sondern durchaus auf gleicher Ebene. Auch hat Riemenschneider auf jede despektierliche Darstellung der Gesichtszüge verzichtet. Judas ist durch den Geldbeutel kenntlich  und er wendet sich Jesus in einer Gestik und Motorik zu, die schon auf den Bruderkuss im Garten Gethsemane vorwegweist.

Hans Holbein d.J. – 1520

Wenn man die pejorativen Elemente des sich ausbreitenden und verfestigenden Antijudaismus auf diesem Bild von Hans Holbein einmal für einen Augenblick beiseitelässt, dann ist es eine beeindruckende Charakterstudie. Judas ist grübelnd tief in sich versunken, er hat sein Kinn abgestützt und sinnt skeptisch einem Gedanken nach. Dass er die Runde gleich verlassen wird, ist daran erkennbar, dass er bereits die Sandalen angelegt hat. Der Geldbeutel ist ansatzweise erkennbar, aber der Verrat bzw. die Ankündigung des Verrats stehen nicht im Zentrum des Bildes. Überraschenderweise ist die Mahlzeit aber schon weit fortgeschritten, das Lamm ist bereits vollständig verzerrt, nur sein Gerippe liegt noch auf einem Teller, einzelne Knochen sogar verstreut auf dem Tisch. Vom Wein ist überhaupt nichts zu sehen, nur Brot liegt noch herum. Wüsste man es nicht von der biblischen Erzählung besser, dann könnte man meinen, die Jünger würden verschiedene Lösungsmöglichkeiten eines komplexen Problems erörtern, während ihnen Jesus zuvor die doch ziemlich aporetische Situation dargelegt hat. Man könnte das Bild im Sinne einer Einfühlungsästhetik in den damaligen Abend begreifen.

Joos van Cleve – 1525-27

Wie ein vorausgreifender Film-Still für Viridiana von Luis Buñuel wirkt Joos van Cleves Abendmahlsbild von 1524, geschaffen als Predella eines Altarbildes mit der Beweinung Christi.

In unserer Reihe ist es das erste Bild, auf dem neben Jesus und den Jüngern auch ein Mundschenk auftritt, ein Motiv, das seit dieser Zeit gehäuft vorkommt. Weil der Diener direkt auf den Betrachter blickt, geht man davon aus, dass es sich um ein Selbstporträt des Künstlers handelt, der sich damit als Zeuge des Letzten Abendmahls positioniert.    

Lukas Cranach – 1539

Diese Positionierung von wiedererkennbaren Zeitgenossen auf religiösen Bildern und vor allem auch auf Abendmahlsbildern findet man nun im Extrem in der Reformationszeit in der Werkstatt von Lukas Cranach.

Auf dem Altar der Stadtkirche in Wittenberg steht das Abendmahl im Zentrum, die Abendmahlsgemeinschaft sitzt am runden Tisch, ein Mundschenk schenkt dem am Abendmahl teilnehmenden Junker Jörg (= Martin Luther) Wein nach.

Jacopo Bassano - 1546

Das Interesse an Stoffen, an Gesten und an Farben steht bei Jacopo da Ponte, genannt Bassano im Vordergrund. Das lässt den Einfluss von Tizian erkennen. Christus ist auf dieser Darstellung schon beinahe abgehoben gemalt. Vor dem Tisch hat sich links neben Judas ein Hund neben die Schüssel gelegt, in dem vorher das Wasser für die Fußwaschung war. Das Motiv des Hundes wird im Folgenden noch eine größere, vermutlich symbolische Relevanz haben.

Juan  de Juanes – 1562

Vicente Juan Masip, genannt Juan de Joanes, kombiniert alle Elemente, die wir bisher in der Entwicklung des Themas kennengelernt haben und fügt nun – wir sind in gegenreformatorischen Zeiten – nun eine besondere Akzentuierung des Eucharistischen hinzu. Erstmalig ist eine direkte Anspielung auf die Messe und die Euicharistie erkennbar. Vor Christus steht der Kelch und Christus hebt wie ein Priester die Hostie in die Höhe. Alle Jünger (ja selbst Judas, der schon im Aufbruch begriffen ist) scheinen auf die Hostie fixiert. Vom Künstler wird überliefert, dass er sich vor der Ausfertigung religiöser Gemälde durch die Heiligen Sakramente stärkte.

Tizian - 1564

Im Refektorium des Klosters von El Escorial hing diese Abendmahlsdarstellung von Tizian, des Meisters der Farbe. Auch hier findet sich der herbeigeeilte Mundschenk oder Hausherr des Abendmahlssaales und der Hund zu Füßen des Judas. Es gibt freilich keine irgendwie geartete Beziehung zwischen Judas und Jesus, Judas wendet sich ab, Christis wirkt in sich gekehrt. Nur in der Gestik des Petrus ist so etwas wie eine Reaktion auf die Verratsankündigung zu sehen. Als Aperçu hat Tizian noch eine Wachtel auf den Wasserbottich vor dem Tisch gesetzt.

Jacopo Tintoretto - 1570

Vollständig anders legt Jacopo Robusti, genannt Jacopo Tintoretto, Schüler und Konkurrent Tizians, sein Abendmahl an. Für sein Werk ist nicht zuletzt charakteristisch, dass er ein besonderes Augenmerk auf die Ausgeschlossenen der Gesellschaft hatte. Er entwickelte den Manierismus mit den verzerrten Körpern und den dramatisierten Raumperspektiven weiter. Und – das wird im zweiten noch vorzustellenden Werk im Zentrum stehen - er versucht in seinen vopn der Gegenreformation bestimmten Bildern, die Theologie unmittelbar ins Bild umzusetzen.

Es gibt bis dahin wohl kein Abendmahlsbild, das so atemberaubend ist, wie das aus der Kirche San Polo in Venedig. Vielleicht hat die für Tintoretto so typische Hell-Dunkel-Kontrastierung, die es zum Teil schwer macht, Bild-Details und Konzeption zu erkennen und zu durchschauen, die Rezeption schwer gemacht. Aber außerordentlich kühn kombiniert Tintoretto hier Motive, die in der visuellen Kommunikation des Christentums bis dato auf unterschiedlichen Bildern ausgedrückt wurden, in einem Bild.

Was ist sein Anliegen? Wir sind nun deutlich erkennbar in den Zeiten nach dem Tridentinischen Konzil und seinen Beschlüssen zu Bilderfrage. Das heißt, die Künstler sind seitens der katholischen Kirche angehalten, zentrale Inhalte des christlichen Glaubens sachgemäß ins Bild zu setzen. Schon aus diesem Grunde spielt das eher volkstümliche Motiv der Absetzung von Judas eine geringere Rolle, die der Einsetzung der Eucharistie dafür eine umso größere. Tintoretto sucht das Außerordentliche des Geschehens des Letzten Mahles in einer dem Gegenstand entsprechenden Bildsprache umzusetzen. Dazu „explodieren“ die handelnden Figuren geradezu, sie sind losgelöst vom irdischen Geschehen und scheinen in der Luft zu schweben wie die folgende Bearbeitung verdeutlicht:

Zugleich interessiert den in diesem Sinne gut ‚katholischen‘ Künstler Tintoretto aber nicht nur die Umsetzung jenes Moments, in dem Christus die Eucharistie einsetzt und das Brot (bloß) an seine Jünger reicht, vielmehr sorgt er sich auch um die sozialen Implikationen dieses Aktes. Das ist ein Aspekt, der früher eher mit der Fußwaschung verbunden war, den Tintoretto nun aber positiv in das Abendmahlsbild integriert und dabei auch die bisherige Darstellung des Judas konterkariert. Wir sehen also nicht nur die beschwingte Abendmahlsgruppe, sondern zugleich Judas und einen weiteren Jünger, die Brot vom Tisch des Herrn sowohl an einen Bettler und als auch an ein Kind weiterreichen. Vergleichbares gab es bis dahin nicht auf Abendmahlbildern. Recht betrachtet, ‚erdet‘ das Handeln von Judas und des anderen Jüngers das Geschehen im Bildhintergrund. Zugleich öffnet sich der Blick auf der rechten Seite des Bildes in die Welt und den Alltag.

El Greco - 1570

Im Vergleich dazu ist El Grecos Abendmahlsbild aus dem gleichen Jahr, heute im Museum in Bologna, sozial wie theologisch harmloser, dafür aber in der Farb- und Figurendarstellung umso kühner. Hier zeigt sich zumindest ansatzweise der späte El Greco mit seiner kräftigen Farbgebung und der Überlängung der Körperextremitäten. Sehr deutlich wird in der Hervorhebung der Zusammenhalt der Gruppe, aus der nur Judas herausgenommen ist. Es wird freilich nicht mehr die Verratsankündigung gezeigt, zeitlich befinden wir uns eher etwas später im nun gruppendynamisch dargestellten Geschehen. Würde man Judas aus dem Bild entfernen, befände man sich in einer Art offenen Gesprächsrunde.

Leandro Bassano - 1578

Im Vergleich zu den vorher vorgestellten Kunstwerken ist das von Leandro Bassano aus dem Jahr 1578 aus der Kirche Santa Maria Formosa in Venedig fast schon konventionell. Es lebt von einem starken Hell-Dunkel-Kontrast. Vier Kerzen auf dem Tisch erleuchten diesen spärlich. Christus scheint auf die Segnung des Kelchs konzentriert, weitere Trinkgefäße sind auf dem Tisch nicht sichtbar. Das Mahl hat noch nicht begonnen. Auch das heute im Palazzo Pitti in Florenz hängende weitere Abendmahl von Bassano ist eher traditionell.

Beiden gemeinsam ist der treue Hund, der vor Judas kniet und ihn anschaut. Wir hatten schon mehrfach Tier auf Abendmahlsbilder, nun aber wird eine direkte Beziehung zwischen Judas und einem Hund hergestellt. Es spricht einiges dafür, dass Bassano hier zwei Jüngertypen gegenüberstellt, denn links neben Judas sitzt ein anderer Jünger, dem Bassano eine Katze zugesellt. Es ist in der Kunstwissenschaft umstritten, welche Symbolik die Tier haben. Entweder wird die konventionell schlechte Konnotation von Hunden in der frühen Neuzeit betont oder es wird darauf verwiesen, dass sogar Hunde treuer sind als der Mensch Judas.

Jacopo Tintoretto - 1592

Den Abschluss der visuellen Reise durch die Geschichte des Abendmahles im 16. Jahrhundert bildet ein Werk von Jacopo Tintoretto mit dem dieser den Moment der Wandlung in der Eucharistie einzufangen sucht. Dargestellt ist die Apostelkommunion, aber im Moment der Austeilung durch Jesus Christus ereignet sich mehr als nur diese. Die oberhalb des zentralen Geschehens befindlichen beflügelten Erscheinungen charakterisieren die Eucharistie nach den Worten Thomas von Aquins als "Brot der Engel" und ihre überweltliche Natur deutet auf das Mysterium der Transsubstantiation (die Verwandlung von Brot und Wein in das Fleisch und das Blut Christi). Mehr ist von diesem Vorgang in der Kunst nicht darstellbar, aber im Sinne der Visualisierung des Nicht-Visualisierbaren ist dieses Bild sicher ein Höhepunkt.      Interessant ist auch die weitere Kontextualisierung des Ganzen. Blickt man nur auf die das Abendmahl umgebenden Menschen, dann bilden sie quasi einen weiteren Kreis um das Geschehen. Brot und Wein werden der Abendmahlsgemeinschaft von den beiden Frauen im Hintergrund gereicht. Zugang zum Presbyterium von San Giorgio Maggiore hatten Frauen aber wahrscheinlich nicht bekommen.      

->  Hier geht es weiter mit der Kunst von Rubens bis Goya

Artikelnachweis: https://www.theomag.de/109/am604_3.htm
© Andreas Mertin, 2017