Brot und Wein

Gegenwärtige Abendmahlspraxis und ihre theologische Deutung

Wolfgang Vögele

3.        Union im Abendmahl

Die Theologie des Abendmahls kann in sehr unterschiedlichen Kontexten entfaltet werden: innerhalb des evangelisch-katholischen Dialogs, innerhalb des europäisch-evangelischen Dialogs, innerhalb des Dialogs zwischen praktischer und systematischer Theologie, mit dem Ziel der Rekonstruktion bestimmter konfessioneller (lutherischer, reformierter, unierter) Positionen, mit dem Ziel der Anpassung einer alten liturgischen und theologischen Praxis an die Gegenwart. Je nach Kontext werden die theologischen Argumente konfiguriert.

Unabhängig davon welchen dieser Dialoge man konsultiert, es fällt auf, daß die Passagen über das Abendmahl aus unierten Bekenntnisschriften und den neueren Konsenstexten stets gegenüber den klassischen lutherischen und reformierten Positionen vernachlässigt werden. Dieses stellt ein Defizit dar, gegen das dringend Abhilfe geschaffen werden muß. Deswegen soll an dieser Stelle eine Interpretation von vier wichtigen theologischen Dokumenten folgen:

  1. Der Konsenstext der Badischen Unionsurkunde von 1821
  2. Die Arnoldshainer Thesen von 1957
  3. Die Leuenberger Konkordie von 1973
  4. Das ökumenische Lima-Papier von 1982

Bei der Unionsurkunde handelt es sich auch um eine Bekenntnisschrift, die Arnoldshainer Thesen sind ein innerprotestantisches Papier, um den ökumenischen Dialog voranzutreiben. Bei größerer theologischer und ekklesiologischer Verbindlichkeit gilt das auch für die Leuenberger Konkordie, die aber nicht selbst den Rang eines Bekenntnisses hat, während das Lima-Papier im Gegensatz zu den drei innerprotestantischen Dokumenten in einem globaleren Sinn auf den ökumenischen Dialog setzt, der auch die katholische und die orthodoxen Kirchen mit einbezieht.

3.1.    Die Badische Unionsurkunde

Die Unionsurkunde der Evangelischen Landeskirche in Baden von 1821[1] übernahm reformatorische, lutherische und reformierte Bekenntnisschriften (Confessio Augustana, Kleiner Katechismus und Heidelberger Katechismus). Für das Abendmahl formulierten die Synodalen eigene Katechismusfragen, die sie an die Stelle der entsprechenden Passagen aus den reformatorischen Bekenntnissen setzten. Dabei wird das Abendmahl als der einzige „trennende Unterschied“ zwischen lutherischer und reformierter Theologie bestimmt. Die in der Urkunde folgenden katechetischen Abendmahlsfragen sollen für beide evangelischen Bekenntnisse gelten. Dabei findet sich in der Urkunde allerdings eine Einschränkung: „ohne jedoch damit in Hinsicht der besonderen Vorstellungen (…) die Gewissen binden zu wollen.“ Wie ist das gemeint? Die Unionsurkunde formuliert einen theologischen Konsens über das Abendmahl. Innerhalb dieses Konsenses können im Blick auf Details unterschiedliche Interpretationen angebracht werden, die aber in der Verantwortung der einzelnen Glaubenden liegen und in der Gesamtkirche nicht geregelt sind.

Die erste Frage zielt auf das Verständnis des Sakraments. Das Sakrament wird zurückgeführt auf die Stiftung durch Jesus von Nazareth; es ist eine „heilige und kirchliche“ Handlung, wobei Heiligkeit durch die Rückbindung an das Leben Jesu und Kirchlichkeit durch den Gottesdienst konstituiert wird. Drittens verbindet ein Sakrament Sichtbares und Unsichtbares, ein (materielles) Zeichen mit bestimmten „Gnaden und Güter[n]“. Diese dualistische Sakramententheologie läßt sich auf die Taufe und das Abendmahl anwenden.

Der schwierigere Fall ist allerdings das Abendmahl. Das Abendmahl hat Jesus selbst eingesetzt (Frage 2), in der Nacht vor seiner Kreuzigung („am Abend vor seinem Leiden“), mit dem Zweck der Erinnerung an dieses Geschehen („zum Andenken an seinen Erlösungstod“).

Die Einsetzungsworte, welche die Antwort auf Frage 3 festlegt, kombiniert übergreifend Mt 26,26-28 und Lk 22,19-20 zu einem eigenständigen Text, der sich – streng genommen – so im Neuen Testament nicht findet. Die nächste Frage stellt noch einmal die Verknüpfung von Sichtbarem und Unsichtbarem (vgl. Frage 1) dar, unter Verweis auf 1Kor 10,16. Die Glaubenden empfangen „mit“ Brot und Wein Leib und Blut Christi, zur eschatologischen Gemeinschaft mit dem Auferstandenen. Dabei findet an den sichtbaren Zeichen Brot und Wein keine physische Veränderung statt. Die Kommunikanten essen Brot und Wein, nicht Leib und Blut. Diese sind nur zugleich da-„mit“-präsent.

Brot und Wein sind das sichtbare Zeichen der unsichtbaren Gnade Jesu Christi. Diese besteht in „Vergebung der Sünden, Leben und Seligkeit“ (Frage 6). Wer daran glaubt, also „würdig“ im Sinne von bußfertig am Abendmahl teilnimmt, der wird durch den Genuß von Brot und Wein zur „innigen Gemeinschaft mit Christo“ und zur Dankbarkeit und zum Wachstum in der Heiligung bewegt. Offensichtlich offen bleibt die Frage, was mit denjenigen geschieht, die unwürdig am Abendmahl teilnehmen. Es könnte sein, daß die Wirkung der unsichtbaren Zeichen einfach verpufft oder – wie es die lutherische Tradition stets betonte – daß die Unwürdigen sich zum Gericht essen (manducatio impiorum).

In der letzten Katechismusfrage regelt die Synode, wie man sich „würdig“ auf die Abendmahlsfeier vorbereitet: durch Selbstprüfung, Reue, das Flehen um Gottes Beistand, das Wissen um das Bedürfnis der Versöhnung für den Kommunikanten selbst und die Bereitschaft zur Versöhnung mit anderen.

Man hat in der Badischen Landeskirche lange darüber gestritten, ob es sich bei diesen Katechismusfragen eher um eine lutherische oder reformierte Deutung des Abendmahls handelte. Beides wird nicht der Intention der Verfasser gerecht, in den katechetischen Formulierungen zum Abendmahl etwas zu schaffen, was über diesen theologischen Streit hinausweist.

Es scheint mir deutlich, daß die Fragen der Unionsurkunde erstens nicht auf die Auseinandersetzung mit der katholischen Kirche zielen. Alle Formen einer Transsubstantiationslehre sind durch Frage 5 abgeklärt, ohne daß der entsprechende evangelisch-katholische Disput eigens erwähnt wird. Zweitens wird das Bemühen deutlich, die Abendmahlsliturgie jenseits konfessioneller Streitigkeiten am Neuen Testament selbst zu orientieren. Diese Schriftorientierung, die höher steht als die Verbindlichkeit der reformatorischen Bekenntnisschriften, wurde durch die so genannte Authentische Interpretation[2] von 1855 nochmals bekräftigt. Die Unionsurkunde legt drittens einen sehr starken Akzent auf Vorbereitung und Teilnahme. Sie fragt danach, was die Glaubenden tun können, um Brot und Wein „würdig“ zu empfangen. Dem sind von Frage 4 bis 8 zwei Drittel des Textes gewidmet. Die Frage nach der Präsenz Christi in Brot und Wein tritt demgegenüber zurück, der Ausdruck der „Realpräsenz“ fällt gar nicht erst. In Aufnahme aufgeklärter Vernunfttheologie (Neologie) werden – viertens - metaphysische Spekulationen völlig abgelehnt (Frage 5). Es ist nach meiner Überzeugung auch kein Zufall, daß die Urkunde die Abendmahlstheologie in Gestalt von Katechismusfragen geregelt hat, weil sie dadurch zeigt, daß ihr daran gelegen ist, wie die Glaubenden und Teilnehmer der Gottesdienste die Feier des Abendmahls theologisch, liturgisch und exegetisch verstehen und mitvollziehen können. Wer so gestaltete gottesdienstliche Feiern trotzdem aus Gewissensgründen nicht mitvollziehen kann, der ist an das Studium der biblischen Texte zurückverwiesen.

In der Kritik an solchen Bekenntnisunionen hat man immer wieder darauf verwiesen, daß damit auch in solchen Abendmahlsbestimmungen die Bekenntnistheologie nicht eindeutig festgelegt sei und damit Raum lasse für unterschiedliche, in diesem Fall reformierte und lutherische Positionen. Das aber könnte sich, vor dem Hintergrund der gegenwärtigen Diskussionen gerade als ein Vorteil erweisen. Die Kritiker wären zu fragen, ob solch eine eindeutige theologische Abendmahlslehre – ohne Interpretationsspielraum – überhaupt möglich und wünschenswert ist.

3.2.    Die Arnoldshainer Abendmahlsthesen

Die Arnoldshainer Abendmahlsthesen[3] haben die mit den Unionsbemühungen des 19.Jahrhunderts begonnenen Bestrebungen nach einer Abendmahlsgemeinschaft zwischen reformierten, unierten und lutherischen Landeskirchen weiter fortgeführt. Insbesondere bei der Bekenntnissynode von Barmen[4] im Jahr 1934 war der Gegensatz zwischen Reformierten und Lutheranern schmerzlich aufgebrochen. Die fehlende Abendmahlsgemeinschaft schwächte die Stoßkraft der Bekennenden Kirche. Der Weg von Barmen führte über die Synode von Halle[5] zu den Arnoldshainer Abendmahlsthesen, die im Kontext der Gründung der EKD nach dem Krieg gesehen werden müssen.

Von vornherein ist deutlich, daß es sich bei den Arnoldshainer Thesen nur um ein Zwischenergebnis handelt und weitere theologische Konsensgespräche folgen müssen (Präambel). Wie die Unionsurkunde verweisen die Thesen auf Jesus Christus als Stifter und Begründer des Abendmahls (These 1.1); er selbst, nicht die Gemeinde, ist der Einladende und gibt im Abendmahl „jetzt schon Anteil an der zukünftigen Gemeinschaft im Reiche Gottes“ (These 1.2). Das Abendmahl besitzt also einen sehr deutlich eschatologischen Akzent. Darauf folgt eine These zur Sakramententheologie (These 2), welche aber in den Kontext der Ekklesiologie eingebunden ist. Jesus Christus handelt „unter dem, was Kirche tut“ (These 2.1.) an der Welt. Und das Abendmahl ist wie Predigt, Taufe und Buße ein Medium, mit dessen Hilfe der Zuspruch des Evangeliums geschieht.

Das Abendmahl gehört in den Gottesdienst (These 3.1.), es ist verbunden mit der „Verkündigung des Heilstodes Jesu“ (These 3.2.), die in der Predigt geschieht. Es besitzt drei Zeitdimensionen: Es erinnert an den Tod Christi, es ist ein Bekenntnis zum auferstandenen Christus und es ist ein Zeichen der Erwartung des kommenden Herrn (These 3.4.). Über die Art und Weise der Gegenwart Christi spricht These 4: „Er (…) läßt sich in seinem für alle in den Tod gegebenen Leib und seinem für alle vergossenen Blut durch sein verheißenes Wort mit Brot und Wein von uns nehmen und nimmt uns damit kraft des Heiligen Geistes in den Sieg seiner Herrschaft (…).“ In dieser Formulierung erscheint Christus als der Handelnde. Brot und Wein sind gebunden an das „verheißende“ Wort, das nicht zu Brot und Wein hinzutritt, sondern allererst, also vorher Brot und Wein zu Heilsmitteln macht. Entscheidend ist die Präposition „mit“ (Brot und Wein), denn dadurch wird wiederum wie in der Unionsurkunde deutlich, daß keine metaphysische Verwandlung stattfindet.

Diese zentrale vierte These wird ergänzt durch die folgende These, die eine Reihe von Verwerfungen enthält. Abgelehnt werden die Vorstellung einer Wandlung (Transsubstantiationslehre), eine „Wiederholung“ des Opfers Christi am Kreuz, der „Parallelismus“ von materiellem und geistlichem Essen als getrennten Vorgängen, die Materialisierung oder Spiritualisierung von Brot und Wein. Insgesamt wird das theologische Bemühen deutlich, das Abendmahl als von Jesus Christus gestiftetes Mahl zu verstehen, zweitens seine Einbettung in das liturgische Geschehen des Gottesdienstes zu betonen und drittens alle verengenden Interpretationen der Gegenwart Christi in Brot und Wein abzulehnen. Insofern lassen sich das faktische Geschehen des Austeilens von Brot und Wein und das geistliche Geschehen der Präsenz Christi in der Abendmahlsfeier, konkret in Brot und Wein, nicht auseinanderreißen und trennen.

Jesus Christus stiftet nicht nur das Abendmahl, sondern genau darin stiftet er auch die Kirche als die Gemeinschaft von Brüdern und Schwestern, die an der neuen Schöpfung (These 6.1.) Anteil haben werden. Das Abendmahl ist das eschatologische Vor-Zeichen dieser neuen Schöpfung (These 6.3. und 7.1.). Gottes Reich und neue Schöpfung sind noch nicht gegenwärtig. Das Abendmahl wappnet dagegen, die „Wirklichkeit dieser Welt“ (These 7.1.) als letzte Welt anzusehen. Diese Welt steht noch unter dem Zeichen der Verborgenheit des Kreuzes. Das Abendmahl wird aufgefaßt als eine Stärkung in dem Kampf (These 7.1.), der gegenwärtig stattfindet.

Die Teilnahme wird nicht so sehr nach der Würdigkeit beurteilt (These 8.1.), sondern sie lebt aus der Gewißheit der Verheißungen, die Jesus Christus gegeben hat. Wer am Abendmahl teilnimmt, ohne daran zu glauben, wird mit Gottes Wort gewarnt (These 8.2.). Aber die Vergebung ist allen Gliedern der Gemeinde zugesagt (These 8.3.).

Fünf Jahre nach der ersten Veröffentlichung haben die Verfasser der Abendmahlsthesen eine Reihe von zusätzlichen Erläuterungen gegeben. Sie betonen nochmals die Stiftung des Abendmahls durch Jesus von Nazareth. Abgelehnt wird der Versuch, das Abendmahl als „kulturgeschichtliches Produkt der Gemeinde“ (Erläuterung These 1.1) zu verstehen. Wichtig erscheint den Verfassern, daß Brot und Wein vor der Austeilung nach dem exegetischen Befund nicht eines besonderen „Konsekrationsakt[es]“ (Erläuterung These 3.3.) bedürfen. Außerdem wird über die Art und Weise, wie Leib und Blut in Brot und Wein gegenwärtig ist, nicht spekuliert, „mit Rücksicht auf die Vielfalt des neutestamentlichen Zeugnisses“ (Erläuterung These 4). Im Blick auf die manducatio impiorum, die nicht eindeutig hervorgehoben worden war, heißt es in der Erläuterung zu These 8: „Die Unterzeichner sind darin einig, daß im Abendmahl Jesus Christus sich selbst vorbehaltlos allen, die Brot und Wein empfangen, gibt, den Glauben-den zum Heil, den Verächtern zum Gericht.“

Daraus kann man eine Reihe von Besonderheiten der Arnoldshainer Thesen ableiten. Erstens wird durchgängig das Handeln Christi als Stifter und Geber betont. Es handelt sich im engeren Sinne um eine christologische Interpretation des Abendmahls. Dieses wird, das ist eine zweite Besonderheit, den anderen Sakramenten und der Verkündigung bzw. der Predigt gleichgeordnet. Abendmahl ist Bestandteil einer Gesamtbewegung, die durch den Zuspruch des Evangeliums charakterisiert werden kann. Auch das erscheint von Bedeutung. Und, hier sehe ich eine leichte Favorisierung der lutherischen Position, die Gegenwart Christi wird zentral in Brot und Wein festgemacht, ohne daß über die Art und Weise dieser Präsenz philosophisch oder theologisch spekuliert wird. Diesen lutherischen Akzent sehe ich auch im Festhalten an der manducatio impiorum, die dann in den Erläuterungen festgeschrieben wird. Der Ausgleich zwischen lutherischen und reformierter Position findet sich in dem Bemühen, für die gottesdienstliche Feier des Abendmahls nur das als Konsens verbindlich zu machen, was im Neuen Testament gut belegt ist.

Liest man die Arnoldshainer Thesen im Blick auf die Badische Unionsurkunde, so fällt ebenfalls das Arnoldshainer Interesse am Akt der Stiftung des Abendmahls auf. Die Frage nach der Würdigkeit der Teilnehmenden und ihrer Vorbereitung tritt dagegen zurück. Mit diesen Erläuterungen schaffen die Arnoldshainer Thesen ein wichtiges Zwischenglied, das die Unionstheologien des 19.Jahrhunderts und die ökumenischen Konkordienbemühungen des 20.Jahrhunderts miteinander verbindet.

3.3.    Die Leuenberger Konkordie

Die Leuenberger Konkordie von 1973[6] hat die Mehrzahl der evangelischen Kirchen in Europa unterzeichnet. In ihr, einer Konsenserklärung für die noch unterschiedlichen Bekenntnisse evangelischer Kirchen, die selbst kein Bekenntnis ist, finden sich auch wichtige Ausführungen über das Abendmahl, die an die Arnoldshainer Abendmahlsthesen anschließen.

Ausgangspunkt der Konkordie ist der Rekurs auf Art. 7 der Augsburger Konfession[7], in dem ja schon von der rechten Verwaltung der Sakramente die Rede ist. Die Verkündigung des Evangeliums und die Verwaltung der Sakramente werden als hinreichende Bedingungen für das Kirche- Sein verstanden. Die Konkordie will ausdrücklich bestimmte Kontroversen, die in der Frühzeit der Reformation aufgebrochen sind, in ihrem kirchentrennenden Charakter überwinden. Auf den Punkt gebracht, erkennt die Konkordie die damaligen Kontroversen an, interpretiert sie aber neu hinsichtlich ihres kirchentrennenden Charakters.

Was das Abendmahl angeht, so versteht sie wie die Arnoldshainer Thesen Abendmahl, Taufe und Predigt als Formen der Verkündigung des Evangeliums.[8] Dann heißt es: „Im Abendmahl schenkt sich der auferstandene Jesus Christus in seinem für alle dahingegebenen Leib und Blut durch sein verheißendes Wort mit Brot und Wein.“[9] Das bedeutet für die Glaubenden Sündenvergebung, neues Leben aus dem Glauben, Gliedsein am Leib Christi und zuletzt der „Dienst an den Menschen“. Wie in den Arnoldshainer Thesen wird das Abendmahl zeitlich entfaltet in die Vergangenheit des Kreuzestodes Christi, in die geglaubte Gegenwart des Auferstandenen und eschatologisch in die Erwartung seiner Wiederkunft.

Auch in den Erläuterungen von Leuenberg wird an der manducatio impiorum festgehalten: „(…) der Glaube empfängt das Mahl zum Heil, der Unglaube zum Gericht.“[10] Danach bekräftigt die Konkordie auf der einen Seite die strikte Verknüpfung zwischen Brot und Leib, Wein und Blut. Aber auf eine metaphysische und eine theologische Erklärung wird ausdrücklich verzichtet: „Ein Interesse an der Art der Gegenwart Christi im Abendmahl, das von dieser Handlung absieht, läuft Gefahr, den Sinn des Abendmahls zu verdunkeln.“[11] Das Nachdenken über die Art und Weise, wie Christus in Brot und Wein präsent ist, wird nicht verboten, aber der Text verweist eingedenk der Schärfe vergangener Auseinandersetzungen deutlich auf die Gefahren solcher Überlegungen hin.

Ansonsten gibt die Konkordie über das Abendmahl keine weiteren Auskünfte, was sich dadurch erklärt, daß sie sich auf die für einen Konsens notwendigen Elemente beschränkt und im Übrigen davor warnt, die theologischen, liturgischen und praktischen Unterschiede aufzubauschen. Zwischen den Arnoldshainer Abendmahlsthesen und den Abendmahlspassagen der Konkordie besteht eine enge Verwandtschaft, und diese Verwandtschaft reicht zurück bis zur Badischen Unionsurkunde, was ein Vergleich der zitierten Passsagen[12] über die Gegenwart Jesu Christi im Abendmahl zeigt:

  • Badische Union 1821: „Mit Brot und Wein empfangen wir den Leib und das Blut Christi zur Vereinigung mit ihm unserm Herrn und Heiland nach 1. Kor. 10, V. 16. »Das Brot, das wir brechen, ist die Gemeinschaft usw.«“
  • Arnoldshainer Abendmahlsthesen 1957: „Er (…) läßt sich in seinem für alle in den Tod gegebenen Leib und seinem für alle vergossenen Blut durch sein verheißenes Wort mit Brot und Wein von uns nehmen und nimmt uns damit kraft des Heiligen Geistes in den Sieg seiner Herrschaft (…).“
  • Leuenberger Konkordie 1973: „Im Abendmahl schenkt sich der auferstandene Jesus Christus in seinem für allen dahingegebenen Leib und Blut durch sein verheißendes Wort mit Brot und Wein.“

Gemeinsam ist allen drei Dokumenten die Formel „mit Brot und Wein“. Gemeinsam ist ihnen daneben auch ein christologisches Gefälle, das seinen Anfang nimmt bei Jesus von Nazareth als dem Stifter des Abendmahls. Er handelt in Kreuz und Auferstehung stellvertretend für die Glaubenden und gibt sich für sie hin. Dieses ist gebunden an Jesu Verheißung (Leuenberg und Arnoldshain), also gebunden an ein besonderes Wort der Verkündigung, die das Mahl erst zum Abendmahl und Brot und Wein erst zu besonderen Zeichen macht. Die Arnoldshainer Thesen verstärken das durch die passivische Formulierung, daß Jesus Christus sich „von uns nehmen“ läßt, was in der Leuenberger Konkordie durch das aktivische „schenkt sich der auferstandene Jesus Christus“ ersetzt wird.

Wenn sich dieses als der europäische abendmahlstheologische Konsens der protestantischen Kirchen festhalten läßt, dann ist zu fragen, ob man hinter diesen Konsens so zurückgehen kann, daß man weiter konfessionelle lutherische oder reformierte Positionen entwickelt und dann fragt, ob sie mit Leuenberg und Arnoldshain noch übereinstimmen. In dieser Perspektive wird das konfessionelle Moment bewahrt und wieder gestärkt und die Stärke der Leuenberger Konsensformulierung geschwächt. Oder man könnte, das wäre eine Alternative, die konfessionelle Position zurückstellen und Leuenberg und/oder Arnoldshain zum Ausgangspunkt einer neuen, ökumenisch offenen Abendmahlstheologie nehmen. Die Alternative lautet offensichtlich: Bewahrung des Konfessionellen unter dem Leuenberger Schutzschild und innerhalb der durch ihn gesetzten Grenzen oder ökumenische Weiterentwicklung des Leuenberger Konsenses. Die zweite Alternative soll hier weiter verfolgt werden.

Kurz ist noch einzugehen auf die Weiterentwicklung der Leuenberger Erklärung, die ihren Niederschlag in einem theologischen Dokument, das im Gefolge der Erklärung publiziert wurde, allerdings nicht mit Anspruch einer Konkordie oder Bekenntnisschrift[13]. Die Hinweise dieser Schrift zielen darauf, Aspekte des aktuellen Abendmahlsverständnisses (Gemeinschaftsmahl, eschatologisches Freudenmahl) mit den traditionellen Elementen (Sündenvergebung, Beichte) in Verbindung zu bringen. Dies wird gelöst, indem man sich auf eine trinitarische Interpretation des Abendmahls einigt, die Elemente der Zuwendung Jesu Christi, der väterlichen und schöpferischen Liebe Gottes sowie der Gemeinschaft des Heiligen Geistes miteinander verknüpft.[14] Das zielt insgesamt auf eine vorsichtige, positive Rezeption des Lima-Papieres, das im folgenden Abschnitt behandelt wird. Dieses ist ein Schritt auf dem Weg zu dem, was das Papier „eucharistische Gastbereitschaft“ zwischen den Kirchen nennt. Diese Forderung wird nicht innerevangelisch-europäisch, sondern ökumenisch gestellt, im Sinne eines nächsten Schrittes nach der innerevangelischen Einigung im Leuenberg-Papier.

Eucharistische Gastbereitschaft zwischen evangelischen, orthodoxen und katholischer Kirche scheint jedoch kirchenamtlich in weiter Ferne zu liegen.[15] Die neuere ökumenische Forschung hat allerdings herausgearbeitet, daß die Gründe dafür nicht in Kontroversen über die Abendmahlstheologie, sondern im Zusammenhang zwischen „Kirchengemeinschaft und Eucharistiegemeinschaft“[16] sowie dem Amtsverständnis liegen. Das Abendmahl selbst wird theologisch so verstanden, daß offensichtlich auch die alten kontroverstheologischen Themen, die noch aus der Reformationszeit herrühren, wenn nicht überwunden, so doch mindestens ausgeglichen sind: „In der ökumenischen Theologie wird weithin der Aussage zugestimmt, daß eine Verständigung über alle inhaltlichen Fragen der Eucharistielehre auf der Basis einer gemeinsamen Auslegung der biblischen Schriften und in Achtung der verbindlichen Grundlagen der konfessionellen Theologien heute möglich ist.“[17] Das theologische Gespräch scheint an diesem Punkt dem ökumenischen Gespräch der kirchlichen Amtsträger voraus zu sein.

Dieses letzte gilt für den evangelisch-katholischen Dialog. Bei anderen Kirchen wie den orthodoxen Kirchen[18] und den Baptisten[19] ist das differenziert zu beurteilen.

3.4.    Taufe, Eucharistie und Amt (Lima-Papier)

Das so genannte Lima-Papier[20] der Kommission für Glaube und Kirchenverfassung aus dem Jahr 1982 behandelt neben dem Abendmahl auch andere Themen wie Taufe oder Amt. Aber an zentraler Stelle stehen ökumenische Reflexionen über das Abendmahl, für das auch der Vorschlag einer gemeinsamen Liturgie vorgelegt wird[21]. Diese Abendmahlsthesen haben in der ökumenischen Diskussion am meisten Wirkung gezeigt.

Auch das Lima-Papier betont die Stiftung des Abendmahls durch Jesus Christus selbst: „Christus gebot so seinen Jüngern, als dem fortdauernden Volk Gottes, bis zu seiner Wiederkehr sich seiner zu erinnern und ihm in diesem sakramentalen Mahl zu begegnen.“[22] Im Gegensatz zu den bisher behandelten evangelischen Dokumenten fehlt bei Lima am Anfang eine Reflexion über die Gegenwart Christi in Brot und Wein. Statt dessen heißt es: „Im eucharistischen Mahl, im Essen und Trinken des Brotes und des Weines gewährt Christus Gemeinschaft mit sich selbst. Gott selbst handelt, indem er dem Leib Christi Leben schenkt und jedes Glied erneuert.“[23] Auf diese Art und Weise der Gegenwart Christi ist gleich zurückzukommen. Danach reflektiert das Dokument eine Reihe von theologischen Aspekten des Abendmahls: die Danksagung an den Vater, die Erinnerung an den Gekreuzigten, die Gegenwart des Heiligen Geistes, die Gemeinschaft der Gläubigen und der eschatologische Vorgriff auf Gottes Reich.

Für evangelische Ohren ist der als Erinnerung präsentierte Opfergedanke immer noch auffällig: „Die Eucharistie ist das Gedächtnis (Memorial) des gekreuzigten und auferstandenen Christus, d.h. das lebendige und wirksame Zeichen seines Opfers, das ein für allemal am Kreuz vollbracht wurde und das weiterhin für alle Menschheit wirksam ist.“[24] Dabei hält das Lima-Papier an der Einmaligkeit von Leiden, Kreuz und Auferstehung Christi fest. Sie wird im Abendmahl erinnert, nicht wiederholt. Insofern fordert man die Kirchen auf, sich theologische Gedanken über die Opfertheologie zu machen.

Später kommt das Dokument ein zweites Mal auf die Gegenwart Christi in der Abendmahlsfeier zu sprechen. Nun heißt es: „(…) die Art der Gegenwart Christi in der Eucharistie ist einzigartig. Obwohl Christi wirkliche Gegenwart in der Eucharistie nicht vom Glauben der einzelnen abhängt, stimmen jedoch alle darin überein, daß Glaube erforderlich ist, um Leib und Blut Christi unterscheiden zu können.“ Diese Behauptung, die über Leuenberg hinausgeht, wird dann in einem Kommentar so erläutert: „Unter den Zeichen von Brot und Wein ist die tiefste Wirklichkeit das ganze Sein Christi, der zu uns kommt, um uns zu speisen und unser gesamtes Sein zu verwandeln. Einige andere Kirchen bejahen zwar eine wirkliche Gegenwart Christi bei der Eucharistie, doch sie verbinden diese Gegenwart nicht so bestimmt mit den Zeichen von Brot und Wein. Den Kirchen ist die Entscheidung überlassen, ob dieser Unterschied innerhalb der im Text selbst formulierten Konvergenz Raum finden kann.“[25] Damit ist allerdings erst der bestehende ökumenische Dissens formuliert. Der eigentliche Beitrag des Lima-Papiers zur Theologie des Abendmahls besteht in der Betonung seiner pneumatologischen Dimension. Die Gegenwart Christi in Brot und Wein erklärt sich durch die Gegenwart des Heiligen Geist, der in der Liturgie im Gebet der Epiklese angerufen wird. [26] Im Dokument heißt es: „Es besteht eine wesenhafte Verbindung zwischen den Einsetzungsworten, der Verheißung Christi, und der Epiklese des Heiligen Geistes, in der Liturgie.“[27]

Damit wird ein bestimmtes Verständnis der Konsekration der Elemente festgelegt: „Kraft des lebendigen Wortes Christi und durch die Macht des Heiligen Geistes werden Brot und Wein die sakramentalen Zeichen des Leibes und Blutes Christi. Sie bleiben dies für den Zweck der Kommunion.“[28] In der Leuenberger Konkordie und in den Arnoldshainer Thesen wird dieser pneumatologische Aspekt nicht angesprochen oder auch nur angedeutet.

Was das Lima-Dokument über das Abendmahl und das Reich Gottes sowie über die Solidarität und Nächstenliebe der Glaubenden für andere sagt, das findet sich cum grano salis ähnlich auch in den evangelisch-ökumenischen Dokumenten.

Der Vergleich zwischen Lima, Leuenberg und Arnoldshain zeigt im Lima-Dokument eine deutlich größere Offenheit für die Realpräsenz Christi in Brot und Wein, für den Opfergedanken und für die pneumatologische Dimension des Abendmahls. Daran mag es liegen, daß sich die Lima-Liturgie im evangelischen Raum nie so richtig durchsetzen konnte.

Daraus ergibt sich nach diesem Blick auf vier Konsensdokumente zum Abendmahl ein paradoxer Befund. Die innerevangelische Ökumene scheint in der Präposition „mit“ gegeben zu sein. Sie konstituiert ein für alle evangelischen Bekenntnisse tragbares Verhältnis von Brot und Leib, Wein und Blut. In der weltweiten Ökumene dagegen, also vor allem im Dialog zwischen evangelischen, katholischer und orthodoxen Kirchen spielt die Frage nach der Realpräsenz noch eine sehr viel wichtigere Rolle. An diesem widersprüchlichen Befunden zum Abendmahl in der Ökumene sind nun die Überlegungen systematischer und praktischer Theologen zu messen.

Die protestantische Position der durch die Unionsdokumente präsentierten Linie schließt durchaus an die Fragen an, die durch die Positionen Calassos und Striets aufgeworfen wurden. Diese Überlegungen lassen sich theologisch weiter entwickeln, was in den folgenden Abschnitten weiter geschehen soll.

-> 4. Theologie des Abendmahls

Anmerkungen


[1]    Vögele, Bekenntnisschriften, Bd. 1, Anm. 29, 133-140; vgl. dazu ders. (Hg.), Die Bekenntnisschriften der Evangelischen Landeskirche in Baden, Bd.2 Kommentar, Karlsruhe 2014, 53-56.

[2]    Vögele, Bekenntnisschriften, Bd. I, a.a.O., Anm. 29, 141.

[3]    Arnoldshainer Abendmahlsthesen, 1957, http://www.uek-online.de/download/Arnoldshainer_Abendmahlsthesen_1957_1962.pdf. Dieser Text enthält auch die weiter unten angesprochenen Erläuterungen von 1962.

[4]    Vögele, Bekenntnisschriften, Bd. II, a.a.O., Anm. 53, 56ff.

[5]    Dazu s.u. Abschnitt 4.2.1..

[6]    Vögele, Bekenntnisschriften, Bd. I, a.a.O., Anm. 29, 151-162. Zur Erläuterung ders., Bekenntnisschriften, Bd. II 2, a.a.O., Anm. 53, 59-62 sowie ders., Übereinstimmung im Evangelium und Kirchengemeinschaft. Die Leuenberger Konkordie von 1973, Karlsruhe 2013, https://wolfgangvoegele.files.wordpress.com/2016/02/die-leuenberger-konkordie-von-1973.pdf.

[7]    Vögele, Bekenntnisschriften, Bd. I, a.a.O., Anm. 29, 153.

[8]    A.a.O., 156.

[9]    Ebd.

[10]   A.a.O., 157.

[11]   Ebd.

[12]   Die Hervorhebungen in den folgenden drei Zitaten stammen vom Verfasser und sind in den ursprünglichen Dokumenten nicht enthalten.

[13]   Wilhelm Hüffmeier (Hg.), Sakramente – Amt – Ordination, Leuenberger Texte 2, Frankfurt/M. o.J. (1995). Dieser Text ist leider nicht paginiert und kann darum hier nur summarisch zitiert werden.

[14]   Dazu auch Eckhard Lessing, Abendmahl, Ökumenische Studienhefte 1, Göttingen 1993, 130, im Anschluß an das Lima Dokument: „Gemeinsame theologische Aussagen können am deutlichsten im Rahmen der Trinitätslehre gemacht werden. Sie bildet soz. das Ordnungssystem, in das biblische Einsichten ebenso integriert werden können wie unterschiedliche konfessionelle Traditionen. Die Trinitätslehre bietet zwar nicht automatisch die Lösung für konfessionelle Kontroverspunkte. Sie relativiert aber ihre Bedeutung, indem sie sie in den Zusammenhang eines größeren Ganzen stellt.“

[15]   Vgl. dazu unten, Abschnitt 4.4.

[16]   Friederike Nüssel, Dorothea Sattler, Einführung in die ökumenische Theologie, Darmstadt 2008, 75f.

[17]   A.a.O., 77.

[18]   Zum Abendmahlsverständnis der orthodoxen Theologie: Daniel Munteanu, Homo eucharisticus – Die anthropologische und die kosmische Dimension der Eucharistie, International Journal of Orthodox Theology 2, 2011, 188-202.

[19]   Anja Bär, Das Abendmahl feiern. Es ist die Liebe Gottes, die uns erlöst!, Bremen 2012, https://www.baptisten.de/fileadmin/befg/gemeinde/media/dokumente/Bar-Anja.pdf, 6, die attestiert, die baptistische Theologie habe keine Abendmahlstheologie entwickelt, die sich von der der evangelischen Kirche unterscheidet.

[20]   Kommission für Glauben und Kirchenverfassung des Ökumenischen Rates der Kirchen, Taufe, Eucharistie und Amt (Lima -Papier), 1982, http://www.theologische-links.de/downloads/oekumene/Lima-Papier.pdf.

[21]   A.a.O., 17f. und 33-41.

[22]   A.a.O., 12.

[23]   Ebd.

[24]   A.a.O., 13.

[25]   A.a.O., 14.

[26]   A.a.O., 14f.

[27]   A.a.O., in einem Kommentar.

[28]   A.a.O., 15.

Artikelnachweis: https://www.theomag.de/109/wv036_03.htm
© Wolfgang Vögele, 2017