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Magazin für Theologie und Ästhetik


Medienphilosophie(n)

Rezensionen

Andreas Mertin

Inzwischen gibt es eine kaum noch überschaubare, geschweige denn anzueignende Fülle von Literatur zum Thema Medien. Die Bücher über Medienethik, Mediengeschichte, Medienphilosophie füllen Bibliotheken. Aus diesem Angebot sollen im Folgenden zwei neuere Arbeiten herausgegriffen werden, eine Mediengeschichte, die zugleich eine Medienphilosophie ist, und eine Medienphilosophie, die zugleich eine Philosophiegeschichte ist.

Kann man die Geschichte der Medien vom ersten Geräusch des Big Bang bis zu den unendlichen Wucherungen des Internets auf gut 400 Seiten unterhaltsam, packend, anekdotenreich, informativ und erhellend beschreiben? Kann eine komplexe Materie, wie die Abfolge unterschiedlicher Mediensysteme verständlich in ihren Folgerungen und Implikationen für ein breiteres Publikum, das nicht unbedingt ein Fachpublikum ist, beschrieben werden? Und kann ein derartiges Buch vergessen lassen, dass es doch im eigentlichen Sinne in multimedialer Aufmachung - also mindestens mit CD-ROM - präsentiert werden müsste, da es über die Grenzen des Buches hinaus geht? Jochen Hörischs Buch Der Sinn und die Sinne. Eine Geschichte der Medien - als Band 195 in der von Hans Magnus Enzensberger edierten Anderen Bibliothek erschienen - ist ein derartiges rundum gelungenes Werk.

In vier Großabschnitten mit zwölf Kapiteln und einigen Unterbrechungen beschreibt Hörisch die Geschichte wenn nicht der Welt, so doch ihrer medialen Vergegenwärtigung: URSPRÜNGE - IM ZEICHEN DER SCHRIFT - DIESSEITS DER ZEICHEN - S(T)IMULATIONEN.

"Am Anfang" so muss das erste Kapitel natürlich gut theologisch beginnen, um dann johannäisch fortzufahren: "am Anfang war der Sound", nämlich der Big Bang, die erste Differenzierung. Wie aus dem Sound die distinkte Stimme und zunehmend die Stimmenverwirrung wird, erläutert Hörisch im zweiten Kapitel. Dem nächsten frühen Medium der Menschheit - dem Bild - ist das dritte Kapitel gewidmet und damit der komplexen Geschichte von Bildherstellung und Bildbestreitung.

Der Schrift wendet sich das vierte Kapitel zu, den großen Problemen der Schriftaneignung (Wie lernt man lesen?), den ersten Medienkritiken und -kritikern und jenen Schriftmedien, die vor der Erfindung des Buchdrucks Verwendung fanden. Das fünfte Kapitel stellt eben jene Medienrevolution dar, die sich mit dem Namen Gutenberg verbindet. Das Kapitel endet mit der Zitation eines Gedichtes von Robert Gernhardt, das mit den Worten beginnt: Ums Buch ist mir nicht bange. / Das Buch hält sich noch lange. Das sechste Kapitel steht unter der Überschrift "Presse/Post" und beschäftigt sich mit so faszinierenden Dingen wie den ersten Tageszeitungen, dem Kugelschreiber, den Übertragungsmedien, den Briefmarken und der Schreibmaschine.

Zurück zum Bild, genauer zur Photographie, geht es im siebten Kapitel und darin erfährt der Leser die Antwort auf ein altes Problem, das mittels dieses Mediums gelöst wurde: "ob nämlich ein galoppierendes Pferd eine Zeitlang mit allen Beinen in der Luft ist oder eben nicht." Mit der Phono- und Telegraphie kommen wir im achten Kapitel zum zweiten bedeutsamen Medium des 19. Jahrhunderts. Mit dem Film im neunten Kapitel befinden wir uns an der Schwelle zum 20. Jahrhundert, und Hörisch macht uns mit der Geschichte dieses Mediums vertraut, wozu auch so schöne Dinge wie der erste Film der Weltgeschichte (Arbeiter verlassen die Lumière-Werke; 8 Minuten) oder die Panoramen gehören.

Inwiefern das Radio von Anfang an als "staatlicher Rundfunk" eng mit der Politik verknüpft war, zeigt Hörisch im zehnten Kapitel. Dem Fernsehen als erfolgreichem und immer auch verrufenem Medium widmet sich das elfte Kapitel: Fernsehen verblödet lautet der common sense der Kulturkritiker. Höchst interessant noch einmal nachzulesen, wie das Fernsehen vor dem Privatfernsehen kritisch beurteilt wurde. Das zwölfte und letzte Kapitel bleibt dem Computer und dem Internet vorbehalten, der endgültigen Digitalisierung der Welt, die vom hybriden Wunsch angetrieben wird, sein zu wollen wie Gott.

Die jeweiligen Großabschnitte des Buches werden verbunden durch Unterbrechungen, die sich verschiedenen übergreifenden Fragestellungen widmen: so den Mediendefinitionen, den Medien hinter den Medien, den Mediengenealogien und am Ende: den Konversionen. "Am Anfang" so schließt das Buch - und auch das hat seine Logik -, "am Anfang war die Konversion".

Wer nach all dem das Gefühl hat, es handele sich auch um ein theologisches Buch, liegt nicht ganz falsch. Zwar ist Jochen Hörisch Ordinarius für Neuere Germanistik und Medienanalyse an der Universität Mannheim, aber die Beschäftigung mit theologischen Fragen durchzieht sein gesamtes Werk, erinnert sei nur an sein Buch "Brot und Wein - Die Poesie des Abendmahls". Vor allem aber ist diese Geschichte der Medien eine lesenswerte Publikation mit medienphilosophischen Einsichten.


Einen ganz anderen Ansatz verfolgt Frank Hartmann mit seinem 343 Seiten umfassenden Buch "Medienphilosophie". Präziser als dieser vielleicht eher etwas irreführende Titel beschreibt der Klappentext das Werk so: Der Band bietet die Rekonstruktion philosophischer Positionen, die für Medientheorien der Gegenwart relevant sind. Philosophische Theorien von Descartes bis heute werden historisch und systematisch dargestellt, insoweit sie die Medialität von Denken und Kommunikation behandeln. Ausführlich erörtert werden Descartes, Kant, Herder, Humboldt, Mauthner, Peirce, Frege, Neurath, Benjamin, Heidegger, Anders, McLuhan, Debord und Flusser. Hartmann ist Lehrbeauftragter an der Universität Wien (Publizistik) und an der Donau-Universität Krems (Electronic Publishing). In seiner Vorbemerkung schreibt Hartmann zu den Intentionen des Buches: "Die folgenden Erörterungen nehmen ideengeschichtliche Motive von Erkenntnistheorie und Erkenntniskritik auf, um über Sprachphilosophie und Sprachkritik zu den ,Prolegomena' einer medienphilosophischen Theorie zu führen. Ihr Anspruch ist es, die Wurzeln von ,kommunikologischen' Fragestellungen auch mit der Absicht einer gewissen Entzauberung von großen Gedanken aufzuzeigen. Eine theoretische Synthese war nicht beabsichtigt, auch nicht die Zuspitzung der Problematik auf den Lösungsvorschlag einer Schule oder eines einzelnen Theoretikers."

Das Buch ist nachvollziehbar aufgebaut (und zudem auch: gelungen illustriert!), es bietet am Ende fast jedes seiner vierzehn Kapitel jeweils eine Zusammenfassung des zuvor Erarbeiteten, die den Ertrag im Blick auf das Thema "Medien" sichert und den Übergang zu den folgenden Positionen herstellt. Die wesentlichen Positionen der neueren Philosophiegeschichte werden in ihren medientheoretischen Implikationen (aber auch in ihren Irrungen und Wirrungen) vorgestellt. Zielgruppe ist von der Komplexität des Dargestellten her sicher eher ein universitäres Publikum, dem so in komprimierter Form ein Stück Philosophiegeschichte geboten wird. In diesem Sinne kann das Buch für die wissenschaftliche Lektüre als gewinnbringend empfohlen werden.

[Vgl. auch: Detlev Schöttker (Hg.), Von der Stimme zum Internet; rezensiert in: https://www.theomag.de/7/am16.htm].


© Andreas Mertin 2001
Magazin für Theologie und Ästhetik 11/2001
https://www.theomag.de/11/am27.htm