Kult(ur)ort Padua
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Antenor oder der mythische Ursprung PaduasEine Story von Helden und VerräternAndreas Mertin Der Mythos AntenorPadua beruft sich in seiner mythischen Selbstbeschreibung auf einen der Beteiligten am Trojanischen Krieg, der nach dem Fall der Stadt nach Italien gekommen sei und mit den Venetern Padua gegründet haben soll. Datiert man Trojas Fall auf die Zeit um 1200 vor Christus, dann wäre Padua einige Jahre danach, genauer 1184 v.Chr. gegründet worden und wäre damit deutlich älter als die Stadt Rom, die nach ihrer eigenen Gründungssage am 21. April 753 vor Christus von Romulus gegründet wurde. Wirklich belegt ist aber eigentlich nur ein Fischerdorf im 4. Jahrhundert vor Christus. Erst nach 215 v.Chr. entwickelte sich Padua zu einer bedeutenden Handelsstadt. Aber Gründungssagen wollen ja nur einen Anspruch artikulieren und eine Richtung vorgeben. Und in diesem Fall ist es der trojanische Held Antenor, der als Bezugsgröße dient. Jacob Burckhardt schreibt in seiner Griechischen Kulturgeschichte dazu etwas süffisant:
Und die römische Tradition ordnet u.a. Padua und Venedig dem Trojaner Antenor zu.
Diese Zusammenfassung aus dem Wörterbuch der Mythologie zeigt ganz gut die Entwicklungsgeschichte der Erzählung von Antenor. Am Anfang, sprich bei Homer, ist er eine Art diplomatischer Held, Vermittler zwischen den Fronten und Mäßiger der Hitzköpfe seines Volkes. Man kann über seine Aktivitäten nur des Lobes voll sein, mit ihm hätte es keinen trojanischen Krieg gegeben. Erst in den späteren Erzählungen bekommt er einen ambivalenten bis negativen Charakter. Das mag auch daran liegen, dass es für nationalistisch Denkende schwer erträglich ist, wenn ein Held nicht nur das Wohl des eigenen Volkes, sondern auch der Anderen im Blick behält. Also wird Antenor zur zwielichtigen Gestalt, am Anfang nur etwas, später immer mehr. Die römische Überlieferung, soweit sie etwa bei Vergil in der Aeneis ablesbar ist, beschreibt nur, dass er Troja glücklich verlassen konnte und nach Norditalien gelangte, wo er Patavium, also Padua gründete. Konkret wird das in der Aeneis des Vergil (70 19 v. Chr.) so beschrieben:
Diese Sicht wird dann von zwei Quellen konterkariert, die sich zwar als zeitgenössische ausgeben, in Wirklichkeit aber wohl eher im 2. und 4. Jahrhundert nach Christus entstanden sind und die Überlieferung stark geprägt haben. Die Darstellung des Dares Phrygius aus trojanischer Sicht und des Dicrys Cretensis aus griechischer Sicht. Beide stellen Antenor negativ als Verräter dar. Aber auch in Italien selbst wird Antenor zur kritisch beurteilten Gestalt. In Dantes Göttlicher Komödie taucht Antenor im engsten Kreis der Gemarterten rund um Luzifer auf. Dante nennt im Inferno die zweite Abteilung des neunten und letzten Höllenkreises, Antenors Grube. Dieser Kreis ist den Verrätern zugedacht und die spezielle Abteilung den politischen Verrätern. Näher als dieser kann man Luzifer kaum kommen. Auf einem anonymen Stich aus dem Jahr 1460 sieht man Luzifer, wie er Antenor gegen sein Gemächt presst. Antenor wird hier entsprechend der späteren Tradition als Verräter seiner Heimatstadt charakterisiert. Spekuliert wird, dass es Dante nicht ertragen konnte, dass es in der Aeneis zwei positive Charaktere gibt, von denen Dante einen zum Gründungsvater der römischen Kultur aufwertet und - um eine Heldenkonkurrenz zu vermeiden den anderen stark abwertet. Dann hätte die Herabsetzung des Antenor politische Motive:
Die mittelalterliche Fortsetzung der StoryAll das hat der ungebrochenen Berufung der Stadt Padua auf ihren mythischen Gründer keinen Abbruch getan. Wer heute durch Padua geht, stößt auf der Piazza Antenore auf einen mittelalterlichen Schrein, der der Legende nach, die Überreste des mythischen Helden enthalten soll.[5] Wie ist es zu diesem Schrein gekommen? 1274 wurde bei der Errichtung eines Findelhauses ein Grab mit zwei Zypressen und Bleisärgen gefunden, der menschliche Überreste mit einem Schwert und zwei Töpfen Goldmünzen enthielt. Lovato Lovati, ein prähumanistischer Dichter und Gelehrter schrieb die Überreste dem trojanischen Helden zu. Um das Renommee der Stadt zu fördern, beschlossen die Stadtoberen, sich dieser These anzuschließen. 1283 wird daher beschlossen, dem mythischen Gründer ein Denkmal zu errichten, das in die Wand einer heute nicht mehr existenten Kirche integriert wurde. 1985 wurde das Grabmal geöffnet, um die menschlichen Überreste einer wissenschaftlichen Untersuchung zu unterziehen. Dabei stellte sich heraus, dass die Gebeine einem ungarischen Krieger gehörten, der während der Invasionen des 9. Jahrhunderts in Padua gestorben sein musste. Andere meinen jedoch, die Knochen ins 2. oder 3. Jahrhundert datieren zu können. In keinem Fall stammen sie von Antenor selbst. Das zerstört freilich seinen Mythos in einer an Berührungsreliquien gewöhnten Welt nicht. Und so steht weiterhin auf der Piazza Antenore das steinerne Monument des mythischen Helden. -> Hier geht es weiter zur Basilika des Hl. Antonius Anmerkungen[1] Jacob Burckhardt: Griechische Kulturgeschichte. Gesammelte Werke Band 5, S. 27. [2] Antenor. Wörterbuch der Mythologie, S. 50 [3] Vergil: Aeneis. Vergil-Werke, S. 146-147. [4] Leeker, Joachim (1991): Zwischen Moral und Politik: Dantes Troja-Bild. In: Deutsches Dante-Jahrbuch, H. 1. S. 79. [5] Vgl. zum Folgenden https://it.wikipedia.org/wiki/Tomba_di_Antenore |
Artikelnachweis: https://www.theomag.de/133/am735a.htm |