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Die Heimsuchung in der KunstAndreas Mertin Die Quellen
Zentrale Quelle (Lukas 1, 39-45)
Protoevangelium des Jakobus (Mitte 2. Jh.), 12. Kapitel
ElisabetDie im Neuen Testament im Lukas-Evangelium erwähnte Elisabet ist eine Verwandte Marias, die mit dem Priester Zacharias verheiratet war. Die Ehe blieb lange ohne Kinder, da Elisabet scheinbar unfruchtbar war. Dann aber prophezeite nach biblischer Überlieferung der Erzengel Gabriel dem Zacharias die Geburt eines Sohnes, den er Johannes nennen solle. Er verlangt ein Zeichen und wird stumm bis zur Geburt seines Kindes. Dies wird dann der Täufer Johannes. KunstgeschichteDie ältesten erhaltenen Darstellungen der Heimsuchung stammen aus dem 6. Jahrhundert. Erst im Spätmittelalter ist die Heimsuchung ein entscheidendes Ereignis im Marienleben und zählt zu den Sieben Freuden Mariens. Die Konstellationen auf den Bildern sind vielfältig. Oft werden die beiden von anderen Frauen, in der Regel Dienstmägden begleitet, manchmal sieht man aber auch nur Zacharias neben ihnen auf den Bildern. Darüber hinaus gibt es Darstellungen mit sehr vielen Menschen im dörflichen Ambiente. Eine (freilich etwas willkürliche) Zusammenstellung findet sich auf den Wikimedia Commons. Zu den verschiedenen Darstellungstypen zählen:
Mögliche Fragen vor konkreten Kunstwerken
540 - Parenzo, Basilika S. Euphrasiana, Apsismosaik
Im Altarraum der Kirche finden wir neben einer Verkündigung an Maria auch eine Darstellung der Heimsuchung. Die überproportional groß dargestellten Figuren der Maria und Elisabet tragen jeweils ein Priestergewand der Zeit mit einem Umhang aus Bändern. Hinter der schwangeren Elisabet ist ein deutlich kleiner dargestelltes christliches Haus zu sehen, dessen Vorhang von einer kleinen Gestalt, vermutlich Zacharias, zur Seite geschoben wird. Man findet in der kommentierenden Literatur auch den Hinweis, dass die kleine Figur eine Dienstmagd sein könnte. Dagegen spricht nicht nur, dass eine einzelne Dienstmagd in diesem Kontext eher unwahrscheinlich ist (normalerweise haben sowohl Maria wie Elisabet Mägde als Begleitung), sondern vor allem, dass die kleine Figur demonstrativ auf ihre Lippen bzw. ihren Mund verweist, also die Stummheit des Zacharias (nach Lk 1, 20ff.) dokumentiert. 1304 - GiottoGiottos Darstellung der Heimsuchung in der Arena-Kapelle in Padua ist in vielerlei Hinsicht beeindruckend. Wir blicken auf eine Konstellation von fünf Figuren, von denen zwei durch ihre Farbgebung herausstechen: Maria und Elisabet. Hinter Maria sehen wir zwei Dienstmägde, von denen eine ein Gastgeschenk für Elisabet über Schulter und Hand trägt: ein makelloses Linnen für die bevorstehende Geburt des Johannes. Hinter Elisabet steht eine Magd im Hauseingang. Wie bei Giotto üblich, bedarf es keiner externer Referenzen, um das ganze Bild zu erfassen. Und dennoch gibt es natürlich Konstellationen, die sich aus der Anordnung vor Ort ergeben: So steht der Heimsuchung in der Scrovegni-Kapelle in Padua, die unter der die Verkündigung empfangenden Maria platziert ist, auf der linken Seite der Verrat des Judas gegenüber. Diese Gegenüberstellung ist nicht zufällig. Einer „bösen“ und verräterischen Männergesellschaft auf der einen Seite kontrastiert die „gute“ und vertrauensvolle Frauengemeinschaft auf der anderen Seite. Auch die fast spiegelbildliche Farbwahl spricht für diese Vermutung. Giotto ist ein früher Meister der Darstellung von Intimität - vgl. die Kuss-Szene von Anna und Joachim in der Kapelle. Das zeigt sich auch in der Gegenüberstellung von jugendlicher Maria und alt gewordener Elisabet. Die faltenreiche Lederhaut der Elisabet kontrastiert dramatisch mit der glatten Haut der Maria und doch stellt sich unmittelbar ein einvernehmliches Verhältnis dar. 1310 - Giotto (Werkstatt)
1393 - Melchior BroederlamDieses Bild hätte schon zum Stichpunkt Verkündigung gepasst, nicht zuletzt, weil es die dort entfaltete Systematik gut (AT = Romanik, NT = Gotik) aufgreift. Hier wird es um die sich unmittelbar anschließende Heimsuchung ergänzt. Diese reduziert sich ganz auf die Begegnung der beiden Frauen, das Haus des Zacharias wird nicht gezeigt, auch dass Maria für den Besuch zu einer Stadt auf dem Berg geeilt ist, wird nicht erkennbar. Elisabet vermittelt wenig von der Freude des Kindes, das in ihrem Bauch hüpft, sie tastet vorsichtig über den Bauch der Maria. Es ist eher eine besinnliche Szene, die hier präsentiert wird. Das Geschehen wird in eine steile Landschaft eingebettet, die die Farbigkeit der Kleider besonders hervorstechen lässt. Vom Maler Melchior Broederlam ist wenig bekannt, eigentlich ist er kunstgeschichtlich bedeutsam nur durch die hier betrachtete Altartafel. Aber er wird wirksam nicht zuletzt dadurch, dass andere Künstler wie Jan van Eyck auf seiner Malweise aufbauen. 1486 - Ghirlandaio
In Wirklichkeit ist die biblische Erzählung von der Heimsuchung aber nur der formale Anlass, eine ganz andere Geschichte als die der Heimsuchung zu erzählen, denn im eigentlichen Zentrum des Bildes stehen weder Maria noch Elisabet, sondern jene junge Frau, die wir als dritte von rechts auf dem Bild erblicken. Giovanna Tornabuoni, zum Zeitpunkt der Erstellung des Bildes bereits verstorbene Florentiner Bankiersgattin, wird hier als Medium genutzt, um die Stellung ihrer Familie im Florenz der damaligen Zeit zu festigen. Maria Merseburger ist 2016 in ihrer detaillierten und verdienstvollen Dissertation (178 MB) dieser wie ich finde überaus spannenden Konstellation nachgegangen. So wird die biblische Erzählung von der Heimsuchung zum Träger einer florentinischen Gesellschaftsstory. 1528 - Jacopo PontormoPontormos bewegtes Bild von der Heimsuchung der Maria aus dem Jahr 1528 hat bis ins späte 20. Jahrhundert die Künstler herausgefordert. Berühmt ist vor allem Bill Violas Umsetzung des Gemäldes in ein Video: The Greeting. 1588 - Tintoretto
Bereits 1550 hatte Tintoretto dasselbe Sujet gestaltet, damals im Hochformat und mit zwei zusätzlichen weiblichen Bediensteten. Damals hatte er die Szene in eine Ruinenlandschaft eingebettet, die auf die mit der Ankunft Jesu untergehende alte Ordnung anspielen sollte. Ab 1400 - Die ungeborenen Kinder (foetus type)
Dieser Vers aus dem Lukasevangelium stellt für die spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Künstler ein Problem dar. Wie setzt man das freudige Hüpfen eines Fötus in einem Bild um, wenn man das Kind doch eigentlich gar nicht sehen kann? Und wie macht man es angemessen biologisch wie moralisch?
1410 - Utrecht Museum CatharijneconventDieses frühe Bild der Heimsuchung mit den hier zumindest angedeuteten ungeborenen Kindern wird als westfälische oder mittelrheinische Kunst eingeschätzt. Hier muss man noch nicht davon ausgehen, dass an eine naturalistische Darstellung gedacht ist, eher emblematisch tauchen Jesus und Johannes hier auf. Das Geschehen rundherum ist aber mit einem starken Interesse an der Natur dargestellt, Pflanzen, diverse Vögel und ein Hund sind auf der Tafel zu entdecken. 1445 - Konrad Witz, (Detail)
Gezeigt wird Gottvater auf seinem Thron, wie er seinen Sohn, Jesus Christus, zur Erde herabschickt, damit er die Menschheit erlöse. Gott verweist dabei auf die leeren Seiten eines Buches, welches die Evangelien der Bibel symbolisieren dürfte, und das noch durch die Berichte von Christi Erdenleben gefüllt werden muss. Rechts davon erblickt man die Heimsuchung, die Begegnung zwischen der Gottesmutter Maria und ihrer bereits betagten Cousine Elisabeth; beide sind schwanger, Maria mit Christus, Elisabeth mit Johannes dem Täufer. Damit beginnt die menschliche Existenz Gottes, die sich auf dem rechten Altarflügel in der Geburt Christi fortsetzte. 1460 - Kremsmünster
Wir werden nun also mehr oder weniger direkt nicht nur auf die Schwangerschaft der beiden Frauen aufmerksam gemacht, sondern sehen explizit auch noch eine Darstellung der beiden ungeborenen Kinder. Zum einen dient das der Klärung der unterschiedlichen Bedeutung beider Ungeborenen: Jesus ist wesentlich bedeutender als Johannes, was sich an der jeweiligen Gestik zeigt (Anbetung vs. Segen), zum anderen soll das im biblischen Text Beschriebene auch visuell zum Ausdruck kommen: die Freude des ungeborenen Johannes über die Begegnung seiner Mutter mit der mit Jesus schwangeren Maria. Wie hier auf dem Heimsuchungsbild aus dem Stift Kremsmünster aus dem Jahr 1460 thront Jesus auf diesen Bildern schon als Pantokrator ante portas, während Johannes sich kniend in eine Haltung der Anbetung ergibt. Dargestellt sind beide Frauen auf dem Bild in Kremsmünster als junge Schwangere, was zumindest im Fall der Elisabet der Überlieferung widerspricht. Auch das Alter der Ungeborenen wird angeglichen.
1505 - Jacob und Hans StruebBei Jacob und Hans Strueb finden wir eine Darstellung der ungeborenen Kinder, die eher wie eine (moderne) Applikation auf die Kleidung wirkt, weniger eine Darstellung der Kinder im Bauch der beiden Schwangeren. Wie Symbole gestaltet, machen sie den Betrachter:innen deutlich, worum es bei diesem Ereignis eigentlich geht. 1511 - Marx ReichlichZumindest das Alter der Protagonistinnen stimmt auf diesem Bild von Marx Reichlich aus dem Jahr 1511, das zu einem Marienaltar gehört. Zehn Jahre vorher hatte derselbe Künstler die Heimsuchung noch ohne die ungeborenen Kinder dargestellt. Im vorliegende Fall legt er aber Wert darauf, wenn es auch einer der letzten Belege dafür ist, dass dieses Motiv in der Kunstgeschichte auftaucht.
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Artikelnachweis: https://www.theomag.de/134/am740b.htm |