Josefs Zweifel / Der erste Traum des Josef

Andreas Mertin

Die Quellen
  • Mt 1, 18-25 (80/90 n.Chr.)
  • Proto-Evangelium des Jakobus, Kapitel 14 (150 n. Chr.)
  • Pseudo-Matthäus-Evangelium (600-650 n.Chr.)
Zentrale Quelle (Matthäus 1, 18-25)

Die Geburt Jesu Christi geschah aber so: Als Maria, seine Mutter, dem Josef vertraut war, fand es sich, ehe er sie heimholte, dass sie schwanger war von dem Heiligen Geist. Josef aber, ihr Mann, war fromm und wollte sie nicht in Schande bringen, gedachte aber, sie heimlich zu verlassen. Als er das noch bedachte, siehe, da erschien ihm der Engel des Herrn im Traum und sprach: Josef, du Sohn Davids, fürchte dich nicht, Maria, deine Frau, zu dir zu nehmen; denn was sie empfangen hat, das ist von dem Heiligen Geist. Und sie wird einen Sohn gebären, dem sollst du den Namen Jesus geben, denn er wird sein Volk retten von ihren Sünden. Das ist aber alles geschehen, damit erfüllt würde, was der Herr durch den Propheten gesagt hat, der da spricht (Jesaja 7,14): »Siehe, eine Jungfrau wird schwanger sein und einen Sohn gebären, und sie werden ihm den Namen Immanuel geben«, das heißt übersetzt: Gott mit uns. Als nun Josef vom Schlaf erwachte, tat er, wie ihm der Engel des Herrn befohlen hatte, und nahm seine Frau zu sich. Und er berührte sie nicht, bis sie einen Sohn gebar; und er gab ihm den Namen Jesus.

Proto-Evangelium des Jakobus, Kapitel 14 (150 n. Chr.)

Und es fürchtete sich Joseph sehr, er wurde ruhig ihr gegenüber und überlegte, was er mit ihr tun sollte. Er sagte aber zu sich selbst: "Wenn ich ihre Sünde verberge, werde ich gefunden als einer, der gegen das Gesetz des Herrn kämpft. Und wenn ich sie bloßstelle vor den Söhnen Israels, fürchte ich, dass das in ihr vielleicht etwas Engelhaftes ist und ich werde gefunden als einer, der schuldloses Blut dem Todesgericht ausliefert. Was nun soll ich mit ihr machen? Ich will sie heimlich von mir entlassen." Und als er dieses überlegte, überraschte ihn die Nacht. Und siehe, ein Engel des Herrn erschien ihm im Traum und sagte: "Joseph, Sohn Davids, fürchte dich nicht wegen dem Mädchen, denn was in ihr ist, ist aus dem heiligen Geist. Du sollst seinen Namen Jesus nennen. Denn er selbst wird retten sein Volk von ihren Sünden." Und Joseph stand auf aus seinem Schlaf und lobte den Gott Israels, der ihm diese Gnade erwiesen hat und behütete das Mädchen. 

Pseudo-Matthäus-Evangelium (600-650 n.Chr.)

Und als er daran dachte, sich aufzumachen und zu verbergen und im Verborgenen zu wohnen, siehe, in eben der Nacht erschien ihm im Schlaf auch der Engel des Herrn und sprach: "Joseph, Sohn Davids, fürchte dich nicht! Nimm Maria als deine Gattin an, denn was in ihrem Schoße lebt, ist vom Heiligen Geist. Sie wird aber einen Sohn gebären, und er wird Jesus genannt werden, er selbst wird nämlich sein Volk heil machen von dessen Sünden. Als Joseph nun aufstand vom Schlaf sagte er Gott Dank, und Maria und den Jungfrauen, die um sie waren, erzählte er sein Traumgesicht.

Kunstgeschichte

In der Kunstgeschichte taucht das Motiv mit Josefs Zweifel im 5. Jahrhundert auf, am Anfang oft als Parallelisierung zur Verkündigung an Maria. Nicht immer ist klar, welcher der vier Träume des Josef gerade dargestellt wird. Wenn der Traum im Haus geschieht und/oder Maria als Schwangere im Hintergrund zu sehen ist, handelt es sich um das Motiv von Josefs Zweifel. Vollzieht sich die Szene außerhalb des Hauses, hängt die Zuordnung von weiteren Indizien ab. Nicht immer lässt sich die Deutung zweifelsfrei durchführen.

Mögliche Fragen vor konkreten Kunstwerken
  • Da Josef in der Weihnachtsgeschichte gleich vier Mal träumt bzw. von Engeln im Schlaf kontaktiert wird, ist es wichtig, die verschiedenen Szenen zu kennen und wenn möglich auseinander zu halten. Die erste Frage lautet daher: Welcher der Träume des Josef wird dargestellt?
  • In welchem Alter wird Josef dargestellt?
  • Wie kommt der Zweifel des Josef zum Ausdruck?
  • An welcher Quelle orientiert sich das Bild?

432-40 – Mosaik, Santa Maria Maggiore, Rom

Komplementär zur Verkündigung an Maria (s. die entsprechenden Ausführungen im Abschnitt über die Verkündigung) wird in der Kirche Santa Maria Maggiore in Rom die Verkündigung an Josef gezeigt. Während die eine Adressatin sich notwendig als verschlossen erweisen muss (hortus conclusus), muss der andere Adressat sich notwendig als offen und gastfreundlich erweisen. Das symbolisieren die beiden Häuser rechts und links der zentralen Szene. Das Haus des Josef soll der Maria auch nach Bekanntwerden ihrer Schwangerschaft weiter offenstehen.

Auffällig ist, dass, obwohl alle Quellen betonen, dass es sich um einen nächtlichen Traum des Josef handelt, das Mosaik das Geschehen am helllichten Tag darstellt.

Man könnte das dadurch erklären, dass die drei Engel in der Mitte des Mosaiks in Wirklichkeit nur einen Engel darstellen, der sich von der Verkündigung an Maria zur Verkündigung an Josef umdreht.

Dann würde die Szene Sinn machen.




14. Jahrhundert - Fresko, Griechenland

 

Die Kirche Panagia Kera mit ihrer überreichen Ausschmückung enthält auch ein Fresko zum Traum des Josef. Wir sehen eine Konstellation von drei Handlungsfiguren vor einem byzantinischen Städtehintergrund: auf der rechten Seite die mit einem Nimbus versehene Maria, die in sich versunken mit geschlossenen Augen auf einem byzantinischen Herrscherthron sitzt und ihren Kopf auf die rechte Hand gestützt hat. Auf der linken Seite sitzt ihr zu Füßen Josef, dargestellt als alter, weißbärtiger Mann, der ebenfalls ermüdet seinen Kopf mit halboffenen Augen auf die rechte Hand stützt. Auch Josef trägt einen Nimbus. Dazwischen fährt nun der Erzengel in einem dramatischen Sturzflug vom Himmel in die Szene hinein, den Blick fest auf Josef gerichtet, die rechte Hand zum Segensgestus ausgestreckt.


1410-20 – Französische Schule

Eintausend Jahre später befinden wir uns in einer Genreszene. Dieses Mal schläft Josef nicht, sondern spricht als alter Mann mit Krückstock mit dem Miniatur-Engel, der über ihm schwebt. Neben ihm steht die Werkbank, an der er als Schreiner werkelt. In derselben Stube sehen wir Maria bei ihrer Arbeit, diverse Schachteln um sie herum. Vor ihr steht ein Blumentopf, dessen angedeutete Zinnen auf den hortus conclusus verweisen.

Joseph selbst wird dagegen nicht als Heiliger dargestellt. Während die Ostkirchen Joseph schon sehr früh verehrten, begann sein Kult im Westen frühestens im 6., vielleicht auch erst im 9. Jahrhundert. Und erst Papst Sixtus IV. führte 1479 das Fest des hl. Joseph ein, das dann zu einer Konjunktur von Josephsbildern führte. Und Papst Klemens XI. schrieb 1714 den Festtag dann für die gesamte Kirche vor.


1640 – Georges de La Tour, Traum Josefs

Georges de La Tour (1593-1652) ist als Maler von „Nachtstücken“ berühmt. Seine von Kerzen erleuchteten Bilder erzeugen eine Atmosphäre der Intimität. Die enge Begrenzung auf den handelnden Engel und den schlummernden Josef sorgt dafür, dass man das Sujet des Bildes, sofern kein Bildtitel gegeben ist, nur erraten kann. Diese Szene zwischen einem jungen Mädchen und einem alten Mann kann sich überall und jederzeit abspielen, es ist eine fast alltägliche Situation einer vertrauten familiären Situation. Das macht aber zugleich den außerordentlichen Reiz dieses Bildes aus, dass es das ganz Hohe mit dem ganz Einfachen so selbstverständlich miteinander verbindet.


1642 – Philippe de Champaigne, Der Traum des Joseph

Der flämische Klassizist Philippe de Champaigne (1602-1674) hat mit seinem 210x156 cm großen Bild vom Traum des Joseph eine ganz interessante Konstellation geschaffen.

Links unten liegt der schlafende Josef auf einem schön gedrechselten Stuhl mit einem dicken Ruhekissen, er ist als jugendlicher Handwerker samt seinen Utensilien dargestellt. Josefs Hän­de und Fingernägel sind von der Arbeit verdreckt. Er trägt einen Nimbus.

Über ihm schwebt ein Engel mit wehenden Kleidern, der seinen Blick durchaus interessiert auf den bärtigen jungen Mann gerichtet hat. Mit der linken Hand verweist er in den Himmel, um den göttlichen Ursprung des Geschehens anzudeuten, mit der rechten direkt auf Maria als Medium dieser göttlichen Intervention.

Die nimbusbekrönte Maria hat die Hände über der Brust gekreuzt. Sie hat bis dahin in der Bibel gelesen und blickt nun den Engel etwas erschrocken an.

Philippe de Champaigne hat in dieser Zeit mindestens drei Bilder dieses Sujets geschaffen, darüber hinaus zahlreiche weitere aus dem Umfeld der Szene, also etwa der Verkündigung an Maria. Der konkrete Ort, für den dieses konkrete Bild gedacht war, lässt sich nicht mehr feststellen. Heute befindet es sich in der National Gallery in London.

Zu seiner Arbeitsweise und zur Einordnung in den größeren kunsthistorischen Zusammenhang schreibt Kindlers Malereilexikon:

Philippe de Champaigne ist ein vollendetes Beispiel für die Größe der ersten Generation der Akademiemaler, für die der Klassizismus lebendige Wirklichkeit und eine ergiebige Lehre war, niemals aber kalte und gekünstelte Konvention.


1662 – Francisco Herrera d.J., Josephs Traum

Vom spanischen Maler Francisco Herrera dem Jüngeren (1622-1685) stammt diese wunderbare Darstellung von Josephs Traum, die sich heute im Prado in Madrid befindet. Wieder ist Joseph nicht als alter Mann dargestellt, sondern als eher junger Handwerksmeister. Außerdem verlageert der Künstler die Szene ins Freie. El sueño de san José heißt das 1662 gemalte, 197x210 cm große Bild. Der Prado schreibt dazu:

„Der heilige Josef schläft, als ihm ein Engel erscheint, der auf die Taube des Heiligen Geistes zeigt … Darunter tragen Engel einen Spiegel und Blumen, die auf die Jungfräulichkeit Mariens hinweisen, obwohl sie ein Kind erwartete. Neben dem Heiligen sehen wir einen Korb mit einer Dechsel, einer Strebe und anderen zimmermannstypischen Instrumenten, die zur Identifizierung des Schläfers dienen.

Für die Betrachter:innen wird das Werk selbst zu einer Art nächtlichem Traumbild, nicht klar und deutlich das Geschehen wiedergebend, sondern im Vagen bleibend und deutungsbedürftig.


1665 – Francisco Rizi, Josefs Traum

Die Darstellung von Josefs Zweifel und Josefs Traum durch Francisco Rizi (1614-1685) in hochbarocker Manier ist ziemlich theatralisch aufgebaut und spielt mit dem kunstgeschichtlich bis dahin aufgebauten Symbolreservoir. Der jugendliche, bärtige und mit einem Nimbus versehene Josef ist in einen tiefen Schlaf versunken, auf seinem Schoß liegt ein Stab, aus dem eine Blüte sprosst. Das bezieht sich auf die Erzählung aus Proto-Jakobus, nach der Josef aufgrund eines blühenden Stabs als Gatte Marias ausgewählt wurde. Links oberhalb sehen wir einen femininen Engel, der eine Kerzenleuchte in der linken und eine Lilie in der rechten Hand trägt. Mit dem Zeigefinger der rechten Hand eröffnet der Engel zugleich einen Imaginationsraum rechts oben, der den Inhalt des Traumes von Josef wiedergibt.

Josef träumt, so viel wird deutlich, eine Trinitätsdarstellung, die sich aus dem Dreieck als Symbol für Gottvater, der Taube als Symbol für den Heiligen Geist und dem ungeborenen Jesus in oder vor der Jungfrau Maria als Inkarnation Gottes zusammensetzt.

Maria wird in diesem traumhaften Einschub als kommende Gottesgebärerin (Θεοτόκος Theotókos) dargestellt. Rizi malt das Bild in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts, also beinahe 1500 Jahre nachdem das Christentum diese Fragen zur theologischen Bedeutung der Maria debattiert hat. Und auch seine Zitation des ungeborenen Christus‘ vor der Brust der Maria ist eigentümlich hinter der Zeit zurück. Er zitiert eine bereits untergegangene kunsthistorische Tradition. Aber es sind eben wirklich nur Zitate vergangener Zeiten, während das zentrale Augenmerk auf der Dynamik zwischen dem jugendlichen Schläfer und dem intervenierenden femininen Engel liegt.


1772 – Francisco Goya, Josefs Traum

Francisco Goya (1746-1828) assoziieren wir in der Regel nach seinem späten Werk mit einem schonungslosen Realismus, der die Missstände der Welt aufdeckt und die Kirche und die Herrschenden dabei nicht verschont. In den frühen Arbeiten zeigt sich ein anderer Blick auf die Welt. Gerade in seinen religiösen Bildern ist er manchmal fast schon lieblich. Das vorliegende Bild war Teil einer Bilderserie aus dem Jahr 1772, die Joaquín Cayetano Cavero Ahones y Pueyo de la Sierra (1735-1788), Graf von Sobradiel, in Auftrag gab, um das Oratorium seines Palastes in Saragossa zu schmücken. Von dort kam es dann irgendwann in das Museum Saragossa. Dieses deutet es als Darstellung des zweiten Traumes des hier als mittelalt dargestellten Josef, also als Aufforderung des Engels an Josef, mit seiner jungen Frau und seinem Sohn nach Ägypten zu fliehen.

Ich finde die Deutung nicht zwingend. Insbesondere der blühende Stab am rechten unteren Bildrand bringt die Szene eher mit der Erwählung des Josef als Bräutigam der Maria in Verbindung. Das spricht für eine Situation, in der diese Erwählung durch Josef selbst im Traum infrage gestellt wird. Der Traum / Schlaf der Vernunft entlässt Zweifel könnte man in leichter Abwandlung mit Goya nach seinem berühmten Capricho von 1799 dazu sagen.

Natürlich könnte man die Kargheit der Behausung auf der linken Seite des Bildes auf die spätere Geburtsszene beziehen, zwingend finde ich das angesichts der Möbel auf der rechten Seite nicht. Letztlich kommt es darauf an, was die nur spärlich detaillierte Maria im Bildhintergrund in der Hand hält. Ist es das Kind oder ist es der Stoff des Tempelvorhangs?

-> geht es weiter zur Geburt Jesu

Artikelnachweis: https://www.theomag.de/134/am740c.htm
© Andreas Mertin, 2021