Weihnachten
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Jesu GeburtAndreas Mertin Die Quellen
Jesaja 1,3
Matthäus 1, 25
Lukas 2,6
Proto-Evangelium des Jakobus, Kapitel 14 (150 n. Chr.)
Pseudo-Matthäus-Evangelium (600-650 n.Chr.)
Legenda aurea
Visionen der Hl. Birgitta von Schweden
KunstgeschichteWie man aus den vorstehenden Texten entnehmen kann, wurden aus zwei einfachen Versen in zwei Evangelien mit der Zeit im Rahmen der Legendenbildung und der Allegorese immer komplexere Erzählungen. Faktisch ist es so, dass es so gut wie kein Kunstwerk gibt, dass das Geschehen so schildert, wie es in den Evangelien beschrieben wird. Die Mehrzahl der Bildelemente stammen aus späteren Legendenbildungen bzw. dann ab dem 14. Jahrhundert vor allem aus den Visionen der Birgitta von Schweden. Ihr Visionsbericht dominiert die kunsthistorische Gestaltung bis in das 21. Jahrhundert. Erhaltene Darstellungen der Geburt Christi finden wir seit dem ersten Drittel des 4. Jahrhunderts. Grundsätzlich unterschieden werden:
Zu den Charakteristika der frühen Darstellungen gehören:
Zu den Charakteristika der orientalisch-byzantinischer Darstellungen gehören:
Zu den Charakteristika der abendländischen Darstellungen zählen:
Mögliche Fragen vor konkreten Kunstwerken
Aus der schier unerschöpflichen Zahl der Bilder der Kunstgeschichte zum Thema Christi Geburt kann im folgenden „Bilderbuch“ nur ein sehr kleiner Ausschnitt präsentiert werden. 4. Jahrhundert, Erste BilderUm 330 n.Chr. findet wir das Motiv der Geburt Jesu auf dem Sarkophag des Marcus Claudianus. Dargestellt werden weder Maria noch Joseph, sondern nur ein Hirte sowie aus der späteren Allegorese der Kirchenväter Ochs und Esel. Da die Erzählung von Ochs und Esel erst im Pseudo-Matthäus-Evangelium aus dem 7. Jahrhundert auftaucht, die ersten Darstellungen dieses Motivs aber aus dem 4. Jahrhundert stammen, müssen sie der Allegorese der Kirchenväter entnommen worden sein, die, Jesaja 1, 3 aufnehmend, den Ochsen auf das Volk Israel bezogen, den Esel aber auf die Heiden. Auf einem Marmorrelief-Fragment aus Naxos, heute im Byzantinischen Museum in Athen, das in das 5. Jahrhundert datiert wird, sehen wir, dass die Szene sogar noch weiter elementarisiert werden kann. Zur Erkennung der Szene reicht in dieser Zeit das gewickelte Kind in der Krippe mit den legendarischen Ochs und Esel. Nach Gregor von Nyssa (335-394) sagt dieses Bild: Zwischen den an das Gesetz gebundenen Juden und den vom Götzendienst belasteten Heiden liegt der Gottessohn, der sie von ihren Lastern befreit.
6. Jahrhundert, Die Maximianskathedra, RavennaDie Elfenbeintafel aus der Kathedra des Bischofs Maximian aus Ravenna ist die erste erhaltene komplexere Darstellung der Geburt Christi. Von der biblischen Erzählung sehen wir nur den bärtigen Josef und das in Leinen gewickelte, in der Krippe liegende Kind, sowie Maria, die auf einer Matratze liegt. Alles Weitere stammt aus späteren Überlieferungen. Dazu gehört auch schon die Matratze, die nicht der Bibel entnommen ist. Ein besonderes Augenmerk legt die Darstellung auf die Geschichte der Hebammen aus dem Proto-Jakobus-Evangelium. Diese Erzählung müssen die Betrachter:innen kennen, sonst verstehen sie die Darstellung nicht. Wir sehen Salome, die an Maria herangetreten ist und ihr ihre verkümmerte bzw. verbrannte Hand zeigt. Die Betrachter:innen lernen: wer nicht an den hortus conclusus glaubt, der direkt hinter der Hebamme mit der verschlossenen Tür symbolisiert ist, der wird empfindlich bestraft. Diese Herausstellung der Geschichte mit den Hebammen macht nur Sinn, wenn es genügend Menschen in der damaligen Welt gab, denen die jungfräuliche Geburt fraglich war, weshalb man nicht nur zu narrativen Ausgestaltungen, sondern sogar zu impliziten erzählerischen Drohungen greifen musste. Das Unglaubliche ist plötzlich nicht mehr, dass Gott Mensch geworden ist, sondern die Jungfräulichkeit der Maria. Entstehen konnte dieses Problem nur, weil in der Zwischenzeit Maria selbst als Person ins Blickfeld der Theologen getreten war und als Gottesgebärerin dogmatisch reflektiert wurde. Aber mit der Betonung der Jungfräulichkeit der Maria ergab sich ein Folgeproblem: welche Rolle spielte Josef dabei? Nach 800 Stellung des JosefIn den Jahrhunderten danach wird nicht zuletzt die Verortung des Josef auf den Bildern der Geburtsgeschichte von den Künstlern und ihren Auftraggeber:innen durchbuchstabiert. Ist Josef nur ein neutraler Beobachter am Rande des Geschehens, wie auf dem Elfenbeinplättchen aus dem Jahr 800, das heute im British Museum in London zu finden ist? Hier ist Josef bewusst vom eigentlichen Geburtsgeschehen ausgegrenzt, er bleibt ‚außen vor‘. Oder ist Josef ganz im Gegenteil konstitutiver Bestandteil des weihnachtlichen Geschehens und deshalb innerhalb des hortus conclusus zu platzieren, wie auf dem Elfenbein aus der Zeit um 1100? Hier umschließen die Mauern den Heiligen Josef explizit. Im Hortus Deliciarum der Herrad von Landsberg aus der Zeit um 1180 finden wir Josef in seiner nachdenklichen Versenkung schon weit außerhalb des Geburtsgeschehens, er ist dem Ereignis noch weiter entfernt, als die Hirten, die zum Lobpreis herbeigeeilt ist. In der Sache wird sich die distanzierte Haltung des Josef durchsetzen, der auf seine Rolle als Ziehvater reduziert wird.
1270 Guido da SienaBei Guido da Siena ist das Narrativ dann fast vollständig entfaltet. Wir treffen hier auf eine Bildkonstruktion ganz nach dem byzantinischen Darstellungstyp: Vom Himmel ergießt sich helles Licht auf das Geschehen. Die Geburt findet in einer Grotte statt, die nur von einem Sternenlicht erleuchtet wird, Ochs und Esel sind bei dem Kind in der Krippe, Maria liegt abgewandt auf einer byzantinischen Herrschermatratze, Josef ist als alter nachdenklicher Mann charakterisiert. Am unteren Bildrand baden die beiden Hebammen Zelomi und Salome das Christuskind. Den Zweifel am Geschehen hat Salome bereits hinter sich gelassen, sie ist von der fortdauernden Jungfräulichkeit Marias überzeugt. Rechts am Bildrand sind auch schon die Hirten zur Anbetung herbeigeeilt, was dann auch den Hund erklären dürfte, der quasi als Lokalkolorit auf dem Bild fungiert und in keiner der klassischen Quellen Erwähnung findet. Diese Darstellung wird sich in leichter Variation auf den orthodoxen Ikonen über Jahrhunderte erhalten, wie etwa auf der berühmten Geburtsikone von Andrei Rublev aus dem Jahr 1405 studiert werden kann. 1304-06 Giotto, Scrovegni-KapelleMit Giotto deutet sich ein neuer Bildtyp an, er verlagert das Geschehen von der Grotte in einen Stall. Die Hebamme deutet er am linken Bildrand knapp an, aus der byzantinischen Tradition übernimmt er die nachdenkliche Haltung des abgewandten Josef (ordnet ihm aber keinen Gesprächspartner zu). Maria, die weiterhin auf einer Matratze liegt, ist nun ganz dem gewickelten Kind zugewandt. Das Christuskind liegt nicht in der Krippe, sondern wird von der Hebamme seiner Mutter übergeben. Giotto dynamisiert die Bildgestaltung. Wenn Maria und Jesus das Bildzentrum darstellen, dann gibt es eine Kreisbewegung rund um das zentrale Geschehen. Bevor ich auf die Folgen der Visionen der Hl. Birgitta von Schweden in der Kunst eingehen, zuvor noch zwei Beispiele für Aneignungen der Weihnachtsgeschichte, die sich durch eine stärkere Integration in den familiären Alltag und ein besonderes, in diesem Falle deutsches Lokalkolorit auszeichnen. 1400 Unbek. MeisterUm 1400, so kann man beobachten, beginnt die Ausstattung des Geschehens mit genretypischen Motiven, es tritt eine Art augenzwinkernde Ironie ins Bild. Etwas von dem, was die Familien unter den Betrachter:innen mit den frisch Geborenen erleben, muss sich doch auch bei der Geburt Jesu ereignet haben. Im vorliegenden Täfelchen (33x21 cm) eines unbekannten Meisters aus der Zeit um 1400 hat sich der „Nährvater“ Josef (der als einziger keinen Nimbus trägt) seine Lederschuhe ausgezogen und beginnt, sie aufzuschneiden, um für seinen nackt in der Krippe liegenden Ziehsohn, der gerade noch von einer Hebamme betreut wird, ein ledernes Wams zu nähen. Die Webgallery of Art schreibt zu diesem kleinen Täfelchen:
1403 Konrad von Soest, Geburt JesuKonrad von Soest steuert ein wunderbares Bild zum Lokalkolorit bei, das Josef bei der Zubereitung einer Mahlzeit für seine angetraute Frau (aber wohl noch nicht für das Baby) zeigt, er bettet das Geschehen in die bäuerliche Lebenswelt der Betrachter:innen ein. 1372 Niccolò di TommasoDas erste Bild der Kunstgeschichte, das unmittelbar auf die Visionen der Birgitta von Schweden reagiert, ist Niccolò di Tommasos Illustration der Vision von 1372. Hier zeichnet sich die geradezu revolutionäre Wende in der Darstellung der Weihnachtsgeschichte ab, die die folgenden Jahrhunderte bestimmen wird. Die zentrale Änderung ist, dass nun das Christuskind nackt vor der in einen weißen Mantel eingehüllten Maria liegt, die es mit gesenktem Haupt und zusammengelegten Händen anbetet. Niccolò di Tommaso folgt nicht in allen Details der Erzählung der Hl. Birgitta von Schweden, fügt aber selbst noch kleine Details hinzu: so etwa die Schuhe, die Maria ausgezogen hat. Schon bei den Kirchenvätern findet sich der brennende Dornbusch als Analogie zur Jungfrau Maria: Wie der Dornbusch, in dem Gott erscheint, brennt, aber nicht verbrennt, so trug Maria Gott in sich, ohne zu vergehen. Klärungsbedürftig ist noch ein Bilddetail: Der rotweiße Stoff, der sich zu Füßen des Christuskindes findet. Der Text der Vision bietet drei Möglichkeiten: die sehr schön eingewickelte Nachgeburt, das Wollkleid für das Kind oder das Leinentuch für den Kopf Jesu. Entscheiden lässt sich das an dieser Stelle nicht, ich vermute, es soll das Wollkleid darstellen. 1405 Robert Campin, Geburt ChristiMit diesem Bild von Robert Campin (1377-1444) treten wir nun in die moderne Gestaltung des Weihnachtsthemas ein. Modern in dem Sinne, dass die Erzählung nun in eine zeitgenössische Landschaft eingebettet wird. Das ist der große Schritt in der Bildenden Kunst am Anfang des 15. Jahrhunderts. Der „Abschied von der Ikone“, der sich in der Kunst des Westens vollzieht, zielt auf die Stärkung des Subjekts, das das Bild als bewusste, auf ihn hin arrangierte Inszenierung erkennt:
Auf dem Bild ist von der bloßen Tatsache der Geburt Jesu selbst, den Engeln und den Hirten nichts mehr zu sehen, was mit den knappen biblischen Versen übereinstimmen würde. Und selbst die Hirten und die Engel wurden zeitgenössischen Vorstellungen angenähert, das Jesuskind entkleidet. Nahezu jedes Detail ist späteren Schichten der Überlieferung entnommen. Den größten Anteil liefern dabei die Visionen der Hl. Birgitta von Schweden. Nach ihrer Erzählung ist der alte Mann Josef zunächst in die Stadt gelaufen, um eine Kerze zu besorgen, die den Stall erhellt, vergessend, dass das neugeborene Kind ja das Licht der Welt ist, das alles überstrahlt. Maria trägt ihren weißen Mantel und betet das nackte Kind an. Von der alten Traditionsbildung hat der Künstler Ochs und Esel und die beiden Hebammen Zelomi und Salome übernommen. Was er neben der Landschaft im Hintergrund neu in das Bild einbringt, ist die konkrete Physiognomie der Hirten, die als zeitgenössische Landmenschen dargestellt werden und die Musikinstrumente, die sie zur Anbetung mitbringen. All das zusammen ergibt ein neuartiges Weihnachtsbild, das auch seine Schüler und Nachfolger beeinflussen wird. 1450 Rogier van der Weyden, Bladelin-AltarCampins Schüler Rogier van der Weyden (1399-1464) verhandelt ebenfalls ganz modern ein völlig anderes Thema: wie können wir dem Weihnachtsgeschehen als heutige Menschen nahekommen, wie können wir ein Geschehen vergegenwärtigen, das doch Jahrhunderte vor unserer Zeit liegt? Genau das ist das Problem des auf der rechten Seite abgebildeten Stifters Pieter Bladelin (um 1410-1472), einer der reichsten Menschen der damaligen Zeit, dessen flämische Lebenswelt im Hintergrund abgebildet ist. Wie kann er den garstigen Graben der Geschichte zum biblischen Ereignis überwinden? Mit dem Verhältnis von Altem (Testament) und Neuem (Testament) beschäftigt sich schon die Architektur des Stalls, der im Kontrast von der ruinösen Romanik zur moderneren Säule auf die neuen Zeiten verweist. Vergegenwärtigung geschieht durch meditative Aneignung, durch eine Hermeneutik des Gebets, das sich der Haltung der biblischen Figuren angleicht. 1480 Martin Schongauer, Christi GeburtMartin Schongauer kommt dem Hersbrucker Altar, dem wir in dieser Ausgabe einen eigenen Artikel gewidmet haben, ziemlich nahe. Ich führe es hier vor allem deshalb auf, weil auch hier evtl. auf die Nachgeburt Christi angespielt wird, von der Birgitta von Schweden berichtet. 1528 Antonio da Correggio, Heilige NachtAuch mit Correggios Weihnachtsbild stoßen wir auf eine revolutionäre und moderne Weiterentwicklung des Themas: die Darstellung der intimen Beziehung von Mutter und Kind. Das ist implizit schon bei Birgitta von Schweden angelegt, wird aber erst von Antonio da Correggio (1489-1534) zu einem stilbildenden Moment. Man muss hier vielleicht zwei Dinge unterscheiden: zum einen die damals sich entwickelnde künstlerische Hell-Dunkel-Kontrastierung (Chiaroscuro), die Correggio hier vornimmt, die im Barock ja später eine so bedeutende Rolle spielen wird. Sie fasziniert die gesamte Epoche. Das andere ist aber m.E. für dieses konkrete Bild wirkungsgeschichtlich bedeutender: die höchst private Beziehung, die Correggio hier zwischen Mutter und Kind darstellt, die zwar noch durch das Licht die Umwelt mit einbezieht (indem es diese erleuchtet), aber dennoch das Augenmerk auf eine Zweierbeziehung lenkt. Der heilsgeschichtliche Aspekt wird quasi gegenüber dem individuellen zweitrangig. Das lässt sich nicht der Bibel entnehmen, sondern ist ein Eintrag des Künstlers. Spätere Künstler werden dieses Moment nach verstärken. Etwa wenn El Greco in einem Tondo das Licht nur noch auf Maria und Jesus fallen lässt.
1650 Carlo Maratta, Heilige NachtEtwa 125 Jahre später wird Carlo Maratta (1625-1713) seinen Fokus noch konzentrierter (und idealisierter) auf die Mutter-Kind-Beziehung lenken. Die Webgallery of Art schreibt dazu:
Aber das ist keine zureichende Beschreibung des Bildes. Sie suggeriert, das Bild wäre noch Darstellung biblischer Geschichte, obwohl es doch die biblische Geschichte nur als Material nutzt, um ein höchst individuelles, privates Motiv zum Ausdruck zu bringen, ein Motiv, das als exemplarisch nicht für die Heilsgeschichte, sondern für die (bürgerliche) Familie zu deuten ist. 1896 Paul Gauguin, Kind(er) GottesMan könnte die Kunstgeschichte der Geburtsbilder unendlich fortsetzen. Ich möchte die Reihe abschließen mit einem modernen Bild, dass auch die Weihnachtsgeschichte als Referenzrahmen nimmt, um eine höchst persönliche Geschichte zu spiegeln… Paul Gauguin (1848-1903) reflektiert in diesem wie in dem nebenstehenden Bild die Geburt und den frühen Tod des Kindes seiner tahitianischen Freundin Pahura. Dazu greift er auf bewährte Vorlagen der Kunstgeschichte zurück und erweitert das individuelle Geschehen um eine weitere Lesart. Der Engel, der Stall, die Tiere und die Heiligenscheine lassen im Individuellen das Allgemeine erscheinen ohne dass Gauguin die Szene „eingemeinden“ will oder die Tahitianer christianisieren möchte. Das entspricht dem Fortgang der Kunst seit 1500, als Dürer sein Selbstporträt nach dem Christusbild stilisierte. Die tradierte Ikonographie wird zum Ausdrucksreservoir des individuellen Lebens. |
Artikelnachweis: https://www.theomag.de/134/am740d.htm |