Anbetung durch die Hirten

Andreas Mertin

Die Quellen
  • Lukas 2, 8-20
Lukas 2, 8-20

Und es waren Hirten in derselben Gegend auf dem Felde bei den Hürden, die hüteten des Nachts ihre Herde. Und der Engel des Herrn trat zu ihnen, und die Klarheit des Herrn leuchtete um sie; und sie fürchteten sich sehr. Und der Engel sprach zu ihnen: Fürchtet euch nicht! Siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird; denn euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus, der Herr, in der Stadt Davids. Und das habt zum Zeichen: Ihr werdet finden das Kind in Windeln gewickelt und in einer Krippe liegen. Und alsbald war da bei dem Engel die Menge der himmlischen Heerscharen, die lobten Gott und sprachen: Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden bei den Menschen seines Wohlgefallens. Und als die Engel von ihnen gen Himmel fuhren, sprachen die Hirten untereinander: Lasst uns nun gehen nach Bethlehem und die Geschichte sehen, die da geschehen ist, die uns der Herr kundgetan hat. Und sie kamen eilend und fanden beide, Maria und Josef, dazu das Kind in der Krippe liegen. Als sie es aber gesehen hatten, breiteten sie das Wort aus, das zu ihnen von diesem Kinde gesagt war. Und alle, vor die es kam, wunderten sich über das, was ihnen die Hirten gesagt hatten.

Kunstgeschichte

Im Regelfall wird die Anbetung der Hirten zusammen mit der Geburt Christi dargestellt. Daher gibt es zwar das ikonographische Stichwort „Anbetung der Könige“, nicht aber das Stichwort „Anbetung der Hirten“ (wohl aber das Stichwort „Verkündigung an die Hirten“). Dennoch macht es Sinn, dieses Motiv eigenständig aufzugreifen, weil sich hier bestimmte Interessen der jeweiligen Zeit spiegeln (z.B. Stände = einfaches Volk vs. Adel, Pastorale)


1007 – Reichenauer Schule, Verkündigung an die Hirten

Die Reichenauer Malschule, die für dieses Blatt aus dem Perikopenbuch Heinrich II. verantwortlich ist, legt Wert auf einfache und zugleich luxuriöse Gestaltung. Das sorgt für die hohe Wiedererkennbarkeit der Blätter.


1180 – katalanischer Maler

Volkstümlich und (tier)liebevoll zeigt sich diese Wandmalerei aus der Kirche San Isidoro in León/Spanien, die an das Ende des 12. Jahrhunderts datiert wird. Im Pantheon der Könige von San Isidoro ist dies nur eines unter den sehr vielen Fresken, die auch als „sixtinische Kapelle der Romanik“ bezeichnet werden. Gerühmt wird sie dafür, einen beispiellosen Einblick in die Bilder- und Alltagswelt des 12. Jahrhunderts zu gewähren.

Auf dem Fresko sehen wir in jeder Ecke eine andere Tierart, für die die Hirten verantwortlich sein könnten. Die Tiere sind sehr dekorativ dargestellt und laden zur Betrachtung ein. Auch die Sorge der Hirten für ihre Hunde wird anschaulich geschildert.

Die Ansprache des Engels an die Pastores (= Hirten) trifft auf Menschen, die sich offenkundig auf dem Feld während der Arbeit mit Musik unterhalten. So sehen wir sie auf einer Schalmei, einem Krummhorn und einer Flöte spielen. Diese Verknüpfung mit der Musik hat eine lange Tradition in der Darstellung der Anbetung der Hirten, die ihre Instrumente dann auch in den Stall von Bethlehem mitnehmen.


1410 / 1486 – Très Riches Heures du Duc de Berry

Auch in den berühmten Stundenblättern des Herzogs von Berry, von den Brüdern von Limburg 1410 begonnen und nach deren Tod 1416 von anderen fertiggestellt, gibt es ein Blatt mit der Verkündigung an die Hirten. Wir sehen die Hirten, wie sie mit zurückgeworfenem Kopf, die Hand über den Augen, die Engel am Himmel suchen, die die Geburt des göttlichen Kindes verkünden. Gezeigt werden drei Hirten: ein Greis, ein junger Mann und eine Frau. Während die beiden Männer noch Ausschau halten, woher wohl die wunderbare Botschaft kommt, deutet die Frau schon mit dem Finger auf die Engel. Die Engel erscheinen in drei Gruppen: rechts im Bild bläst einer Trompete, der andere spielt Viola; links schlägt einer die Laute, der andere die Trommel; in der Mitte singen fünf Engel im Chor.

Bei den Hirten weiden Schafe, zu ihren Füßen Hirten liegt ein schwarzweißer Hund. Hinter dem Berg sieht man andere Hirten mit ihren Schafen, am Horizont die Gebäude einer Stadt. Sie müsste natürlich Bethlehem sein, in Wirklichkeit könnte es sich um die Stadt Poitiers handeln, die für den Herzog von Berry bedeutsam war.


Man kommt nicht umhin, im Blick auf die folgenden Bilder den Begriff der Theatralik und die Institution des Theaters mit einzubeziehen. Denn nun haben wir es nicht nur mit den geistlichen Schauspielen des Mittelalters zu tun, sondern, wie ich vermute, mit dem gebrochenen Verhältnis der damaligen Künstler zur Landbevölkerung. Während sie in der Regel für die Herrschenden arbeiteten, die auch über das Vermögen zur Bezahlung ihrer Arbeiten verfügten, traten die Hirten nur als die Depravierten in ihren Blick. Dieser Blick kann von einer gewissen Sympathie getragen sein, in der Regel ist er aber von einer interessierten Distanziertheit. Man könnte es aber auch positiv als einen soziologischen Blick auf jene Teile der Bevölkerung bezeichnen, die nicht genügend Geld haben, um ihr Leben zu bezahlen.


1451 – Andrea Mantegna

Ein klassisches Beispiel für diesen Blick ist Andrea Mantegnas Anbetung der Hirten. Wir haben einen klassischen Bühnenaufbau vor uns, den die Hirten von der rechten Seite betreten.  

Sie gehören zur niedrigsten, einfachsten Bevölkerungsschicht, haben zerrissene und gestopfte Kleidung und oft nicht einmal Schuhe. Und wenn sie Schuhe haben, dann sind diese zerschlissen. Aber auch sie verfügen über Höflichkeitsformen, nehmen den Hut zum Gruß ab oder bringen Eier als Gastgeschenke mit.

Aber dennoch wirkt das Ganze wie eine drapierte Szene, weder Maria noch Josef kommunizieren mit ihren Gästen – das wird bei den hl. drei Königen ganz anders sein.


1480 – Hugo van der Goes

Explizit zur Theaterbühne macht Hugo van der Goes (1440-1482) sein Bild. Man muss es sich so vorstellen, dass am Anfang noch ein Vorhang das Geschehen verbirgt und zwei alttestamentliche Propheten das kommende Geschehen ankündigen. Sie ziehen dann den Vorhang zurück und nun sehen wir die Anbetung der Hirten im ungewöhnlichen Querformat von 97 x 245 cm (heute finden wir das Bild in der Gemäldegalerie Berlin). Wie auf einer Piscator-Bühne sind die Ereignisse auf verschiedene Ebenen verteilt. Rechts oben sehen wir die Verkündigung an die Schaf-Hirten, die dann hinter dem Stall vorbeilaufen und von links die Szene betreten. Einer kniet nieder und presst sich seinen Hut vor die Brust, der andere zieht sich noch schnell die Kapuze vom Kopf. Ein nachfolgender hat sein Musikinstrument mitgebracht.

Im Zentrum wimmeln zahlreiche Engel rund um die Geburt des Christkindes. Diese ist in einer Kombination verschiedener Legenden dargestellt: Zwar liegt das Kind nackt vor Maria wie in der Vision der Birgitta von Schweden, aber es liegt nicht auf dem Boden, sondern wie in der biblischen Erzählung in einer Krippe. Maria und Josef tragen ziemlich luxuriöse Kleidung mit goldbestickten Säumen, die in besonderem Kontrast zu der in der Bibel beschworenen Niedrigkeit der Magd Maria stehen. Die Hirten sind auf diesem Bild nicht so krass dargestellt wie auf dem Bild von Andrea Mantegna, man merkt hier den Einfluss der flämischen Malerei. Dazu gehört auch die Darstellung der symbolisch codierten Pflanzen um unteren Bildrand.


1490 – Francesco di Giorgio Martini

Martinis Darstellung von Christi Geburt mit den herbeigeeilten Hirten ist für mich ein Klassenbild, das wie kaum wie ein anderes das Unverständnis der Stadtmenschen der Renaissance für die Menschen jenseits seiner Mauern dokumentiert.

Wie herbeistürzende „Wilde“ nach den klassischen Klischees vergangener Jahrhunderte werden hier die Hirten gezeigt.

Man wird bei einem unbefangenen Betrachten des Bildes die „Wilden“ eher als barbarische Räuber als zur Anbetung herbeieilende Hirten wahrnehmen.

Alles Weitere des Bildes ist bewundernswert symbolisch aufgebaut. Das nackte Christuskind, dessen Kopf auf einem Fragment des zerstörten Renaissancegebäudes ruht, der Josef, der halb abwehrend die Hand erhebt, die Maria, die völlig in der Anbetung ihres Sohnes versunken ist.

Wären da nicht die wilden Hirten …


1505 - Giorgione

Mit Giorgione (1478-1510) kommen wir zu den weniger theatralischen Bildern. Hier wird das Thema im Sinne eines Pastorale aufbereitet, fast die Hälfte des Bildes füllt eine venezianische Landschaft aus. Auch die Anbetungsszene ist ruhiger und zurückhaltender, quasi meditativ angelegt. Alle konzentrieren sich in ihrer Anbetungshaltung auf das nackte Kind in der Mitte. Die sozialen Rangunterschiede werden aber auch hier deutlich. Die Kleidung der Hirten ist lädiert und einfach – ganz im Gegenteil zu der von Maria.

Giorgione hat aber nicht nur die Fünfergruppe der direkt das Kind Anbetenden im Bild untergebracht, daneben gibt es noch mindestens drei weitere Hirten zu entdecken: ein sitzender älterer Hirte vor dem Stall am linken Bildrand, zwei direkt auf dem Feld hinter den groß präsentierten Hirten, die auf den verkündigenden Engel am linken oberen Bildrand blicken bzw. zeigen. So erschließt sich der gesamte pastorale Raum als religiös durchwirkt.


1523 – Bonifazio Veronese

Mit der Anbetung von Bonifazio Veronese (1487-1553) aus der Zeit nach 1523 treffen wir zum ersten Mal auf eine Darstellung der Hirten, die tatsächlich Kommunikationspartner von Maria und Josef sind. Wir sehen den Blick der Maria direkt auf den vordersten Hirten gerichtet, Josef hat seine linke Hand leicht erhoben, als ob er in einer lebhaften Diskussion wäre. Nur das Christuskind konzentriert sich ganz auf seine Mutter. Bonifazio Veronese, der in der Tradition Giorgiones steht und der Landschaft große Bedeutung einräumt, schafft hier eine meditative und ruhige Szene.

Anders als bei Giorgione ist die Kleidung der Maria weniger prächtig, weniger luxuriös, geradezu zurückhaltend, dafür ist die Kleidung der Hirten deutlich gehobener dargestellt. Es sieht so aus, als ob in der Zeit, in der Veronese wirkte, die sozioökonomischen Lebensbedingungen ein öffentliches Reflexionsthema gewesen sind. In Venedig erlässt der Senat schließlich 1528 ein Armengesetz, das den Reichen auferlegt, sich mehr für die Armen in der Stadt einzusetzen. Und vielleicht spiegelt sich die vorausgehende Debatte in Veroneses Kunstwerk, das den Kontrast von Armen und Reichen im Sinne der Annäherung thematisiert.


1689 – Charles Le Brun

Theatralisch wird es wieder beim letzten Bild unserer Erkundungstour zur Anbetung bzw. Verkündigung der Hirten. Nicht umsonst ist Charles Le Brun (1619-1690) eben auch Historien- und Bühnenmaler und Hofmaler Ludwig XIV. Und so ist die ganze Szene fast schon zur Groteske verzerrt, Maria und das Kind werden wie zu Schaufensterpuppen erstarrt gemalt, der vorderste Hirte wird in extrem devoter Haltung dargestellt, er kriecht über den Boden.

Von der befreienden Weihnachtsbotschaft ist bei all der übertriebenen Theatralik wenig zu spüren. Weihnachten ist zum effekthascherischen Schauspiel verkommen.

-> Hier geht es weiter zur Beschneidung Christi

Artikelnachweis: https://www.theomag.de/134/am740e.htm
© Andreas Mertin, 2021