Die Darstellung im Tempel

Andreas Mertin

Die Quellen
  • 3. Mose 12, 6-8
  • 4. Mose 18, 15
  • Lukas 2, 22-24
  • Lukas 2, 25-29
  • Lukas 2, 36-38 (90-100)
  • Pseudo-Matthäus-Evangelium (600-650 n.Chr.)
3. Mose 12, 6-8

Und wenn die Tage ihrer Reinigung für den Sohn oder für die Tochter um sind, soll sie dem Priester ein einjähriges Lamm bringen zum Brandopfer und eine Taube oder Turteltaube zum Sündopfer vor den Eingang der Stiftshütte. Der soll es opfern vor dem HERRN und sie entsühnen, so wird sie rein von ihrem Blutfluss. Das ist das Gesetz für die Frau, die einen Knaben oder ein Mädchen gebiert. Vermag sie aber nicht ein Lamm aufzubringen, so nehme sie zwei Turteltauben oder zwei andere Tauben, eine zum Brandopfer, die andere zum Sündopfer; so soll sie der Priester entsühnen, dass sie rein werde.

4. Mose 18, 15

Alles, was zuerst den Mutterschoß durchbricht bei allem Fleisch, es sei Mensch oder Vieh, das sie dem HERRN bringen, soll dir gehören. Doch sollst du die Erstgeburt eines Menschen auslösen lassen

Lukas 2, 22-24

Dann kam für sie der Tag der vom Gesetz des Mose vorgeschriebenen Reinigung. Sie brachten das Kind nach Jerusalem hinauf, um es dem Herrn zu weihen, gemäß dem Gesetz des Herrn, in dem es heißt: Jede männliche Erstgeburt soll dem Herrn geweiht sein.  Auch wollten sie ihr Opfer darbringen, wie es das Gesetz des Herrn vorschreibt: ein Paar Turteltauben oder zwei junge Tauben.

Lukas 2, 25-29

In Jerusalem lebte damals ein Mann namens Simeon. Er war gerecht und fromm und wartete auf die Rettung Israels und der Heilige Geist ruhte auf ihm. Vom Heiligen Geist war ihm offenbart worden, er werde den Tod nicht schauen, ehe er den Messias des Herrn gesehen habe. Jetzt wurde er vom Geist in den Tempel geführt; und als die Eltern Jesus hereinbrachten, um zu erfüllen, was nach dem Gesetz üblich war, nahm Simeon das Kind in seine Arme und pries Gott mit den Worten: Nun lässt du, Herr, deinen Knecht, wie du gesagt hast, in Frieden scheiden. Denn meine Augen haben das Heil gesehen, das du vor allen Völkern bereitet hast, ein Licht, das die Heiden erleuchtet, und Herrlichkeit für dein Volk Israel.

Lukas 2, 36-38

Und es war eine Prophetin, Hanna, eine Tochter Phanuëls, aus dem Stamm Asser. Sie war hochbetagt. Nach ihrer Jungfrauschaft hatte sie sieben Jahre mit ihrem Mann gelebt und war nun eine Witwe von vierundachtzig Jahren; die wich nicht vom Tempel und diente Gott mit Fasten und Beten Tag und Nacht. Die trat auch hinzu zu derselben Stunde und pries Gott und redete von ihm zu allen, die auf die Erlösung Jerusalems warteten.

Pseudo-Matthäus-Evangelium

Nachdem für Maria die Tage der Reinigung nach dem Gesetz des Mose vorbei waren, brachte Josef das Kind in den Tempel des Herrn. Als das Kind die Beschneidung empfangen hatte, brachten sie für es zwei Turteltauben und zwei junge Tauben als Opfer dar.

Folgerung

Zwei unterschiedliche Dinge setzen die biblischen Texte voraus:

  1. musste Maria, um rituell wieder rein zu werden, 40 Tage nach der Geburt eines Jungen dem Priester ein Opfer bringen: ein einjähriges Schaf zum Brandopfer und eine Taube zum Sündopfer. Notfalls (d.h. im Fall von Armut) reichen auch zwei Tauben.
  2. musste Josef die männliche Erstgeburt zum Tempel bringen, Gott weihen und auslösen, weil jede männliche Erstgeburt Gott gehört. Dazu muss eine Summe (Loskaufopfer) bezahlt werden.
Kunstgeschichte

In der Kunstgeschichte findet sich das Motiv noch nicht in der Sepukralkunst, wohl aber ab dem 5. Jahrhundert in der Kunst an den Wänden der Kirchen. Nach der Jahrtausendwende kommt es regelmäßig in der Kunst vor, aber ein festes Schema entwickelt sich nicht. In der Regel ist es in Marien- oder Leben-Jesus-Zyklen eingegliedert. Notwendige Aktanten sind Jesus, Maria, Josef, zwei Tauben, Simeon, Hanna. Sie können durch weitere Handlungsträger erweitert werden: Hohepriester, Gesinde, Tiere.


0432 – Santa Maria Maggiore

Eines der frühesten erhaltenen Bilder ist die Darstellung Jesu auf dem Mosaik in der römischen Kirche Santa Maria Maggiore. Man sollte zum Vergleich noch einmal einen Blick auf das komplementäre Bild auf der linken Seite werfen, das Bild von der Verkündigung an Maria. Auch bei der Darstellung im Tempel wird Maria in der Kleidung einer byzantinischen Kaiserin dargestellt, wir sehen sie links am Rand der Szene, das Christuskind auf Händen. Dann kommt Josef mit den Tauben, den Blick zurückgewandt auf Maria und Jesus. Es folgt ein Engel und dann vermutlich Hannah, die dem Kind segnend gegenübertritt. Simeon eilt dem Kind mit ausgebreiteten Armen und einem Tuch entgegen. Hinter ihm reiht sich die Schar der Tempelpriester. Rechts sieht man den Tempel, auf dessen Stufen einige Tauben für die Opferung stehen. Vor Ort wird diese Szene noch mit dem zweiten Traum des Josef mit der Aufforderung zur Flucht nach Ägypten abgeschlossen (auf dem obigen Ausschnitt nicht abgebildet).

In der vorliegenden Inszenierung wird aus dem an sich normalen Geschehen der Reinigung der Maria und der Präsentation des Erstgeborenen des Josef nun ein großer, fast schon religionspolitischer Akt. Das liegt vor allem an der Fülle der Priester, die dem Tempel zugeordnet sind. Man könnte fast sagen: das Judentum bzw. seine religiösen Repräsentanten treten der heiligen Familie gegenüber. Andererseits wird durch die Szene die Einordnung Jesu in die jüdische Gemeinde besonders betont: Maria hält sich an die Regeln der Reinigung, Josef löst seinen Erstgeborenen aus. Simeon und Hannah segnen das neugeborene Kind. All das ist Voraussetzung und Bedingung des gezeigten Ritus‘. 400 Jahre nach Christi Tod betont die zur Macht gekommene christliche Gemeinde in Rom Kontinuität und Differenz ihres Glaubens in einer durchaus selbstbewussten Geste.


1296 – Pietro Cavallini

Pietro Cavallini (2. Hälfte 13. Jahrhundert-1330) hat in der ältesten Marienkirche Roms, Santa Maria in Trastevere, in der Chorapsis einen sechs Bilder umfassenden Mosaik-Zyklus des Marienlebens geschaffen. Die Webgallery of Art schreibt dazu:

Die fünfte Szene des Marienzyklus, die Darstellung im Tempel, befindet sich in der Apsis. In dieser Szene definieren die architektonischen Kulissen das Aktionsfeld der Figuren und tragen wesentlich zur Strukturierung des Bildraumes bei. Ein Altar samt Baldachin steht zwischen Maria und dem greisen Simeon, der das Christuskind in seinen Armen wiegt. Ebenso füllen architektonische Elemente die Intervalle zwischen den Protagonisten und den Nebenfiguren Joseph und der Prophetin Anna. Typisch für Cavallinis Bildarchitektur ist der Perspektivwechsel, insbesondere die Kombination von Ober- und Unteransichten in ein und demselben Baukörper.

Die Darstellung reduziert sich – neben der Architektur - auf die notwendigen Aktanten: Josef mit zwei Tauben, Maria, Christus, Simeon und Hanna. Alle sind durch einen Nimbus hervorgehoben. Hanna trägt eine Schriftrolle. Simeon ist sichtlich gerührt, dass sich seine Hoffnung endlich erfüllt hat und er endlich Christus auf seinen Armen trägt.


1308 - Duccio


Die Maestà von Duccio di Buoninsegna (1255-1318) ist ein vielteiliges Gemälde, das u.a. auch eine Präsentation Jesu im Tempel enthält.

Duccio ist noch der byzantinischen Malerei verbunden.

Wir sehen auf dem kleinen Panel mit der Darstellung im Tempel alle handelnden Figuren, Simeon hat das Kind bereits aus den Armen Marias entgegengenommen, aber es macht noch eine Fluchtbewegung hin zu seiner Mutter.

Hanna trägt eine lange Schriftrolle und erhebt lobpreisend ihren rechten Arm.



1310 - Giotto

Giottos (1267-1337) Lösung in der Scrovegni-Kapelle ist sowohl eine Reduktion wie eine Erweiterung. Er reduziert die Architektur auf den Altar mit Baldachin vor einem blauen Bildhintergrund und erweitert die Figurengruppe um eine begleitende Magd.

Dadurch bekommt Hanna eine bedeutendere Rolle im Bild. Aber sie ist nicht als Heilige dargestellt. In der linken Hand trägt sie eine Schriftrolle, mit der rechten verweist sie auf Christus. Über ihr schwebt ein Engel.

Besonders intensiv stellt Giotto die Beziehung zwischen Simeon und dem Jesuskind dar. Auch wenn dieses auf seine Mutter verweist, so kommunizieren beide doch direkt im Augenkontakt miteinander.


1342 – Ambrogio Lorenzetti (Detail)

Das Interessante an Ambrogio Lorenzettis (1290-1348) Darstellung im Tempel, die er ursprünglich für eine Kapelle der Kathedrale in Siena gemalt hat und die heute in den Uffizien in Florenz hängt, ist, dass wir nicht nur die klassischen Figuren der Erzählung (Josef, zwei Mägde, Maria, Christus, Simeon und Hannah im Vordergrund) sehen, sondern auch den Hohepriester (im Hintergrund mit zwei Gehilfen) beim Brandopfer der Tauben.

Mit der Rechten hat der Priester die Tauben hinter den Flügeln gepackt, in der Linken hält er ein Messer.

Vor ihm auf dem Altartisch ist ein kleines Feuer entfacht, um gleich das Brandopfer zu vollziehen.

Das Buch bzw. Verzeichnis neben dem Priester deutet darauf hin, dass dem Gesetz Genüge getan wurde.


1423 – Gentile da Fabriano

Als Maler höfischer Kultur gilt Gentile da Fabriano (1370-1427) seinen Zeitgenossen. Seine Darbringung im Tempel gehört zu einer dreiteiligen Predella eines Altars, den er für die Kapelle der Familie Strozzi in der Kirche Santa Trinita in Florenz geschaffen hat (Strozzi-Altar). Zwei Elemente dieser Predella (Verkündigung und Flucht nach Ägypten) befinden sich heute in den Uffizien (ebenso wie das Hauptgemälde mit der Anbetung der Könige), die hier gezeigte Darstellung im Louvre in Paris.

Wir haben also nur ein kleines Detail aus einer Gesamtinszenierung vor uns, die insgesamt um die Kindheit Christi kreist.

Während die Anbetung der heiligen drei Könige alle Pracht dieser Welt zeigt, offenbart die Predella die Dialektik von Armut und Gefährdung bzw. die Verpflichtung der Reichen, den Armen zu helfen. Das wird insbesondere an der Darstellung im Tempel deutlich, die Gentile da Fabriano in drei Bildzonen aufteilt. Im Zentrum des Bildes sehen wir das eigentliche Geschehen, in einem offenen Templum sehen wir Josef mit den Tauben und Maria, die das Jesuskind Simeon übergeben haben, hinter dem Hanna mit ihrer Schriftrolle steht. So weit, so erwartbar. Diese Szene kontextualisiert Gentile da Fabriano in die Stadtarchitektur von Florenz, man meint, konkrete Örtlichkeiten erkennen zu können (vielleicht die Piazza della Santissima Annunziata mit dem Ospedale degli Innocenti von Brunelleschi, dessen Bau 1419 begonnen hatte). Auf der linken Seite sieht man zwei vornehme Frauen der Florentiner Gesellschaft, auf der rechten Seite eine Bettlerin und einen Bettler, die nicht genug Geld zum Leben haben. Es ist die Zeit, in der in Florenz um eine Abgabe der Reichen zum Wohle der Kommune gerungen wurde.


1447 – Stefan Lochner

Eine völlig andere Welt begegnet uns bei Stefan Lochner (1400-1451). Zwei Darstellungen im Tempel werden ihm zugeschrieben, uns interessiert zunächst jene Version, die heute im Hessischen Landesmuseum Darmstadt zu sehen ist und aus dem Jahr 1447 stammt. Das Werk ist sehr charakteristisch für Lochner, vor allem ist es sehr reich an Figuren. Im Zentrum sehen wir Maria, die zwei Tauben in der Hand hält, um das Sündopfer zur Reinigung zu erbringen, links von ihr steht Josef, der das Geld für die Auslösung der Erstgeburt in der linken Hand hält. Rechts sehen wir die Prophetin Hannah mit der Spruchrolle. Sie ist im Ordenskleid dargestellt.


1447 – Stefan Lochner

Das zweite Bild zum Thema, das ebenfalls Stefan Lochner zugeschrieben wird, findet sich heute im Museu Calouste Gulbenkian in Lissabon. Es wird in das Jahr 1445 datiert. Das kleine Bild ist extrem hochformatig (36,7 x 23,7 cm). Es gehörte ursprünglich zu einem Diptychon, dessen anderes Bild die Geburt Jesu zeigte.

Auf dem schmalen Raum platziert Lochner Maria und Simeon als zentrale gegenüberstehende Figuren im Bildvordergrund. Maria hat das nackte Christuskind gerade in die Hände von Simeon gegeben und hält ihre eigenen Hände überkreuz. Sie blickt nachdenklich nach unten.

Etwas tiefer in den Raum hat Lochner Josef und die Prophetin Hannah gesetzt. Josef trägt in der rechten Hand einen kleinen Weidenkorb, in dem die beiden Tauben zum Brandopfer und Sündopfer von Maria sitzen. Josef blickt zwischen Maria und Hannah hindurch auf das Geschehen.

Hanna, ähnlich gekleidet wie Maria, hat die Hände zum Gebet gefaltet und blickt direkt auf das Christuskind. Hinter der Figurengruppe blicken wir auf einen Kirchenraum, der ein Kirchenfenster hat, das uns Mose mit den Gesetzestafeln zeigt. Damit wird der Bezug zum Thema Gesetz und Evangelium hergestellt.

Das Interessanteste am Bild ist aber die Darstellung der Beziehung zwischen Simeon und Christus.

Sie wird als äußerst vertrauensvoll präsentiert, Simeon wird so gemalt, wie es bei Lukas steht:

Er nahm das Kind in seine Arme und pries Gott mit den Worten: Nun lässt du, Herr, deinen Knecht, wie du gesagt hast, in Frieden scheiden. Denn meine Augen haben das Heil gesehen, das du vor allen Völkern bereitet hast, ein Licht, das die Heiden erleuchtet, und Herrlichkeit für dein Volk Israel.

Und das Christuskind zeigt keine Distanz zu dem fremden alten Mann, sondern blickt ihn direkt freundlich an.



1454 - Andrea Mantegna

Andrea Mantegna (1431-1506) hat dieses Bild 1454 geschaffen und damit eine interessante Wirkungsgeschichte in Gang gesetzt. Zunächst einmal fokussiert er das Geschehen – wenn man die beiden Figuren am rechten und linken Rand weg lässt - auf eine Beziehungsdramatik zwischen den zentralen Personen: Maria, die ihr in Leinen gewickeltes Kind umklammert, Josef, der sich dezent im Hintergrund hält und Simeon, der seine Hände dem ersehnten Messias entgegenstreckt. Das ist außerordentlich ausdrucksstark und memorativ. Weniger eindrücklich sind die beiden Figuren am rechten und linken Bildrand. Sie bedürfen einer eigenen Erklärung, denn sie ergeben sich nicht aus der biblischen Erzählung. Hannah kann kaum im Bild sein, andere Figuren sind nicht zwingend. Man hat daher vermutet, dass es sich um ein Selbstporträt von Mantegna und ein Porträt seiner Gattin Nicolosia Bellini (die Schwester Giovannis Bellinis), die er ein Jahr zuvor geheiratet hatte, handelt. Das hätte eine gewisse Pausibilität.


1470 – Giovanni Bellini

Etwa 16 Jahre später hat Mantegnas Schwager Giovanni Bellini (1437-1516) dieses Bild aufgegriffen und es in seinem eigenen Stil ausgeführt. Während Mantegna noch einen ganzen Bildrahmen oder einen Fensterrahmen um das Geschehen herum malte, belässt es Bellini bei einer gemalten Mauer, auf die sich Maria stützt.

Er fügt zwei weitere Personen der Szene hinzu, die aber gegenüber dem zentralen Geschehen etwas unbeteiligt wirken. Im Vergleich zu Mantegna spielen nun die Blicke der Beteiligten eine größere Rolle.

In den darauffolgenden Jahren werden Bellini zusammen mit seiner Werkstatt, aber auch seine Schüler (ähnlich wie beim Sujet der Beschneidung) weitere Variationen des Themas entwickeln, die aber nicht an die Ausdrucksstärke des Bildes von Mantegna und Bellinis erster Adaption heranreichen.

Am Ende dieser Entwicklung steht dann wieder ein ziemlich konventioneller Bildtyp, der das Charakteristische der Kunst von Andrea Mantegna und Giovanni Bellini vermissen lässt.


1480 – Hans Memling oder Der Meister der Anbetung der Magier

Lange Zeit galt es als gesichert, dass dies ein Werk von Hans Memling (1433-1494) sein müsste. Dann wurde diese Zuschreibung fraglich, weil auch fünf andere Werke, die früher Memling zugeschrieben wurden, nun auf einen anderen Maler hinwiesen. Diesen nennt man heute nach einem Bildtitel im Prado (Madrid) den „Meister der Anbetung der Magier“. Die Darstellung ist sehr höfisch orientiert, was im Kontrast zur biblischen Armut der Maria steht, die ja ihr gefordertes Brandopfer mit Tauben erfüllt, die Josef in einem Korb mitführt.


1501 – Hans Holbein

Die „Darstellung des Herrn im Tempel“ von Hans Holbein (1497-1543) befindet sich in der Hamburger Kunsthalle. Das Werk aus dem Jahr 1501 zeigt eine spätmittelalterliche höfische Kultur. Die mit einem weißen Überwurf gekleidete Maria hält das nackte Kind dem Priester Simeon entgegen. Hinter Simeon stehen noch fünf weitere Tempelangestellte. Hinter Maria stehen ebenfalls fünf Personen, darunter Josef mit einer großen Kerze in der rechten Hand und einem Hirtenstock in der linken. Links von Josef stehen zwei ‚Hoffräulein‘, die Tauben zum Ritus mitbringen, die grün gekleidete trägt zwei weiße Tauben in ihrem Kleid, die rot gekleidete eine Turteltaube. An der Wand steht eine Texttafel mit dem Anfang der Bibel in Hebräisch: בְּרֵאשִׁית בָּרָא - bereschit bara – Am Anfang schuf …


1502 - Raffael

Eine interessante Rechts-Links-Verlagerung unternimmt Raffael (1483-1520) auf seiner „Darstellung im Tempel“, 1502 oder 1503 geschaffen, heute in den Vatikanischen Museen zu finden. Der Aufbau ähnelt ein wenig dem Predella-Bild von Gentile da Fabriano aus Florenz.

Eine offene Architektur eines Tempels mit Simeon, Maria, Josef und dem Jesuskind im Zentrum. Nur dass dieses Mal die Angehörigen der Maria nicht auf der linken Seite der Darstellung zu finden sind, sondern auf der rechten.

Hier sehen wir drei Frauen in eleganter Kleidung, von denen die vorderste die beiden Tauben für das Sünd- und Brandopfer der Maria trägt. Auf der linken Seite sind vier Männer dargestellt, deren genauere Funktion nicht deutlich wird.

Zeitgenössisch dürften die Kopfbedeckungen aller Männer auf dem Bild sein, sie wirken heute eher skurril, dennoch ließen sich die­se aber auch ‚lesen‘ als Trachten gehobener Kreise der italienischen Gesellschaft Am Ende des 15. Jahrhunderts.


1631 – Rembrandt

Bei Rembrandt von Rijns „Simeon im Tempel“ kristallisiert sich die zentrale Szene aus dem Dunkel bzw. Halbdunkel des umgebenden religiösen Raumes heraus. Im Fokus stehen der von links oben und dem Jesuskind erleuchtete Simeon und Maria, neben ihr Josef mit den beiden Opfertauben. Der Gruppe gegenüber steht der Hohepriester, der die Reinigung der Maria vollzieht.


1767 – Pieter Jozef Verhaghen

Der flämische Maler Pieter Jozef Verhaghen (1728-1811), Hofmaler der österreichischen Kaiserin Maria Theresia, hat eine dynamisch bewegte, hochbarocke Szene entworfen. Es ist ein Schau-Spiel par excellence. Vor dem Hintergrund hochgezogener drapierter Vorhänge spielt sich das Geschehen ab, mit drei bzw. vier unterschiedlichen Handlungsschwerpunkten. Im Zentrum sehen wir den Hohepriester mit dem Jesuskind auf den Händen, ihm gegenüber mit ausgeprägter Gestik Maria, hinter ihr Josef kniend. Im Hintergrund zwischen dem Hohepriester und Maria befinden sich Simeon und Hanna.

Ein eigenes Aktionsfeld bilden die Angestellten des Tempels hinter dem Hohepriester mit großen Kerzen in der Hand.

Ein Genreelement für sich bilden die beiden Jungen, die in der unteren linken Bildecke mit den Tauben spielen. Im rechten Drittel des Bildes fallen zwei ältere Männer auf, die ein Buch halten bzw. beschreiben und damit dokumentieren, dass mit dem Erscheinen der Heiligen Familie im Tempel dem Gesetz genüge getan wurde. Zugleich halten sie sozusagen ein weltgeschichtliches Ereignis fest.


1836 - François-Joseph Heim

Zwei Bilder zum direkten Vergleich: oben der nur 27x52 cm große Entwurf und darunter die als Wachsmalerei realisierte große Ausführung des Bildes im Chor der Pariser Kirche Notre Dame de Lorette. Beide Bilder stammen aus demselben Jahr. Man sieht, dass François-Joseph Heim (1787-1865), vier Jahre zuvor zum Professor an der Ecole des beaux-arts in Paris berufen, einige konzeptionelle Veränderungen vorgenommen hat. Gegenüber dem Entwurf lässt er stärker die Architektur zur Geltung kommen, reduziert die Zahl der Putten und lenkt alles Licht auf Maria und ihren Sohn. Aber auch der als junger bärtiger Mann dargestellte Josef, der einen Korb mit Tauben in der linken Hand hält, wird stärker in den Fokus gerückt. Die Prophetin Hanna steht hinter der Heiligen Familie, die Hände fromm zum Gebet gefaltet.

->  Hier geht es weiter zur Anbetung der Hl. Drei Könige

Artikelnachweis: https://www.theomag.de/134/am740g.htm
© Andreas Mertin, 2021