Die Zukunft von Kunst und Kirche
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„Am Anfang war das Auge“Probleme theologischen Umgangs mit Kunst II: SharePics oder GlobulikunstAndreas Mertin
Der Philosoph Friedrich Wilhelm Hegel hatte schon 1830/31 in seinen Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte über die Zukunft der Beziehung von Kunst und Kirche geschrieben:
Und genau so ist es kurze Zeit später gekommen, denn nun wurde das funktionale Interesse leitend, die Kunst interessierte nicht mehr als Kunst, und so war das Ergebnis geradezu notwendig die Bevorzugung illustrativer und damit allzu oft schlechter, hässlicher und platter Darstellungen. Ein Beispiel dafür ist die (fortdauernde Nutzung der) Bilderwelt der Holzstiche von Schnorr von Carolsfeld.[2] Es überrascht einen immer wieder, dass Bildwerke, die so extrem der religiösen Ideologie der Mitte des 19. Jahrhunderts verhaftet sind, immer noch in argumentativen theologischen oder kirchlichen Kontexten Verwendung finden. Einer der Gründe für die ungebrochene Nutzung, der in dieser kleinen Textfolge mehrfach angesprochen wird, liegt im Zugriff der Bild-Redakteure auf die kommerziellen Bilddatenbanken. Da Redakteur:innen nur noch in den seltensten Fällen über Kenntnisse in Sachen Kunst und Kunstgeschichte verfügen, greifen sie zur Bildausstattung von Texten auf diese Datenbanken zu, geben ein Stichwort ein und wählen dann das erste ihnen plausibel erscheinende Bild aus. Das ist nicht nur typisch für kirchliche Redakteur:innen, auch die Mitarbeiter:innen säkularer Zeitschriften machen das so. Dabei spielen die ursprüngliche intentio auctoris oder intentio operis der Bilder überhaupt keine Rolle, die Bilder werden zur Illustration und zur schnelleren Adaption eingesetzt, sie werden benutzt. Die Logik bei der Auswahl dieser Bilder ist dann die, dass selbst Holzstiche des 19. Jahrhunderts als viel zu kompliziert erscheinen, um noch eingesetzt zu werden. Also benötigt man zunächst kolorierte Holzstiche. Und auch die, insofern sie qualitativ anspruchsvoll sind, werden möglichst vermieden, es kommt auf plakative Kolorationen an, solche, die den ursprünglichen Holzstich noch einmal trivialer machen. Die Bilderbibel des Julius Schnorr von Carolsfeld wird heute selten in ihrer originären Form verwendet, selbst die Kolorierungen des jüdischen Künstlers Fritz Kredel sind den User:innen zu feinsinnig. Es bedarf kräftiger, Pop-Art-ähnlicher Übermalungen, damit das Publikum auch weiß, worum es geht. Und wenn einem das Bild als Ganzes nicht passt, wird es auch noch gnadenlos beschnitten oder gespiegelt, das ist die visuelle Logik des Verfalls: Diese Bilder werden verwendet, weil sie Darstellungen sind, und weil diese Darstellung in möglichst leicht zu rezipierender Form das vorrangige Interesse ist. Was im 19. Jahrhundert als Hilfsmittel für in Religion ungebildete Schüler:innen diente, ist heute journalistisches Handwerkszeug für Erwachsene. Schauen wir zum Beispiel auf das Heft 12/2021 des Publik Forums, das sich dem Thema „Gott in der Krise“ widmete.[3] Die beiden dazugehörigen Sub-Titel lauten: „Das Christentum, ein Irrtum der Geschichte?“ und „Was vom Glauben übrig bleibt“. Und nun steht man die Redaktion in der Not, einen Eyecatcher für das Titelblatt auszuwählen. Und natürlich bedient man sich einer Bilddatenbank. Man tippt in die Suchmaske „Gott“ ein und klickt sich dann durch die Ergebnisse. Vielleicht, weil man zu oft „The Ten Commandments“ mit Charlton Heston aus dem Jahr 1956 gesehen hat, bleibt man an einem strukturanalogen Bild hängen: ein kräftig koloriertes Bild des ersten Schöpfungstages von Schnorr von Carolsfeld. Man kann nun fragen, ob sich nicht auch Cecil B. DeMille, der Regisseur von „The Ten Commandments“ bei kolorierten Bildern von Schnorr von Carolsfeld bedient hat und Moses die Gestik und das Aussehen Gottes verliehen hat, aber das braucht uns hier nicht zu interessieren. Jedenfalls wählt man sich diesen archaisch wirkenden rotgekleideten Gott aus, der gerade das Licht in die Welt bringt. Aber weil die These von Publik Forum ja lautet, dass Gott aktuell in der Krise ist, kommt nun ein Photoshop-Effekt zur Geltung: man lässt das Bild zersplittern. Nun ist intellektuell betrachtet dieses Bildnis schon vor Jahrhunderten zersplittert, niemand stellt sich Gott so vor, wie der Lutheraner Schnorr von Carolsfeld vor über 150 Jahren meinte, es jungen Menschen noch beibringen zu müssen. Es war schon damals überholt und wurde von der Kunstwelt seinerzeit auch so beurteilt. Nun hilft das Zersplittern des Bildes noch nicht richtig, denn würde man den Effekt aufs gesamte Bild anwenden, würde auch die ganze Welt zersplittern, es ist ja eigentlich ein kosmologisches Bild. Also wird das Bild gnadenlos um fast 50% beschnitten. Und voilà, wir haben unser Titelbild. Ein zersplitterndes Bild von einem weißen alten Mann, der mit weit ausgebreiteten Armen im Chaos seiner Schöpfung untergeht. Mit der ursprünglichen Bilderwelt des Julius Schnorr von Carolsfeld hat das Ganze nur noch wenig zu tun, mit aktuellen Gottesvorstellungen der Menschen in Deutschland meines Erachtens aber auch nicht, allenfalls kann man behaupten, der Gott jener Menschen, die an einen so dargestellten Gott glauben, wäre in der Krise. Nur dass das wenig mit den aktuellen Entwicklungen zu tun hat, sondern ein Problem derer ist, die noch über so ein Gottesbild verfügen.
Was aber nötigt Journalist:innen, Religionspädagog:innen oder Social-Media-Beauftragte, überhaupt auf dieses veraltete, ursprünglich für die Religionspädagogik an religiös Ungebildeten entworfene Bildmaterial zuzugreifen und dann auch noch derartig manipulativ (im Sinne des Beschnitts und der poppigen Kolorierung)? Allenfalls könnte man argumentieren, dass die Redaktion instinktiv die Mediokrität der Bilder von Julius Schnorr von Carolsfeld erkannt hat und sie einfach als das nutzt, was sie sind: einmal Propagandabild, immer Propagandabild. Aber auch dann müssten sie ja davon ausgehen, dass dieses Bild in irgendeiner Beziehung zum Glauben der Menschen in der Gegenwart steht. Das halte ich für wenig wahrscheinlich. Letztlich behandelt Publik-Forum den grell-kolorierten Holzstich von Julius Schnorr von Carolsfeld als SharePic, als Bildhintergrund für einen thetischen Satz. Meine Vermutung geht nun dahin, dass für jemanden, der sich für Kunst und Kulturgeschichte interessiert, das so entstandene und genutzte SharePic eine andere Botschaft hat als für den, der sich mit Hilfe eines über 150 Jahre alten Bildes seiner Sorge um die Krise des Gottesbildes in der Gegenwart vergewissern möchte. Denn für den an Kunst und Kultur Interessierten lässt sich die kulturelle Krise, die sich geradezu dramatisch in der Bildauswahl ausdrückt, nun umstandslos auf die Krise der diesen Gottesglauben repräsentierenden Institution übertragen. Wer solche Bilder wählt, muss in die Krise geraten. Man könnte daraus schließen: Das Christentum hat ein Darstellungsproblem[4] - was ja schon Hegel 1830 vermutet hatte. Mit dem Wegfall der christlichen Ikonographie seit dem Ende des 18. Jahrhunderts[5], hat das Christentum keine Kunstwerke mehr (wohl aber noch Bilder) gefunden, die den Glauben darstellen könnten. Das könnte auch die Redaktion von Publik Forum einwenden, denn es ist ziemlich schwer, überhaupt angemessene Kunstwerke zu benennen. Das gilt freilich nur, wenn man am Realismus oder Naturalismus als Darstellungsform festhält. Und auch nur dann, wenn man nicht für die Bildersuche auf die üblichen Bilddatenbanken zurückgreift, denn diese verfügen über so gut wie überhaupt keine zeitgenössischen Kunstwerke. Innerhalb der christlichen Kirchen müsste es also Überlegungen geben, wie christlicher Glaube heute überhaupt visuell und noch spezifischer: künstlerisch zur Darstellung gebracht wird. Der Rückgriff auf Bilder des 19. Jahrhunderts zeigt, dass hier Ratlosigkeit vorherrscht. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts hätte man auf Werke von Barnett Newman oder Mark Rothko verwiesen bzw. auf Gotthard Graubner, Günther Uecker oder Arnulf Rainer im Bereich der westeuropäischen Kunst.[6] Das scheint aber das angedachte Zielpublikum heute nicht mehr zu überzeugen. Weil man das Darstellungsproblem des Christentums offenbar nicht lösen kann, geht man, ähnlich wie der Historismus des 19. Jahrhunderts es mit den guten alten romanischen und gotischen Stilen machte, nun auf die scheinbar bewährte Kunst des 19. Jahrhunderts zurück, die selbst schon auf die alten Stile zurückgriff; sozusagen ein Mehrfachaufguss, eigentlich aber Globuli-Kunst, letztlich visuelle Religion in homöopathischen Dosen. Das löst aber nicht das eigentliche Darstellungsproblem der christlichen Religion der Gegenwart, wie Albert Gerhards zu Recht festhält:
Nur dass dieser Streit heute eben gar nicht mehr geführt wird, weil das Darstellungsproblem von den kirchlichen Akteuren an ganz anderer Stelle vermutet wird. Denn wir leben in einer Gesellschaft, für die die Sorge um die zeitgenössische Kunst nicht mehr vordringlich ist. Ihr reichen SharePics und platte Darstellungen, Hauptsache es ist zweckmäßig und kommunikativ erfolgreich, garantiert mit anderen Worten maximale Öffentlichkeit. Insofern ist die Kirche mit der Verwendung dieser eingängigen und daher leicht konsumierbaren Bilder auf der Höhe der Zeit, aber eben nicht auf der Höhe der zeitgenössischen Kunst. Das Kernproblem ist also der Widerstreit zwischen einer sich an symbolischen Vermittlungen orientierenden Kirche (bzw. Religion) und der sich weiterhin als autonom begreifenden Kunst. Verschärft wird dieses Problem dann, wenn nun aus weiteren, z.B. identitätspolitischen Gründen weitere Forderungen an die Kunst gestellt werden. Anmerkungen
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Artikelnachweis: https://www.theomag.de/135/am744b.htm |