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Magazin für Theologie und Ästhetik


Kein Raum für falsche Leute?

Ein Reinigungseid zur Kirchennutzung

Andreas Mertin

Wie eröffnet man eine kirchliche Stellungnahme zur nicht-kirchlichen Nutzung von Kirchengebäuden? Stellen Sie sich einen Moment vor, Sie müssten Gemeinden, Kirchenvorständen und Pfarrern eine Hilfestellung geben, wie sie mit dem Ansinnen, ihre Kirche zu anderen als eben kirchlichen Zwecken zu nutzen, umgehen sollen. Wie würden Sie beginnen? Was wäre Ihr erster Satz, der die weiteren Überlegungen strukturiert?

Denkbar sind ja viele Eröffnungen, z.B. der Bezug auf Jeremia 29,7: "Suchet der Stadt Bestes ... und betet für sie zum HERRN; denn wenn's ihr wohl geht, so geht's auch euch wohl". Strukturierend wäre hier der Gedanke, all jenes in Kirchenräumen zu ermöglichen, was der Öffentlichkeit und der Christen- wie Bürgergemeinde dient.

Denkbar wäre natürlich auch die Rücksicht (im Sinne von 1. Kor. 8,9) auf die (religiösen) Gefühle, die Menschen mit kirchlichen Räumen verbinden. Strukturierend wäre hier der Gedanke, dass für bestimmte Leute sich mit den kirchlichen Gebäuden Erinnerungen und Gefühle verknüpfen, die auch die aktuelle Nutzung des Gebäudes mitbestimmen sollten. Man müsste dann feststellen, was die konkrete Gemeinde fühlt und denkt.

Denkbar wäre auch der Bezug auf Jesu so genannte Tempelreinigung Mt 21, 12f par: "Und Jesus ging in den Tempel hinein und trieb heraus alle Verkäufer und Käufer im Tempel und stieß die Tische der Geldwechsler um und die Stände der Taubenhändler und sprach zu ihnen: Es steht geschrieben: 'Mein Haus soll ein Bethaus heißen'; ihr aber macht eine Räuberhöhle daraus." Strukturierend wäre hier der Gedanke, dass religiöse und kommerzielle Nutzung nicht verquickt werden dürfen.


Die Orientierungshilfe zur Nutzung von Kirchen für nichtkirchliche Veranstaltungen, herausgegeben von der Kirchenleitung der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg,[1] hat sich eine andere Eröffnung ausgedacht, sie zitiert aus dem Psalm 26 die Verse 4 und 8:

Ich sitze nicht bei heillosen Leuten und habe nicht Gemeinschaft mit den Falschen.
Herr, ich habe lieb die Stätte deines Hauses und den Ort, da deine Ehre wohnt.

Das ist natürlich ein starker Einsatz und es muss schon eine elementare Bedrohung des Kirchenraumes vorliegen, wenn gleich zu Beginn einer kirchlichen "Orientierungshilfe" eine derartige Grenzziehung vorgenommen wird. Was ist der strukturierende Gedanke eines solchen Einstiegs? Offensichtlich stehen einige Gemeinden in der Gefahr, durch ihre konkrete Praxis Gemeinschaft mit den Falschen zu pflegen und mit heillosen Leuten im Haus des Herrn zusammenzusitzen. Dem muss unter Bezug auf die Heilige Schrift ein Riegel vorgeschoben werden.[2]

Der unbefangene Leser muss nun allerdings in der Verbindung der Überschrift der Orientierungshilfe mit dem einleitend zitierten Psalm den Eindruck gewinnen, in diesem gehe es darum, wie Kirchen bzw. der Tempel vor dem Missbrauch der Gottlosen geschützt werden können und müssen. Ganz unwillkürlich schiebt sich in der Lektüre zwischen die beiden zitierten Verse ein begründendes "Denn". So gelesen dürfte man nicht mit Heillosen und Falschen im Gotteshaus zusammen sein und sie schon gar nicht ins Gotteshaus hineinlassen, weil hier Gottes kabod, seine Majestät bzw. Ehre wohnt. Für die in Frage stehende nichtkirchliche Nutzung von Kirchen würde dies bedeuten, dass nach Maßgabe der Bibel jeweils die Glaubenshaltung der Nutzer vor einer eventuellen Nutzungszustimmung überprüft werden müsste.

Mit den zitierten Bibelversen hat das alles allerdings wenig zu tun. Fraglich wäre ja schon die Legitimität einer Verknüpfung von Jerusalemer Tempel mit dem normalen Kirchengebäude, naheliegender ist hier eine Analogie von Synagoge und Kirche.[3] Das zentrale Problem besteht im vorliegenden Falle aber ganz woanders, nämlich in der willkürlich konstruierten Verknüpfung von Gottlosigkeit und Kirchennutzung. Von einer derartigen Verbindung kann nun im Psalm überhaupt keine Rede sein, er hat mit der illegitimen Nutzung religiöser Räume nichts zu tun.

Der Psalm ist ein so genannter Unschuldspsalm, in der ein unberechtigt Beschuldigter im Gebet seine Rechtfertigung durch ein Gottesurteil im Tempel sucht. Dazu legt er einen Reinigungseid ab, der in den Versen 3 bis 5 formuliert wird. Vermutet wird, dass der Beter einer Übertretung des Sakralrechts beschuldigt wird. Um das zu entkräften, beteuert er, außerhalb(!) des Tempels niemals Gemeinschaft mit Gottlosen gepflegt zu haben. Deshalb möge Gott ihn nicht mit den Gottlosen verwerfen. Der Psalm ist ein Notschrei.

Durch die Ingebrauchnahme für eine von der Kirchenleitung formulierte Orientierungshilfe wird aus dem im Gebet formulierten Notschrei "Ich bin aber doch unschuldig!" etwas vollständig anderes, nämlich eine normative Handlungsanleitung für einen ganz anderen Zweck. Die Falschen der Neuzeit sind nun plötzlich nicht mehr Mörder oder Korrupte, von denen noch der Psalm sprach (Verse 9 und 10), sondern Event-Veranstalter. Kirchenräume, so schreiben die Verfasser, "werden immer öfter zum Zielpunkt für Veranstalter, die eine Party, eine Modenschau oder ein Gala-Dinner ausrichten wollen. Solchen Wünschen sollte sehr zurückhaltend und in der Regel ablehnend begegnet werden."

Wenn die Kirchenleitung nun allerdings meint, Psalm 26 bildete in der Verknüpfung der Verse 4 und 8 für Christen eine heute zu befolgende verbindliche religiöse Norm, dann darf sie - nach der Logik des Psalms -, den entsprechenden Gruppierungen auch nicht außerhalb des Gottesraumes ihre Aufwartung machen. Denn genau das ist die Aussage von Psalm 26: Es geht nicht darum, mit wem man im Tempel zusammen ist, sondern mit wem man außerhalb des Tempels zusammentrifft. So gesehen, dürfte auch die Kirchenleitung nicht an entsprechenden Veranstaltungen außerhalb der Kirche teilnehmen. Das ist aber in der Alltagspraxis einer Kirchenleitung gar nicht zu vermeiden und wäre auch nicht wünschenswert.

Letztlich steht aber zu vermuten, dass ganz einfach durch eine bewusst irreführende und willkürliche Bibelzitation Kirchenvorständen der Eindruck vermittelt werden sollte, sie verstießen gegen die Heilige Schrift, wenn sie dem Wunsch nach einer nicht-kirchlichen Nutzung von Kirchengebäuden allzu sehr entgegenkämen.

Die nicht-kirchliche Nutzung von Kirchen will wohl bedacht sein. Dazu bedarf es intensiver theologischer, anthropologischer und soziologischer Reflexionen. Auch über die Motive derer, die eine Kirche außerkirchlich nutzen wollen, darf und muss nachgedacht werden. Häufig dürften sie Opfer einer - oft auch biographisch vermittelten - falschen Vorstellung dessen sein, was christliche Religion eigentlich ausmacht. Dem zu begegnen bedarf es vor allem der religiösen Aufklärung darüber, welche Bedeutung dem Kirchenraum in evangelischer Perspektive zukommt.[4] Willkürlich zitierter Bibelverse bedarf es dazu aber nicht!


Anmerkungen

  1. Orientierungshilfe zur Nutzung von Kirchen für nichtkirchliche Veranstaltungen, herausgegeben von der Kirchenleitung der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg
  2. Man wird natürlich an Jesu Erzählung vom Pharisäer und Zöllner erinnert (Lk 18,9-14): "Ich danke dir, Gott, dass ich nicht bin wie die andern Leute, Räuber, Betrüger, Ehebrecher oder auch wie dieser Zöllner."
  3. Vgl. dazu Verf., Freiräume(n)! Zur Diskussion um den religiösen Raum; Magazin für Theologie und Ästhetik, Heft 16
  4. Überspitzt könnte man sagen, dass es die katholischen Restbestände in der Kirchenraumgestaltung sind, auf die die Nutzer zielen. Ein reformierter weißer Gottesdienstraum dürfte kaum derartige Missverständnisse auslösen. Auch darüber sollte man nachdenken.

© Andreas Mertin 2002
Magazin für Theologie und Ästhetik 15/2002
https://www.theomag.de/15/am55.htm