Lektüren VIIAus der BücherweltAndreas Mertin |
|||||
Revolutionäre ZeitenDer russische Schriftsteller Konstantin Georgiewitsch Paustowskij (1892-1968) ist ein Zeitzeuge der revolutionären Umbrüche Russlands im Jahre 1917. Berühmt geworden ist er mit Romanen wie "Segen der Wälder" und vor allem seiner sechsbändigen Autobiografie. Deren zweiter und dritter Teil "Der Beginn eines unbekannten Zeitalters" und "Die Zeit der großen Erwartungen" liegen nun unter dem Titel "Der Beginn eines verschwundenen Zeitalters" als 216. Band der von Hans Magnus Enzensberger herausgegebenen Anderen Bibliothek vor. Paustowskij "stolpert" als Gelegenheitsjournalist in die aufregenden Ereignisse seiner Zeit, und begreift sich als eine Art Chronist der Geschehnisse. Er begegnet Lenin bei den Sitzungen des ZEK, gerät zwischen die Fronten während der gewaltsamen Auseinandersetzungen mit den linken Sozialrevolutionären und den Anarchisten bis es ihn schließlich nach Kiew verschlägt, wo er u.a. in ein Kosakenregiment und ein alptraumhaftes Wachregiment gerät. Er erlebt Pogrome, aber auch unvermutete Helfer. Schließlich flieht er ins umkämpfte Odessa. Das alles ist gut beobachtet und atmosphärisch faszinierend erzählt, es gibt Einblick in eine Zeit, die tatsächlich, wie es der Titel des Buches kündet, bald verschwunden zu sein scheint. Ein lesens- und empfehlenswertes Buch. Erfundene KunstEin Kleinod ist anzuzeigen, eine Enzyklopädie literarisch (nicht immer bloß) imaginierter Künstler aus insgesamt vier Jahrhunderten. Koen Brams, ehemaliger Herausgeber der Kunstzeitschrift De Witte Raaf und heutiger Direktor der Jan-van-Eyck-Akademie in Maastricht hat zahlreiche Enzyklopädisten um sich versammelt, um den Lesern Künstler vorzustellen, die sich Schriftsteller und Dichter in ihren Werken ausgedacht haben. Das Ergebnis ist nun in deutscher Übersetzung als 217. Band der von Hans Magnus Enzensberger herausgegebenen Anderen Bibliothek erschienen. Die Enzyklopädisten erzählen die imaginären Lebensläufe als wären es reale, und manchmal, so muss man eingestehen, sind es ja auch fast solche, wie etwa beim Maler Nansen aus Siegfried Lenz' Deutschstunde, der Emil Nolde nachgebildet ist. Die Liste der Schriftsteller, die sich ihren eigenen Künstler imaginiert und modelliert haben, ist lang und eindrucksvoll, von A wie Apollinaire und B wie Balzac über H wie Hoffmann und K wie Kafka bis hin zu S wie Shakespeare und Z wie Zola. Dabei kommen aber nicht nur literarische Hochkulturprodukte zur Vorstellung, sondern auch Cyberpunkautoren wie William Gibson. Jede so im imaginären Raum entstehende Biographie wird rekonstruiert und dem Leser nahegebracht Kritisch anzumerken ist, dass eine der eindringlichsten literarischen Imaginationen eines Künstlers, nämlich die Geschichte des florentinischen Malers Giovansimone Chigi aus Leo Perutz "Der Meister des Jüngsten Tages", fehlt. Sie hat schon Theodor W. Adorno in der "Ästhetischen Theorie" inspiriert und soll deshalb in dieser Ausgabe des Magazin für Theologie und Ästhetik nachgetragen werden. Dennoch kann das Buch uneingeschränkt zur Lektüre empfohlen werden, es ermöglicht Wiederbegegnung mit Lektüren aus vergangenen Tagen unter einer ganz neuen Perspektive.
|