Videoclips XVIRobbie Williams im ÜberdrussAndreas Mertin |
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Retro-KultRobbie Williams hat eine geradezu beängstigende Vorliebe für vergangene Zeiten. War es in "Somethin' Stupid" auf seiner CD "Swing when you're winning" eine Hommage an den Sänger und Schauspieler Frank Sinatra, den Swing und das dazugehörige Hollywood-Ambiente (https://www.theomag.de/17/am54.htm), so war es in "DJ Rock" der popmediale Totentanz, dem sein Interesse galt (https://www.theomag.de/8/am20.htm). Im Blick auf letzteren konnte seinerzeit festgestellt werden: Es gilt, das Video von Robbie Williams "einzuordnen in die Geschichte einer Auseinandersetzung mit den Tod und dem Grauen, die immer schon auf der Grenze von Aufklärung und Schauer gearbeitet hat ... Das Bild des Todes im 15. Jahrhundert beschreibt Johan Huizinga in einem Kapitel seines legendären 'Herbst des Mittelalters'. Wer seinen Ausführungen folgt, wird hier einen Ursprung der Darstellungen des Videos erkennen. Huizinga verweist auf das auch von Umberto Eco in 'Der Name der Rose' verwendete Zitat des Odo von Cluny: 'Die Schönheit des Körpers besteht allein in der Haut. Denn wenn die Menschen sähen, was unter der Haut ist, wenn sie so ... das Inwendige sehen könnten, würden sie sich vor dem Anblick der Frauen ekeln. Ihre Anmut besteht aus Schleim und Blut, aus Feuchtigkeit und Galle ... Und wenn wir nicht einmal mit Fingerspitzen Schleim oder Dreck anrühren können, wie können wir dann begehren, den Drecksbeutel selbst zu umarmen.' Man muss nur das Wort 'Frauen' durch 'Stars' ersetzen und wäre schon bei einer höchst interessanten Lesart des Clips." Im aktuellen Clip "Come Undone" scheinen Robbie Williams und seine Produzenten beschlossen zu haben, "Stars" wieder durch "Frauen" zu ersetzen. Das Video, so vermeldet die offizielle deutsche Website www.robbiewilliams.de, "zeigt Robbie am Tag nach einer Party in 'seinem Haus' in LA. Als er durch das Haus wandert erinnert er sich an die Geschehnisse der Party. Drogen, Sex und Rock'n'roll mit einem Haufen glamouröser Menschen. Robbie selber ist halb nackt und hat ein blaues Auge von einer Schlägerei der Party. Zum Ende des Videos krabbeln aus den Körperöffnungen der Partygäste lauter Ungeziefer und Schlangen - eine Persiflage an die Falschheit der Menschen, die Robbie umgeben. In der ungekürzten Fassung sind zum Ende des Videos auch einige Bettszenen mit Robbie zu sehen, in denen er sich mit zwei Frauen vergnügt, die sich anschließend in Männer verwandeln. Von der folgenden Schlägerei hat Robbie auch das blaue Auge." Der Liedtext zu "Come Undone" lautet in der Übersetzung des SWR:
Schon der Liedtext macht deutlich, dass Robbie Williams hier ein männliches Pendant zum Hure-und-Heilige-Komplex schaffen möchte, letztlich re-inszeniert er aber nur charakteristische und überholte Momente der christlichen Heiligenlegenden: die des früheren sexuell ausschweifenden Lebens im Kontrast zum seiner Verfehlungen bewusst werdenden Leben danach. Das alles hatte einmal vor langen, langen Zeiten seinen Reiz, ist aber heute ein so triviales Motiv geworden, dass jede zweite Werbeanzeige damit garniert ist (man denke etwa an das Engel-Teufel-Motiv, dass ja nur eine kleinbürgerlich geschliffene und damit gesellschaftlich akzeptierte Variante des Heilige-Hure-Motivs ist). Der gepflegte Zynismus, den Williams an den Tag legt (Und dann geb ich wieder ein Interview, setz wieder Lügen in die Welt ...), ist schon längst vom naiven Zynismus eines Michael Jackson (As I, turn up the collar on my favorite winter coat, ... I see the kids in the streets, with not enough to eat) und vom Leben selbst überboten worden. Emanzipatorisch war die Verknüpfung von Rausch und Besinnung, Sex und Religion vielleicht noch bei Madonna, die das Hure-Heilige-Klischee produktiv zur Stilbildung nutzte und damit eben auch auf den penetranten Klischee-Charakter hinwies. "In der Doppelrolle Hure/Heilige schaffte sie es, die weibliche Sicht der Dinge (vor allem was Sexualität und Liebe betrifft) in einer von Männern dominierten (Musik)welt so anzubringen, dass alle Seiten zufrieden waren, die Frauen sich verstanden fühlten und die Männer immerhin träumen konnten" (so der in dieser Frage vielleicht nicht ganz so kompetente Brockhaus zum Thema). Gerade im Kontrast zur klischeesprengenden Inszenierung Madonnas erweist sich Williams Clip jedoch faktisch als misogyn, und zwar weniger auf der Ebene demonstrativer Frauenverachtung (die Williams ja durch den abschließenden Geschlechterwechsel in der Darstellung unterläuft), als vielmehr im Rahmen der herangezogenen Symbolik. Es ist eben nicht nur, wie seine offizielle Website verkündet, eine "Persiflage an die Falschheit der Menschen, die Robbie umgeben" (notabene: Persiflage ist eine geistvolle(!) literarische Verspottung), sondern es ist in einem wortwörtlichen Sinne die Ent-Larvung seiner selbst. Zwar könnte man den Clip so interpretieren, dass Williams nur darstellt, was in kleinbürgerlicher Fantasie in Bohemekreisen so abläuft und wie es zu bewerten ist, aber es gibt genug Indizien dafür, es als morbide Selbstinszenierung, als explizit ausgedrückten Ekel über seinesgleichen und die Welt zu deuten. "EKEL, ein eigentümliches, unangenehmes Gefühl, das sich in körperlicher Beziehung hauptsächlich als Abneigung oder Widerwille gegen Speisen und Getränke, aber auch gegen bestimmte Szenen, Handlungen oder Vorstellungen äußert. Der Ekel, der dem Erbrechen vorausgeht, beruht auf Zusammenziehungen in Gaumen- und Rachenmuskeln, die meist reflektorisch durch als widerlich empfundene Gerüche oder Geschmacksempfindungen hervorgerufen werden oder von psychischen Ursachen herrühren, vor allem von bestimmten Gefühlszuständen. Der Ekel stellt wahrscheinlich ein 'erlerntes' Gefühl dar, das von der jeweiligen Erziehung, dem (religiösen) Glauben, der kulturellen Umgebung und den individuellen Erfahrungen eines Menschen abhängig ist. Insofern werden auch bestimmte sexuelle Handlungen und Praktiken von manchen Menschen als erregend und befriedigend, von anderen dagegen als abstoßend empfunden." (Brockhaus) Vielleicht können Werke von Künstlern vom Ende des 19. Jahrhunderts die Traditionslinie etwas aufhellen, in die Williams sich einordnet, wenn er meint, was er mache sei "einfach Kunst". Wenn es denn Kunst ist, dann jene, die um die Jahrhundertwende vom 19. ins 20. Jahrhundert den "Alptraum Frau" beschwören, die Faszination und die Angst vor der Weiblichkeit. Sie dokumentiert sich in Arbeiten von Max Beckmann, Franz von Stucks oder Edvard Munch. Da ist zum Beispiel Edvard Munchs Werk "Der Tag danach" (1894-95, Öl, 115x152 cm, Sammlung Nationalgalerie, Oslo), das sich einordnet in eine Reihe weiterer Arbeiten, die sein problematisches Geschlechterverhältnis dokumentieren. Die "Darstellung der begehrten und gefürchteten, anziehenden und zerstörerischen Frau steht im Mittelpunkt der Ängste, die Munch jahrelang das Leben zur Hölle machen" (Jean Selz). "Der Tag danach" stellt wie Williams Clip das Erwachen aus dem Rausch dar, den verkaterten Widereintritt in die Normalität, der mit dem Blick auf die Ursachen des Rausches verknüpft ist. Wer genau hinblickt, kann diese Szene im Clip wiederfinden. Ähnliches lässt sich für Franz von Stucks "Die Sünde" (1893, Öl, 95x60 cm, Bayerische Staatsgemäldesammlungen, München) sagen, eine Darstellung der Eva, deren Komplizenschaft mit der Schlange in dem Clip zu "Come Undone" Widerhall findet. Der Clip von Robbie Williams kann nun als Re-Inszenierung der Bilder von Munch und von Stuck im 50er-Jahre-Stil verstanden werden, nur dass diese Inszenierung merkwürdig überstrapaziert und unbegründet wirkt. Die Zeit ist über dieses Motiv hinweggegangen. Was beim Totentanz und beim Swing noch interessant wirkt, ist bei der Kombination von Sünde, Rausch und Ernüchterung mit Schlangen und Gewürm nur noch bemüht und daher langweilig.
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