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Magazin für Theologie und Ästhetik


Einführung in die Theologie des Spiels

Petra Dais

Freiheit im Spiel

"Der Mensch spielt nur, wo er in voller Bedeutung des Wortes Mensch ist, und er ist nur da ganz Mensch, wo er spielt" (Friedrich Schiller).

Spiel als Kriterium der Anthropologie? Was um Himmels willen hat es mit dieser Behauptung auf sich, haben wir nicht das Spielzimmer unserer Kindheit verlassen, um endlich als Erwachsene im Ernst des Lebens mit Verantwortung mitten im Leben zu stehen? Aber vielleicht hat gerade das Erwachsensein viel mehr mit Spiel zu tun als es auf den ersten Blick scheint? Was ist eigentlich Spiel?

Im Deutschen steht das Wort "Spiel" für sehr Verschiedenes: Sei es das Kinderspiel, das Glücksspiel, das "so Tun als ob" - aber auch das Spiel der Musik, der Wellen und Farben. Eine Achse braucht Spiel, um sich bewegen zu können, ebenso eine Schublade. Hier wird das Spiel als Zwischenraum verstanden, der Bewegung zulässt im Gegensatz zum Stillstand durch Verkantung. Dieser Aspekt von Spiel präzisiert sehr deutlich, um was es bei Spiel als existenzielle Lebensbewegung geht. Es ist das Bewegungsprinzip, das für Lebendigkeit von zentraler Bedeutung ist, im Gegensatz zu Formen der Fixierung und damit der Feststellung! Etwas erzwingen zu wollen, verhindert Spiel. Von daher ist der Gegensatz von Spiel nicht der Ernst, sondern viel eher Verbissenheit und Krampf.

Hier reizt es, den Zusammenhang von Spiel und Freiheit in den Raum zu stellen. Freiheit als das Proprium evangelischer Theologie, wie könnte sie vom Spiel durchbuchstabiert werden?

Nach Sartre "setzt in der Tat das Spiel die Subjektivität frei"... "Sobald der Mensch sich selbst als frei erfasst und seine Freiheit gebrauchen will, so wird, welche Angst ihn auch sonst bedrückt, seine Tätigkeit zum Spiel".

"Unser Bedürfnis nach dieser merkwürdigen zusätzlichen Dimension des menschlichen Lebens, die wir vage "Kunst" oder "Kultur" nennen, ist immer mit einer Übung verbunden, durch die sich unsere Wahrnehmung der Realität, die durch unsichtbare Beschränkungen eingeengt ist, vorübergehend erweitert." Peter Brook

Wenn Glaube heißt, ein eigener Mensch zu werden, wenn Gott herausführt aus Zwängen, wenn das Grundwort "Befreiung" ist, dann werden neue Spielräume eröffnet. Dann kann die Welt anders erfahren werden, dann wird Spiel zum Idealpartner für den Glauben, denn im Spiel kann das Andere, das "Noch Nicht" erfahrbar werden. Der Begriff PLAYING ARTS steht für die Erfahrung, die ein Mensch innerhalb eines bestimmten Spielraumes macht, wenn er mit dem, was da Unvorhergesehenes, Überraschendes, Zu - fallendes geschieht, in Kontakt tritt, ins Spiel kommt und dabei eine Erweiterung seiner Wahrnehmung erfährt.

Spiel lebt dabei von dem "als-ob Raum": Definierte Räume werden ständig verändert, im Spiel können Rollen souverän geprobt und getauscht werden. Die freien und gewagten Verknüpfungen im spielenden Handeln und im spielenden Denken ermöglichen dabei die außergewöhnliche, nur im Spiel mögliche Annäherung an Wünsche und Ängste - im Medium des nicht-Verfügbaren. Hier steckt der Anfang aller aktiven schöpferischen Freiheit. Und hier ahne ich, dass diese schöpferischen Kräfte, die das Subjekt im Spiel entfaltet, österlich hineinleuchten in den Alltag.

Den Widersprüchen des Alltags kann anders begegnet werden: Die lebensnotwendige Kreativität für unsere Welt wird da freigesetzt, wo Menschen so leben, als ob Gott die Welt in Händen hält, als ob die Schwachen Recht haben. Es geht dabei nicht um ein Überspielen der Alltagsrealitäten, sondern vielmehr um Wahrnehmung mit anderen Sinnen, um Sinnesänderung. Da wird Spiel zur Gegenerfahrung von Alltagsrealität und das Gemeinsame von Spiel und Religion ist es, die Wirklichkeit handhabbar zu machen und zu verändern.

Predigt als Spielraum

"Wer predigt, lässt sich auf ein Spiel ein. Und wer einer Predigt zuhört, spielt mit" (Karl-Heinz Bieritz). Was ist das, was hin und wieder nach einem Gottesdienst das Staunen hervorruft: "hier habe ich nicht nur zugehört, nein, da ist etwas geschehen, an dem ich aktiv beteiligt war"? Ich vermute, dass ein solches Gottesdiensterlebnis etwas mit der Erfahrung zu tun hat an einem Spiel beteiligt gewesen zu sein, an einer Art Hin- und Herbewegung. Doch was muss geschehen, damit sich im Gottesdienst solche Spielräume öffnen können? Wodurch werden sie verbaut ?

Predigt wird dann zum erlebten Spiel, wenn sie bei den Hörenden Phantasie freisetzt, wenn diese verlockt werden, mit Gedanken zu jonglieren und verschiedene Perspektiven zu entwickeln, wenn das gesprochene Wort nicht abschließt, sondern öffnet und anregt. Ein Spiel kommt dann in Bewegung, wenn der alte Text "in Szene kommt", in der Gegenwart neu lebendig wird, mit der Gegenwart in Dialog tritt: Altes trifft auf Gegenwärtiges, Ungewohntes auf Alltägliches, in den Erfahrungen aus anderen Zeiten kann man sich verlieren und wieder finden, sie helfen der eigenen Sprachlosigkeit zu entrinnen... So gesehen ist Predigt auch "Inszenierung" (Henning Luther).

Wenn ich hiermit den Versuch wage, Erfahrungen aus PLAYING ARTS-Prozessen im Blick auf die Predigt zu bedenken, dann muss vorneweg betont werden: Spiel ist nicht machbar. Wer selbst ins Spiel geraten will und andere zum Mitspielen verlocken möchte, kann das nicht mit Rezepten planen. Vielmehr geht es um Haltungen, die das Spielen ermöglichen und fördern. Diese Haltungen jedoch können geübt werden. Ich möchte eine Haltung, eine Einstellung herausgreifen: Der Spielraum ist ein Ort möglicher Wirklichkeiten.

"Es gibt im Leben Augenblicke, da die Frage, ob man anders denken kann, als man denkt und anders wahrnehmen kann, als man sieht, zum Weiterschauen und Weiterdenken unentbehrlich ist." Michel Foucault

PLAYING ARTS - Prozesse leben davon, dass ausprobiert wird, sei es, dass Menschen miteinander in Kontakt treten, Rollen erspielen, sei es, dass mit Gegenständen gespielt wird.

Dabei ergeben sich immer wieder neue Formen von Beziehungen und in diesem Spiel entfalten Spielende ihre Ausdrucksvielfalt. Durch das Erspielen verschiedener Möglichkeiten erweitern sie ihre Wahrnehmung, bisher Ungedachtes wird denkbar, der Zufall kann zum Einfall werden. Voraussetzung ist, dass der Spielraum ein offener Spielraum ist, dass nichts vorher bestimmt ist. Mitzuspielen bedeutet, präsent zu sein, jetzt noch nicht zu wissen, was sein wird, denn nur das Einlassen auf den Augenblick lässt die Situation mit all ihren Möglichkeiten wahrnehmen, ermöglicht es, auch andere Wege zu gehen als die immer schon Gesehenen.

Was könnte eine solche "riskante" Haltung für die Homiletik bedeuten?

  • Der Predigttext wird als ein Reservoir möglicher Wirklichkeiten begriffen.

Wer sich einem Text immer wieder neugierig nähert, in der Haltung, ihn wie zum ersten Mal zu lesen und noch nicht zu wissen, wie es aus- und weitergeht, kann Gegengeschichten und Variationen zu Themen dieses Textes erfinden. Ein grandioses Beispiel bietet Kierkegaard: Er stellt vier Versionen der sog. Opferung Isaaks kommentarlos nebeneinander. So gerät diese Geschichte in Bewegung. Kierkegaard erzählt, füllt aus, was nicht in ihr steht, aber in ihr stehen könnte, verschiedenes, sich widersprechendes, sich ausschließendes. Ein Beispiel aus der Gegenwartskunst ist der Film "Lola rennt" (Tom Tykwer), wo auf kunstvolle Weise mehrere Möglichkeiten durchgespielt werden, wie sich eine Situation entwickeln könnte und so Zuschauende mit hineingenommen werden in das spannende Spiel, Möglichkeiten zu er-finden. In einem solchen Umgang mit Texten, der übrigens auch innerhalb der Bibel praktiziert wird, lässt der Text "zwischen den Zeilen" Freiheit und lädt ein zur aktiven und produktiven Interpretation als Fortsetzung, als Ergänzung. "Predigt wird zum offenen Kunstwerk" (Gerhard Marcel Martin).

  • Die Haltung, Predigt als Spielraum anzusehen, führt zu einer neuen Predigtsprache.

An die Stelle einer in sich geschlossenen Sprache tritt eine Sprache, welche der Raumstruktur der Texte Geltung verschafft und den Hörenden und Lesenden Orte bereitstellt, an denen Um-formungen, Ver-formungen - Reformen stattfinden können (Wilfried Engemann), Räume und Zeiten für eigene Assoziationen werden gewährt. Predigt wird zum "monologen Drama" (Henning Luther), das an jeder Stelle überraschend bleibt. Es ist nicht von Anfang an klar, worauf es hinausläuft. Die Predigt "nötigt" also in gewissem Sinne zur Präsenz und schafft dadurch den Hörenden Raum und gleichzeitig auch die Distanz zur Welt, die sie brauchen, um der Welt zu begegnen.

  • Aber ist nicht gerade die Predigt an sich schon spielverhindernd, weil sie durch ihren Frontalcharakter eine Struktur der Passivität verkörpert?

Wenn das grundlegende Merkmal von Spiel das Aktivsein aller Beteiligten ist, wie kann bei Predigt von Spiel geredet werden, wo Hörenden doch nur die Rolle der Rezipienten zukommt ? Ich behaupte, dass gerade im Verständnis von Rezeption der Schlüssel liegt: Predigt bietet dann den Spielraum, wenn sich Rezeption als Konstruktion ereignet. Wenn Hören nicht als linear rezeptiver Vorgang erfahren wird, sondern Hören zur Synthese, zum Spiel von Wahrnehmen und Schaffen wird. Die Predigt kann das leisten, wenn sie nicht mehr Belehrung über objektive Wahrheiten sein will, sondern eben einen Raum eröffnen will, wo Impulse auf Resonanzkörper treffen. Predigt ist so gesehen Reizraum - nicht mehr und nicht weniger! Hörende werden zu aktiv Hörenden, wenn sie beispielsweise durch Impulse zu der befreienden Erkenntnis angeregt werden: "Ich muss meine Lebensgeschichte nicht immer auf die selbe Art lesen. Es könnte auch anders sein!" Wenn Hörende durch die Entdeckung ihrer Möglichkeiten dazu befähigt und befreit werden, sich zu verlieren und wieder neu zu (er-)finden -das wäre im wahrsten Sinne des Wortes Evangelium - wenn sie sich selbst immer mehr als Subjekte, als Wirkende erleben, dann wird Predigt zum Spielraum.

Predigt als Reizraum - hier gibt es ein spannendes Lernfeld im Gespräch mit Kunst und Spiel. Und hier wird für mich PLAYING ARTS interessant, weil das Spiel in der Kunst und die Kunst im Spiel zu einer erweiterten Wahrnehmung und Veränderung von Wirklichkeit reizt.

Die Weisheit spielt vor Gott. Kreativität ist schöpferisches Spiel

Warum hat Gott die Welt geschaffen? So fragt das Kind, das gelernt hat, dass alles in der Welt der Erwachsenen seine guten Gründe hat. Aber hat auch die Welt einen Grund? Ist die Welt als Schöpfung Gottes notwendig? Wäre die Schöpfung für Gott selbst notwendig, so wäre Gott nicht ihr freier Schöpfer. Wie also ist die Freiheit Gottes zu seiner Schöpfung zu verstehen?

"Der Weltlauf ist ein spielendes Kind, das hin und her die Brettsteine setzt" - mit diesem Bild beschreibt Heraklit das kosmische Weltsymbol und das bedeutet: Das ursprüngliche Hervorbringen hat den Charakter des Spiels. Spielend geben sich Götter und Menschen ins Ganze der Welt, spielend schwebt die Welt. Die Welt ist grundlos und dieser Grundlosigkeit entspricht in ihrer letzten Hinsicht als die ihr angemessene Möglichkeit des Menschen das Spielen.

Nach jüdisch-christlicher Tradition erzählt die Weisheit Gottes vom schöpferischen Gott: "Da ward ich sein Entzücken Tag für Tag und ich spielte vor ihm alle Zeit"(Sprüche 8,30). Die Schöpfung ist das "Spiel Gottes, ein Spiel seiner grundlosen unergründlichen Weisheit. Sie selbst ist der Spielraum für Gottes Prachtentfaltung" (Jürgen Moltmann). Die göttliche Schöpfung musste nicht sein, aber sie entspricht Gott zutiefst. Das lässt sich symbolisch in Kategorien des Spiels ausdrücken: Spiel ist "sinnvoll, aber nicht notwendig"(Huizinga) und wie das Spiel unterscheidet sich die Schöpfung dadurch von erfolgs- und gewinnorientierter Arbeit.

"Wenn wir sagen, der schöpferische Gott spielt, so hüllt sich in dieses Bild die metaphysische Einsicht, dass die Schöpfung der Welt und der Menschen zwar göttlich sinnvolles aber in keiner Weise notwendiges Tun darstellt." Hugo Rahner

Warum ist Spiel so wertvoll für schöpferische Prozesse? Der Mensch, das Ebenbild Gottes, entdeckt im Spiel seine Möglichkeiten. Wie kaum eine andere Lebensbewegung (im Sinne von: wie ich mich durchs Leben bewege) trägt Spielen dazu bei, das Eigene zu entfalten und ist damit Quelle menschlicher Kreativität. Doch wie muss dieses so inflationär gebrauchte Heilswort "Kreativität" bestimmt sein, damit es nicht dem Missbrauch und der Beliebigkeit ausgesetzt ist? Aus dem oben beschriebenen Zusammenhang zwischen Schöpfung und Spiel ergeben sich u.a. folgende Beobachtungen:

  • Kreativität und Machbarkeit im Sinne von Verfügbarkeit schließen sich aus.

Wer sich auf schöpferische Prozesse einlässt, wer sich solche leistet, wer solche riskiert, z.B. bei der Vorbereitung einer Tagung, Predigt oder Unterrichtsstunde, stellt immer wieder fest, wie wichtig in solchen Prozessen die Hin- und Herbewegungen sind - das Spiel mit den Möglichkeiten und mit den "Unmöglichkeiten". Gerade dann, wenn noch nicht fest steht, was am Ende herauskommen wird, wenn der Weg nicht nur einlinig, zielorientiert ist, kann auch das wahrgenommen werden, was abseits vom Weg an Unbekanntem passiert. Neues, Unvorhergesehenes entsteht und der schöpferische Prozess selbst wird interessant, weil er offen und überraschend gehalten wird. Dieses Offenhalten ist bisweilen anstrengend, eine Zumutung und ein Risiko.

  • Kreativität lebt von Moment zu Moment, von Einfall zu Einfall.

Kreativität ist Bewegung, Kreativität ist "werden". Kreativität ist nicht das Sahnehäubchen auf der Torte, die Bastelei oder der Bunte Abend, sondern die Hefe im Teig. Kreativität ist da, wo Menschen agieren, nicht mehr nur reproduzieren, wo sie sich auf das Spiel mit den Momenten einlassen, sozusagen sich selbst aufs Spiel setzen. Meiner Erfahrung nach gehört zur Kreativität aber auch die Krise und ihre Überwindung, auch das Scheitern und die Fähigkeit mit Zufällen neugierig und produktiv umzugehen. Irritationen in der Begegnung mit Fremdem und die Unterbrechungen der oft allzu glatten Abläufe sind bisweilen wunderbare, die Kreativität beflügelnde Bewegungsimpulse. "Man kann Kreativität nicht so sehr "fördern" oder gar "herstellen", man muss sich die Verhinderungen klar machen und diese vermeiden oder ausräumen." (Hartmut von Hentig)

Spiel als Bildung - Bildung als Spiel

"Wer spielt stiehlt dem lieben Gott die Zeit - das wurde mir als Kind manchmal gesagt", so die Assoziation eines Teilnehmers bei einer PLAYING ARTS -Fortbildung, als es um die Bedeutung von Spiel in der eigenen Biographie ging.

Bildung und Spiel - kann das gut zusammen gehen, in einer Zeit, in der Bildungseinrichtungen daraufhin abgeklopft werden, inwiefern das, was dort geschieht nützlich ist, ergebnisorientiert vorzeigbar, brauchbar ist für den Wirtschaftsstandort Deutschland?

Wenn es um solche Kriterien geht, ist Spiel wahrscheinlich fehl am Platz, denn Instrumentalisierung raubt dem Spiel meist seine Qualität.

Spiel als der Bereich menschlicher Existenz, in dem Pole wie Ernst und Heiterkeit, Persönliches und Allgemeines, Innen und Außen, Leere und Fülle, Selbstvergessenheit und höchste Konzentration, Spannung und Entspannung aufeinandertreffen ohne sich gegenseitig auszuschließen, steht viel eher für das Übernützliche. Was ist damit gemeint?

Ich möchte es an einem Verständnis von Bildung verdeutlichen: In einer Bildungslandschaft, in der es Lernprogramme gibt, die durch Lernziele definiert sind, deren Lernwege genau vorgegeben sind und diese zeitlich in kleinste Häppchen vorstrukturiert sind, vergessen Menschen oftmals ihre eigenen und eigenartigen Lernbewegungen, ihre eigenen Lebensbewegungen. Sie werden viel eher trainiert vorgeformte Wege zu gehen. Solche Lernprogramme mögen zwar effektiv sein, stehen aber nicht für das, was mit Bildung im Sinne von "sich bilden" gemeint ist.

Sich bilden ist der Prozess, durch den etwas (s)eine Gestalt annimmt. Die reflexive Form des Verbums "sich bilden" bringt zum Ausdruck, dass es dabei um ein Wechselspiel geht: Im Dialog mit der Wirklichkeit außerhalb seiner selbst entwickelt sich das Selbst, nimmt Gestalt(en) an.

"Spielend und nur spielend kommen Menschen den unerschöpften Möglichkeiten unseres Daseins auf die Spur. Spielend entdecken wir Alternativen zum gewohnten Verhalten, überschreiten wir die Grenzen unserer Alltagsrollen und probieren andere aus, testen wir Problemlösungen, die vom Üblichen abweichen." Ernst Lange

Entwicklungspsychologen weisen darauf hin, dass dabei dem Spiel als grundlegende Lebensbewegung große Bedeutung zukommt. Im Spiel sind wir selbsttätig, spielend experimentieren wir mit den Möglichkeiten unserer Wirklichkeit: das Kind entdeckt den Lebensraum um sich herum, der neugierig macht, neue Bewegungen auszuprobieren. Im Spiel - im Experiment mit der eigenen Balance wird es nicht müde, so lange wieder aufzustehen nach dem Fallen, bis es seine Sicherheit im Stehen erreicht.

Das verdeutlich, wie sehr gerade die Neugier Antrieb für das Erlernen von Fähigkeiten ist, was für alle Bereiche und alle Altersstufen gilt.

Was ist dabei das Bildungsideal?

Ist es der Mensch, der irgendwann einmal allen seinen Neugierden nachgegangen sein wird, seine Persönlichkeit entfaltet haben wird und so mit den erlernten Fähigkeiten für das Leben gewappnet ist ? Ist es der Mensch, der Erwachsen geworden ist und das Spiel nicht mehr braucht? Dieses Bildungsideal beruht auf einem harmonistischen und idealisierenden Welt- und Menschenbild, das m.E. unserer Wirklichkeitserfahrung nicht gerecht wird. Gerade in der Diskussion um Bildung innerhalb der Kirche ist mir folgender Aspekt wichtig: Menschliches Leben und Zusammenleben, das gerade nicht in einer Wirklichkeit "abläuft", in der Gelerntes mit solch einer Sicherheit angewandt werden kann, dass ein bestimmtes Verhalten eine eindeutige Folge haben wird, braucht zum Leben anderes: Es braucht Beweglichkeit, Flexibilität - eben Spiel. Unsere Welt mit ihren Vielfältigkeiten und Brüchen stellt uns immer wieder vor die Herausforderung, mit Situationen umzugehen, in denen wir "mit unserem Latein am Ende sind", Situationen, die sich trotz aller eingebrachten Fähigkeiten nicht auf das gewünschte Ziel hin entwickeln lassen, Situationen in denen wir scheitern und an unsere Grenzen geraten. "Nur das kann gelingen, was auch scheitern darf" - diese Provokation von Reinhard Kahl möchte nicht verharmlosen oder gar zum unbedachten "drauflos - Agieren" anspornen, sondern etwas eröffnen: Wenn es denn unmöglich ist, dem Scheitern zu entkommen, bleibt nur der Versuch, damit zurechtzukommen. Ich ahne, dass dabei dem Spiel als Lebenshaltung die Bedeutung zukommen kann, Lebendigkeit zu bewahren, da wo Starrheit oder Verkrampfung Leben einengt; Lebendigkeit, in der Menschen sich anders bewegen können und vielleicht andere(s) in Bewegung bringen können.


© Petra Dais 2003
Magazin für Theologie und Ästhetik 24/2003
https://www.theomag.de/24/pd1.htm