Immer mal wieder gespieltZur sprunghaften Rezeption des Spielbegriffs in der Praktischen Theologie[1]Thomas Klie |
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Glaubt man den Kulturanthropologen, dann haben Menschen immer schon gespielt. Miteinander, gegen einander, für einander, für sich allein. In Geschichte und Gegenwart steht "Spiel" für einen allgegenwärtigen und vielgestaltigen Phänomenbereich. Er umfasst konkrete Operationen (Theater, Lotto, Geige spielen; engl.: game) sowie ein Verhalten, das sich in Vagheit, Spontaneität, aber auch in Regelobservanz äußert (engl.: play). Das überaus breite semantische Feld spiegelt alle Nuancen zwischen den play- und game-Funktionen. Gespielt wird zum Zeitvertreib, als vorbereitende Übung, in Form von Wettkämpfen, Turnieren und Schaustellungen, in Kult, Musik und Ritual - alles Indizien dafür, dass "Spiel" und "spielen" in Kommunikationen eingelagert ist, in denen mehr als nur Komplementärphänomene zum Lebensernst zum Ausdruck kommen. Spiel lässt sich nicht einfach auf "unernst" reduzieren. Wenn die Praktische Theologie - wie hier bei der Spiel-Kategorie - Begriffe aus der Alltagspragmatik in Gebrauch nimmt, dann importiert sie damit zugleich auch alle ihre semantischen Unschärfen. Der Reiz der Spielmetapher liegt in ihrer Offenheit und in der Möglichkeit eines umstandslosen alltagsweltlichen Abgleichs: Alle spielen irgendwie immer mal wieder; zumindest hat man sich dem Spiel in Kindheit und Jugend hingegeben. Von dieser vor-theoretischen Unmittelbarkeit sind auch viele theologischen Bezugnahmen bestimmt. Zwar lässt sich damit die Strenge begrifflicher Operationen mühelos - "spielerisch" eben - sistieren, doch führt das im Gegenzug auch zu einer sachlich nicht immer begründbaren Entgrenzung der jeweils reflektierten Gegenstände. Das Gros theologischer Spieltheorien tendiert dahin - dies meine Ausgangsthese -, die Vagheit des Spiels undiskutiert kategorial zu überhöhen. Das so erzeugte "Rauschen" scheint durchaus gewollt, präzise Definitionen werden jedenfalls in der Regel vermieden: Nicht alles, was alltagssprachlich Spiel genannt wird, liegt in der Reichweite eines Reflexionsbegriffs "Spiel" (z.B. Tierspiele, mechanische Vorgänge: etwas "hat Spiel"). Zudem wird eine praktisch-theologische Spieltheorie immer auch darauf beharren, dass Geschehniseinheiten, die umgangssprachlich keineswegs als "Spiele" gelten, wie z.B. Gottesdienst, Unterricht oder gar Seelsorge, durchaus im Sinne einer disziplinär gebundenen Handlungstheorie als spielaffin angesehen werden können. Das für den Spielbegriff typische Changieren zwischen umgangssprachlichen und wissenschaftssprachlichen Codierungen kann als das Charakteristikum seiner Rezeptionsgeschichte angesehen werden. Darum zeigte (und zeigt) sich "Spiel" überaus anfällig für normative Aufladungen. Je nach Zeitgeist und theologischer Präferenz wird die Spielfunktion in unterschiedlicher Weise bestimmt. So gesehen kann die Geschichte der praktisch-theologischen Spieltheorien auch als eine Geschichte kulturell bzw. theologisch motivierter Lesarten ein- und desselben Phänomens gelesen werden. Die Karriere des Spielbegriffs setzt in der Theologie erst relativ spät ein, und sie erfolgt nicht bruchlos. Als Gründe dafür nennt Hans-Günter Heimbrock die Inkommensurabilität der jeweiligen Gegenstände: "Kann man darauf verfallen, unter dem Kreuz Christi zu spielen? Weder im Protestantismus noch im Katholizismus gehört 'spielen' zu herkömmlichen Grundhaltungen (...). Und welcher Theologe mag den Vorwurf auf sich sitzen lassen, er betreibe mit seiner Theorie des christlichen Glaubens nichts weiter als 'Glasperlenspiel'?"[2] Etwa ein Jahrzehnt später merkt Karl-Heinrich Bieritz[3] an, dass sich "allen spiel-theoretischen, spiel-theologischen Einsprüchen zum Trotz" die umgangsprachlichen Konnotationen des Spielbegriffs "auch in die Hirne und Herzen von Theologen" fest eingeschliffen haben. Seiner Meinung nach verkennen sowohl die "pauschale Abwertung" als auch "generalisierende, euphorische Aufwertungen und Verklärungen" den wahren Ernst des Spiels. Bildet das Spiel bei Heimbrock und Bieritz nur eine Kategorie im Konzert anderer theorieleitender Bestimmungen, so gehen Dietrich Zilleßen und Bernd Beuscher noch einen Schritt weiter. Für sie steht die Angemessenheit der Spielkategorie insofern außer Zweifel, als in der Logik ihres Konzepts die Religion den latenten und allgemeinen "Modus des Spiels" bildet: "Nichts wäre dann lebensgemäßer an der Theologie, als wenn sie spielerisch sein könnte."[4] Vor dem erkenntnistheoretischen Hintergrund ubiquitärer "Lebensspiele" im Sinne Lacans ist die Differenzierung "in Bereiche 'U' und 'E'" für Zilleßen/Beuscher nicht mehr aufrecht zu erhalten: "Von woher sagt Theologie, wo Gott mitspielt? Welche Spielregeln sind verbindlich?"[5] Beide Postulate haben sich praktisch-theologisch nicht durchsetzen können. Selbst die Hausse theologischer Versuche über das Spiel - vor allem zwischen 1970 und 1980 - hat keine stilbildende Spieltheorie hervorbringen können. So sehr die libertären und expressiven Aspekte der Spielsemantik im damaligen theologischen Diskurs (Sölle, Cox, Martin, Moltmann u. a.) plausibel erschienen, so wenig ließen sich die semiosischen, inszenatorischen und regelförmigen Aspekte darin in befriedigender Weise integrieren. Das mag auch daran gelegen haben, dass man die Breite des außertheologischen Spieldiskurses in aller Regel ausblendete. Dieser Diskurs war bestimmt durch Ansätze, in denen die operative Ordnung des mit "Spiel" bezeichneten Phänomens unter philosophischen, vor allem aber unter natur-, kultur- und sozialwissenschaftlichen Fragehinsichten systematisiert wurde. Eine praktisch-theologisch relevante Spieltheorie kann aber nur dann zu überzeugenden Lösungen kommen, wenn sie ihre Einsichten abgleicht mit den entsprechenden Erkenntnissen verwandter Disziplinen. Dies umso mehr, als ihr Gegenstand - die kirchlich-religiöse Praxis - immer schon eingelagert ist in Kultur. Im folgenden soll die diskontinuierliche Geschichte praktisch-theologischer Spieltheorien nachgezeichnet und dabei die Wechselwirkungen zwischen Zeit- und Theologiegeschichte aufgezeigt werden. Das Spiel weist in Bezug auf seine Funktionsweise, seine zeit-räumliche Ausdehnung, aber auch hinsichtlich seiner Sequenzialität eine strukturelle Nähe zum gottesdienstlichen Geschehen auf. Nicht ohne Grund erscheint die Spielkategorie im Gesamtzusammenhang der Praktischen Theologie v. a. in liturgicis als eine durchaus angemessene Reflexionsfigur. Von Beginn des 20. Jahrhunderts an griff man mit großer Regelmäßigkeit - trotz z. T. sehr unterschiedlicher theologischer Voraussetzungen - auf den Spielbegriff zurück. Die Analogie von Spiel und Gottesdienst leuchtete offenbar unmittelbar ein Es lassen sich dabei idealtypisch drei verschiedene Begründungs- und Verwendungszusammenhänge von einander abheben: die kultische, die befreiungstheologische und die ritualtheoretische Spielrezeption. Der Prototyp der kultischen Lesart des Spiels ist Romano Guardinis kleine Schrift 'Vom Geist der Liturgie' (1918).[6] In dieser Monographie bringt der Pionier der liturgischen Bewegung seine wirkungsgeschichtlich bedeutsame Hinwendung zur liturgischen Tradition, insbesondere zur Eucharistiefeier zum Ausdruck. Motiviert durch die Liturgiereform des "religiösen Papstes" Pius X. und beeinflusst durch die zeitgenössische Lebensphilosophie und Phänomenologie legt Guardini in kirchenpolitisch bewegter Zeit (Antimodernistenstreit!) dar, in welchem Verhältnis die katholische Liturgie "zum nicht-liturgischen religiösen Leben steht"[7]: "Vor Gott ein Spiel zu treiben, ein Werk der Kunst - nicht zu schaffen, sondern zu sein, das ist das innerste Wesen der Liturgie".[8] Da Guardini seinen 'Geist der Liturgie' nicht an eine Fachöffentlichkeit adressiert, sondern Leser im Blick hat, "die von außen und neu an die Liturgie herantreten"[9], gebraucht er den Spielbegriff in pädagogischer Hinsicht. Die spielerische Perspektive auf das Messformular steht bei ihm im Dienste einer kultisch-kirchlichern Affirmation: "richtig verstandene" Liturgie entspricht unzweifelhaft den "Grundsätzen (...) der rein natürlichen, gesunden Psychologie und Seelenkultur".[10] Guardini steht hier in gut katholischer Tradition. So wendet Thomas von Aquin in seiner 'Summa Theologica' den Spielbegriff zwar nicht direkt auf die Liturgie an, aber er rechtfertigt (mit Aristoteles) Kurzweil (ludicra) und Lustigkeit (jocosa) im Spiel mit dem allgemeinen menschlichen Bedürfnis nach Erholung von Körper und Geist: Et ideo oportet remedium contra fatigationem animalem adhibere per aliquam delectationem, intermissa intentione ad insistendem studio rationis. Für das Urlaubnehmen des Geistes von den Geschäften des Alltags (remissio animi a rebus agendis) ist das Spielvergnügen (delectatio ludi) durchaus sittlich geboten.[11] Spiel ist für Guardini eines der elementaren (Natur-)Gesetze des Lebens. Im Hinblick auf die beiden Seins-Pole "Zweck und Sinn" ist das Spiel dem "Sinn", der "Wahrheit", der "Natur" mithin dem zwecklos Ästhetischen zuzuordnen. Er belegt sein Spielparadigma mit den nicht zweckgebundenen Spielen der Natur, der Kinder und der Künstler. Alle diese finden ihr telos in sich selbst, "sie haben einen Sinn". Und so ist auch das liturgische Spiel nichts weiter als Selbstzweck, eine um Gottes Willen "in sich ruhende Welt des Lebens".[12] Guardini sieht das Spiel durch seine semantische Opposition zum Ernst jedoch nicht hinreichend bestimmt. Das Wesen des Spiels gründet gerade nicht in der Abwesenheit von Ernst, sondern im Gegenteil: Es kann überhaupt nur im "heiligen Ernst" wirklich gespielt werden. Dies belegen die Ernsthaftigkeit der Regelkonstitution im Kinderspiel und der "bittere Ernst der Künstler im Frondienst der Kunst". Die bestimmende Ordnungsmacht der spielerischen lex orandi ist nicht etwa der Priester in seiner liturgisch vorgegebenen Protagonistenrolle, sondern der Heilige Geist selbst. Liturgie zu spielen, ist für Guardini eine Wirkung des Geistes. Der Heilige Geist regelt das heilige Spiel, "das die Seele vor Gott treibt", mit "ernsten Gesetzen" und verhilft ihm so zu einer überzeugenden Gestalt. Insofern handelt es sich um stilvolles Spielgeschehen; das dem Alltag entzogene "Kulturgebilde edelster Art" stilisiert sein Formenspiel nach Art der Kunst. "liturgischer Stil" verweist dabei sowohl auf die urbildlichen Wesenszüge des Geschehens, als auch auf die die religiösen Gebräuche transzendierenden allgemeinen Formen. - Der Stil- und Spiel-Begriff bleiben jedoch insgesamt theoretisch unterbestimmt. Anlass, Duktus und der editorische Rahmen von Guardinis Abhandlung lassen kaum mehr als allegorische Umschreibungen zu. Diese uneigentliche Lesart legt er ausdrücklich mit seiner ersten Fußnote nahe: "Für die folgenden Ausführungen muss der Verfasser den Leser bitten, dass er die einzelnen Worte und Sätze nicht auf die Goldwaage lege. Es handelt sich um eine feine, schwebende, nicht leicht fassbare Sache. Und nur dann darf er sicher sein, nicht missverstanden zu werden, wenn der Leser sein Augenmerk auf das Ganze und die Gesamtrichtung des Gedankenganges einstellen will."[13] Ein Jahr nach dem Erscheinen von Guardinis kleiner Schrift taucht der Spielbegriff in der 'Praktischen Theologie' des Marburger Praktischen Theologen Friedrich Niebergall auf. Auch er verwendet ihn im Kontext der Liturgik, denn Spiel ist für ihn in erster Linie darstellendes Spiel. In Anlehnung an Schleiermacher leitet er die "feierliche, anschauliche und dramatische Form" des Gottesdienstes aus der Verhältnisbestimmung von "Kult und Kunst" ab. Die Kunst liefert die "Mittel zur Erzeugung von Stimmung" bzw. zur Darstellung des religiös Wesentlichen, und beide Funktionen verdichten sich exemplarisch im "heiligen Spiel". "Es sollte also gleichsam ein heiliges Spiel sein - sicher wird dieser Ausdruck missverstanden -, in dem Gemeinde und Gott sich begegnen, wie sie sich tatsächlich begegnen sollen und es auch tun im wirklichen Leben des Frommen und der gläubigen Gemeinde. In diesem heiligen Spiel tritt nicht etwa Gott selber auf, auch nicht in seinem Wort, sondern der Pfarrer als Prophet spielt - wiederum scheint es ein lästerlicher Ausdruck - Gottes Rolle, wie er auch der Gemeinde Gott gegenüber als ihr Priester spielt. Es ist Darstellung, die in typisch-idealisierender Weise fasst und ausdrückt, was da sein kann und sein soll, aber es nicht immer ist; die es darum anbahnen will, indem sie es darstellt."[14] Inhaltlich korreliert diese Spielauffassung mit Schleiermachers grundlegender Unterscheidung von Kunst als Formprinzip und Religion als Stoffprinzip des christlichen Kultus. Gemäß dieser Differenzierung bringen die verschiedenen Kunstformen die "religiöse Erregtheit" liturgisch zur Darstellung.[15] Schleiermacher selbst vermeidet den Spielbegriff in diesen Zusammenhang, denn er sieht ihn semantisch - ganz im Sinne Kants - durch die Opposition zu /Ernst/ bestimmt. Schleiermacher konnotiert /Spiel/ mit dem Moment des Komischen und "Parteiischen" in der Kunst, und dies ist für ihn geradezu ein Ausschlusskriterium im Hinblick auf die Rezeption entsprechender Kunstmittel im Kultus. Im Kultus geht es um den "absoluten Ernst" des Gottesbewusstseins, dem das "Zurückgehn auf den äußeren Schein" im "absoluten Spiel" diametral entgegensteht.[16] Für Niebergall hängen Kult und Kunst über das Moment sinnenfälliger Darstellung zusammen. Das Mysterium dieser Form-Synthese bringt der Spielbegriff nach Niebergall treffend zum Ausdruck: "Dazu dient jenes Spiel, jenes Mysterium, in dem sich Gott und die Seele, Gott und die Gemeinde begegnen, in dem Wort Gottes und Sakrament, in dem heilige Formel und persönliches Predigtwort, Gesang und Gebet und Gelübde zu einem Ganzen vereinigt werden sollen, das das Verhältnis zwischen Gott und seinem Volk zum Ausdruck bringt, wie es gerade in dieser Religionsgemeinschaft von jeher gefasst und erstrebt worden ist."[17] Dieses kultische Spiel steht ganz im Dienste der "kirchlichen Gemeindeerziehung" - die Liturgie ist eine Funktion der relativen Bildbarkeit der Kirchenchristen. Denn das ästhetische Zusammenspiel stimuliert die religiösen Effekte und kanalisiert sie zugleich. "Darum sollte alles Kultische schön sein, um gleich schon auf die Höhe zu erheben, auf die der Inhalt empor führen soll."[18] - Niebergalls Spiel-Passus gleich zu Beginn des zweiten Bandes seiner 'Praktischen Theologie' wirkt einigermaßen desintegriert. Der Spielbegriff wird weder in den Erörterungen der "Grundlagen" im ersten Band noch in der Darstellung der "Arbeitszweige" im zweiten Band aufgenommen oder gar theoretisch fundiert. Es liegt nahe, hierin einen (nicht näher ausgewiesenen) Rekurs auf Guardinis 'Geist der Liturgie' zu sehen; in dieser Form stellt der Abschnitt also den Versuch einer spannungsvollen Synthese aus liberalem Kult- und katholischem Mess-Verständnis dar. Nach Niebergall bricht die Spielrezeption ab. "Zwischen den Zeiten" bzw. in der Kriegs- und Nachkriegszeit gibt es praktisch-theologisch nichts zu "spielen". Intensivere Integrationsversuche setzen erst wieder ein im Sog der politischen Theologie in den 60er und 70er Jahren und mit der wachsenden Sensibilität für die Zusammenhänge von Theologie und Ästhetik. Die Freiheitszuwächse in den gesellschaftlichen Diskussionslagen suchten auch und gerade in der kirchlichen Religionspraxis nach einem sinnenfälligen Ausdruck. Alltagsästhetische Attitüden verbanden sich mit liturgisch-expressiven Formen. 1954 hatte Peter Brunner[19] noch sehr verhalten die Frage gestellt nach der Analogie zwischen der "paradoxe(n) Einheit von Gebundenheit und Freiheit in der Gestalt des Gottesdienstes" und den Künsten, "die unter dem Gesichtspunkt des Spieles begriffen werden können" - ohne sie jedoch wirklich zu beantworten: "Handelt es sich hier um eine Analogie? Oder sollte der Gottesdienst in der Gestalt seines Vollzuges mit jenem kindlichen Spiel der Weisheit verwandt sein, das die Weisheit auf der Erde und doch vor Gott spielt (Spr 8, 29-31)?"[20] Dieses Zögern war in erster Linie dogmatisch bedingt, standen doch in der von der dialektischen Theologie geprägten Praktischen Theologie eindeutig die wortgebundenen Aspekte kirchlichen Handelns im Vordergrund. Die Auseinandersetzung mit der liberalen Theologie und deren Gestaltungsoptionen wurde darum auch in erster Linie vor dem Hintergrund "der fundamentalen Schwierigkeit der Predigtaufgabe" (Barth) geführt. Barths Paradigmenwechsel brachte eine Konzentration auf das "Kerygma" bzw. die zentralen Inhalte des Verkündigungshandelns. Auf zeitgenössische Reflexionen über die Verkündigungsrelevanz von Formäußerungen - bspw. im Gottesdienst - reagierte man nicht selten mit ironischen und polemischen Spitzen. Bekannt ist Thurneysens Diktum vom "himmlische(n) Lachen" "über sämtlichen Ratschlägen, Rezepten und Mittelchen der praktischen Theologie".[21] Die Emanzipation von der dialektischen Theologietradition vollzog sich in der Folgezeit u. a. a. durch die Neuthematisierung des ästhetisch-theologischen Komplexes. Zeitgeschichtlich erwies sich diese Diskussion als ein Reflex auf kulturelle Modernisierungen und zugleich als eine Absetzbewegung vom Theologieverständnis Barths. Das Auseinandertreten von (politischer) Kultur und religionstheoretischem Diskurs bildete den Hintergrund für eine ganze Reihe von theologischen Untersuchungen zur "Theopoesie". Ihnen allen ist das für diese Zeit charakteristische Changieren zwischen systematisch-theologischen und praktisch-theologischen Problemhorizonten gemeinsam. Ausdruck und Wirkung wurden zu liturgischen Zielperspektiven; die symbolisch-ästhetische Statur des Gottesdienstes stellte man in den Dienst des Gemeinschaftserlebens. Dies war der theoriegeschichtliche Ort der befreiungstheologischen bzw. libertären Lesarten des Spielerischen. Den Anfang machte Hans-Eckehard Bahr.[22] Er verlegt die anthropologischen Wurzel des Ästhetischen in den freien Spielraum des Menschen: Das eigentümlich Menschliche zeigt sich in dem Bestreben, das unmittelbar Zweckrationale mittels eines spielerischen Weltverhältnisses zu transzendieren. Das kreative Gestaltungsvermögen des Menschen ist für Bahr der Ausdruck eines anthropologischen Mangels - im kulturhistorisch greifbaren "Verlangen nach Figuration" überspielt er seine Naturgebundenheit. Zu den "Spielfaktoren beim künstlerischen Gestalten" zählt Bahr die Totalität der ästhetischen Erfahrung, die Gleichursprünglichkeit von Kunst und Spiel, die innere Disposition, die Gelöstheit und die ekstatische Entschränkung des Menschen. Bahrs Spieltheorie hat ihre theologische Pointe in der These von der inkarnatorischen Profanität der ludisch-künstlerischen Sphäre: Das "Heimischwerden" des präexistenten Logos in der profanen Welt bedeutet die endgültige Aufhebung der Sakralität von Kunst. Kunst transzendiert die Weltwirklichkeit des Menschen und deckt sie eben darin auf - sie tritt dem Menschen spielerisch dort entgegen, wo er von Gott in Christus bereits vorgefunden wurde. Ein knappes Jahrzehnt später wird der theologische Spieldiskurs vollends durch gesellschaftskritische Attitüden aufgeladen. Die Praktische Theologie etabliert sich in dieser Zeit als kritische Handlungswissenschaft, die im engen Konnex mit ihren Gegenständen kirchliche Praxis v. a. unter Optimierungsaspekten thematisch macht. Das Phänomen des Spiels erscheint als eines der Phänomene, das die vorfindlichen kirchlichen Handlungsfelder funktional auf ethische Impulse hin beziehbar zu machen verspricht. Die mit Emphase vorgetragenen freiheitlichen Lesarten des Spiels sehen in seiner "lustvollen Spontaneität" (Sölle) eine Art "proleptischer Befreiung" (Cox) von repressiven Lebens- und Glaubensformen. Die kreative "Phantasie" - für Sölle eine explizit ethische Kategorie - eines ludischen Weltverhältnisses speist sich aus der "produktive(n) Unendlichkeit" der Imaginationskraft Christi.[23] Heteronomie und Differenzerfahrung sollen gleichsam christlich "überspielt" werden. Ernst Lange formuliert programmatisch: "Menschen suchen nach ihrer Religion, weil sie nach Möglichkeiten des Spiels suchen. Sie brauchen das Spiel zum Leben. Spielend und nur spielend kommen wir den unerschöpften Möglichkeiten unseres Daseins auf die Spur. Spielend entdecken wir Alternativen zum gewohnten Verhalten, überschreiten wir die Grenzen unserer Alltagsrollen und probieren andere aus, testen wir Problemlösungen, die vom Üblichen abweichen. Das Spiel ist das Übungsfeld unserer Freiheit. (...) Selbst die Bedingungen unseres heutigen Lebens, die Planung für morgen, ist Spiel, das Durchspielen alternativer Problemlösungen."[24] Für Harvey Cox äußert sich dieses lebenswichtige Durchspielen v. a. im kulturellen Gestus des Festes.[25] In der "unproduktiven Festlichkeit und ausdrucksstarken Feier"[26] werden die alltagsweltlichen Nötigungen transzendiert und bewältigt. Die "spielerische Respektlosigkeit" des homo festivus entlarvt die Hoffnungslosigkeit des Zweckrationalen durch festliche Zwischenspiele. Diese firmieren als Epiphänomene des über den Kosmos lachend triumphierenden "Narren" Christus - "(e)r ist der Geist des Spiels in einer Welt kalkuliert nützlicher Ernsthaftigkeit".[27] Auch Jürgen Moltmanns theologische Spieltheorie[28] verdankt sich der "Freude an der Ästhetik" und weniger der Ethik, deren Totalitätsanspruch in der studentischen Protestbewegung nach 1967 er kritisiert. Die menschliche Hoffnung auf Freiheit aktualisiert sich für ihn in Formen der Darstellung und der Zelebration, in Elementen von Kreativität und Feier. Das freie Spiel der Phantasie in Kunst und Doxologie ist die Lebensäußerung der "ersten Freigelassenen der Schöpfung". Stärker als Cox und Sölle leitet Moltmann seine Ästhetik aus einem (kreuzes-)theologischen Begründungszusammenhang ab; sie steht für ihn im Zeichen der Heiligung. Spiel wird darum zu einer allgemeinen Chiffre für das neue Leben aus der Rechtfertigungsgnade. Auf der Ebene kirchlicher Praxis stieß diese Form, Spiel theologisch zu denken v. a. bei der Konzipierung von "Gottesdiensten in neuer Gestalt" auf positive Resonanzen. So sieht bspw. Trautwein in seiner gottesdienstlichen Lerntheorie das menschliche Spielen nicht so sehr als ein Ausdruck religiöser Expressivität oder künstlerischer (Zweck-)Freiheit, sondern vielmehr unter didaktisch-behavioristischem Vorzeichen als eine "Anleitung zum Problemlösungsverhalten".[29] Es gilt, im Gottesdienst "spielerisches Denken zu fördern" mit der Intention, ein "Höchstmaß an Denk-Fortschritt, Einsicht und verändertem neuem Verhalten" zu erzielen.[30] Deutlicher noch als im Mainstream der exzessiven Spieldeutungen tritt hier die konsequente Funktionalisierung des ludischen Geschehens für Problemlagen außerhalb des liturgischen Spiels zu Tage. Im "Lernprozess Gottesdienst" wird Spiel zu einer rationalen Konflikt-Bewältigungsstrategie: "Das Feiern, das hier anhebt, kann (...) nicht mehr kultgesetzliches Ritual sein, das 'priesterlich' verordnet wird, sich nicht mehr hinterfragen läßt. Jeweils situationsbezogen wird reflektiert und nach der 'prophetischen' Einsicht des Tages gefragt und gesucht."[31] Der Freiheitsaspekt des Spiels reduziert sich hier auf ein methodisch-rationales Kalkül. Innerhalb der katholischen Liturgik war es vor allem Sequeiras 'Spielende Liturgie'[32], die in der Tradition Guardinis und Hugo Rahners[33] als Reaktion auf das II. Vaticanum den leibhaften Bewegungsausdruck in der Messe wieder ins Zentrum der Aufmerksamkeit rückte. Denn von den drei symbolischen Formäußerungen der liturgischen Feier - Wort, Ton und Bewegung - scheint ihm die Bewegungsdimension deutlich unterrepräsentiert. Sequeira fordert darum eine Rückbesinnung auf die alten Traditionen des sakralen Tanzspiels und die "Neuschöpfung von zeitgemäßen Gebärden" innerhalb des Meß-Ordo. Die Ästhetik steht also deutlich im Dienst der symbolischen Kommunikation des Kultdramas; die somatische Selbstmitteilung im lebendigen Gebet ist der vollendete Ausdruck "ganzheitlicher" Doxologie. Mehr als 20 Jahre später - zum 80. Jahrestag der Veröffentlichung von Guardinis 'Geist der Liturgie' - plädiert auch Schilson[34] angesichts der durchgreifenden Ästhetisierung sozialen Alltagsverhaltens für mehr "Mut zum schlichten und erlebnisnahen Ritual" und zur "ästhetische(n) Inszenierung der Liturgie". Der programmatische Ruf nach einer dramaturgisch motivierten Erlebnissteigerung geht jedoch nicht über formale und allgemein gehaltene Forderungen nach einer zeitgemäßen Liturgie hinaus. "Eine symbolisch-bildhafte Gestaltung des Gottesdienstes durch eine Verlebendigung und kreative, ästhetisch sensible Übersetzung und Verwendung gewachsener und überlieferter Formen, Gesten und Zeichenhandlungen wäre (...) mehr als nur an der Zeit."[35] Mit gewissem Recht kritisiert Martin die selektive und synekdochische Fixierung auf den Freiheitsaspekt in der theologischen Spielrezeption. "Wo die Theologen des Spiels anthropologisch von 'Spiel' reden, meinen sie nicht unfrei machendes 'Spiel', durch das sich Menschen gegenseitig terrorisieren (...), nicht das 'freie Spiel der Kräfte' in der sogenannten freien Marktwirtschaft, nicht das abgekartete Spiel der Diplomatie des kalten Krieges, sondern kreatives, phantasievolles, freies, oft zweckloses Spiel. Sie meinen also weniger das Regel- und Kampfspiel (game) als die phantastische, phantasievolle, oft verspielte Überschreitung all dessen, was sich freudlos eingespielt und arrangiert hat (play); sie suchen im Spiel den Vorstoß in Glück und Freiheit."[36] Diese Diagnose trifft auch die weitaus meisten der nachfolgenden Rezeptionen. In ihnen wird die Regelgebundenheit und die fatale Logik finaler "Ernst-" bzw. "Endspiele" systematisch ausgeblendet. So formuliert selbst Pannenberg - allerdings nur in einer Fußnote - eine kritische Anfrage an die kreuzestheologischen Aspekte in Moltmanns Spieltheorie: "Ob dieser Bemerkung nicht eine allzu harmlose Auffassung vom Spiel zugrunde liegt? Die Wurzeln des tragischen Spiels liegen nicht umsonst im Schicksal des Dionysos."[37] Mit Jetters Ritologie des Gottesdienstes[38] verschiebt sich das theologische Interesse am Spiel - 'Symbol und Ritual' markiert den Beginn des breiten ritualtheoretischen Spieldiskurses, der an seinen Rändern z. T. weit über die im engeren Sinne gottesdienstlichen Vollzüge hinausführt und in religionswissenschaftliche Fragestellungen mündet. Erschienen zuvor ludische Interaktionsformen (Kunst, Fest) als ein elementarer Ausdruck christlicher Freiheit von gesellschaftlichen und kulturellen Konventionen, so wird es nun als eine Ausdrucksgestalt symbolischer Kommunikation thematisch. Die ritologische Lesart (Spiel = Freiheit zu) tritt an die Stelle libertärer Lesarten (Spiel = Befreiung von). Für Jetter bildet sich im Spiel eine wichtige Funktion menschlicher Symbolbildung ab. Spiel ist der Modus der Realisierung allgemein menschlichen "Verlangen(s) nach Möglichkeiten aus dem Bereich des 'Mehr-als-Lebensnotwendigen'".[39] Die lebensweltliche Nötigung zur Hermeneutik der Welt- und Selbstverhältnisse artikuliert sich im kompositorischen Spiel mit den sich dort bietenden Deutungspräferenzen. Die Sinn-Suche tendiert dazu, eher offene Spiel-Räume zu besetzen, und so spielt das animal symbolicum (Cassirer) immer unmittelbar an der Grenze zum Unbedingten. Der optionale Umgang mit den Deutungsangeboten der Mitwelt kann sich aber auch verselbständigen. Denn die Relation von Symbolbildung und Selbstkonstitution ist nach Jetter als ein Wechselverhältnis definiert. Die vom Subjekt heraus gespielten Symbole haben mitunter auch die Kraft, das Subjekt selbst zu überspielen. Deutungsspiele bilden also für die Spielenden eine durchaus ernsthafte Bedrohung. Je mehr dem Spielenden "seine 'erspielten' Möglichkeiten selbst wieder nötig werden, muss er sie pflegen und brauchen, wird er aus dem Mitspieler wieder der Knecht seiner selbst inszenierten Notwendigkeiten. Aus dem Spiel mit den Möglichkeiten wird ihre exakte Beherrschung und der Mensch immer mehr zum Zwangsvollstrecker seines eigenen Spiels."[40] Spielerische Symbolisierung ist also mehr als nur ein Gedankenspiel. Heimbrocks Gottesdiensttheorie 'Spielraum des Lebens'[41] beschreibt eine exakte Synthese aus befreiungstheologischen und ritologischen Spieltheologien. Der Gottesdienst als Darstellungsraum für Rituale vermittelt im Modus ganzheitlich-spielerischer Interaktion innere Erfahrungen mit kollektiven Deutungen. Lebensdienliche Zukunftsperspektiven erwachsen darin aus der "Freude über Gottes Befreiung".[42] Kult und Ritual geraten - wie schon bei Jetter, so auch hier bei Heimbrock - als ambivalente anthropologische Phänomene in den Blick, die infolgedessen aber um so deutlichere theologische Defizite kirchlicher Praxis offenbaren. Heimbrock legt seine Ritologie des liturgischen Spielraums darum kritisch-konstruktiv an. Sie hebt darauf ab, den 'Lernprozess Gottesdienst' (Trautwein) "aus der Selbstgenügsamkeit dogmatischer Liturgik zu befreien und damit theoriefähig zu machen".[43] Die hier zugrunde gelegten spieltheoretischen Konstrukte verdanken sich in erster Linie der neo-analytischen Psychologie Winnicotts. Durch die Zuordnung kulturanthropologischer, religionssoziologischer und v. a. religionspsychologischer Theoreme, sowie durch die weit gehend synonyme Verwendung von "Spiel" und "Ritual" wird der Spielbegriff allerdings an seinen semantischen und syntaktischen Rändern unscharf. Er verliert sich im Additiven, wenn selbst magische Lesarten des liturgischen Spiels rehabilitiert werden. Auch Grözingers theologische Ästhetik[44] stellt in mehrfacher Hinsicht eine Synthese dar. Doch anders als Heimbrock versucht er in seiner epistemologisch angelegten Monographie den ethisch motivierten Funktionalismus und den theologisch motivierten Methodenskeptizismus der (frühen) dialektischen Theologie miteinander zu versöhnen. Über die "Modelle ästhetischer Praxis" kann nach Grözinger eine auf theologische Interpretation hin offene "Bewegungsdynamik menschlichen Handelns" aufgezeigt werden.[45] "Der Kosmos des Spiels" ist eines dieser ästhetischen Praxis-Modelle; er eröffnet zudem einen Freiraum für ästhetisch-theatrale Gestaltungen. Die Regel-Ordnung ist der Ermöglichungsgrund für das freie Spielen - Spiel ist Freiheit in Form(en). Der Erkenntnisfortschritt dieser Spieltheorie für die Praktische Theologie ist v. a. darin zu sehen, dass es Grözinger gelingt, über Form-Kategorien das Spiel für die "Welt des Theaters" anschlussfähig zu halten. Lag der praktisch-theologische Ertrag der älteren befreiungstheologischen Integrationsversuche des Spielerischen primär im ethischen Bereich und der der jüngeren ritologisch-symboltheoretischen Perspektiven vor allem darin, die Transparenz des gottesdienstlichen Geschehens auf seine anthropologischen Funktionen hin aufzuweisen, so führte die "phänomenologische Wendung" (Heimbrock) seit Mitte der 90er Jahre zu einer Repristination spezifisch religiöser Lesarten des Spiels. Mit der "empirischen Wendung zur Lebenswelt" (Wegenast) ging eine intensivierte Wahrnehmung der christlichen Lebenspraxis sowie der kulturellen Gestaltwerdungen von Religion einher. Vor diesem Hintergrund wird dem Spiel nicht nur eine neue religiöse Qualität zugeschrieben, sondern es wird auch zunehmend als Reflexionsbegriff neu akzentuiert. In seinen Arbeiten zum Symbol des Opfers rekurriert Hans-Martin Gutmann[46] gleich auf mehrere spieltheoretische Konstrukte sehr unterschiedlicher Provenienz. Während er zur Charakterisierung der Thematisierungsmöglichkeiten moderner Opfermythen in alltagsweltlichen Bezügen auf das populärwissenschaftliche Konzept Eric Bernes zurückgreift, zieht er zur kritischen Rekonstruktion der Liturgiereformen der 20er Jahre, wie sie u. a. im "Berneuchener Buch" zum Ausdruck kommt, die Ritologie Victor Turners und die Dramaturgie Bertolt Brechts heran. Die theologische Arbeit an der symbolischen Ordnung hebt darauf ab, die Spielregeln von Macht und Austausch in der Moderne[47] v. a. in liturgisch aber auch in religionspädagogisch angemessene Begehungsformen münden zu lassen. So fordert er an anderer Stelle, wirkmächtige popkulturelle Symbole mit den "Großerzählungen" der Heiligen Schrift so "in Kontakt" zu bringen, dass die biblischen Symbole zu "helfenden inneren Bildern werden können".[48] Der didaktische Modus der korrelativen Bewegung besteht in der "Inszenierung" (von Ritualen) und in der "Partizipation" (am Leben der Gemeinde).[49] In Manfred Josuttis' Ethologie des Gottesdienstes[50] hat das Spiel Anteil an der "Realität des Heiligen" und an dessen Wirkmacht. Liturgisches Verhalten ist eine spezifische Technik des Eindringens "in die verborgene und verbotene Zone des Heiligen"[51]. Josuttis nimmt für sich in Anspruch, mit diesem Ansatz der Konzentration Luthers auf das "est" im Abendmahlsstreit zu entsprechen: Die Realpräsenz spielt sich ein als dichter, transsubjektiver Raum, als je gegenwärtige und machtvolle Wirklichkeit. In seinen Unterkapiteln 'Drama' und 'Spiel' orientiert er sich programmatisch am mittelalterlichen Mysterienspiel, einer stilistisch dem Kultdrama der katholischen Messe verwandten, nicht-gottesdienstlichen dramatischen Spielform. In den Mysterien wirkte - so seine These - ungeachtet ihrer pseudoliturgischen Theatralik relativ ungebrochen das performativ-kultische Wirklichkeitsverständnis des eucharistischen Meßopfers nach. Josuttis deutet die historisch schon vor der Reformation einsetzende "Exkommunikation des mimetischen Elements aus dem christlichen Gottesdienst" als ein bezeichnendes "Geschehen der Abspaltung". Zwar hat die liturgische Differenzierung zwischen Kerygma und Mythos immer als vordergründige theologische Legitimation für die kultspielerische Abstinenz der evangelischen Kirchen hergehalten, doch damit konnte zugleich auch die "vitale Basis von Religion" - Sexualität und Aggressivität - nicht in eine religiös-symbolische Ordnung integriert werden. Josuttis diagnostiziert hier ein "elementares Defizit des christlichen Gottesdienstes", ist dieser doch heute eher durch "doktrinäre und paränetische Züge" als durch dramaturgische Vollzüge geprägt.[52] Um im Gottesdienst in Dynamik und Dramaturgie das Heilige wieder als "Handlungsgegenwart" zu imaginieren, setzt Josuttis auf das mystische Erleben. Er begreift die liturgischen Elemente als Teile einer kollektiv realisierten Bewegung, die über purificatio und illuminatio zur Begegnung mit dem Heiligen im Abendmahl (unio) führt.[53] Es geht ihm also nicht um ein selbsttätiges mimetisches Spiel, sondern um eine passivisch-poietische Transformation. Das Subjekt spielt nicht - ihm wird mitgespielt. Den bislang profiliertesten Beitrag zur Rezeption spieltheoretischer Impulse hat Marcus A. Friedrich in seiner Marburger Dissertation vorgelegt. Konsequent stellt er drei schauspielästhetische Modelle (Stanislawski, Brecht, Grotowski) den damit verbundenen pastoralästhetischen Entwürfen synoptisch gegenüber. In inszenatorischer Perspektive argumentiert er gegen "die Trennung eines formal 'gespielten' und 'vorgemachten' und eines - wie auch immer inhaltlich besetzten - 'authentischen' Ausdrucks im darstellenden Handeln". "In beiden Fällen, in Schauspiel und Liturgie ist gerade das gestaltete Verhältnis von Form und Inhalt der Handlungen, von persönlicher Haltung und öffentlicher Verkörperung der Handelnden von besonderem Interesse."[54] Als vorläufiges Fazit dieser knappen praktisch-theologischen Spiel-Geschichte lässt sich eine gewisse phänomenologische "Wahlverwandtschaft" zwischen dem Spiel und dem Gottesdienst erheben. Wenn überhaupt in der Praktischen Theologie auf Spielphänomene reflektiert wird, dann in erster Linie im Zusammenhang mit dem christlichen Kultus. Der Spielcharakter der Kanzelrede bleibt dagegen weit gehend ausgespart. Bieritz sieht eine homiletische Spieltheorie als ein noch weit gehend uneingelöstes Desiderat: "Reizvoll wäre es, nun auch die Predigt - samt allem, was sie voraussetzt und umschließt eingehend unter dem Aspekt des Spiels zu betrachten." Sein Konzept eines predigtförmigen "Gegen-Spiels" reicht jedoch über summarische Postulate nicht hinaus.[55] Für die spieltheoretische Abstinenz der Predigtlehre sind vor allem systematische Einwände geltend gemacht worden. Die Skepsis der kerygmatischen Theologie gegenüber den die kirchliche Praxis optimierenden "Kunstlehren" hatte in der Homiletik eine längere und nachhaltigere Wirkungsgeschichte als in den anderen Teildisziplinen der Praktischen Theologie. Darum begegnen erst seit der sog. empirischen Wende und dann auch nur sehr sporadisch einzelne Versuche, die Predigt als spielerische Wortinszenierung aufzufassen. Die homiletische Neuvermessung des Gegenstands im Hinblick auf das pragmatische Bedingungsgefüge der Kanzelrede seit den 70er Jahren führte eher zu methodisch motivierten Akzentverschiebungen - z. B. in lerntheoretischer, psychologischer, rhetorisch-kommunikationstheoretischer und kybernetischer Hinsicht. Der "Adverb-Homiletik" (Schröer) ging es primär um den Wirkungsgrad der Predigt durch die Optimierung der personalen Glaubwürdigkeit des Wortgeschehens. Die homiletische Theorie wurde von der Person der Predigenden her entfaltet, bzw. auf deren noch auszubildenden Kompetenzen hin, ihren Gegenstand glaubhaft zu vermitteln. Die Ästhetik des Predigtvollzugs als spielerisch-zeichenhaftes Handeln blieb hierbei weit gehend unreflektiert. Erst die neueren semiotischen Ansätze (Engemann, Bieritz, Theißen) stellen sich dem Problem, wie das zu Predigende an den Wahrnehmungshorizont der Gemeinde zurück gebunden werden kann, ohne diese Verständigungsbemühung - Schröer spricht polemisch von "Konditionierung der Gnade"[56] - gegen den kerygmatischen Eigenwert der praedicatio verbi divini auszuspielen. Einen interessanten Ansatz stellt Susanne Wolf-Withöft in ihrer spieltheoretischen Predigtdidaktik vor.[57] Motiviert ist diese Arbeit durch die praktischen Erfahrungen in Lehrveranstaltungen zum "Predigen lernen", und ihr Ziel ist es, "zukünftige Pfarrerinnen und Pfarrer zur Spielvirtuosität" in der gemeindlichen Predigt-Praxis zu ermutigen. Motivation und Intention kommen also zur Deckung. "Predigen lernen" verdankt sich in erster Linie den neueren rezeptionsästhetischen Diskursen innerhalb der Praktischen Theologie. Als Gewährsleute werden hier v. a. Grözinger, Martin, Gutmann und Zilleßen zitiert. Die Untersuchung nimmt für sich in Anspruch, teilzuhaben an der Bewegung weg von der sog. "Prediger-Homiletik" der 70er und der "Hörer-Homiletik" der 80er hin zu einer zeitgemäßen "Predigt-Homiletik". Die in den verschiedenen kultur-anthropologischen Spieltheorien hervorgehobene Dynamik und Emergenz des ludischen Geschehens reflektiert Wolf-Withöft (mit H. Weder) anhand des "Energie"-Begriffs: "Spiel ist eine Energiequelle", sein "immanent vorhandene(r) Energiehaushalt (kann) nicht verbrauch(t)" werden.[58] Spiel definiert sich gerade nicht als ein "Reflexionsinstrument", sondern als eine "Wirkform", eine gleichsam kraftgeladene Sphäre.[59] Ihr "medialer Charakter" äußert sich in "Impulspotentialen". Dieses theoretische Postulat erhält mit der Darstellung der spieltheoretischen Predigtseminare deutliche praktische Konturen. Anlage und Dramaturgie zeigen an, dass hier Homiletik und Didaktik im Modus einer spielerisch angeleiteten "Kunstlehre" miteinander in Beziehung gesetzt werden. In Engemanns 'Homiletik aus transaktionsanalytischer Sicht'[60] wird der Spielgedanke aus Eric Bernes Theorie der Persönlichkeitsstruktur eingeführt. "Spiel" steht in der Transaktionsanalyse für bestimmte regelgeleitete Kommunikationsmuster. Viele soziale "Transaktionen" führen dazu, "dass sich die beteiligten Partner am Ende als Sieger und Verlierer gegenüberstehen, wie das im Spiel üblich ist." Die Analyse dieser Prozesse deckt die (meist verborgenen) "Spielregeln" auf, die den gemeinsamen Umgang steuern. Die "Nutzeffekte" für die jeweiligen "Gewinner" sind Ausschlag gebend für das Erkennen der unterliegenden Motive - sie geben zugleich den Namen für das Spiel ab.[61] Engemann unterscheidet "entsprechend den vier Lebenspositionen" vier homiletische "Grundspielarten": "schizoide Spiele" ("Stilllegung"), "depressive Spiele" ("Bedürfnis"), "zwanghafte Spiele" ("Gottesbegriff") und "aufschließende Spiele" ("Annahme").[62] In diesen Predigtspielen drückt sich aus, wie der Prediger die gesetzlichen bzw. evangelischen Aspekte seiner Predigt vermittelt und an welche Kautelen er die Aneignung des Heils durch seine Hörer bindet. Jeder ausgeführten Predigt liegt eine Art "Spielthese" zugrunde, die der Prediger zur Stabilisierung seiner eigenen psychischen Grunddisposition aufstellt; die Kanzelrede aktualisiert das in ihr angelegte Beziehungsverhältnis "unausweichlich".[63] Die Analyse dieser Spiele dient dazu, im Gottesdienst "authentisch zu kommunizieren"[64], denn: "Kontrollierte Subjektivität bewahrt vor Willkür."[65] Die Predigt "als Ort der Spielintervention" zielt darauf ab - im Sinne der "Spielintervention Jesu" -, destruktive Spiele durch entsprechende Gegenspiele heilsam außer Kraft zu setzen.[66] Die poimenische Theoriebildung kommt fast ausnahmslos ohne Rückgriffe auf das Regelsystem des Spiels aus. Eine der wenigen Ausnahmen bildet Christoph Schneider-Harpprecht[67]. Er sieht das Spiel in einem engen sachlichen Zusammenhang mit dem Ritual. So definiert er Ritual "als symbolisches Spiel der zur Freiheit Berufenen". Im Rahmen der "aggressive(n) Bewältigung von Stress- und Krisensituationen" können Rituale Trost spenden. Die spielerische Komponente einer mit Ritualen arbeitenden Seelsorge liegt dabei in der "subversiv befreiende(n)" Wirkung eines spezifisch spielerisch ausgerichteten Ritualgebrauchs. Insgesamt bleibt es jedoch bei äußerst knappen Anmerkungen, die an keiner Stelle über die praktisch-theologische Ritualdiskussion hinausführen. Auch das längere Unterkapitel in Scharfenbergs 'Einführung in die Pastoralpsychologie'[68] misst dem Spiel keine grundlegende Erschließungsfunktion zu. Scharfenberg zählt das Spielen zu den "Tätigkeitsfelder(n)" der Pastoralpsychologie, d. h. er betrachtet es - analog zur Religionspädagogik - als eine Methode unter vielen anderen innerhalb der Pastoralpsychologie und nicht als einen Reflexionsbegriff. Die praktischen Einsatzmöglichkeiten beschränken sich auf verschiedene Varianten des "biblischen Rollenspiels". Die Disziplin selbst wird nicht sub specie ludi thematisch. Die umfangreiche pastoralpsychologische Studie zur evangelischen Aszetik von Bobert-Stützel[69] berührt nur in Einzelaspekten die Seelsorgetheorie. Es wird hier auf der Basis der neopsychoanalytischen Theorie Winnicotts und der Selbstpsychologie Kohuts eine Spieltheorie der Spiritualität entworfen. Frömmigkeit fungiert hier als die spielerisch verfasste Inszenierung eines persönlichkeitsspezifischen Credos.[70] Religionspädagogische Theoriebemühungen um das Spiel sind in nennenswertem Umfang erst im Kontext der "empirischen Wendung" (Wegenast) der Disziplin auszumachen. Die hohe Wertschätzung des Spielerischen in den Reformpädagogiken um die Jahrhundertwende ist weit gehend ohne religionspädagogische Resonanz geblieben. Dem Spiel wurde - wie auch in der allgemeinen Pädagogik und in den Fachdidaktiken - allenfalls als methodischem Funktionszusammenhang unterrichtliche Relevanz zugemessen. Erst 1975 widmete "Der Evangelische Erzieher" dem Spiel ein erstes Themenheft. Diese Publikation stellt in Form und Inhalt zu weiten Teilen einen Reflex auf die spieltheologischen Arbeiten des späten 60er und frühen 70er Jahre dar. Zum anderen wird aber auch an den "Impulsen für die Praxis" evident, in welchem Ausmaß bereits spielpädagogische Elemente die Lernwege die Unterrichtspragmatik bestimmen. Analog zur argumentativen Folie des zeitgenössischen praktisch-theologischen Spieldiskurses sind es auch hier die expressiven und emanzipatorischen Momente des Spiels, die in der religionspädagogischen Literatur dominieren. Das Medium des Spiels gilt als dafür prädestiniert, eine durch die Bildungsinstanzen tendentiell verstellte Unmittelbarkeit des "natürlichen Lernens" zurück zu gewinnen. Offenheit und Impulsivität scheinen ein adäquates Widerlager gegen institutionelle Repressionen zu sein. Als "katechetisches Instrument" haben Spiele für Kurt Frör "schon seit langem ihren Platz" im Religions- und Konfirmandenunterricht gefunden; sie entwickeln eine geradezu "durchschlagende Kraft" und vermögen eine pädagogisch wertvolle "Dynamik" im Unterrichtsgang freizusetzen: "Es ist der Vorzug des Spieles, dass es die Beteiligten ganzheitlich mit ihren intellektuellen und emotionalen Möglichkeiten in einen dynamischen Prozess einbezieht."[71] Im deutlichen Kontrast zur allgemeinpädagogischen Spieltheorie reduzierte sich die religionspädagogische Aufmerksamkeit fast ausschließlich auf die rein methodischen Funktionszusammenhänge. Spiel wurde als Unterrichtstechnik auf der Ebene konkreter Operationen (engl. game) reflektiert - es galt also primär als pädagogischer "Kunstgriff". Den Gestus des Ludischen (engl. play) auch und gerade didaktisch in einer unterrichtstheoretischen "Kunstlehre" zu konzeptualisieren, verblieb vorerst. Anhand der Fülle wissenschaftlicher und "grauer" Spielliteratur aus dieser Zeit kristallisieren sich drei Strategien heraus, Spiel in die pädagogische Sphäre zu integrieren: die curriculare, die kompensatorische und die motivationale. Jede dieser Strategien korreliert mit unterschiedlichen pädagogischen Programmen. Die curriculare Option verfolgt bspw. H. Frör.[72] Spiel als unterrichtliches Medium verbindet "die Lust der Schüler mitzumachen" mit dem "Ziel des Lehrers, ein Thema zu erarbeiten".[73] Spiele sind darum als mimetische Entsprechung des Unterrichtsgegenstands lernwirksam in Szene zu setzen. Dabei steht das Spielgeschehen in einem abbilddidaktischen Funktionszusammenhang. Die Schüler sind '(s)pielend bei der Sache' - so der programmatische Titel von H. Frörs erstem Spiele-Buch, und die "Sache" bekommt als fakultative Illustration im Spiel eine unterrichtliche Gestalt. Die methodische Reproduktion beschränkt sich dabei nicht nur auf ludisch strukturierte Sujets, sondern sie kann selbst "eine sehr ernsthafte menschliche Problematik abbilden und verlebendigen".[74] Das hier zugrunde liegende didaktische Konzept akzentuiert die materiale Vermittlung biblisch-christlichen Sachwissens. Spiel ist eine von manifesten Inhalten abhängige methodische Variable. Die kompensatorische Option setzt an bei den virulenten sozialisatorischen Defiziten innerhalb der verschiedenen Lerngruppen. Im vortherapeutischen Raum des Unterrichts fungieren Spielvollzüge als methodische Residuen für die "Aufarbeitung" von Lernhemmnissen. Im Spiel können elementare Formen sozialer Interaktion erprobt und ggf. korrigiert werden. Selbst- und Fremdwahrnehmungen werden im Durchspielen thematisch und damit bearbeitbar. 'Spiel und Wechselspiel' - mit diesem Titel markiert H. Frör 1974 die zweite Phase der religionspädagogischen Spielrezeption - bilden ein adäquates und leicht synthetisierbares "Erfahrungs- und Trainingsfeld" für die verantwortliche Wahrnehmung zwischenmenschlicher Beziehungen. Spiele federn den unmittelbaren Effektivitätsdruck pädagogisch durch sanktions- und restriktionsfreie Gestaltungsangebote ab. Die verschiedenen Methodiken der "Gruppendynamik", v. a. aber auch therapeutisch orientierte encounter-Techniken legitimierten die kompensatorische Option theoretisch. Diese Variante der Spielpädagogik entgrenzt den didaktischen Rahmen und fokussiert auf die den Unterricht bedingenden Institutionen (Schule und Gemeinde) als sekundäre Sozialisationsagenturen. In motivationaler Hinsicht dient das Spiel als effizientes didaktisches Propädeutikum. Seine dynamischen Aspekte bewirken eine "intrinsische Motivation explorativen Verhaltens".[75] Es stimuliert "entdeckendes Lernen", selbstbestimmte Lernaktivitäten und "lustbetonte Erkenntnisimpulse" durch offene und entspannende Szenarien. Konzeptionelle Basis ist die Vorstellung von Unterricht als geordnetem Erlebnisraum, innerhalb dessen besondere Erfahrungen weniger reflektiert als vielmehr allererst gemacht werden sollen. In allen drei Begründungszusammenhängen wird jeweils auf die volle breite unterrichtlicher Spielformen zurückgegriffen: darstellendes Spiel, Interaktions-, Rate-, Kooperations-, Imaginationsspiel, sowie Musik- und Tanzspiel. Die handlungsorientierten Reaktionen auf die Dominanz der problemorientierten Didaktiken in den 70er Jahren schreiben - gleichsam mit "ganzheitlichen" Mitteln - die kompensatorischen und motivationalen Ansätze fort. Sie verbinden sich unter dem Vorzeichen einer konsequenten "Schülerorientierung" mit einer insgesamt kognitionskritischen Attitüde. Für Heimbrock besteht die Funktion des Spielerischen in der "Entfaltung kreativer Potentiale in jungen Menschen", die "elementar etwas zu tun hat mit einer Erziehung, die Spielräume zur Menschwerdung eröffnen soll".[76] Mit der "subjektivistischen Wende" (H. Schmidt) in der Religionspädagogik mutiert der (ethische) Diskurs zum (somatischen) Vollzug - aus Weltgestaltung wird Selbstverwirklichung. Programmatisch fordert Kremers: "Wenn wir die Schüler als kreative Menschen ernst nehmen, dürfen wir sie nicht nur als Empfänger unserer Informationen, Problemlösungen und Handlungsanweisungen verstehen. Wir werden dann auch im RU ihre Kreativität herausfordern und fördern. Wir tun dies beim echten Gespräch, dessen Verlauf und Ergebnis wir weder festlegen noch in der Hand haben, wenn wir die Schüler frei erzählen, singen und musizieren lassen, wenn wir sie anleiten zum Rollen- und Handpuppenspiel und wenn wir sie zeichnend, formend und werkend Unterrichtsmaterial erfinden und gestalten lassen. So entstehen für die Kreativität offene 'Spiel-Räume' auch im RU."[77] Eine Sonderstellung in mehrfacher Hinsicht innerhalb der Religionspädagogik nimmt das Bibliodrama ein. Das Spiel wird hier zwar zum Unterrichtsprinzip erhoben, doch versteht sich diese Technik nur bedingt als unterrichtliches Methodenensemble im engeren Sinne. Die Verwendungszusammenhänge sind in Bezug auf Lerngruppen und -orte offener und die Begründungsfiguren sind nicht exklusiv didaktischer Natur. Im "Geschichtentheater" (Hübner) verschränken sich durch das Inszenieren biblischer Geschichten lebensweltliche Erfahrung und kerygmatischer Text im Modus theatraler Vergegenwärtigung. Die Teilnehmenden spielen sich durch Rollenübernahme, szenische Imagination und dramatische Verkörperung in einen biblischen Referenztext ein. Sie verhelfen in dieser Weise der jeweils verhandelten Perikope zu einer szenischen Gestalt. Martin definiert die Methode als "offene(s) Programm eines Interaktionsprozesses zwischen biblischer Überlieferung und zwölf bis maximal achtzehn Gruppenmitgliedern unter der Leitung von einem oder mehreren BibliodramatikerInnen".[78] Diese Spielform somatischer Texthermeneutik lebt von der Spannung zwischen spielerischer Unmittelbarkeit und anschließender Reflexion ("Abschlussgespräch"), in der die eigenen "Irritationen, Projektionen, Blockierungen in und gegenüber biblischen Texten", aber auch "deren befreiende(s) lebensfreundliche(s) Potential" bewusst gemacht werden sollen.[79] Es dominiert in den entsprechenden Veröffentlichungen der Aspekt der persönlichen Aneignung bzw. die glaubensvergewissernde Dimension des Spiels. Insofern sind die entsprechenden Übungen - je nach Inszenierungsmuster grundsätzlich offen für psychodramatische, therapeutische und poimenische Lesarten. Im Religionsunterricht verortet sich die bibliodramatische Arbeit als eine Facette des "problemorientierten Bibelunterrichts"und setzt mit modifizierter Programmatik die "interaktionale Bibelauslegung" (Wegenast) fort. Peter Biehls "Symboldidaktik" stellt eine hermeneutische Modifikation der curricularen Spielrezeption dar. Bedingung der Möglichkeit einer "kritischen Symbolkunde" ist die Auflösung der Lerngegenstände ("Symbole") in handlungsrelevante Darstellungen. Dies wird methodisch eingelöst durch kreative Bild- und Textarbeit, bibliodramatische Schaustellungen sowie durch interaktive Gestaltungen. "Symbole" zielen als Unterrichtsmedien im Modus der Darbietung auf ergebnisoffene Deutungsaktivitäten. Diese hermeneutischen Bewegungen organisieren sich innerhalb der Lerngruppe als Spiele. Der "Modellfall religionspädagogischen Handelns" sind für Biehl die ntl. Gleichnisse aufgrund ihrer "impliziten Didaktik"[80], die die metaphorische Sprachgestalt mit den "Symbolen" gemeinsam haben. Beide geben "die Sache des Evangeliums" performativ-spielend zu verstehen. Konsequent rechnet Biehl das unterrichtliche Spielen darum zu den integralen Bestandteilen einer symboldidaktischen Unterrichtspragmatik. Wie sich im archaischen Kultspiel die Ureinheit von Religion und Ästhetik manifestiert, so verschränken sich im (repräsentativ verstandenen) Symbol religiöse Hermeneutik und ludische Methodik. Dietrich Zilleßen, der die Symboldidaktik anfänglich kritisch begleitet hat, unterzieht in dem zusammen mit Bernd Beuscher verfassten 'Entwurf einer profanen Religionspädagogik'[81] die Biehlsche Symbolsemantik einer phänomenologisch-pragmatischen Revision. Damit erhält auch das Spiel einen neuen didaktischen Ort. Es wird zu einem selbststeuernden Ordnungssystem innerhalb von frei flottierenden Zeichenprozessen. Inmitten des "parasitären Rauschens" der Signifikanten fungiert das Spiel als eine Art archimedischer Fixpunkt. Es ist immer Spiel im Spiel. Denn der Kontext des didaktischen Spiels ist nicht etwa das Nicht-Spiel, sondern die sprachlich vermittelte Wirklichkeit eines allgegenwärtigen "Lebensspiels": "Nicht eins, das wir spielen oder nicht spielen können. Sondern eins, in das wir verwickelt sind, mögen wir uns auch noch so bemühen, nur das ins Spiel zu bringen, dessen Herr wir sind."[82] Das Subjekt kann allenfalls mitspielen und im Entdecken von "Lücken", "Brüchen" und "Rissen" stets vorläufige und ambiguitäre Deutungsgewinne erzielen. Religionsunterricht ist kein "applikatives Nach-Spiel theologischer Sachentscheidungen"[83] - darin unterscheidet sich die hier zum Tragen kommende curriculare Spielfunktion von der Frörs -, wohl aber kann der Gegenstandsbereich "religiöse Profanität" nur dann sinnvolle Lernprozesse anregen, wenn er analog zum "Spiel des Lebens", also theatral vermittelt wird. Inszenierung ist die dem Gegenstand "Religion" immanente Vermittlungsoption. Nicht zufällig mündet die Geschichte der praktisch-theologischen Spielrezeption in einen mit den jüngsten Arbeiten aufgerissenen Problemhorizont, vor dem sich eine semiotische Perspektive zwanglos einsichtig macht. In dem Maße, wie die Praktische Theologie seit der empirischen Wende die Phänomene in den Blick nimmt und die Pluralisierung kulturell vermittelten religiösen Zeichengebrauchs in ein kritisch-konstruktives Verhältnis zur kirchlichen Religionspraxis setzt, verschieben sich auch die Koordinaten des Theoriediskurses. Die ästhetisch-religiösen Lebensäußerungen werden weder gegen ein autonom gedachtes Subjekt ausgespielt, noch deutet man sie als fakultative Applikationen normativer Symboltraditionen. Vielmehr wird auf die ästhetische Erfahrung im Rahmen von Präsentations- und Rezeptionsprozessen reflektiert. Wenn nun phänomenologisch gilt, dass die Sache in der Weise ihres Gegebenseins besteht, dann drängt diese Perspektive unter praktisch-theologischem Vorzeichen auf eine Zeichentheorie, die die kommunikativen Wechselbeziehungen zwischen Sache, Gegebensein und Bedeutung bzw. zwischen Vermittlungs- und Aneignungsfunktion des Evangeliums beschreibbar macht. Zum anderen spiegelt die spieltheoretisch interessierte Lektüre der verschiedenen praktisch-theologischen Entwürfe einen latenten Eklektizismus. Es werden in der Regel jeweils nur diejenigen Facetten des Spielgeschehens funktional in Anspruch genommen, deren Kompatibilität mit dem eigenen Theoriezuschnitt von vornherein gewährleistet scheint. Die Polysemie des Spiels lässt die verschiedenen Spielphänomene offenbar in (nahezu) jeder Hinsicht entsprechende praktisch-theologische Theoriebildung legitimieren. Der theorie- und kulturgeschichtliche Kontext der aus anderen Disziplinen rezipierten Erkenntnisse zum Spiel findet kaum je Berücksichtigung. Deren Inplikationen werden nahezu kritiklos tradiert. In der Regel affirmieren die spieltheoretischen Anleihen eine auch ohne diese Referenz konsistente Theorie. Die faktische Ambiguität des Spiels auch argumentativ-taktisch[84] einzubinden, gelingt jeweils nur partiell. Spiele, für die kein Reglement und keine "Handlungsziele" angegeben werden können, die im Prinzip ohne Regisseur und ohne eigentliches Sujet ablaufen, machen praktisch-theologisch wenig Sinn. Eine praktisch-theologische Spieltheorie ist bislang allenfalls in Fragmenten auszumachen. Die nächste Spielrunde kann also eingeläutet werden. Nach dem Spiel ist vor dem Spiel (Sepp Herberger). Anmerkungen
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