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Magazin für Theologie und Ästhetik


Anstiftung zur Lektüre

Ein Nachtrag

Andreas Mertin

Im Heft 30 des Magazins für Theologie und Ästhetik hatte ich unter der Überschrift "Gut ist nur Einer, aber mit dem Zweiten sieht man besser. Die Enden der Populärkultur - Teil II" eine kritische Auseinandersetzung mit der ZDF-Aktion "Wählen Sie Ihr Lieblingsbuch" geschrieben. Als Alternative hatte ich die Bibliothek der Süddeutschen Zeitung als Anstiftung zur Lektüre empfohlen. Diese Empfehlung stieß bei einigen Leserinnen und Lesern des Magazins auf Unmut. Während das Projekt des ZDF doch gerade die stärke, deren Stärke sonst nicht das Lesen sei, sei die Bibliothek der Süddeutschen Zeitung doch einseitig eine Empfehlung literarischer Eliten, die gerade nicht auf das breite Publikum ziele und dieses auch nicht erreiche.

Eine jüngst erschienene Studie beweist das Gegenteil, weshalb ich mir an dieser Stelle noch einmal einen Nachtrag zum Thema erlaube. Im Dezember 2004 war in einer Meldung Folgendes zu lesen: Laut einer Studie der Gesellschaft für Konsumforschung haben in den ersten drei Quartalen fünf Prozent der Käufer der SZ-Bibliothek ausschließlich Bänder der Sammeledition gekauft. Die GfK folgert daraus, dass diese Käufer ohne das Verlagsangebot gar keine Bücher gekauft hätten. Immerhin ein Viertel der Käufer der Bibliothek haben 2003 gar keine Bücher gekauft. Schlussfolgerung: Es wurden also bisherige "Lesemuffel" zum Kauf motiviert. Auch die Käufer unterscheiden sich von der üblichen Belletristik-Kundschaft: Mit 54 Prozent sind Männer wesentlich stärker als sonst vertreten, 70 Prozent der Käufer haben eine höhere Schulbildung und 44 Prozent gehören zur Altersgruppe der 20 bis 39 Jährigen. 14 Prozent der Käufer erwarben jeden der Bände, 75 Prozent kauften nur gelegentlich und selektiv (ein bis fünf Bände) - sie bestreiten dennoch die Hälfte des gesamten Umsatzes. 50.000 neue Käufer hatte die Sammelbibliothek angesprochen - insbesondere jüngere Buchkäufer. Faktisch wurde der "Markt" der Belletristik-Literatur in Deutschland 2004 vor allem von der Bibliothek der Süddeutschen Zeitung stimuliert.

Das ist ein für die Kritiker vermutlich doch überraschender Tatbestand. Natürlich sagt das noch nichts darüber aus, ob die Käufer die Bänder der Bibliothek der Süddeutschen Zeitung auch wirklich gelesen haben oder lesen werden. Aber da die Bibliothek der SZ vor allem an Bahnhofsbuchhandlungen beworben und vertrieben wurde - während der normale Buchhandel anfangs sogar außen vor gelassen wurde -, steht zu vermuten, dass viele die Bände als Reiselektüre gekauft und daher auch genutzt haben. Man kann der Bibliothek der SZ daher vermutlich wirklich einen literaturpädagogischen Erfolg attestieren.

Sicher war die Auswahl der Bände so, dass man als literarisch Interessierter schon vieles in der eigenen Bibliothek stehen hatte. Aber denkt man an die Zielgruppe der neu zu gewinnenden Leser, kann man das eben nicht notwendig unterstellen. Und wer von diesen sich auf das Experiment ganz oder doch teilweise eingelassen hat, der hat am Ende einen doch recht interessanten Überblick über die Literatur des 20. Jahrhunderts.

Dass man mit derartigen Zusammenstellungen auch nahezu komplett daneben liegen kann, beweist der schnell nachgeschobene Bibliotheks-Klon der BILD-Zeitung: die 25 Bände umfassende BILD-Bibliothek, die ebenfalls auf das Massenpublikum zielt und von wenigen Ausnahmen abgesehen einen erschreckenden Hang zum Mittelmäßigen und Trivialen offenbart - was vermutlich die Meinung der BILD-Macher über ihre Leserschaft spiegelt. Hier erfolgte die Auswahl nicht an der literarischen Qualität, sondern an ihrer scheinbaren Popularität und der filmischen Übersetzung in Hollywood-Blockbuster. Ob Eva Hellers "Beim nächsten Mann wird alles anders", Stephen Kings "Shining" oder Ephraim Kishons "Drehen Sie sich um, Frau Lot" wirklich in eine Auswahl einer auf 25 Bände begrenzten exemplarischen Bibliothek gehört, darf mit guten Gründen bezweifelt werden. Die BILD-Bibliothek füllt die Bücherregale mit Massenware und nicht mit literarisch Wertvollem. Dass Walter Kempowskis "Tadellöser & Wolff" hier und nicht in der SZ-Bibliothek erschien, ist allerdings ebenso bedauerlich wie die Publikation von Alexander Solschenizyns "Ein Tag im Leben des Iwan Denissowitsch". Beide hätten einen besseren Kontext verdient gehabt und Solschenizyns Arbeit hätte darüber hinaus auch excellent zu Jorge Semprúns "Was für ein schöner Sonntag!" in der SZ-Bibliothek gepasst.

Grundsätzlich zeigt die Bibliothek der Süddeutschen Zeitung aber schlagend, dass ambitionierte Projekte literarischer Bildung durchaus möglich und jenseits aller Sportifizierung der Kultur gewinnbringend sind.


© Mertin 2005
Magazin für Theologie und Ästhetik 33/2005
https://www.theomag.de/33/am140.htm