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Magazin für Theologie und Ästhetik


Virtuelle Räume II

Ein Rundblick

Andreas Mertin

Inszenierung und Vergegenwärtigung von Religion (Forts.)

Nach der Veröffentlichung des ersten Artikels zu diesem Thema gab es mehrere Rückmeldungen und Hinweise für weitere Vorstellungen. Eine Frage war die, inwiefern virtuelle Begehung und religiöse Erfahrung wirklich derartige Gegensätze bilden, wie ich es in meinem Text dargestellt habe. Nun ist die Frage danach, ob dem modernen Menschen so etwas wie die "klassische" religiöse Erfahrung überhaupt noch zugänglich ist, heftig umstritten. Der Religionswissenschaftler Mircea Eliade hat dies vehement bestritten und die starke religiöse Erfahrung, die sich an der Anerkenntnis und der Wahrnehmung eineses vertikalen Risses in der Welt festmacht, zu einer historischen erklärt. Wenn freilich Rligiöse Erfahrung all das bezeichnet, was mich über Religion, über den Sinn des Leben oder über Kontingenz nachdenken lässt, dann ist Religion allgegenwärtig und auchg virtuelle Inszenierungen vermögen dann Impulse auszulösen.

Subjektiv wäre es mir allerdings zu billig, die Erfahrungen, die man mit virtuellen Welten, mit 3D-Animationen oder Virtual Reality macht, mit Religion und ihrer Erfahrung zu verbinden. Wer einmal im Dom zu Fulda war, wird seine virtuelle Re-Inszenierung doch nur im Sinne der Erinnerung und Vergegenwärtigung, nicht aber als reale Erfahrung von Religion und religiösen Räumen schätzen können. Weder erfährt man real etwas von der Liturgie und vom Ritus, der dort gefeiert wird, noch kommt so etwas wie eine liturgische Gestimmtheit auf. Was jede Liturgie mit dem Körper des Gottesdienstteilnehmers anstellt (und was das Ergebnis einer jahrhundertelangen liturgischen Entwicklung ist), läßt sich nicht virtuell erfahren. Hier ist man auf performative Akte, auf Teilhabe an Religion angewiesen.

Dennoch bleibt in einem gewissen Sinne die Faszination der spezifischen Gestaltung religiöser Räume auch im Medium Internet erhalten. Es ist eine Faszination, die davon lebt, dass wir lebensweltlich diese Art von Räumen bereits erfahren haben und die dadurch ausgelösten Gefühle angesichts der nun betrachteten Simulation reaktivieren können.

Der Hohe Dom zu Fulda ...

Bei den vorgestellten Adressen ist ein Quicktime-Player die Voraussetzung, um in den Bildern 'spazieren' zu gehen.

... ist unter der Adresse http://www.m-innovations-showroom.de/bistum-fulda/ virtuell zu begehen. [Auf diese Virtualisierung der Kirche hat mich dankenswerter Weise Matthias Heil hingewiesen.] Dieses Angebot ist von allen Kirchen, die ich bisher im Rahmen virteller Erschließungen kennengelernt habe, das bisher Beste - auch wenn meine grundsätzlichen Überlegungen zu den Grenzen diees Mediums (s.o.) bestehen bleiben.

Der Dom St.Salvator und Bonifatius zu Fulda ist die Kathedralkirche des Bistums Fulda und stellt den Mittelpunkt des Fuldaer Barockviertels dar. Die Pläne des Doms wurden im Jahr 1700 vom Maurer und Steinmetzen Johann Dientzenhofer (1663-1726) im Auftrag von Fürstabt Adalbert von Schleifras angefertigt. Der Vorgängerbau, die Ratgarbasilika, einst größte Basilika nördlich der Alpen, wurde zugunsten des neuen Doms niedergelegt, ehe 1704 der Bau im aktuellen barocken Stil begann. Dabei wurden zum Teil die Fundamente der Ratgarbasilika genutzt. 1707 wurde der Rohbau fertiggestellt, 1708 eingedeckt und bis 1712 auch im Inneren ausgestaltet. Am 15. August 1712 wurde der Dom geweiht. Der Dom mit einer Länge von 99 Metern und einer Kuppelhöhe von 39m wird an der Vorderseite von zwei Türmen von 57 m Höhe flankiert. Die Bonifatiuskapelle, eine Krypta, ist ein Überrest der Ratgarbasiklika. Dort ruhen in einem reichverzierten Sarkophag die Gebeine des heiligen Bonifatius, des Apostels der Deutschen. Der Sarkophag ist mit einem Reliefbild und einem Antependium von Johann Neudecker versehen. Wie schon die Ratgarbasilika und auch sein bauliches Vorbild, der Petersdom in Rom, aber im Gegensatz zur großen Mehrheit europäischer Kirchen, ist der Dom nach Westen ausgerichtet. Die Hauptfassade zum Domplatz hin ist also die Ostfassade, während sich der Chor im Westen des Kirchenschiffs befindet. Auf einen zweiten Chor im Osten, wie im Vorgängerbau, verzichtete Dientzenhofer. Nördlich des Doms steht die ehemalige Propstei St. Michael, seit 1831 die Wohnung des Bischofs, und die karolingische Michaelskirche. Im anliegenden Dommuseum findet man eine Anzahl von liturgischen Gewändern und Gefäßen, u.a. den silbernen Altar, einen Altaraufsatz aus dem 18. Jahrhundert. Dieser umfasst das Reliquiar mit dem Haupt des heiligen Bonifatius, sowie den Dolch, mit dem er ermordet wurde, und weitere Reliquien der Fuldaer Bistumsheiligen. [wikipedia]

Die Virtualisierung des hohen Doms zu Fulda startet etwas gewöhnungsbedürftig und irritierend, denn wie aus der URL erkennbar, befinden wir uns in einem so genannten Showroom der den Auftritt realisierenden Firma M-Innovations. Vielleicht bin ich etwas zu kulturkonservativ, aber der Begriff "Showroom" ist mir dann doch im Blick auf eine Kirche zu sehr kulturindustriell geprägt. Vielleicht ist das auch nur eine Gewöhnungssache.

Nach wenigen Sekunden öffnet sich dann der erste Blick auf den Innenraum der Kirche, flankiert von einem Kirchengrundriss mit der Möglichkeit, verschiedene Standorte direkt anzusteuern. Geboten werden dabei vier verschiedene Anzeigeoptionen, vom kleinen Javabild bis zum Quicktime-Fullscreen. Nahezu jeder Winkel, jede Kapelle der Kirche kann auf diese Art und Weise visuell erschlossen werden. Wer den Aufbau eies Kirchengebäudes studieren will, ist hier an einer guten Adresse. Ihre Grenzen hat die Visualisierung bei typischen räumlichen Inszenierungseffekten des Barock, etwa wenn Stuck und Gemälde einander in der räumlichen Visualisierung ergänzen. Das ist mit den zweidimensionalen Quicktimefilmchen nicht darstellbar.

Alles in allem ist diese Adresse sehr empfehlenswert. Was allenfalls noch fehlt, sind Simulationen des Aufbaus der Kirche, wie sie sie zum Beispiel der Kölner Dom auf seiner Webseite präsentiert.


Der Hohe Dom zu Köln ...

... ist unter der Adresse http://www.koelner-dom.de aufrufbar.

Der Kölner Dom St. Peter und Maria ist mit 157 Metern Höhe nach dem Ulmer Münster die zweithöchste Kirche in Deutschland sowie die dritthöchste der Welt. Von 1880 bis 1888 war er das höchste Gebäude der Welt. Der Dom gilt als die größte gotische Kathedrale überhaupt und viele Kunsthistoriker sehen in ihm eine einmalige Harmonisierung sämtlicher Bauelemente und des Schmuckwerks im Stil der mittelalterlich-gotischen Architektur verwirklicht. Aus diesem Grund wurde der Kölner Dom 1996 in das Weltkulturerbe aufgenommen. Die atemberaubend große Fläche der Westfassade mitsamt den beiden Türmen von über 7000 Quadratmetern ist bis heute nirgendwo übertroffen worden. Das Motiv zum Bau des Doms datiert im Jahre 1164. Damals brachte der Kölner Erzbischof Rainald von Dassel die Reliquien der Heiligen Drei Könige von Mailand nach Köln. Sie waren ein Geschenk des Kaisers Friedrich I. aus dessen Kriegsbeute. Diese Reliquien führten um 1225 zu dem Plan, einen neuen Dom zu bauen. Der gotische Bau wurde am 15. August 1248 nach einem Plan des Dombaumeisters Gerhard von Rile begonnen. An der Grundsteinlegung nahm auch Graf Adolf IV. von Berg teil. Die Weihe des Chors erfolgte im Jahr 1322. 1410 erreicht der Südturm das zweite Geschoss. Um 1528 stellte man den Bau ein. Über 300 Jahre bestimmte der unfertige Kölner Dom mit dem Baukran auf dem unvollendeten Südturm die Silhouette der Stadt. 1814 wird die eine Hälfte des 4,05 m großen überarbeiteten Fassadenplanes des 3. Nachfolgers Gerhards, Dombaumeister Johannes, von Georg Moller in Darmstadt wiederentdeckt, die andere 1816 von Sulpiz Boisserée in Paris. Um die Wende zum 19. Jahrhundert lenkten außerdem Romantiker in ihrer Begeisterung für das Mittelalter das öffentliche Interesse erneut auf den unvollendeten Dombau. Neben anderen war Sulpiz Boisserée die treibende Kraft für die Vollendung, so dass letztlich am 4. September 1842 durch den preußischen König Friedrich Wilhelm IV. und den Erzbischof Johannes von Geissel der Grundstein für den Weiterbau des Kölner Doms gelegt werden konnte. " ... Hier, wo der Grundstein liegt, dort mit jenen Türmen zugleich, sollen sich die schönsten Tore der ganzen Welt erheben ...". Am 15. Oktober 1880 kann der Dom nach über 600 Jahren vollendet werden, getreu den Plänen der Kölner Dombaumeister des Mittelalters und dem erhaltenen Fassadenplan aus der Zeit um 1310. Dabei wurden die modernsten Techniken, insbesondere für den Dachbau - eine neuzeitliche Eisenkonstruktion - durch die Dombaumeister Ernst Friedrich Zwirner und Karl Eduard Richard Voigtel eingesetzt. Nach der Fertigstellung war der Dom acht Jahre lang mit 156,5 Metern das höchste Gebäude der Welt. Die verbaute Steinmasse beträgt ca. 300.000 Tonnen. Größere Schäden erlitt der Dom während des 2. Weltkrieges u. a. durch 14 Bombentreffer. Brandbomben wurden von Mitarbeitern die im und auf dem Dom postiert waren, sofort gelöscht. Durch die Bombentreffer stürzten, unter anderem im Langhaus, einige Deckengewölbe ein, das Dach ist dank des eisernen Dachstuhls nicht eingestürzt. Ab 1956 konnte er seine Funktion für die Menschen wieder erfüllen. [wikipedia]

Die Webseite ist eine Kombination von touristischer und gemeindlicher Information sowie einer virtuellen Erschließung. Unter dem Stichpunkt "Geschichte" findet man eine Darstellung der Baugeschichte und der Bischöfe des Doms. Der Stichpunkt "Rundgang" bietet dann Panoramen, Videos, Audioführungen und vieles mehr. Unter dem Unterpunkt Panoramen können dann verschiedene Filme (im Java-, Quicktime- und Shockwaveformat aufgerufen werden. Zur Zeit meines Besuchs funktionierten freilich nicht alle Links und manche waren falsch verknüpft. Die Bilder sind keine Fullscreen-Darstellungen, sondern "nur" Filme in einem kleinen Fenster. Dafür bietet die Website auch eine Audiofunktion, bei der eine sonore Sprecherstimme das Gesehene und seine Bedeutung erläutert. Da auch historische kunst erläuterungsbedürftig ist, ist das für den Besucher eine äußerst nützliche Hilfestellung.

Ein besonderes Angebot findet man unter dem Punkt "Videos". Hier kann man sich anhand von animierten Modellen den Aufbau des Doms vor Augen führen lassen. Das ist sehr professionell und anregend gemacht. [Voraussetzung der Betrachtung ist ei installierter Flash-Player].

Damit ist erst ein kleiner Teil des Web-Angebotes vorgestellt. So finden sich noch detaillierte Vorstellungen der verschiedenen ausgezeichneten Kunstwerke, der Kirchenfenster, der Architektur, der Glocken und noch vieles mehr.

Auch dieses Angebot ist sehr empfehlenswert. Ob man freilich wirklich etwas über den Zuaammenhang von räumlicher Struktur und christlichem Glauben erfährt, scheint mir zweifelhaft. Auch hier überwiegt die kultur- und kunstgeschichtliche Inszenierung und Vergegenwärtigung.


Die Westmauer des Jerusalemer Tempels ...

... ist unter http://www.panoramas.dk/fullscreen2/full25b.html bzw. http://www.panoramas.dk/fullscreen2/full25.html abrufbar.

Die Westmauer (populärkulturell und irreführend auch: Klagemauer) in Jerusalem ist zur Zeit das bedeutendste Heiligtum des Judentums. Sie stellt die frühere Westmauer des Plateaus des zweiten Tempels dar, der sich an dieser Stelle befand. Die Mauer ist nicht eine Mauer des Tempels selbst. Der unter Salomo gebaute erste Tempel war bereits 587 v. Chr. von den Babyloniern zerstört worden. Nach der Besetzung Jerusalems durch die Perser konnte an derselben Stelle um 515 v. Chr. ein schlichterer (der zweite) Tempel neu gebaut werden, der um 20 v. Chr. unter König Herodes dem Großen prachtvoll ausgebaut und von den Römern 70 n. Chr. zerstört wurde. Am Ort des eigentlichen Tempels erheben sich heute die Al-Aqsa-Moschee und der Felsendom, die Jerusalem zur drittheiligsten Stadt des Islam machen, den Tempelberg für die Religionsausübung der Juden aber versperren. Die Westmauer der Tempelanlage ist etwa 400 Meter lang und 18 Meter hoch. Heute pilgern täglich viele Menschen dorthin, um zu beten. Viele stecken auch aufgeschriebene Gebete in die Ritzen und Spalten der Mauer. Sie stellt für viele Juden ein Symbol für den Rest des ungebrochenen Bundes Gottes mit dem jüdischen Volk dar. [wikipedia]

Das Panoramabild ist in den späten Abendstunden aufgenommen mit einem ziemlich leeren Platz. Normalerweise ist hier sehr viel mehr los (vgl. die Webcam unter http://www.aish.com/wallcam/default.asp, die selbst zur Tageszeit abends um 22:00 Uhr bzw. 23 Uhr dortiger Zeit, an der ich dies schreibe, noch ziemlich gefüllt ist), aber so bekommt man etwas mehr von den örtlichen Verhältnissen mit. Ergänzend zum Blick auf die Westmauer kann man einen Blick in den Anfang des Tunnelsystems unter dem Tempel werfen. Vom religiösen Leben rund um die Westmauer erfährt man mittels der Webcam mehr, der bloße Blick auf ein Foto hat dagegen nur einen begrenzten Erfahrungswert. Das liegt in diesem Falle daran, dass der wesentliche Reiz des betrachteten Objekts im religiösen Leben liegt, das es auslöst, während man eine christliche Kirche oder auch eine jüdische Synagoge auch kunsthistorisch (ebenso interessiert wie distanziert) betrachten kann. Bei der Westmauer wäre aber ein großes Foto interessanter und gewinnbringender als ein 360°-Fullscreen-Film.


Der Artikel wird fortgesetzt ...

Der erste Teil des Artikel findet sich unter der Adresse https://www.theomag.de/36/am157.htm .

Wer zwischenzeitlich selbst in der Welt der Full Screen Quicktime-Bilder stöbern will, kann dies unter folgenden miteinander verbundenen Adressen tun:


© Andreas Mertin 2005
Magazin für Theologie und Ästhetik 37/2005
https://www.theomag.de/37/am163.htm