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Magazin für Theologie und Ästhetik


Le Souvenir

Erinnerung an ein Analogon von Intersubjektivität –

oder vom Heim- und Fernweh in der Freundschaft

Frauke Annegret Kurbacher

Im Folgenden möchte ich keinen philosophischen Überblick über die verschiedenen Möglichkeiten des Erinnerns im Sinne einer „tour de mémoire“ geben, sondern möchte vielmehr fragen, auf welche „tour de mémoire“ uns das Souvenir schickt?! Es soll gefragt werden, mit welchen impliziten Wünschen, Hoffnungen, Zielen sich diese Art der ‚Reise‘ verbindet, zu welchem möglichen Zweck sie unternommen wird, und was sich daran philosophisch sehen und zeigen läßt.

Ich möchte diese Überlegungen zum Souvenir im Rahmen einer kritischen Revision der Subjektphilosophie vornehmen, die im Besonderen nach der Konstitutivität des Intersubjektiven für das Subjektive Ausschau hält. Und hier scheint das Souvenir besonderen Anlaß zum Denken zu liefern.

In seiner Bedeutung als „Andenken“, als „denken an“ wird über den subjektiven und intersubjektiven Bezug - ‚jemand denkt an jemanden oder etwas‘ - die Nähe des Souvenirs zur Thematik des Denkens ersichtlich, und es fragt sich zugleich, wie, woran und wessen im und anläßlich des Souvenirs gedacht wird.

Beim Andenken, daß das Souvenir bezeichnet, handelt es sich um ein spezifisch erinnerndes Denken, das ich im Folgenden vor allem im Rückgriff auf Aristoteles Konzeption der Erinnerung und der Freundschaft, Julia Kristevas Überlegung zur Fremdheit im Eigenen und Karl Jaspers Problematisierungen der Sehnsucht als Heimweh ausführen möchte.[1]

Zunächst möchte ich jedoch noch einige weitere Einordnungen des Souvenirs anfügen. Das Souvenir, bei dem ja im Französischen – bezeichnender Weise über den Umweg des Fremdworts - das Verb für Erinnern mit dem Gegenstand zusammenfallen, wird hier weiterhin als etwas Materialisiertes betrachtet, mit dem sich Erinnerung in besonderer Art verknüpft. Das Souvenir bezeichnet für meine Ausführungen im Weiteren also so etwas wie einen spezifischen Erinnerungsgegenstand, der insgesamt, ob nun als Mitbringsel oder Präsent oder Gabe, als eine besondere Form des Geschenks aufgefaßt wird.

Daran anknüpfend kann eine weitere Unterscheidung getroffen werden: Das als Souvenir intendierte läßt sich von demjenigen Souvenir unterscheiden, das erst durch den Verlauf von Ereignissen, von Geschichte - zumeist wohl aus der persönlichen Perspektive eines Menschen - zum Souvenir wird.

Weiter möchte ich von einer Unterscheidung von Aristoteles ausgehen, die auch Günter Oesterle in seinem trefflichen Beitrag in dem gelungenen Katalog zur Ausstellung „Der Souvenir“ benennt,{2] - nämlich die Differenzierung zwischen Gedächtnis als einer Erinnerung, die sich direkt auf das Erinnerte bezieht, und von Erinnerung, die sich über ein Drittes auf das zu Erinnernde bezieht, und sie auch hier unterlegen. Insofern gehört alles Sprechen über das Souvenir jener zweiten Kategorie an, die etwas über den Umweg von etwas Materialisiertem oder sich manifestierendem Dritten erinnernd vergegenwärtigt.

Das Souvenir kann dabei weit gefaßt sein, es vermag sich um etwas Materialisiertes – einen Gegenstand handeln, aber auch um etwas Flüchtigeres als einen Gegenstand, etwas sich bloß in etwas Manifestierendem wie z.B. eine anspielungsreiche zwischen zwei Menschen ausgetauschte Geste. In jedem Fall aber ist darin etwas ‚realisiert‘ und sichtbar gemacht - oder ist zumindest Verweis.

Das, was in dieser Realisierung sichtbar gemacht ist, erscheint jedoch – genauer betrachtet - stets bloßer Verweis auf etwas anderes, das anläßlich des sich so Manifestierenden erinnert werden soll. Hierin liegt eine Besonderheit, die Spezifik wie auch besondere Problematik des Erinnerungsthemas im Souvenir, wie ich es versuche  auszuführen.

Ich möchte im nun Folgenden den intersubjektiven Fall des Souvenirs betrachten, wiewohl es freilich möglich ist – und auch geschieht – sich selbst Souvenirs von irgendwoher mitzubringen. Hier sei jedoch die Situation ins Auge gefaßt, in der einer anderen Person – in der Regel eine geliebte oder zumindest befreundete Person – so ein Geschenk, Mitbringsel etc. gemacht wird. (Es ließe sich fragen, ob als Sonderform des inner- wie intersubjektiven Verhältnisses nicht auch das selbstgeschenkte Souvenir dazuzählt, da ich mir zu einem späteren Zeitpunkt auch selbst als ein Anderer begegne. Doch diese Spur kann jetzt hier nicht weiter verfolgt werden.)

In diesem Zusammenhang ist dem Souvenir eine eigenartige Zeit- und Raumstruktur eigen. Ich bringe dem geliebten, befreundeten und ersehnten Anderen etwas von irgendwoher mit, wo der Andere gerade gar nicht bei mir war, also in seiner Abwesenheit, denke ich an ihn und möchte ihn beschenken, und indem ich es ihm mitbringe, zeige ich einmal an, daß ich seiner in der Ferne gedacht habe und zugleich fordere ich ihn aber auch latent zum Gedenken, zum Andenken anläßlich dieser Gabe, die selbst ein Andenken ist, auf. (Es selbst scheint irgendwann dazu aufzufordern, wann immer ich es zur Hand nehme, wo immer ich es auch aufbewahre.)

Doch zu welchem Gedenken, zu welcher Erinnerung und an was lege ich ihm mit der Übergabe des Souvenirs nah?! Da der Andere nicht an dem Ort und in der Zeit bei mir war, aus der das Souvenir mitgenommen wurde, wird deutlich, daß es letztlich nicht um jene konkrete Erinnerung (an ein allein Erlebtes) gehen kann, wenngleich das Souvenir unter Umständen auch Zeichen und Versuch einer möglichen Teilhabe am Geschehen und der Möglichkeit zur Anteilnahme am singulär und einzeln Erlebtem ist.

Das im Souvenir Angezeigte, das, worauf es verweist, scheint also letztlich etwas anderes zu meinen, es ist im Besonderen wohl Verweis auf die Beziehung – und zwar in ihrer Spezifität wie in ihrer Allgemeinheit -, die zwischen (mir) dem Schenkenden und dem Anderen, dem Beschenkten besteht, und sie scheint zugleich auch Wunsch zu sein, daß sich etwas von dieser Relation im Hier und Jetzt realisiert und (auch materiellen) Ausdruck findet, „real“ wird, - weil ich im so Geschenkten ausdrücke, daß ich möchte, daß genau das ist, was zwischen uns ist, - es ist Bestätigung, Affirmation dieses Verhältnisses, Ausdruck seines Bestehens und zugleich Ausdruck für den Wunsch seines Dauerns und Andauerns. In gewisser Weise schreibt das Souvenir der Verbindung mit mir zum Anderen auch Geschichtlichkeit ein, denn es ist der Verweis: „Sieh‘ an Dich hab‘ ich gedacht, noch bevor Du das hier erhältst, - was Dich daran erinnern soll, und zwar jetzt und in ferner Zukunft.“ Dies ist die Paraphrase des Souvenirs, oder doch zumindest eine, eine andere lautet vielleicht schlichter: Ich bin bei Dir, auch wenn ich fern bin – so wie Du mir nah bist – und: sei Du es bitte auch! Diese Thematik des Dauerns und der implizite Aufruf zum Andauern vor der Gewißheit seines Gewesenseins wird verständlich vor der Zeitstruktur des Souvenirs, denn zugleich eignet dem Souvenir auch ein Gerinnen von Zeit und Manifestation von Vergänglichkeit und Geschichtlichkeit von Zeit, die gleichzeitig einen bestimmten, spezifischen Moment markiert.

Die dabei gegebenenfalls gewählte Beliebigkeit des Souvenirs, des Erinnerungsgegenstandes (Replique des Eiffelturms etc.) scheint gerade den Akzent und den Verweis, daß es hier letztlich um etwas anderes geht, als das, worauf das Souvenir gegenständlich explizit deutet, und damit den Beziehungsaspekt noch zu untermauern.

Im Andenken formuliert sich also nicht nur eigenes Denken, sondern auch Wunsch nach Erinnerung des Anderen an mich. Nun stellt aber genau dieser implizite Aufruf auch ein Problem dar: Dieses appellative Moment des Souvenirs tritt beim als Souvenir intendierten Geschenk auf, und kann so zugleich eine Zumutung und Anmaßung bedeuten. Konkret bedeutet dies: vielleicht schätze ich das Verhältnis zum Anderen anders ein z.B., und kann die Gabe grundsätzlich nicht erwidern; oder mir mißfällt die von mir als Überhöhung empfundene Wertschätzung der eigenen Gedanken an den Anderen darin, oder ich fühle mich überfordert mit diesem Aufruf zu gegenseitiger andauernder Freundschaft. Diese Forderung nach Dauer des Verhältnisses stellt subjektphilosophisch betrachtet ohnehin ein Problem dar, weil hier zwar verständlicherweise dem Wunsch nach Beständigkeit des als wertvoll erachteten Verhältnisses Ausdruck gegeben ist, aber dabei zugleich mehrere doch nur als flexibel zu denkende Strukturen unterlaufen werden. Genau das Moment des einfach spontan Auftretenden und Auftauchenden, das in der Wortwörtlichkeit des Souvenirs enthalten ist, läuft ihm im appellativen Gestus der Intention eines (freien) Schenkens zuwider. Überhaupt ist dies Intentionale an dieser Art des Geschenks ein Problem – darum fliegt uns u.U. etwas so unangenehm daran an. Im Schenken und Beschenktwerden möchten die Freunde freigelassen sein und werden, weil auch ihre Verbindung etwas Freiwilliges ist, in dem es nichts anderes als die Selbstverpflichtung geben sollte. Also: sowohl Freundschaft wie Schenken verlangen Freiheit und basieren auf Freiwilligkeit und der implizit wahrgenommene Aufruf nach andauernder Gegenseitigkeit bestätigt dies einerseits positiv und läuft ihm andererseits latent zuwider, - genauso wie das durch die Fixierung in der Materialität stillstellende Moment des fortdauernden Erinnerns dem Fluß und Verlauf der Zeit eigenartig entgegenläuft – und gerade darin das Melancholische birgt. Aber aus der hier gewählten Perspektive läuft es vor allem der Erlebnis- und fragilen Subjektstruktur und der prozessualen, grundsätzlich in Bewegung befindlichen Intersubjektivität zuwider.

Nach aller zurecht angeführten Kritik an der traditionellen Subjektphilosophie kann das Subjekt nicht als Fixiertes oder Fixierbares verstanden werden, gleichzeitig bedarf alles Denken, Fühlen und Handeln eines Subjekts, einer Person, die als verantwortliche aufgefaßt werden kann. Vor dem Hintergrund dieser Schwierigkeit verstehe ich das Subjektive, die Subjektstruktur als grundsätzliche variable Möglichkeit der Selbstzuschreibung, oder worauf auch  Christoph Menke verweist: Subjekte begreifen sich in wertenden Selbstbestimmungen, d.h. sie sind diese wertenden Selbstbezüge.[3]

Zu der ebenfalls im Katalog vermerkten Formel des Souvenirs als einem Glück der vergegenwärtigenden Erinnerung bei einem gleichzeitigen Gefühl der Melancholie des „Aber es ist gewesen“ (passé),[4] gesellt sich dann im Souvenir problematischer Weise noch diese mögliche Anmaßung des „sei mir immer so und erinnere Dich daran“ hinzu.

Mit dieser Art der Betrachtung des Souvenirs innerhalb des intersubjektiven Geschehens einer Freundschaft oder Liebesbeziehung ist daher nicht viel Positives oder Glückendes aufzuzeigen, aber vielleicht gibt es ja eine andere Art das Souvenir zu betrachten, die auch zu Gelingenderem führt.

Hierfür möchte ich noch einmal die Raum- und Zeitrahmung bzw. Strukturierung aufgreifen, mit der unter Umständen auf etwas Grundsätzlicheres des eigenen Selbstverhältnisses und der Relation zum Anderen verwiesen ist.

Im Andenken scheinen in eigener Weise Fern- und Heimweh geborgen, - aber gar nicht so sehr auf einen Ort bezogen, sondern durch die Exponierung des Verhältnisses zum Anderen, die im Souvenir dargestellt ist, in Bezug auf einen, bzw. den Anderen.

Im Souvenir scheinen in bedenkenswerter Weise Fern- und Heimweh vor dem Hintergrund eines möglichen Heimisch-Werdens oder Heimisch-Seins zusammen zu kommen. Während mir in der Ferne also, in der der Andere mir abwesend ist, so wie ich ihm gerade Daheim abwesend bin, der Andere einfällt (in die Gedanken kommt, mir unter kommt und dann erst kommt mir das Souvenir unter), und das Souvenir Ausdruck dieser Gedanken an den Anderen in seiner Abwesenheit ist, die durch diese Gedanken doch auch ein wenig wieder Anwesenheit wird, so soll das Souvenir daheim verschenkt an den Anderen diese Anwesenheit des Anderen durch meine Gedanken an ihn in der Ferne erinnern, für sie bürgen, ist Garant dieses erinnernden und freundschaftskonstitutierenden Denkens und Erinnerns an den Anderen und des Anderen. Auf diese Weise ist auch etwas Ferne mit ins Heimische gebracht und umgekehrt.

In dieser eigenartigen – sich im Souvenir ausdrückenden und manifestierenden – Verzahnung von Heim- und Fernweh, ist gleichzeitig doch auch ein Ankommen im Souvenir, beim Anderen, im gemeinsamen Verhältnis zum Anderen eingeschrieben. Und damit ist vielleicht noch ein weitaus weitreichender Wunsch bezeichnet, als die ersten Paraphrasierungen des Souvenirs es andeuten konnten.

Und genau darin mag das Souvenir als Verweis, als Analogon auf eine spezifische subjektive Verfaßtheit (des Menschen) genommen werden, das genau dieselbe anläßlich des Souvenirs im intersubjektiven Verhältnis sichtbar werden läßt.

Grundvoraussetzung für diese Annahme ist einmal die Überlegung, daß wir nicht allein durch uns zu uns selbst kommen (eine Annahme, mit der vor allem Martin Buber nachdrücklich seine Bedenken gegenüber traditioneller Subjekt- als Bewußtseinsphilosophie zurückgewiesen hat), und daß wir (daher) stetig mit allen unseren Kräften (Gefühlen, Wahrnehmungen und Gedanken) und durch unsere Handlungen und Beziehungen Reflektierende sind. D.h. wir reflektieren uns über den Umgang mit Anderen und mit Welt überhaupt, wozu ich gleich noch Näheres ausführe. Selbst für alle Zustände und Situationen eines Bei-sich-Seins, eines inneren Angekommenseins etc. bedarf es also der Interaktion mit dem Anderen. Es braucht den Austausch mit demjenigen, grundsätzlich Anderen, der ich selbst nie sein werde, und diesen Austausch braucht es zur Selbst- und Anderenentwicklung im Guten, wofür Aristoteles klassisch die philia, die Freundschaft respektive Liebe angeführt hat, die ich hier in groben Zügen noch einmal kurz umreißen möchte.

Aristoteles Freundschaftskonzeption basiert auf einer grundlegenden Wertschätzung des Daseins (des Lebens, des Seins). In der Freundschaft, die selbst als Haltung wie als Tätigkeit begriffen ist, wird einer solchen Wertschätzung und Achtung konkreter Ausdruck verliehen, gegeben, der insofern auch für mein Selbstverhältnis (wohlgemerkt keine Selbsterkenntnis) überhaupt konstitutiv ist, weil ich nur dadurch, daß ich mit anderen umgehe und handele, Selbstkenntnis von mir und anderen und Welt erlange. Selbstreflexivität ist hier also ebenfalls ganz konkret als Bezüglichkeit, als Umgang mit mir und anderen und Welt zu verstehen. Anders herum gesehen, wird auf diese Weise auch deutlich, daß ich nicht allein durch mich zu mir komme. Ich muß mich selbst gut kennen (dies zeichnet für Aristoteles z.B. den Großgesinnten vor dem Kleinmütigen aus), aber ich erlange diese Kenntnis durch meinen Umgang in und mit der Welt. Oder, um es mit Hannah Arendt zu formulieren: wir sind welthaftige Personen (denen allerdings auch – durch z.B. fehlenden Umgang, Reflexion auf Gemeinschaft in Gemeinschaft und fehlende Einschätzungen und Urteile – ebenso die Weltlosigkeit möglich ist).

Existentiell und subjekttheoretisch gewendet, kann unter dieser Annahme die menschliche Situation, dadurch daß wir grundsätzlich nicht aus uns allein heraus sind, als freie, d.h. auch ambivalente, als ortlose begriffen werden. Genau dieser Umstand macht uns sowohl zu Standorthaften wie zu Heimatlosen. Wir sind frei unsere Standpunkte zu wählen, - aber wir müssen es auch tun, um irgendwo zu sein und zwar nicht einmal, sondern immer wieder neu und im Austausch und Reflex auf und mit Anderen. – So betrachtet können Heim- und Fernweh als existentielle Momente aufgefaßt werden. Sie umschreiben dann genau diese menschliche Situation, nie ganz ohne Andere und Anderes bei sich sein, zu sich finden zu können, woraus sowohl das Heimweh, als auch der Wunsch bei sich anzukommen, resultiert, als ebenso auch das Fernweh, in dem reflektiert ist, daß ich nicht durch bloße Rückwendung auf mich selbst, sondern nur im Ausgang aus mir selbst, in dem ich mich aufmache, aus mir heraus gehe in die Ferne über die Umwege zu Anderem und Anderen, und nur so die Möglichkeit erfolgen könnte, doch zu mir (zurück) zu kommen. Dafür bedarf es jedoch der positiven bestätigenden Erfahrungen, für die Aristoteles par excellence die philia, die Freundschaft, die Liebe angibt. Diese Art des Bezugs bietet innerhalb der aristotelischen Tugendethik Beständigkeit, da sie als Tugend und damit als Haltung der Freundschaft angeführt wird, die so ein probates Mittel darstellt, den Wechselfällen des Lebens und ebenso der Fragilität menschlicher Affekte zu trotzen. In gewisser Weise ist im Souvenir eben diese Haltung der Freundschaft und Liebe aufgerufen.

Aus dieser anthropologischen Gegebenheit und grundsätzlichen Situation des Unbehaustseins wird ein Fernweh wie Heimweh verständlich. Ist es einmal ein Fernweh, die eine Sehnsucht nach dem Anderen wie nach dem Eigenen ausdrückt, so ist es zugleich doch auch ein Heimweh nach dem Bei-Sich-Sein und auch eines nach dem Beim-Anderen-Ankommens. Diese Doppelgerichtetheit und Doppeldeutigkeit gehört diesem Geschehen ebenso konstitutiv an wie das fragile und komplexe Zusammenspiel von Nähe und Ferne, Nähe und Distanz, auf der jede Kenntnis (und vielleicht auch sogar Erkenntnis) des Eigenen und auch die Interaktion mit dem Anderen und den Anderen beruht.

Nur durch und im Andern, im reflexiven Austausch mit dem Anderen und den Anderen komme ich zu mir und dies impliziert aber auch die grundsätzliche Unauflösbarkeit und Unaufhebbarkeit des Anderen als Anderen, womit zugleich also auch eine grundlegende Ferne beschrieben ist. Ihre Aufhebung würde fatalerweise unproduktive Symbiose bedeuten, während die nur oder bloße Ferne ebenso unproduktive, isolierende Distanzierung wäre, Enthebung, die jede Relation unmöglich werden ließe.

Das Heimisch-Werden aber vollzieht sich vor einer Annahme dieses bewegten Verhältnisses von Ferne und Nähe in ausgewogenem, einem diesem Verhältnis angemessenem Maße. Und zwar das eigene (in sich) Heimisch-Werden wie auch das mit dem Anderen Heimsch-Werden im grundlegend freien Schwanken des Daseins bzw. im Dasein. – An dieses diffizile Zusammenspiel mag das Souvenir erinnern. Das Souvenir, das sich selbst als produktives, reflektiertes Ergebnis eines solchen intersubjektiven Austausches präsentiert. Es mag uns daran erinnern, uns, die wir nomadisierend das Dasein durchlaufen, von dem wir nichts mitnehmen werden, - nicht einmal ein Souvenir.

Anmerkungen
  1. Ich beziehe mich hier im Besonderen auf Aristoteles‘ Nikomachische Ethik, Julia Kristevas Fremde sind wir uns selbst (frz. 1988, dt. 1990) und Karl Jaspers Heimweh und Verbrechen (1909).
  2. Siehe Günter Oesterle: Souvenir und Andenken. In: MAK: Souvenir. S. 16-45. [Künftig zitiert: Oesterle: Andenken.]
  3. Vgl. Christoph Menke: Spiegelungen der Gleichheit. Berlin 2002. S. 23.
  4. Vgl. Oesterle: Andenken. S. 19.

© Frauke Annegret Kurbacher 2006
Magazin für Theologie und Ästhetik 44/2006
https://www.theomag.de/44/fk07.htm