Blick zurück nach vorn


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Wien - Paris

Zur Ausstellung „Van Gogh, Cézanne und Österreichs Moderne 1880-1960“

Andreas Mertin

Vom 3.10.2007 bis zum 13. Januar 2008 ist im Wiener Unteren Belvedere eine Ausstellung zu sehen, die meiner Ansicht nach zu den interessantesten und zu den am besten präsentierten Kunstereignissen des Jahres gehört. An sich schon ist das Belvedere immer einen Besuch wert, weil es eine exzellente Kunstsammlung vom Mittelalter über das Barock bis ins 21. Jahrhundert vorweisen kann. Dabei muss man vor Ort weniger den Besucherströmen folgen, die sich auf Gustav Klimts „Der Kuss“ wie die Made auf den Speck stürzen. Konvulsisch wird einem so der Blick auf die Arbeiten Klimts von Fähnchen schwenkenden Touristengruppen versperrt. Aber das Belvedere hat viel mehr zu bieten, nicht zuletzt auch an mittelalterlicher Kunst - und diese Abteilung ist viel weniger frequentiert.

Und das Belvedere bietet einem Einblicke in die Kunst der Moderne und ihre Genese. Das gilt nun insbesondere für die aktuelle Ausstellung.

Erstmals, so betonen die Veranstalter, werden mit der Ausstellung „Wien - Paris“ die wichtigsten Einflüsse der modernen Kunst Frankreichs auf die Moderne Österreichs im Überblick dargestellt:

„Gustav Klimt und Egon Schiele, Oskar Kokoschka und Herbert Boeckl, Otto Wagner und Josef Hoffmann sahen ihre Arbeit stets als Beitrag zum internationalen ‚Projekt Moderne’ und nicht als Bausteine einer österreichischen Identität, für die sie immer wieder herhalten müssen.

Die internationalen Ausstellungen der Wiener Secession und die Frankreich-Aufenthalte österreichischer Künstler schufen selbst in den schwierigen Zeiten um den 1. Weltkrieg ein Klima künstlerischer Solidarität, das in scharfem Gegensatz zu den politischen Ambitionen jener Zeit stand. - Von den Pionieren der Moderne, die schon vor der Gründung der Wiener Secession Kontakte zu wichtigen französischen Künstlern knüpften, über die österreichische Kunstausstellung bei der Expo Universelle 1900 in Paris bis hin zu den Einflüssen surrealistischer und abstrakter Kunst auf Künstler wie Lassnig oder Rainer spannt sich ein dichtes Netz an Kontakten, das zeigt, wie weit die globale Künstlerrepublik der politischen Einigung Europas voraus war.“

Es ist absolut bestechend zu sehen, wie die Veranstalter ihre vorstehend beschriebene Programmatik umgesetzt haben, wie sie die Korrespondenz zwischen Paris und Wien augenfällig machen.

Anfangs war ich geneigt, das Ganze fast als eine Art österreichischer Epigonalität zu deuten, so unmittelbar setzen sich die Pariser Einflüsse in die Wiener Kunst um. Dann aber beginnt man, das Geschehen als epochales Ringen um den zeitgemäßen Ausdruck der Kunst zu begreifen, als sorgfältige Prüfung österreichischer Künstler, was von der Pariser Kunst tragfähig war und was nicht. Und hier kann man sagen, dass sie einen exzellenten Blick für die Leistung der Kunst in Paris hatten.

Wenn man an den Protest deutscher Künstler gegen die französische Kunst denkt (https://www.theomag.de/20/am68.htm), kann man den Wiener Weitblick nur bewundern.

Jedenfalls sollte, wer Zeit und Gelegenheit hat, die Ausstellung im Unteren Belvedere unbedingt aufsuchen!

Artikelnachweis: https://www.theomag.de/50/am231.htm
© Andreas Mertin