Paradigmen theologischen Denkens

Auf der Suche nach einem für mich heute tragfähigen und sagfähigen Glauben

Stefan Schütze

6. Die zweite „Rekonstruktionaufgabe“: Einordnung theologischer Aussagen in eine globale religiöse Perspektive

Die zweite theologische „Rekonstruktionsaufgabe“ für die Formulierung einer heute plausiblen religiösen Weltsicht, die Einordnung theologischer Aussagen in eine globale kulturelle und religiöse Perspektive, ergibt sich als Konsequenz aus der ersten.

Wenn der Glaube Teil der „conditio humana“ ist, und Religion als wesentlicher Motor der kulturellen Evolution des Menschen verstanden wird, dann werden Glaubensaussagen und religiöse Wertorientierungen selbst zum konstitutiven Teil der menschlichen Geschichte, und können nur geschichtlich relativ, nicht übergeschichtlich absolut interpretiert werden.

Die Entwicklung religiöser Orientierungssysteme im Rahmen der kulturellen Evolution des Menschen ist dabei wie diese selbst universal und vielgestaltig. Alle religiösen Denk-, Lebens- und Suchbewegungen von Menschen quer durch die Zeiten und quer zu allen Orten sind Anpassungsversuche menschlicher Orientierung und Welterschließung an eine „letzte Wirklichkeit“, und müssen darum von heutigem theologischem Nachdenken aufgenommen und berücksichtigt werden.

Darum macht eine nur „selbstreferentielle“ christliche Theologie in Zusammenhang heutiger wissenschaftlicher Weltsicht schlichtweg keinen Sinn mehr, und das gilt auch für jede rein binnenorientierte Sicht jeder anderen Religion. Wenn Religion angesichts der heutigen wissenschaftlichen Sicht des Menschen, angesichts des gegenwärtigen Standes der theologischen und philosophischen Debatte, und angesichts der gegenwärtigen globalen Krise Bedeutung haben und unser Leben auch in Zukunft orientieren soll, dann muss sie selbst global und universalistisch sein.

6.1. Begründungen für ein neues Paradigma

Lektürebasis:

Im Blick auf die sich aus einem geschichtlichen, evolutiven Verständnis des Glaubens ergebende Aufgabe der Entfaltung religiöser Denkwege in einem grundsätzlich globalen und interreligiösen Horizont wird heute von einem „neuen Paradigma“ theologischen Denkens gesprochen. Dieses „neue Paradigma“ gilt prinzipiell für die Formulierungen von „believes“ in allen Religionen, kann aber von der christlichen Theologie vorläufig nur im Blick auf ihre eigenen Denkbewegungen angewandt werden.

Nachdem in der dogmatischen Formulierung christlichen „Bekenntnisses“ lange Zeit ein theologischer „Exklusivismus“ und religiöser „Absolutheitsanspruch“ leitend war, wurde dieser im Protestantismus im Gefolge der Liberalen Theologie des 19. Jh. und im Katholizismus im Gefolge des „Zweiten Vatikanischen Konzils“ seit Mitte des 20. Jahrhunderts immer mehr durch einen theologischen „Inklusivismus“ abgelöst, nach dem – um die Terminologie Tillichs zu gebrauchen - in den anderen Religionen „vorläufige Offenbarungen“ anerkannt werden, die aber durch die „letztgültige Offenbarung“ in Christus erfüllt und überboten wurden. Dieser „Inklusivismus“ drängte aber logisch immer mehr über sich hinaus zu einem theologischen „Pluralismus“, der prinzipiell offen ist für gleichermaßen „wahre“ bzw. „heilshafte“ Erkenntnisse in allen Religionen, und auch dem aufgeklärten geschichtlichen Bewusstsein und der immer mehr tatsächlich stattfindenden Begegnung von Menschen verschiedener religiöser Herkunft entsprach. Gegen die weitgehenden Thesen dieses „Pluralismus“ scheint sich heute so etwas wie ein religionstheologischer „Relativismus“ als vierte Option zu etablieren, der exklusivistische, inklusivistische oder pluralistische Urteile über andere Religionen dadurch vermeidet, dass er sich (jedenfalls bezüglich der Wahrheitsansprüche der anderen Religionen) eines Urteils enthält, und die religionstheologisch gestellte Wahrheitsfrage soz. mit „Stimmenthaltung“ beantwortet.

Für die pluralistische Hypothese sprechen aus meiner Sicht nach wie vor die gewichtigsten Gründe, zu denen neben der Einsicht in die Geschichtlichkeit und evolutive Bedeutung von Glauben und Religion u.a. die folgenden gehören:

die tatsächliche Situation interreligiöser Begegnung in unserer heutigen globalen Welt, in der Menschen anderer Religionen uns buchstäblich „nahe gekommen“ und unsere Nachbarinnen und Nachbarn geworden sind: „Unbrauchbar, weil nicht mehr der Evidenz der erlebten und stets erlebbaren Begegnung mit anderen Religionen und ihren Anhängern entsprechend, ist die traditionelle Ansicht vom Alleingültigkeitsanspruch des Christentums. Angesichts der gelebten Frömmigkeit einer anderen Religion und des darin enthaltenen Anspruches einer realen Transzendenzerfahrung kann ein solcher Anspruch nur noch als Produkt dogmatischer, an keinem realen Phänomen mehr orientierten Willkür betrachtet werden.“[1]

die theologische Situation nach der Aufklärung: „Im Laufe der Theologiegeschichte haben sich in der Reflexion über das, was mit Offenbarung gemeint ist, gewichtige Veränderungen vollzogen. … Während in der Frühzeit christlicher Theologie der Offenbarungsbegriff noch nicht im Sinne einer systematischen Kategorie verwendet wurde, sondern zumeist eher unspezifisch von diversen Erscheinungen und Erscheinungsformen Gottes die Rede war, hat sich später ein Verständnis von Offenbarung herausgebildet, demzufolge Offenbarung in der Mitteilung bestimmter satzhafter Wahrheiten oder Texte besteht (das sogenannte instruktionstheoretische Verständnis von Offenbarung). Vor allem unter dem Eindruck der Offenbarungskritik der Neuzeit, aber auch angesichts eines besseren Verständnisses der historischen Entstehung biblischer Texte und christlicher Dogmen, wurde das instruktionstheoretische Verständnis weitgehend als eine unhaltbare Engführung erkannt und durch ein kommunikationstheoretisches Verständnis von Offenbarung abgelöst, wonach Gott nicht Sätze oder Inhalte offenbart, sondern sich selbst, so dass hierdurch dem Menschen eine Beziehung zu Gott ermöglicht wird.“[2]

der tendenzielle Universalismus christlichen Glaubens: Christlicher Glaube und christliches Gottesverständnis haben von Anfang an einen universalistischen Zug: Gott ist der Gott aller Menschen. Die Menschen teilen vor Gott das gleiche Verhängnis und die gleiche Verheißung: „sie sind allesamt Sünder und ermangeln des Ruhmes, den sie bei Gott haben sollten, und werden (alle) ohne Verdienst gerecht aus seiner Gnade durch die Erlösung, die durch Christus Jesus geschehen ist.“ (Röm 3,23f.). Der Heilswillle Gottes ist entsprechend prinzipiell universal: „Gott will, dass alle Menschen gerettet werden und sie zur Erkenntnis der Wahrheit kommen.“ (1 Tim 2,4). Darum ist das Ziel des Handelns Gottes die Versöhnung der ganzen Welt, ja des ganzen Kosmos: Gott hat in Christus „alles mit sich versöhnt, es sei auf Erden oder im Himmel“ (Kol 1, 22), Dieser Universalität der Wirklichkeit und des Heilswillens Gottes entspricht es, von Gottes Gegenwart und heilshafter Offenbarung auch in den anderen Religionen der Menschheit auszugehen.

ethische Erwägungen: Wilfred Cantwell-Smith schließlich weist auf ein grundlegendes ethisches Argument für eine christliche gleichberechtigte Anerkennung auch andersreligiöser Erfahrungen hin: Aus dem christlichen Verständnis der Offenbarung folgt ethisch „an imperative towards reconciliation, unity, harmony, and brotherhood“, der die gesamte Menschheit einschließt. Auf der dogmatischen Ebene hat man aber die Menschen eingeteilt in „those who believe and those who do not“, in wenige „Erwählte“ und vielen „Verworfene“. Cantwell-Smith weist nun darauf hin, dass diese „traditional doctrinal position of the church has in fact militated against ist traditional moral position, and has in fact encouraged Christians to approach other men immorally. Christ has taught us humility, but we have approached them with arrogance.“[3] Nach den eigenen ethischen Standards muss das Christentum darum, will es sich selbst treu sein, den Menschen aller Religionen mit jener grundlegenden Achtung und Respektierung ihrer eigenen Glaubenserfahrungen und Glaubenshaltungen begegnen, wie es einer pluralistischen Religionstheologie entspricht.

Im Folgenden stelle ich zunächst den „klassischen“ pluralistischen Entwurf einer zeitgenössischen „Philosophie der Religionen“ vor, die „Interpretation of Religion“ von John Hick, deren Lektüre für mich in vielerlei Hinsicht erhellend und weiterführend für mein eigenes Verständnis des Glaubens geworden ist. Anschließend gehe ich kurz auf einige v.a. in der deutschen Diskussion immer wieder begegnende Einwände gegen einen solchen pluralistischen Entwurf ein,  stelle dann zwei im Gespräch mit dem Ansatz Hicks entstandene Entwürfe eines weniger „apophatischen“, sog. „konvergenten Pluralismus“ vor, bevor ich schließlich versuche, die unterschiedlichen Perspektiven zusammenzufassen unter der Überschrift „Auf dem Weg zu einer globalen Perspektive“.

6.2. Die Entwicklung der „Pluralistischen Hypothese“ durch John Hick

Lektürebasis:

Der britische Theologe und Religionsphilosoph John Hick hat den wohl wichtigsten und profiliertesten Entwurf zu einer pluralistischen Interpretation der Religionen vorgelegt, „the most persusive philosophical advocacy for religious pluralism ever written“ (Yandall Woodfin), die man wahrhaft „a monumental achievement“ (Owen C. Thomas) nennen kann, „destined to be a (if not the) classic of his type“[4]. Mir hat seine „Interpretation of Religion“ zusammen mit der älteren Aufsatzsammlung „Gott und seine vielen Namen“, als ich sie vor einiger Zeit zum ersten Mal gelesen habe, ganze neue Welten erschlossen, und mich auf die Spur jenes theologischen Nachdenkens gebracht, von dessen Ergebnissen ich hier insgesamt berichte.

Hick, der selbst biographisch vom theologisch exklusivistisch denkenden presbyterianischen „Missionar“ in Birningham zum nachdrücklichen Vertreter eines universal offenen Glaubensverständnisses wurde, bleibt auch als Religionsphilosoph bewusst Theologe, der sich einem kritischen theologischen „Realismus“ verpflichtet fühlt, nach dem die religiösen Erfahrungen der Menschen einen wirklichen transzendenten „Referenten“ haben. Insofern betreibt er keine neutrale allgemeine Religionswissenschaft, sondern es geht ihm bewusst um eine Glaubensperspektive, um eine „religious interpretation of religion“.[5]

Ausgangspunkt seiner Überlegungen ist das, was er „the religious ambiguity of the universe“ nennt: Unsere Wirklichkeit kann rational konsistent und in sich logisch sowohl religiös wie auch naturalistisch interpretiert werden. Es gibt keine klaren „Beweise“ für oder gegen die Annahme eines transzendenten Grundes der Welt: „The theistic and anti-theistic arguments are all inconclusive, for the special evidences to which they appeal are also capable of being understood in terms of the contrary worldview“ [6], und können empirisch weder verifiziert noch falsifiziert werden.

Auf dem Hintergrund dieser religiösen Uneindeutigkeit der Wirklichkeit entwickelt Hick dann das, was er „the argument of critical trust“ nennt. Im Horizont christlichen Glaubens bedeutet dies zunächst die Frage, ob Jesus berechtigt war, seinen religiösen Erfahrungen zu vertrauen. Jesus hat die Welt als durchdrungen von einer Liebe und Güte erfahren, die er als göttliche Liebe interpretiert hat. „The New Testament records show … that Jesus was vividly aware of ‚living in the unseen presence of God’ as abba, father. God, as personal loving will, was as real to him a his neighbors or as the hills and rivers and lake of Galilee.“[7] Und so stellt sich im Blick auf Jesus die Frage: „is it rational for such persons, experiencing on this level on intensity, to believe and indeed to claim to know, on the basis of their own experience, that God is real?“[8]

Hick antwortet, dass es rational ist, seiner eigenen Erfahrung zu vertrauen, solange wir keinen Grund haben, unsere Erfahrung als „delusory“ zu verdächtigen, oder sie nicht mit unserem sonstigen Wissen über die Welt unvereinbar ist. „For unless we trust our own experience we can have no reason to believe anything about the nature, or indeed the existence, of the universe in which we find ourselves.“[9]

Insofern hatte Jesus allen Grund, aufgrund seiner religiösen Erfahrung die Wirklichkeit Gottes anzunehmen. Weil der Glaube an Gott durch unser sonstiges Wissen weder bewiesen noch widerlegt werden kann, gibt es auch für uns Grund, unserer eigenen religiösen Erfahrung zu vertrauen, und an die erfahrene Gegenwart Gottes in unserem Leben zu glauben, auch wenn unsere religiöse Erfahrung weniger intensiv und „powerful“ als die von Jesus ist. Wir können auf die große Gotteserfahrung Jesu hin auch auf unsere kleineren Gotteserfahrungen bauen, sie als „at least some remote echo“ seiner grundlegenden religiösen Welterfahrung deuten, auch wenn dieses Echo in unserem Leben „not … at all dramatic or memorable“ sein mag, nur ein Moment der seelischen Erhebung in einer Kirche, oder das Gefühl eines Berührtwerdens durch eine „transcendent reality and goodness … at one of the deep points of human experience, love or birth or death … or in an awareness, when gazing up into the starry night, of the mysterious immensity of space around us, or again, in the precence“ eines atemberaubenden Berges oder Sees, Waldes oder Ozeans.[10]

Mit diesem „principle of critical trust“ ist es möglich, das Vertrauen auf christliche Gotteserfahrung als rational begründet zu interpretieren, ohne dabei unkritisch jeder möglichen religiösen Erfahrung im Christentum zu vertrauen, oder jeden Bestandteil der religiösen Erfahrung Jesu heute aufzunehmen. Denn dem „principle of critical trust“ entspricht es, die zentrale Gotteserfahrung Jesu anders zu bewerten als seine heutiger medizinischer und naturwissenschaftlicher Kenntnis widersprechende Vorstellung von bösen Geistern und Krankheit verursachenden Dämonen. Und dem „principle of critical trust“ widerspricht es, abstruse heutige „religiöse“ Vorstellungungen wie die „acceptance of witchcraft, astrology or alchemy, or the existence of extra-galactic intelligences controlling our mind by thought-rays“ als begründet anzunehmen, die mit dem nicht vereinbar sind, was wir „believe on the basis of our exprerience as a whole, and, in particular, with our contemporary scientific beliefs“.[11]

Das „principle of critical trust“ begründet nun aber nicht nur das Vertrauen in die religiösen Erfahrungen einer bestimmten Religion oder einer bestimmten religiösen Leitfigur der Religionsgeschichte. Wenn Christen annehmen, dass Jesus das Recht hatte, seinen religiösen Erfahrungen zu vertrauen, dann können sie dieses Recht anderen großen religiösen Persönlichkeiten nicht absprechen. Das gleiche Recht, ihrer Erfahrung zu vertrauen, hatten Mohammed und die großen Leitgestalten der islamischen Tradition, aber auch Buddha, Confuzius, Lao Tzu, Mahavira, Platon und Plotin und alle anderen großen Leitfiguren der Religionsgeschichte. Wenn Christen in Anlehnung an Jesu große und intensive Gotteserfahrung Grund haben, ihren eigenen, kleineren Erfahrungen der göttlichen Liebe zu vertrauen, dann haben auch Buddhisten Grund, in Anlehnung an die große Erleuchtungserfahrung des Buddha ihren eigenen, kleineren Erleuchtungserfahrungen zu vertrauen, dann gilt dasselbe „principle of critical trust“ für die religiösen Erfahrungen der Juden, der Muslime, der indischen und chinesischen Religionen, und für alle anderen.

Nicht jede religiöse Erfahrung hält der kritischen Rückfrage nach ihrer Plausibilität im Rahmen allgemeiner Wirklichkeitserfahrung stand. Aber die Glaubensformen der großen Weltreligionen müssen insgesamt als unterschiedliche Ausprägungen gültiger religiöser Erfahrung anerkannt werden, wenn das Argument des „critical trust“ wirklich angewandt und ernst genommen wird.

Aus dieser Ausweitung des „principle of critical trust“ auf alle religiösen Erfahrungswelten der Menschheit ergibt sich nun aber notwendig „the need for (the pluralistic) hypothesis“[12]. Wie können unterschiedliche und z.T. widersprüchliche religiöse Erfahrungen und mit ihnen verbundene Glaubenskonzepte zugleich wahr bzw. gültig sein? „For it’s undoubtedly the case that the great world faiths have developed very different belief-systems. According to some, the ultimate is personal, according to others non-personal.“ Und die verschiedenen theistischen und non-theistischen Traditionen haben im Einzelnen viele weitere, teils nicht miteinander vereinbare religiöse Konzepte hervorgebracht. „But if any one of this belief-systems ist true, must not all the others be false, at least in so far as they differ from it?“[13]

Die pluralistische Hypothese muss also imstande sein zu erklären, wie unterschiedliche und teilweise widersprüchliche Konzeptualisierungen einer religiös erfahrenen transzendenten Realität zugleich „wahr“, das heißt Ausdruck gültiger religiöser Erfahrung sein können. Dazu geht Hick davon aus, dass die Art der menschlichen Erfahrung immer den Erfahrungsgegenstand mit beeinflusst und seine Erfahrungsgestalt bestimmt. Alles menschliche Begreifen geschieht „secundum modum recipientis“ (Thomas von Aquin), und unterschiedliche Situationen und Kulturen prägen je unterschiedlich das perzeptive Instrumentarium, mit dem der Mensch die Erfahrung einer transzendenten Wirklichkeit für sich aufnimmt und deutet. Als „human responses to the transcendent“ sind die unterschiedlichen Religionen so unterschiedlich wie die Menschen, auf deren Deutungskategorien sie beruhen.

Dabei benutzt Hick ein in allen Religionen zu findendes Moment negativer Theologie, das davon ausgeht, das die transzendente Wirklichkeit immer größer ist als alles menschliche Verstehen und Begreifen von ihr. Für die christliche Tradition sagt z.B. Augustin: „Wenn du begreifst, ist es nicht Gott, den du begreifst.“ (Serm. 117,3;5). Die Wirklichkeit des Absoluten, „the Real“, selbst ist „ultimately uneffable“, oder, wie es Hick lieber formuliert, „transkategorial“[14]. Wir können vom Göttlichen nur reden, wie es durch menschliche Erfahrungen „gebrochen“ ist, so wie das Licht sich in den sieben Farben des Regenbogens bricht, oder, in Aufnahme einer Kategorie der Kant’schen Epistemologie, nur in seiner phänomenalen Erscheinung, nicht in seiner noumenalen Wirklichkeit an sich. Unsere mitgebrachten Verstehensvoraussetzungen bestimmen also unsere unterschiedlichen Konzeptualisierungen einer prinzipiell allem Verstehen gegenüber radikal transzendenten Letztwirklichkeit, „which is the source and ground of everything“[15].

So entstehen die verschiedenen religiösen Konzeptualisierungswege des Absoluten „at the interface between the Real and our differing religious mentalities and cultures“.[16] Wie zweidimensionale Landkarten die dreidimensionale Wirklichkeit nie wirklich abbilden können, so bildet menschliches Verstehen den transzendenten Erfahrungsgrund hinter allen Religionen nie angemessen ab. Aber „it could be that the conceptual maps drawn by the great traditions, although finite picturings of the Infinite, are all more or less equally reliable within their different projections, and more or less equally useful for guiding us on our journey through life.“[17]

Bei allen Differenzen gibt es dabei in den unterschiedlichen religiösen „Landkarten“ der großen Traditionen auch erstaunliche Gemeinsamkeiten, die Hick ebenfalls differenziert herausarbeitet. Diese Gemeinsamkeiten bestehen einmal in einem in allen Religionen seit der „Achsenzeit“ (Jaspers)[18] gleichermaßen zu beobachtenden „shift to soteriology“, das heißt, sie stellen „Lebensgewinn“ (Theißen) in Aussicht durch eine religiöse Transformation des Menschen zu einem „limitlessly better state“ seiner Existenz, durch seine Entsprechung zu einer „ultimate unity of reality and value“[19], also eine „salvation/liberation“ von der menschlichen „ego-centeredness“ zu einer neuen Bezogenheit auf den Transzendenzgrund der Wirklichkeit.[20].

Die zweite Gemeinsamkeit ist das, was Hick „the cosmic optimism of post-axial religion“ nennt[21]: Dass die soteriologische Transformation des Menschen gelingen kann, setzt bei allem „Pessimismus“ über die gegenwärtige Situation des Menschen ein Vertrauen in einen Grundcharakter der Wirklichkeit voraus, der eine solche Transformation unterstützt und möglich macht: „And so the cosmic optimism of the post-axial religions is a vision of the ultimate benign charakter of the universe as it affects us human beings, and an anticipation in faith that the limitless good posibillities of existence will finally be realized.“[22]

Die dritte Gemeinsamkeit ist eine ethische Orientierung an „goodwill, love, compassion“, die als Norm für das menschliche Verhalten angesehen werden; die Religionen formulieren in unterschiedlicher Weise als „ethical criterion“, an dem alles menschliche Verhalten sich orientieren soll, die „Goldene Regel“, nach der man andere so behandeln soll, wie man selbst behandelt werden möchte. Die „universality of the Golden Rule“ weist Hick ebenfalls in allen Religionen detailliert nach.[23]

Hicks pluralistische Hypothese ermöglicht es, diese Gemeinsamkeiten der großen religiösen Traditionen zu würdigen, ohne dabei ihre Unterschiede und Widersprüche zu nivellieren. Religiöse Aussagen über „the Real“ können als unterschiedliche Konzeptualisierungen je in ihrem kulturellen Kontext „wahrer“ Transzendenzerfahrungen gedeutet werden; diese Wahrheit gilt aber im wörtlichen oder analogen Sinne nur im Blick auf die jeweilige phänomenale Erfahrungsgestalt des Absoluten; im Blick auf „the Real in itself“ sind sie dagegen „mythologically true“, in dem Sinne, dass sie unser Handeln richtig in Bezug auf die letztgültige Wirklichkeit orientieren.[24]

Andere, nicht die religiöse Grunderfahrung des Transzendenten selbst betreffende, sekundäre Aussagen der Religionen etwa über geschichtliche Ereignisse, den Anfang des Kosmos oder die Unsterblichkeit der Seele, können als menschliche Konstrukte angesichts der uns umgebenden Geheimnisse tatsächlich buchstäblich wahr oder falsch sein, oder gehören zu den „undetermined questions“ über „things we do not need to know in order to attain liberation“ bzw. Erlösung im religiösen Sinne.[25]

Eine Beurteilung gelebter menschlicher Religion kann darum nach Hicks pluralistischer Hypothese meist nicht nach theoretischen Wahrheitskriterien, aber doch nach pragmatischen Glaubwürdigkeitskriterien erfolgen: Die Wahrheitsansprüche der Religionen müssen sich messen lassen an ihren spirituellen und ethischen „Früchten“ im Leben der Menschen, die ihnen angehören[26].

Auch hierin bestätigt sich die pluralistische Hypothese: „People of other faiths are not on average noticeably better human beings than Christians, but nor on the other hand are they on average noticeable worse human beeings.“[27] Die ethische Bilanz aller Religionen ist geschichtlich durchweg ambivalent. Alle Religionen haben auch große moralische Übel hervorgebracht; aber alle Religionen haben auch in ihren guten Momenten Menschen positiv verändert, sie mehr „kindly, honest, thoughtful for others, … truthful, honourable, loving and compassionate“[28] gemacht, und so immer wieder auch herausragende Vorbilder (saints, mahatmas) hervorgebracht, die durch ihre starke Antwort auf die Gegenwart des Heiligen in ihrem Leben in besonderer Weise „compassion/love towards other human beings or towards all life“[29] gelebt und verwirklicht haben.

So enthält Hicks pluralistische Hypothese zugleich ein induktiv aus den Religionen selbst entwickeltes ethisches Beurteilungskriterium, das wiederum kritisch auf alle konkreten individuellen und gemeinschaftlichen Formen menschlicher Religiosität angewandt werden kann, so dass auch seine „Interpretation“ of Religion ein „Plädoyer für einen kritischen“, unterscheidenden Glauben ist, der der „Religionskritik standhält“.

6.3. Kritik der pluralistischen Hypothese als „unmöglicher Vogelperspektive“

Die von John Hick entwickelte pluralistische „interpretation of religion“ hat nicht nur von fundamentalistischer und christlich konservativer Seite viel Kritik und teilweise heftige Polemik erfahren; auch in der deutschen akademischen theologischen Diskussion herrschen, soweit ich es überblicken kann, pauschale Abwehrreflexe vor, die aber in ihrer sachlichen Aussage m.E. meist eher oberflächlich bleiben, und sich oft mehr auf ein Zerrbild der pluralistischen Hypothese, als auf ein echtes Verstehen des Gedankenganges Hicks beziehen.

So sagt etwa Hans-Martin Barth, der selbst eine „trinitarisch“ gefasste interreligiöse Perspektive vertritt, zum pluralistischen Modell Hicks: „Hick stellt sich damit jedenfalls prinzipiell auf eine vom herkömmlichen christlichen Glauben oder auch anderen herkömmlichen religiösen Einstellungen unabhängige Ebene, von der aus er seine pluralistische Religionstheologie meint vertreten zu können.“[30]

Noch schärfer urteilt Christian Danz in seiner „Einführung in die Theologie der Religionen“: Das „pluralistische Modell, in der Form, wie es bei John Hick vorliegt“ unterschlägt „seine eigene Standortbedingtheit und nimmt eine gleichgültige ‚Vogelperspektive’ ein, ‚die von erhöhter Warte aus teilnahmslos und vorgeblich wertneutral das Spiel der Religionen überblickt’“[31]; Hicks These eines radikal unaussprechlich bleibenden Absoluten sei zudem für den von ihm selbst beabsichtigten religiösen Realismus „geradezu desaströs“.

Der Vorwurf, Hicks Hypothese nehme einen den Religionen gegenüber gleichgültige, wertneutrale Position ein, übersieht vollständig, dass es sich bei Hick gerade nicht um eine neutrale sondern um eine durch und durch religiöse, „religious interpretation of religion“ handelt, die Glauben an Gott bzw. an eine transzendente Letztwirklichkeit angesichts seiner heutigen atheistischen Infragestellung gerade wieder begründen und plausibel machen will, und das in einer globalen religiösen Perspektive, die auch die Kritik Humes und Flews beantwortet, dass die kritische Vernunft gerade angesichts der sich widersprechenden Absolutheitsansprüche der Religionen ihnen keine Plausibilität ihrer Wahrheitsansprüche zugestehen könne.

Der Vorwurf, Hicks Hypothese sei von einer den Religionen selbst fremden, „unabhängigen Ebene“ gewonnen, übersieht weiter, wie sehr sich Hick zur Begründung seiner Hypothese detailliert ins „Innenleben“ der einzelnen Religionen begeben hat, und sie im Gespräch mit grundlegenden Formulierungen und Denkfiguren eben dieser religiösen Traditionsströme selbst entwickelt. Bevor man Hick eine „teilnahmslose“ Perspektive „von erhöhter Warte“ unterstellt, sollte man sich erst einmal die Mühe machen, seine profunde, von großer Wertschätzung getragene Kenntnis und Wahrnehmung der globalen religiösen Denk- und Glaubenswege ernsthaft zur Kenntnis zu nehmen.

Worauf genau zielt der Vorwurf einer „unmöglichen Vogelperspektive“?

Kritisiert er (erstens) die Tatsache an sich, dass Hick mit der Formulierung seiner pluralistischen Hypothese eine „Metaperspektive“ gegenüber den einzelnen Religionen einnimmt? Dieser Einwand würde aber verkennen, das jede „Theologie der Religionen“ und jedes sie alle gemeinsam umfassende Urteil, auch ein exklusivistisches oder inklusivistisches, ja die  Einordnung der unterschiedlichen Traditionen unter den gemeinsamen Begriff der „Religion“ selbst schon das Einnehmen einer „Metaperspektive“ darstellt, und die Alternative nur die Annahme einer völligen Beziehungslosigkeit der unterschiedlichen Einheiten wäre, die man dann in keiner Weise miteinander vergleichen oder auch nur begrifflich verbinden dürfte.

Kritisiert er (zweitens) die Tatsache, dass Hick mit seiner Behauptung eines transkategorial bleibenden „Absoluten an sich“ hinter den Religionen beanspruche, etwas zu wissen, was man aus menschlicher Perspektive eigentlich nicht wissen kann? Dieser Einwand würde verkennen, dass es sich bei Hicks Vorschlag um eine „Hypothese“ handelt. Das „Real in itself“ ist gerade keine wissbare oder beweisbare Größe. Es ist nach Hick ein „Postulat“, das sich aus der Anwendung des „principle of critical trust“ auch auf den Bereich der religiösen Erfahrung und ihre faktische Mannigfaltigkeit und teilweise Widersprüchlichkeit ergibt. Es ist eine „Hypothese“ über das Verhältnis der Religionen, wie auch der Exklusivismus oder Inklusivismus eine Hypothese darstellen. Im strengen Sinne „beweisbar“ ist weder das eine noch das andere, noch die Richtigkeit des Gottesglaubens oder irgendeiner anderen religiösen Weltdeutung an sich. Die Annahme eines gemeinsamen Transzendenzgrundes hinter den unterschiedlichen Religionen ist eine gedankliche Konstruktion, um die Wahrheit und Verschiedenheit unterschiedlicher „beliefsystems“ gleichzeitig denken zu können: „As I’ve always insisted, the hypothesis is offered as the ‚best explanation’, i.e. the most comprehensive and economical explanation, from a religious point of view, of the facts of the history of religions. A proffered ‚best explanation’ is not a proof, because it is always open to someone else to come forward and offer what they believe is a better explanation. And so the right response of someone who does not like my proposed explanation is not to complain that it is not proved but to work out a viable alternative.“[32]

Kritisiert er (drittens) die Tatsache, dass die pluralistische Metaperspektive sich von einer exklusivistischen oder inklusivistischen unterscheidet, und damit per se die „Preisgabe der christlichen Innenperspektive beziehungsweise des christlichen Standpunktes“ darstelle, bzw. den Religionen eine aus der Tradition der westlichen Aufklärung stammende rein vernunftreligiöse „Außenperspektive“ aufdränge, die mit deren Selbstansprüchen nicht kompatibel sei? Dann wäre aber der Vorwurf der „Vogelperspektive“ in Wahrheit eine versteckte „dogmatische Vorentscheidung über eine Frage, die eigentlich erst zur Debatte steht“[33]. Hier würde nicht nur der „absolute Vorrang des Christentums über alle anderen Religionen“[34] als einzig mögliche christliche Perspektive behauptet, bzw. das Vertreten prinzipieller Absolutheitsansprüche als einzig mögliche „Innenperspektive“ der Religionen. Zugleich würde auch Hicks „induktiver“ Weg, sein Ansatz bei wesentlichen Denkfiguren der großen religiösen Traditionen selbst, nicht ernst genommen, insofern vorausgesetzt würde, dass nur die jeweils den Absolutheitsanspruch der eigenen Tradition behauptenden Stimmen, nicht aber liberalere oder offenere, gültiger Ausdruck der großen Religionen seien.

Kritisiert er (viertens) die Tatsache, dass die pluralistische Hypothese jenseits der konkreten Glaubenssätze und Bekenntnisse der bestimmten geschichtlichen Religionen eine philosophische „Überreligion“ konstruiere, eine Religion des westlichen aufgeklärten Liberalismus, die als „reine Vernunftreligion“ die bisherigen voraufgeklärten Perspektiven der geschichtlichen Religionen ablöse? Diese Kritik beruht wiederum auf einem grundlegenden Missverständnis der Hick’schen Argumentation, die den Charakter der von ihm verwendeten Kategorie des „Real in itself“ als hypothetischer Metaperspektive bzw. als religionsphilosophischen „Postulats“ übersieht oder bewusst ignoriert. Das „Real in itself“ soll die konkreten Erfahrungsgestalten des Absoluten in den konkreten Religionen nicht ersetzen oder überbieten, sondern im Rahmen der Geamtperpektive eines kritischen religiösen „Realismus“ gerade in ihrer Gültigkeit für konkrete religiöse Erfahrung begründen und auch gegenüber kritischem Denken legitimieren. Glaube dagegen, auch wie Hick ihn versteht, kann sich seinem Wesen nach nicht auf eine hypothetische Metaperspektive, sondern nur auf die konkreten Erfahrungsgestalten des Absoluten in den auf ihnen aufgebauten unterschiedlichen Religionen der Menschen richten.

Kritisiert er schließlich (fünftens) die Tatsache, dass Hicks Entwurf stark die apophatischen Denkfiguren mystischer und negativer Theologie zur Grundlage seiner Hypothese macht, die seinen beabsichtigten metaphysischen Realismus möglicherweise zu sehr in die prinzipielle Unsagbarkeit und Unbegreiflichkeit des Göttlichen diffundieren lässt, so macht es hier durchaus Sinn, etwa die im Folgenden dargestellten Alternativen eines stärker die positive Bestimmung eines Transzendenzgrundes der Welt betonenden Ansätze von Keith Ward und Peter Byrne als Alternativen zu überprüfen. Ernst zu nehmen ist dabei aber auf jeden Fall das berechtigte Anliegen Hicks, mit der pluralisischen Hypothese wirklich dem ganzen Spektrum religiöser Transzendenzkonzeptionen gerecht zu werden, und nicht nur ihren eher theistischen Varianten[35].

6.4. „Konvergenter Pluralismus“ – Die Ausgestaltung der Pluralistischen Hypothese bei Keith Ward und Peter Byrne

Lektürebasis:

Teilweise im Gespräch mit John Hicks Entwurf, und teilweise in bewusster Unterscheidung zu ihm, hat der britische Religionsphilosoph und Theologe Keith Ward seine Einordnung des christlichen Glaubens in eine „comparative study of religions“ formuliert. Da Keith Wards verschiedene Entwürfe zu diesem Thema sich - bei gemeinsamen Grundlinien - in der konkreten Ausführung seines Programms doch teilweise deutlich unterscheiden, soll hier zunächst v.a. sein weitgehendster und m.E. in gewisser Weise „kühnster Wurf“, „A Vision to Pursue“ vorgestellt werden, bevor ich danach kurz auf die Veränderungen seiner Version der pluralistischen Hypothese in „Religion and Revelation“ als erstem seiner vier großen Hauptwerke in „Komparativer Theologie“ eingehe, und in Aufnahme einer kritischen Besprechung zu letzterem Werk schließlich noch Peter Byrnes Antwort auf die von Hick und Ward kontrovers diskutierten Aspekte eines religiösen Pluralismus darstelle.

Ward geht in „A Vision to pursue“ davon aus, dass heute „the Christian faith“ als „a faith in crisis“ betrachtet werden muss[36]. „Since the Enlightenment its traditional claims have been succesively undermined, until now there seems to be a complete breakdown between faith and modern culture.“[37]  Diese Krise möchte Ward aber als Chance verstehen, den christlichen Glauben durch eine grundlegende „Revision“ seiner traditionellen Inhalte auf eine neue Ebene seiner Bedeutung für den menschlichen „quest for truth“ in einer wissenschaftlich, ethisch und religiös globalisierten Welt zu heben. In „fact we live in an excitingly new time of opportunity to move beyond the exclusively scriptural faiths of the past towards a future Spirit-led global faith, wherein new science, morality and spirituality can sponsor a new vision of human wholeness and responsibility“.[38]

Ward beginnt seine Argumentation mit der Einsicht, dass nicht nur die Bibel heute nicht mehr als „unfehlbares“ Gotteswort interpretiert werden kann, sondern dass auch Jesus in zentralen Bestandteilen seiner Botschaft nicht „unfehlbar“ war, sondern sich sogar in seiner zentralen apokalyptischen Vorstellung vom baldigen Weltende offenbar irrte. Insofern ist die klassische Inkarnationschristologie heute nicht mehr plausibel, nach der Jesus in buchstäblichem Sinne mit Gott selbst „wesenseins“ gewesen wäre. Ward schlägt dagegen eine „Inspirationschristologie“ vor, nach der Jesus ein fehlbarer, aber in besonderer Weise vom Göttlichen erfüllter Mensch war, dessen in der Bibel gestaltetes Bild Gott den Menschen in paradigmatischer Weise vermittelt und nahe bringt. Entsprechend versteht er die aus der Christologie entwickelte Trinitätslehre nicht mehr als heute mögliche Aussage über das Wesen Gottes selbst, sondern ebenfalls funktional im Blick auf unterschiedliche Modalitäten der christlich formulierten Gotteserfahrung.

Wie Kaufman von der heute nötigen „theological reconstruction“ spricht, so spricht Ward in durchaus vergleichbarer Weise von einer nötigen grundlegenden „revision“ aller theologischen Aussagen im Kontext heutiger historischer und wissenschaftlicher Plausibilitäten: „This is indeed  major revision of Christian believing, or of believing in any religious tradition.“[39] Die heute nötige grundlegende Revision der christlichen Vorstellungen von Trinität, Inkarnation, und religiöser Wahrheit steht dabei in der Tradition der in der Geschichte der Kirche faktisch immer schon stattfindenden ständigen Revision der bisherigen Glaubenskonzepte.

Fundamentalistischen Christen machte und macht eine solche „revisionist theology“ zwar Angst, weil sie dem Glauben scheinbar seine Basis als unfehlbar betrachteter Sicherheit entzieht. „However, this is precisely the move that I have come to think is the most important revision that is called for in matters of religion. If we accept that nothing is certain or unrevisable, a form of faith … is opened up which can combine intellectual honesty, humility and commitment.“[40] Fundamentalistische Absolutheitsansprüche haben in der Geschichte der Religion „to the lamentable train of persecutions, hatreds, wars and arrogances“[41] geführt, der Religion insgesamt für viele Zeitgenossen heute unglaubwürdig macht. Dagegen erfüllt eine revisionistische Theologie nicht nur die Aufgabe, religiöse Weltorientierung für Menschen heute wieder neu verständlich und glaubwürdig zu machen, sondern entspricht auch dem Geist der Ursprungsdokumente des Christentums selbst: „In other words, I believe that the new testament thoroughly undermines any form of Christian fundamentalism, and compels one to accept the continual revisionism of a questioning faith.“[42]

Dabei kann menschliche Theologie sich der Wahrheit immer nur vorläufig nähern, sie nicht als ihren Besitz betrachten oder verwalten: „we are at best seekers of truth blundering on the edges of infinity“[43]. Theologie ist also so etwas wie das Steuern eines kleinen Bootes am Rande des unendlichen Ozeans: „The truth I take to be beyond any particular conceptual formulation in its richness and complex integration. We dimly grasp it, but also tend to exaggerate the partial perspectives from which we see it.“[44]

Insofern kann heute keine Religion mehr begründet absolute Wahrheitsansprüche oder Ansprüche auf allein universal normative „final revelation“ erheben. „On this view, my religious beliefs, and the religious beliefs of all others too, will be partly mistaken, always revisable, never complete … A Christian who takes this view cannot say, Jesus gives the normative paradigm of divine action. For even this view of divine action is a partial perspective.“[45]

Vielmehr ist die religiöse Entwicklung der Menschheit in eine neue global vernetzte und alle bisherigen partiellen Perspektiven transzendierende Phase eingetreten: „We have now begun to live in the Third Stage of religious thought and practice. The first stage was the period, lasting for millennia, of tribal religion, of imaginary cosmogonies, stories of founding heroes and customary rituals of the group. Each religion was a local phenomenon, distinguished from others by time and place, not claiming universality but revelling in distinctiveness of custom and patriarchal lore. The Second Stage saw the founding of great scriptural traditions. With the birth of writing, revelation could be codified, solidified and enshrined in words which seemed fixed and immutable. Throughout the world, in prophetic, ascetic and mystical traditions alike, holy texts were compiled which began to claim final and universal truth. The Third Stage transcends the second as the second transcended the first; incorporating vital elements from the scriptural traditions, but moving to a new way of understanding, to a global vision, a convergent spirituality and a Socratic faith. This third stage may be resisted, hated or avoided; but it will inevitably break over the world with the irresistable power of history behind it. It began to form in Western Europe; but it is not some passing fad of ‚Western thought’. It is, or is soon due to become, a world phenomenon.“[46]

Dabei möchte Ward die Möglichkeit wahrer, wenn auch partieller, menschlicher Aussagen über das Göttliche an sich gegenüber der apophatischen Bestimmung in der pluralistischen Hypothese John Hicks verteidigen: „It is important not to claim the final discovery of truth … But it is equally important not to renounce claims to truth at all“.[47] Obwohl die Begegnung mit Hicks Theologie nach eigenem Bekunden für die Entwicklung seines Denkens für ihn sehr wichtig war, möchte er sich hier doch bewusst von Hick abgrenzen: Hicks form of pluralism „seems to leave one without any criteria for deciding on truth or falsity in religion. If we cannot know reality as it is, in any respect, what can we mean by claiming truth for our beliefs? … There is just no point in positing a noumenal reality which will never make a real difference to anyone’s experience.“ Es muss nach Wards Position möglich sein, zwischen unterschiedlichen Konzepten des Absoluten echte Unterschiede zu machen auch im Blick auf ihre Angemessenheit für zukünftige religiöse Erfahrung. „In religion, claims to truth relate ultimately to future expectations of experience. But if that is so, it is quite unacceptable to say that all possible human beliefs on these matters are mistaken in part, and not only that, but they will never improve. One must at least leave room for improvement.“[48]

So schlägt Ward im Unterschied zu Hicks apophatischem Pluralismus das Konzept eines „convergent pluralism“ vor „It does not say, that all traditions are in order as they are. On the contrary, it requires that most, and probably all, traditions will need to be revised to approximate more nearly to a fuller unitary truth which none of them yet fully encapsulates. Such a view will be exclusivist about truth; but add that no one tradition has a monopoly on or a complete grasp of truth. The truth lies ahead and is always capable of fuller formulation, even though there may be elements of some tradition which will be normative, in that they will need to be incorporated into any fuller view.“[49] Ein solches Konzept, so Ward, „opens up the possibility of a convergent spirituality, trying to include as many insights as possible in a widening vision, welcoming differences of understanding while deploring exclusive, authoritarian and final claims of truth“[50]

Seinen Ansatz eines konvergenten, aber nicht apophatischen Pluralismus hat Ward später weiter entwickelt zum Programm einer „comparative theology“, die den christlichen Glauben im Gespräch mit den Einsichten der anderen großen religiösen Traditionen neu formuliert, und das er in vier großen weiteren Monographien, beginnend mit dem programmatischen „Religion and Revelation“ vom 1994, ausgeführt hat. Doch im Unterschied zu den in „A Vision to pursue“ gelegten Grundlagen kehrt Ward nun doch zu einer „idea of final revelation“, die das christliche Gottesverständnis in wesentlichen Grudaussagen für alle anderen Religionen normativ macht, zurück: „Christianity is absolute in the sense that its basic view of the nature of God …, of the ultimate human goal …, and of the way to it … is simply true.“[51]

Damit bewegt die Entwicklung von Wards Denken sich eher wieder auf einen inklusivistischen Grundansatz zu. „Religion and Revelation embodies confessional inclusivism, though of an extremely liberal sort“, hält der britische Religionsphilosoph Peter Byrne in einer Besprechung von „Religion and Revelation“ fest.[52] Byrne selbst verteidigt dagegen die Notwendigkeit eines echten religiösen Pluralismus, und urteilt kritisch, dass Wards Wende zu einer Behauptung von „final revelation“ im Christentum „out of step“ sei mit seiner sonstigen „rejection of confessionalist, exclusivist attitudes“.[53]

Byrne formuliert drei Grundannahmen jeder pluralistischen Sicht der Religionen, egal wie unterschiedlich sie im Einzelnen weiter ausgeführt sein mag:

„1. All major religious traditions are equal in respect of making common reference to a single transcendend, sacred reality. 2. All major traditions are likewise equal in respect of offering some means or other to human salvation. 3. All traditions are to be seen as containing revisable, limited accounts of the nature of the sacred; non is certain enough in its particular dogmatic formulations to provide the norm for interpreting the others.“[54]

Der letzte Punkt bedeutet, gegen Ward, dass jeder wirklich pluralistische Ansatz in einem gewissen Maße agnostisch im Blick auf die positiven Aussagen der Religionen über die Letzte Wirklichkeit sein muss. Dabei muss es sich aber, so sagt Byrne wiederum mit Ward und gegen Hick um keinen „complete agnosticism about the divine, supreme reality“[55] handeln. Insofern kann ein interreligiöses Urteil durchaus der religiösen Erfahrung eines metaphysischen Absoluten in der Mehrheit der großen Religionen folgen, „albeit they give different accounts of its nature“, und damit die gegenteilige Annahme einiger Schulen des Buddhismus verwerfen, ohne deshalb diese Schulen des Buddhismus insgesamt als metaphysisch defizitär zu betrachten.[56]

Hier habe Ward selbst in „A Vision to pursue“ „with clarity and great insight“[57] den Weg eines eben konvergenten und nicht apophatischen Pluralismus gewiesen. In Byrnes eigenen Worten ausgedrückt: „We can get (durch eine konvergente Aufnahme von Metaphern und Symbolen aus unterschiedlichen Traditionen) a, dare I say it, syncretistic account of a multi-faceted divine reality of which each tradition only has a partial insight. We can put the insights of different traditions together, using our culture-based error theory to explain why they are partial, revisable attempts to fasten onto the one focus.“[58]

6.5. Die Bedeutung der „via negativa“ für heute mögliche Gottesrede

Zusammenfassend will ich hier einige eigene Gedanken festhalten zum Verhältnis der apophatichen Einsicht der negativen Theologie, auf die Hick sich beruft, und der Möglichkeit der Formulierung von - bei aller menschlichen Vorläufigkeit, Begrenztheit und kulturellen Perspektivität - doch wahren positiven bzw. affirmativen Aussagen über eine Letzte Wirklichkeit, wie Ward und Byrne sie zu begründen versuchen,

Die Bedeutung einer „via negativa“ für alle menschliche Theologie bzw. Beschreibung einer transzendenten Wirklichkeit wird in der gegenwärtigen theologischen Literatur auch außerhalb der Bemühungen um eine pluralistische Religionstheologie häufig betont. So hat z.B. Hans-Joachim Höhn jüngst eine Monographie über heute mögliche Gottesrede angesichts ihrer Krise durch die Religionskritik unter dem Titel: „Der fremde Gott“ veröffentlicht. Darin heißt es: „Neu aufgerollt wird (in diesem Buch) von den biblischen Texten her das Plädoyer für einen Denk- und Redestil, der Front macht gegen Gottesbilder, die nicht die radikale Andersheit und Unverzweckbarkeit Gottes zur Geltung bringen. Ausgehend von der unabdingbaren Erfüllung des ‚Bilderverbotes’ wird plädiert für eine ‚theologia negativa’ als einer Diskursform, die den intelektuellen und existenziellen Herausforderungen einer ‚postsäkularen’ Kultur am ehesten gerecht werden kann.“[59]

Für die pluralistische Religionstheologie hat diese „Kunst der Bestreitung“[60] eine besondere Bedeutung, da eine pluralistische Sicht, wie Byrne es formuliert, im Blick auf das Göttliche einen gewissen Agnostizismus notwendig voraussetzt. Wie radikal ist aber dieser theologische Agnostizismus zu fassen? Heißt „via negativa“, um es etwas vereinfacht zu sagen, dass man das Göttliche in menschlichen Kategorien absolut negativ „ganz und gar nicht“ beschreiben kann, oder aber eher relativ negativ nur annäherungsweise und vorläufig, also „nicht ganz und gar“?

Die theologischen Konsequenzen der beiden unterschiedlichen Ansätze von Hick und Ward in dieser Frage kann man vielleicht am besten an der Frage verdeutlichen, in welcher Weise in ihren jeweiligen theologischen Konstruktionen die für das Christentum zentrale Aussage johanneischer Theologie rezipiert werden kann, dass „Gott … Liebe“ sei (1 Joh 4,16), also grundlegend im Bild der menschlichen Kategorie der Liebe verstanden werden müsse.

Auch John Hick hält fest, dass die transzendente Letztwirklichkeit von allen Religionen als für die Menschen „gute“ bzw. „benigne“ Wirklichkeit erfahren werde. Die diese Aussage über die positive Wirkung des Absoluten auf die Menschen zuspitzende Formulierung „Gott ist Liebe“ ist als Aussage über die christliche Erfahrungsgestalt Gottes nach Hick in analogem Sinne wahr; als Aussage über die letzte Wirklichkeit an sich ist sie „mythologically true“ in dem Sinne, dass sie uns in der Weise von „love“ und „compassion“ „richtig“ auf das Ganze der Wirklichkeit orientiert. Die Aussage, dass das Göttliche an sich aber auch in wörtlich oder analog verstandener Weise die Eigenschaft der Liebe habe, ist für Hick nicht möglich, da sie für ihn einen Kategorienfehler darstellt, und die radikale Transzendenz und Transkategorialität der letzten Wirklichkeit zugunsten einer Verdinglichung im Rahmen eines menschlichen Begriffes, sei es auch des höchsten möglichen menschlichen Begriffes, auflöst.

Hick verdeutlich sein Verständnis der radikalen „Transkategorialität“ des Göttlichen am Bild der „good, friendly life-giving“ Wirkung, die die Sonne auf die Erde hat: „The life-giving warmth of the sun is the ground, or the sine qua non, of our existence and our flourishing. Likewise, the Real is the necessary condition of our existence and our highest good. It is in this sense that we can speak of the Real as being, in relation to us, good, beningn, gracious. But when we describe the real in itself in these terms we are speaking mythologically rather than literally.“[61] Für das Göttliche genau wie für die Sonne gilt, dass „gut“ oder „liebend“ keine Kategorien sind, die auf sie selbst, abgesehen von ihrer Wirkung auf das irdische Leben, sinnvoll anzuwenden sind. Von menschlichen moralischen Kategorien wie „gut“ und „böse“ gilt hier grundsätzlich: „They do not apply.“

Für Keith Ward gehört dagegen das Verständnis der letzten Wirklichkeit als einer „supreme reality full of love, power and bliss“ konstitutiv zum christlichen Beitrag zu einem globalen Verständnis der religiösen Erfahrung. Sie stellt wirkliche und echte, wenn auch partielle und unvollkommene menschliche Wahrheitserkenntnis dar. Sie hat darum für das interreligiöse Gespräch den Charakter einer vom Christentum eingebrachten „final revelation“, die im Blick auf jede mögliche menschliche Gottesrede, und darum auch im Blick auf die Aufgabe einer „konvergenten Spiritualität“, als verbindliche Wahrheit zur Geltung gebracht werden muss, und als solche nicht unterschritten werden darf.

Für mich sind beide Argumentationsgänge in sich stringent und machen ein jeweils unverzichtbares Grundanliegen deutlich: die radikale Transzendenz des Göttlichen auch gegenüber aller kategorialen Beschreibung in den unterschiedlichen religiösen Traditionen auf der einen Seite, und die Verankerung der Möglichkeit und Wirklichkeit der Liebe tiefstmöglich im „way things really are“ (Hefner) auf der anderen.

Vielleicht hilft hier im Blick auf die Interpretation der Bedeutung der „negatien Theologie“ für die Möglichkeit menschlicher Gotteserkenntnis die Unterscheidung von doppelter und einfacher Negativität weiter.  In der Konsequenz negativer Theologie für die Gotteslehre ist formuliert worden, dass im Blick auf das Göttliche nicht nur die Negation der Applizierbarkeit der Kategorien menschlicher „Vollkommenheiten“ festzuhalten sei, sondern ebenso die Negation der Negation. Über Gott kann man also im buchstäblichen Sinne weder sagen, dass er „gut“ im Sinne des menschlichen Gutseins wäre, noch, dass er „nicht gut“ sei. Dieses Prinzip der „doppelten Negation“ macht aber nur für die Übertragung der Kategorien menschlicher „Vollkomenheiten“ auf das Göttliche Sinn, nicht für die Übertragung der Kategorien menschlicher Unvollkommenheiten. Gott ist „nicht böse“ im Sinne der Kategorie menschlichen Böseseins; aber man kann hier nicht zugleich sinnvoll formulieren,  dass Gott auch „nicht ‚nicht böse’“ sei.

Das lässt sich auch auf die Polaritäten von „Liebe“ und „Hass“ anwenden, wenn sie als mögliche Kategorien zur Beschreibung des Göttlichen überprüft werden. Hier wäre zu sagen: Gott ist „nicht“ Liebe im menschlichen Sinne, aber als Grund und Tiefe der menschlichen Liebeserfahrung auch „nicht ‚nicht Liebe’“, sondern muss in einem die menschliche Sprachfähigkeit übersteigenden Sinne als eine „Liebe“ verstanden werden, die jede menschliche Liebe und ihre kategoriale Beschreibung unendlich transzendiert, aber doch ihr Grund und ihre Norm ist.

Dagegen ist Gott im Sinne einer einfachen Negation „nicht Hass“; die doppelte Negation, dass Gott auch „nicht ‚nicht Hass’“ wäre, ist nicht möglich. Vielleicht muss gesagt werden, dass zwar auch die Kategorie der Liebe für das Göttliche nicht vollständig angemessen ist („does not definitely apply“). Aber von der Kategorie des Hasses gilt auf jeden Fall, dass sie vollständig nicht angemessen ist („does definitely not apply“).

Natürlich führt das Prinzip der doppelten Verneinung nicht durch das dialektische „Hintertürchen“ doch wieder zu einer einfachen Affirmation bestimmter kategorialer Aussagen über Gott, aber es lässt es doch zu, positive Leitkategorien, die der menschlichen Erfahrung entlehnt sind, wie „das Gute, Wahre und Schöne“ als Wege der tastenden Annäherung an das unergründliche Geheimnis der göttlichen Tiefe der Wirklichkeit zu interpretieren, gegenteilige negative Kategorien aber nicht.

Insofern könnte man Liebe als „Spur“, als „vestigium“ des Göttlichen in der menschlichen Wirklichkeit interpretien, ohne damit das Maß menschlicher Liebe zum Maß des Verständnisses des Göttlichen zu machen. Gordon Kaufman hat bemerkt, dass gerade die johanneische Interpretation Gottes als „Liebe“ zwar noch nicht das anthropozentrische, aber doch das anthropomorphe  Gottesbild der Tradition sprengt: Gott als Liebe ist gedacht als „activity“, nicht als „person“, und insofern nicht mehr im Sinne einer einfachen Applizierung menschlicher Eigenschaften auf einen im Bilde des Menschen gedachten Gott[62].

In Verbindung von Einsichten der ersten und er zweiten hier geschilderten Aufgabe heutiger theologischer „Rekonstruktion“ ließe sich vielleicht Folgendes sagen: Die religiöse Betonung der Kategorie der „Liebe“ im Bereich menschlicher Transzendenzerkenntnis hält die tatsächliche Emergenz der Wirklichkeit von „love“ und „compassion“ in der den Menschen betreffenden „trajectory“ der kosmischen Evolution fest (Kaufman).

Die letzte Wirklichkeit, the „way things really are“ (Hefner) wird, jedenfalls was ihre Bedeutung für das irdische kreatürliche und menschliche Leben angeht, im Rahmen der kulturellen Evolution des Menschen zunehmend als Liebe ahnbar. Wie es Theißen am Ende seines Aufsatzes „Evolution“ in Aufnahme eines Zitates des deutschen Naturwissenschaftlers H.M. Kepler formuliert: „’Die Liebe ist eine Ahnung von dem was sein könnte, wenn die Hypothese (sc. Gottes) richtig ist’“[63], und diese Ahnung bringen Menschen zum Ausdruck, wenn sie mit dem Schreiber des ersten Johannesbriefes bekennen: „Gott ist die Liebe; und wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott und Gott in ihm.“ (1 Joh 4,16)

6.6. Auf dem Weg zu einer globalen Perspektive

Auch diese letzten Überlegungen bestätigen nochmals die Grundeinsicht aller hier dargestellten Glaubensentwürfe, dass religiöse Orientierung und theologisches Denken in einer globalen und universalen Perspektive stattfinden müssen. Das entspricht der historischen, biologischen, kulturwissenschaftlichen und religionsphilosophischen Situation, in der sich jede ernstzunehmende theologische Konstruktionsarbeit heute bewegt.

Diese Grundeinsicht aus den beiden hier näher beschriebenen „Rekonstruktionsaufgaben“ für eine heute mögliche religiöse Perspektive wendet sich nicht nur gegen konfessionalistische und exklusivistische Engführungen in den einzelnen religiösen Traditionen, sondern auch gegen die postmodernen Inkommensurabilitätsthesen eines völlig unverbundenen und unverbindbaren relativistischen Nebeneinanders der Religionen und Kulturen, die sie als jeweils ganz in sich geschlossene „Sprachspiele“ versteht, zwischen denen es keine Brücke, keine übergreifende „Spielregel“ und nicht einmal eine wirkliche Kommunikationsmöglichkeit gibt.

Zu einem solchen einer globalen Perspektive entgegengesetzten „absoluten“ Relativismus sagt z.B. Ward: „There is, however, something very unsatisfactory about this compartmentalization of religions into distinct traditions. … (The) idea of ‚one whole religious tradition’ (sometimes called a ‚language game’, in an unhealthy extension of Wittgenstein’s metaphor) is itself an artificial categorization which does not exactly fit the messy realities of life and language.“ Vielmehr sind die Grenzen der einzelnen Traditionen fließend mit manchen Überlappungsbereichen. „Moreover, … traditions constantly and fruitfully interact. They are not locked into watertight compartments; and even to understand one of them may require understanding of more than one tradition.“[64]

Ähnlich bemerkt Gordon Kaufman, dass eine relativistische Kulturtheorie vielleicht zu Beginn des 20. Jahrhunderts Sinn machte, auch als Reaktion auf die vorangegangene kulturimperialistischen Verirrungen des westlichen Kolonialismus  Aber sie macht keinen Sinn im Blick auf die gemeinsame biohistorische Grundlage aller menschlichen Kultur. Und sie macht keinen Sinn im Blick auf die heutige globale Situation der gemeinsamen Bedrohung und Verantwortung der Menschheit als ganzer für die Zukunft des menschlichen Projektes, die die bisher sich auseinanderentwickelnden Ströme menschlicher kultureller Orientierung wieder zusammenführt: „We are moving very rapidly toward one world: that is the great historical fact of our time, and our religious practices and theological reflection must adapt themselves to it.“[65]

Für die heutige Phase der Menschheitsgeschichte gilt darum, dass „all particular and thus parochial religious and cultural and philosophical traditions are now outmoded and superseded to the extent that they cannot give an adequate or illuminating interpretation of our new historical situation[66]. Daraus ergibt sich der Horizont einer heute nötigen globalen religiösen Perspektive: „A demand is thus placed upon all the great religious – and secular – traditions today to reconsider the symbolic structures within and through which they have grasped and interpreted human life and the world, to see whether it is possible to uncover or create symbols and practices and institutions suitable to the new age into which we are rapidly moving, that is, structures that will enable us truly to live in this new age, creatively and fruitfully, and not destroy ourselves utterly.“[67]

Diese Aufgabe einer „globalen theologischen Perspektive“ beschreibt Schmidt-Leukel so: „Soll Theologie (heute angemessen) die Wahrheit über Gott zum Ausdruck bringen, dann muss die gesamte Religionsgeschichte der Menschheit zur Grundlage heutiger Theologie werden. In einer solchen ‚Theologie der Religionen’ sind die Religionen nicht länger nur das Objekt, sondern werden ihr Subjekt.“[68] Dabei muss eine solche globale Perspektive immer auch die „Bereitschaft zu Veränderungen“ im Bereich der eigenen theologischen Tradition einschließen: „Pluralistische Religionstheologie lebt von der Überzeugung, dass das, was wir bisher bereits an Wahrheit über und in den anderen Religionen erkannt haben, zu einer Veränderung des eigenen religiösen Selbstverständnisses führen muss. Und dies drückt sich nicht allein theologisch aus, sondern auch auf der Ebene gelebter Spiritualität.“[69]

Die Konturen einer solchen heute nötigen und in Ansätzen schon entstehenden „World Theology“ hat besonders Wilfred Cantwell-Smith herausgearbeitet und in wichtigen Ansätzen wegweisend beschrieben:

Eine „globale Perspektive“ entwickelt sich nach ihm im interreligiösen Dialog, den Cantwell-Smith wegen der offeneren und universaleren Konnotationen dieses Begriffes lieber ein „Kolloquium“ nennt: „Yet the avowed aim must surely become not dialogue in the sense of bilateral encounter between two in some sense opposed parties,  so much as colloquy among persons: persons who differ, no doubt – as in the end all persons differ – in that they come from differing countries, speak differing languages, have differing interests and quirks and capacities, are of differing sex, and age, and temperament, and wealth, and diverse inherited religious tradition. What they have in common is that they are all human, all live in the modern perplexing and challenging and interconnected world, and being human all are potentially or actually genuine in their devotion to truth or to him or her or it that theists call God.“[70]

Auch eine solche im Gespräch zwischen unterschiedlich „glaubenden“ Menschen entwickelte „World Theology“ wird perspektivisch sein, und die unterschiedlichen bestehenden religiösen Traditionen nicht auflösen, sondern als verschiedene Zugangswege zu einer gemeinsamen globalen Perspektive bewahren: „Can we not say, then, that the theology towards which we strive shall be global, and that in the meantime what I can proffer is a Christian contribution to it? … Or perhaps we should simply say: a Christian’s contribution to it.“ Grundkategorien wie „Theologie“, „Gott“ „Glaube“, mit denen Cantwell-Smith arbeitet, gehören selbst einem christlichen Denkrahmen an, die er als Christ in eine globale Perspektive einbringt. „My aspiration is to participate Christianly in the total life of mankind … And I invite others to do so Jewishly, Islamically, Buddhistically, or whatever – including humanistically.“[71]

Dabei wird eine globale Perspektive nicht christlich, jüdisch, islamisch, buddhistisch, hinduistisch, taoistisch oder shintoistisch im konfessionellen Sinne sein. Aber im religiösen Sinne kann eine globale Perspektive durchaus „Christian“, „Muslim“, „Buddhist“ etc. zugleich sein – wenn man diese Begriffe nicht als „nouns“, sondern als „adjectives“ verwendet: „A man cannot be both a Christian and a Muslim at the same time. The nouns keep us apart. On the other hand, it is not, I suggest, as ridiculous … to ask whether in the realm of adjectives it may not be possible for a man to be both Christian and Muslim at the same time“[72], „Christian“ im Sinne einer Orientierung des Lebens an der Nachfolge Christi, „Muslim“ im Wortsinne der unbedingten Hingabe an den Willen Gottes, und im selben adjektivischen Sinne „Buddhist“ usw. „The noun is comforting, the adjective demanding. The noun is static, the adjective dynamic. The noun asserts, the adjective pleads. The noun is human, the adjective divine.“[73]

6.7 Der Beitrag der Christologie zu einer globalen Perspektive

Zur „Christian contribution“ zu einer globalen religiösen Perspektive („Christian“ im adjektivischen und substantivischen Sinne) wird auch die Möglichkeit einer grundlegenden Orientierung menschlichen Lebens und seiner heilshaften Veränderung am biblischen Bild Jesu Christi gehören, also eine „Christologie“ im Kontext eines pluralistischen Verständnisses der Religionen.

Eine solche für eine globale Perspektive entwickelte Christologie wird notwendig eine inklusive Christologie sein, die andere Grundkategorien einer möglichen religiösen Wirklichkeitsdeutung nicht ausschließt, sondern zur eigenen Überzeugung in Beziehung setzen und mit dieser vermitteln kann.

In der Aufgabe der Entwicklung einer solchen „inklusiven Christologie“ liegt das relative Recht einer religionstheologisch christlich-„inklusivistischen“ Position, die dazu allerdings im Sinne eines „mutualen Inklusivismus“[74] weiter zu entwickeln ist, so dass nicht nur Christen „Christus“ in allen Religionen entdecken können; dem Rahner’schen Gedanken der in christlicher Perspektive „anonymen Christen“ in anderen Religionen wird so in buddhistischer Perspektive der Gedanken der „anonymen Buddhisten“ entsprechen, usw.[75]

Eine solche „inklusive Christologie“ wird zugleich eine „wider christology“ im Sinne Kaufmans sein, die die universale Christuswirklichkeit zwar in enger Bindung an das Bild des historischen Jesus von Nazareth begreift, sie aber nicht exklusiv auf diese Bindung auf ihn beschränkt[76]; vgl. auch z.B. Teilhard de Chardins Gedanken des „kosmischen Christus“ und die frühchristliche Vorstellung des in Jesus zwar inkarnierten, aber auch außerhalb der Bindung an ihn universal wirksamen „logos spermatikos“.

Mögliche Impulse einer solchen neuen „inklusiven Christologie“ für eine globale religiöse Perspektive könnten z.B. sein:

Das Verständnis des Bildes Jesu als zentrales Paradigma zur Orientierung des menschlichen Lebens an einer friedlichen, gewaltlosen und an der Würde der Einzelnen ausgerichteten Ethik. Auch Menschen anderer Religionen können sich in diesem Sinne an Christus orientieren, ohne damit ihre eigene Identität aufzugeben, wie etwa die Wirkung der Bergpredigt auf das religiöse Denken des Hindus Ghandi zeigt, oder die im jüdisch-christlichen Dialog entwickelte Kategorie des „Bruders Jesus“, der als wegweisende prophetische Gestalt Juden und Christen verbindet (z.B. bei Schaom Ben-Chorin).

Das Verständnis des Bildes Jesu Christi als Symbol, das in besonderer Weise sowohl grundlegende religiöse Resonanzerfahrungen integriert, als auch die menschlichen Absurditäts- und Dissonanzerfahrungen kreativ bewältigt, wie es Theißen in seinem „Plädoyer für einen kritischen Glauben“ ausgeführt hat. Wenn die Erfahrung von Resonanz und Bewältigung von Absurdität der entscheidende empirische Haftpunkt sind, der die menschliche Fähigkeit zum „Glauben“ im Sinne der Selbsttranszenierung (Cantwell-Smith) an die Wirklichkeit bindet und damit der Kritik als bloßer Illusion entzieht, dann hat die zentrale Symbolisierung dieser beiden Grundimensionen von Religion in der Christusdichtung eine zwar dem Christentum entstammende, aber doch über das Christentum hinausgehende fundamentale Bedeutung für eine globale religiöse Perspektive.

Das Verständnis des Bildes Jesu Christi als Leitkategorie, die religiöses Erleben insgesamt auf die Dimension der „Liebe“ als Grundmotiv glaubender Wirklichkeitsorientierung orientiert. Im christologisch gedeuteten Symbol „Gott“ die Wirklichkeit selbst, „the way things really are“ (Hefner), als in ihrer Tiefenstruktur bzw. ihrer glaubend erhofften Teleologie von „Liebe“ bestimmt zu sehen, wäre so ein weiterer zentraler Beitrag einer „inklusiven Christologie“ für eine globale religiöse und kulturelle Perspektive. Indem christologisches Denken in der Orientierung an der Botschaft Jesu das „Doppelgebot der Liebe“ als Zentrum religiöser Weltorientierung und Praxis festhält, begründet sie auf ihre Weise das Recht und die Plausibilität des „kosmischen Optimismus“ der Religionen, und eines belastbaren Vertrauensverhältnisses zu der die Evolution des Menschen, seiner Liebesbedürftigkeit und Liebesfähigkeit tragenden Tiefe des kosmischen Prozesses selbst.

Das Verständnis des Bildes Jesu Christi als Rahmenorientierung, die im Sinne einer „theologia crucis“ eine neue Deutung der Erfahrungen von Leiden, Tod und Opfer in der Welt ermöglicht, indem sie das Symbol „Gott“ nicht weltenthoben im Sinne eines von der Wirklichkeit der Menschen nicht berührten „unbewegten Bewegers“ entwickelt, sondern den theologischen Blick in besonderer Weise gerade auf die Leidenden richtet, und damit die „österliche“ Hoffnung ausdrückt, dass das Leiden in der Geschichte der Schöpfung nicht das „ultimate“ und nicht das „letzte Wort“ haben wird.

In diesem Zusammenhang kann vielleicht kurz auf die aktuelle zum Teil sehr polemisch und konfessorisch geführte innerchristliche Diskussion über die Interpretation des Todes Jesu eingegangen werden. Ist die Deutung des Todes Jesu als Gott oder die Welt „versöhnendes“ Sühnopfer ein heute noch hilfreicher christlicher Beitrag zu einer globalen religiösen Perspektive? „Vergiftet“ die Sühnopfervorstellung den Gottesgedanken, weil sie Gottes Vergebung an die Voraussetzung einer blutigen Wiederherstellung seiner gekränkten „Ehre“ bindet, oder gehört sie notwendig zu einer nicht dem Zeitgeist verhafteten authentischen christlichen Soteriologie, die die Wirklichkeit des „Bösen“ nicht  bagatellisiert, sondern die biblischen Aussagen über die Schwere der menschlichen Schuld wirklich ernst nimmt?

Auch hier kann die im Rahmen einer pluralistischen Religionstheologie entwickelte funktionale Betrachtungsweise religiöser Aussagen vielleicht weiterhelfen: Gefragt werden muss danach nicht, ob Jesu Tod im Sinne einer ontischen Tatsächlichkeit ein Sühnopfer „war“ oder nicht, sondern welche Funktion die imaginative menschliche Konstruktion einer solchen Deutung des Todes Jesu für die religiöse Wirklichkeitsbewältigung der Glaubenden hat. Die religiöse Imagination der Christen deutet das Kreuz als Symbol, das fundamental auch die Wirklichkeit des Bösen, der Schuld und der Opfer einschließt.

Theißen weist im Blick auf die „Sühnopfer“-Thematik auf den psychologischen Zusammenhang von „Gewaltreduktion“ im Ethos der ersten Christen und „Gewaltzunahme“ in ihrem Mythos hin: „In der Imagination beleben sie ein längst überholtes Opfer neu: das Menschenopfer. In ihrem Vollzug aber lösen sie die blutigen Opfer ab und ermöglichen neben der Stimulierung von Affekten eine Distanzierung von ihnen.“[77] Funktional bewirkt die „Sühnopfervorstellung“ also gerade eine Verminderung von blutigen Opferpraktiken im Bereich rituellen und ethischen Vollzuges: „Religiös imaginisierte Gewalt soll helfen, die Gewalttätigkeit des Menschen zu überwinden. … Man kann nicht das humane Liebesgebot loben und die aggressiven Phantasien der ersten Christen verwerfen. Beides hängt zusammen.“[78]

In anderer Weise hebt Kaufman die funktionale Wirkung des im „Sühnopfer“-Motiv enthaltenen Gedankens der stellvertretenden Selbsthingabe Jesu für andere hervor: „The cross, standing as it does for Jesus’ suffering, self-sacrifice, death, meant that for Christianity suffering would be seen as of central importance to human life, indeed as the very vehicle of human salvation. … Enormous human suffering, thus, even if brought on by crimes for which humans are clearly responsible, like torture and murder, is not simply evil: it may become, vicariously, an instrument of the redemption and transformation of others. The powerful Christian incentives toward self-giving, toward service of the weak, the poor, the unfortunate, toward self-sacrifice for other’s well-being, which have always been central to the Christian ethic, are all rooted in this motif – symbolized by the cross – of the value and meaning of suffering for others.“[79]

Insofern würde man sich mit dem bloßen „Abschied“ vom traditionellen Sühnopfergedanken auch von einem der ganz wesentlich humanisierend wirkenden Grundgedanken der biblischen Christusdichtung verabschieden. Gewiss wurde das „Sühnopfermotiv“ auch vielfach pervertiert und im Sinne einer „Gottesvergiftung“, oder einer ideologischen Rechtfertigung von Krieg, Unterwerfung und Ausbeutung missbraucht Aber auch auch hier gilt: „abusus non tollit usum“. Die „richtige“ Konsequenz aus der unbestreitbaren dem Sühnopfermotiv auch innewohnenden theologischen und anthropologischen Problematik wäre dann nicht seine „Elimination“, sondern auch seine kritische „Rekonstruktion“ bzw. „Revision“ und „Interpretation“ im Blick auf seinen möglichen Platz in einer als christlichem Beitrag zu einer globalen Perspektive entwickelten „inklusiven Christologie“.

6.8. Und der trinitarische Horizont?!

Und wie sieht es aus mit dem trinitarischen Horizont theologischen Denkens, den eine christliche Theologie in eine „globale religiöse Perspektive“ einbringen könnte?

„Trinitarische Ansätze“ entsprechen, wie Schmidt-Leukel notiert, einem gewissen Trend in vielen gegenwärtigen Entwürfen zu einer „Theologie der Religionen“ aus christlicher Sicht[80]. Dabei muss aber differenziert werden, inwieweit eine „trinitarische Kategorisierug“ tatsächlich der Profilierung eines christlichen Beitrags zu einer auch für andere Grundansätze offenen pluralistischen Perspektive entspricht, und inwieweit sie doch wieder mit dem Erheben christlich-inklusivistischer Überlegenheitsansprüche gegenüber anderen Sichtweisen einhergeht[81].

Man wird historisch jedenfalls sagen müssen, dass eine ausgeführte Trinitätslehre nicht zum ursprünglichen Bestand der „Religion der ersten Christen“ gehörte, obwohl sich bereits im Neuen Testament theologische Differenzierungen des christlichen Glaubenshorizontes und triadische Formulierungen finden, an denen die später Entwicklung einer dogmatisch-trinitarischen Gottesrede anknüpfen konnte.[82]

Als „immanente Trinitätslehre“ trägt eine solche Bestimmung der Gottesrede aber immer die Gefahr einer hochspekulativen Eintragung, die der apophatischen Grundstruktur jeder möglichen menschlichen Theologie nicht mehr ausreichend Rechnung trägt. Hier gilt darum die vorsichtige Herangegensweise etwa Melanchthons: „Mysteria trinitatis rectius adoraverimus quam vestigaverimus“  (Loci Communes 1521).

Mit Ward ist dieser Einsicht entsprechend festzuhalten, dass eine trinitarische Redeweise also weniger „immanent“ als spekulative Aussage über das Wesen Gottes selbst sinnvoll ist (wenn ein solches „immanentes“ Verständnis vielleicht auch in metaphorischer Weise besonders ermöglicht, vom Göttlichen nicht als „unbewegt“, sondern als in sich lebendig, beziehungsreich, und im Bild weltzugewandter Liebe zu reden), sondern im Sinne einer „ökonomischen Trinitätslehre“ funktional im Blick auf unterschiedliche „modalities“ der christlich formulierten Gotteserfahrung. In diesem Sinne kann die Trinitätslehre allerdings vielleicht tatsächlich eine wichtige heuristische Bedeutung bei der Strukturierung heute möglicher theologischer Rekonstruktion einer Gottesrede in globaler Perspektive entfalten.

„Denn der Gott, den Jesus ‚Vater’ nennt, war von Israel längst als weitaus mehr denn eine bloße Stamesgottheit erkannt worden. Er ist nicht nur der Erlöser Israels, sondern derjenige, der nach dem Wort des Propheten Amos auch die anderen Völker aus ihren Knechtschaften befreit hat (Amos 9,7). Er ist der Gott aller Menschen und allen Seins: der letzte Ursprung aller Wirklichkeit und daher auch der alleinige Grund der Hoffnung auf endgültiges Heil, endgültige Vollendung. Und der Geist, der die Propheten leitet, ist zugleich der Geist, der die gesamte Schöpfung durchweht, der ihr Ordnung, Leben und Kraft zum Neuen verleiht.“[83] So ist es vielleicht vor allem die mit der Trinitätslehre verbundene Pneumatologie, die selbst eine pluralistische Struktur der Rede von menschlichen Transzendenzerfahrungen evoziert, und so christlich von Grund auf in eine Anerkennung der Vielfalt der globalen heilshaften Präsenz und Wirksamkeit des Göttlichen in allen Kulturen und Religionen weist.

Chancen und Probleme einer solchen trinitarisch strukturierten „Theologie der Religionen“ lassen sich vielleicht besonders am oben bereits erwähnten Ansatz eines trinitarischen Pluralismus bei Hans-Martin Barth zeigen. Programmatisch formuliert Barth: „Das trinitarische Denken bietet ein Modell, in dem sowohl Gemeinsamkeiten als auch Unterschiede formuliert werden können.[84]

Dabei formuliert er allerdings interreligiöse Verbindungen praktisch primär auf der Ebene der Schöpfunglehre, auf der er besonders „gemeinsame(n) Strukturen“ bei allen Menschen „der Suche nach Heil, der Gestaltung von Erwartungen und der Ehrfurcht vor dem letztlich unzugänglichen Heiligen“ auszumachen vermag, und die er weiter pneumatologisch interpretiert: „Dieses Wissen um die gemeinsame Geschöpflichkeit des Menschen und den auf alle gemeinsam zu beziehenden Gotteswillen verdankt sich – nach christlicher Auffassung – dem Wirken des Heiligen Geistes, das Christinnen und Christen für sich und für alle Menschen erflehen und dem sie mit ihrem Zeugnis dienen wollen.“[85]

Damit hat Barth aber trinitarisch vor allem die „Frage“ nach Gott für alle Menschen begründet; die tatsächliche Antwort auf diese Frage in Form der Vermittlung heilshafter Transzendenzerfahrung bleibt für ihn doch an den Glauben an Jesus Christus gebunden: „Der Glaube an Jesus Christus trennt tatsächlich, insofern ja nicht alle Menschen ihn teilen, aber es ist ein Glaube, der sich auch auf sie bezieht, sie einbezogen weiß in den heilvollen Gotteswillen.[86]

Bei aller Betonung einer gemeinsamen geschöpflichen und spirituellen Ebene bleibt Barths trinitarische Religionstheologie also doch letztlich einem christlich-superioristischen, inklusivistischen Schema verpflichtet, in dem die zentrale Orientierung am zweiten Glaubensartikel Christinnen und Christen den anderen Religionen gegenüber in eine konfessorische Grundposition des „Bekennens“ stellt[87], und der christologisch nicht zu einem echten „mutualen Inklusivismus“[88] und zu einer „wider christology“ im Sinne Kaufmans[89] vordringt.

Für die weiteren Möglichkeiten, die mit einer trinitatrischen Strukturierung der religiösen Perspektive für die heute nötige theologische Rekonstruktionsarbeit über den Ansatz Barths hinaus gegeben sein könnten, erscheint mir hier wiederum der Ansatz Gordon Kaufmans hilfreich: Kaufman entwickelt für seine theologische Rekonstruktion in „In Face of Mystery“ ebenfalls trinitarische Grundstrukturen, die sich aber von denen Barths in Richtung auf eine größere Weite unterscheiden:

„What is affirmed in the trinitarian conception (as I have interpreted it here) is that (a) the ultimate mystery of things, the ultimate reality behind and working in and through all that exists, is to be construed (when it is the position of how we orient our biohistorical existence that is at stake) (b) in terms suggested by the images and stories of Christ (taken in the ‚wider sense’); these images and stories focus in the sharpest and most dramatic way what is required by us humans if our existence is to become truly humane, and they help women and men discern what it means to be living in a universe in which evolutionary and historical processes have produced and continue to sustain our biohistorical mode of existence, and which, it can be hoped (in the light of Christ), will continue to draw us toward a truly humane ordering of human life within our ecological niche on planet Earth; for (c) this is a universe, in which serendipitously creative activity is everywhere at work. Stated in this way, the trinitarian doctrine sums up the central Christian claims about human life, the world, and God; and it does this in a manner that shows the trinity to be of a practical notion having to do with the way in which life is to be lived (not a speculative concept pretending to set forth the inner structure of the divine being – something about which we can have no knowledge).[90]

Schmidt-Leukel schließlich zitiert in einer noch etwas weiter gehenden Weise Reinhold Bernhardts Ansatz bei einem über die christliche Bestimmung der Trinitätslehre grundsätzlich hinausgehenden „’allgemeinen’, auf die gesamte Religionsgeschichte ausgeweiteten ‚trinitarischen Symbolismus’“, der eine allgemeine Beschreibung der „Grundstruktur göttlicher Selbsterschließung“ in „drei Faktoren“ ermöglicht, die nach Roger Haight folgendermaßen beschrieben werden können: „Erstens die sich offenbarende transzendente Wirklichkeit selbst; zweitens ihre symbolisch vermittelte Gegenwart in einem personalen oder auch nicht-personalen Offenbarungsmedium; drittens ihre Gegenwart in einem internen Prinzip der verstehenden Aneignung der Offenbarung. Nach Haight ist ‚diese drei-fältige Struktur implizit in jeder existentiell betreffenden Begegnung mit transzendenter Wirklichkeit am Werk’.“[91]

Ob und wie weit solche allgemeinen trinitarischen Strukturierungen religiöser Rede auf Dauer ein hilfreicher, auch die binnenchristliche Perspektive überschreitender Beitrag zu einer globalen „World Theology of Religions“ werden können, wird m.E. der Fortgang ihrer konkreten Entwicklung und Rezeption im Bereich einer christlichen und pluralistischen „Theologie der Religionen“, und im globalen religiösen Kolloquium zeigen müssen.



[1]   Ott, neues Paradigma, 35

[2]   Schmidt-Leukel, Gott ohne Grenzen, 212

[3]   Cantwell Smith. The Exclusivist Position, 207f.

[4]   alle Zitate aus dem Klappentext von Hick, Interpretation

[5]   Hick, Interpretation, 1ff.

[6]   Hick, Interpretation, 12

[7]   Hick, Interpretation, 216

[8]   Hick, Interpretation, 216

[9]   Hick, Interpretation, 216

[10]   s. Hick, Interpretation, 222

[11]   Hick, Interpretation, 219

[12]   Hick, Interpretation, 233

[13]   Hick, Rainbow, 24

[14]   Zum detaillierten Nachweis der Verbreitung  dieser Denkfigur in den unterschiedlichen Religionen vgl. Hick, Interpretation, 236-240

[15]   Hick, Rainbow, 27

[16]   Hick, Rainbow, 25

[17]   Hick, Rainbow, 27

[18] Zur genaueren Bedeutung der Kategorie der „Achsenzeit“ für die Entwicklung der Religionen vgl. Hick, Interpretation, 29ff.

[19]   Hick, Interpretation, 33

[20]   vgl, die ausführliche Darstellung des Konzepts von „salvation/liberation“ in den unterschiedlichen Religionen bei Hick, Interpretation, 36ff.

[21]   vgl. Hick, Interpretation, 56ff.

[22]   Hick, Interpretation, 57

[23] vgl. insgesamt die Kapitel „Soteriology and Ethics“ und „The Ethical criterion“ in Hick, Interpretation, 299-342

[24]   vgl. Hick, Interpretation,349ff.

[25]   vgl. Hick, Rainbow, 52

[26]   vgl. das Jesuswort „An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen!“ (Mt 7, 16-20)

[27] Hick, Rainbow, 13

[28]   Hick, Rainbow, 13

[29]   Hick, Interpretation, 301

[30]   Hans-Martin Barth, Christlicher Glaube, 105

[31]   Christian Danz, Theologie der Religionen, S. 98

[32] Hick, Rainbow, 51

[33]   Schmidt-Leukel, Gott ohne Grenzen, 185

[34] Schmidt-Leukel, Gott ohne Grenzen, 185

[35] Hick selbst würdigt etwa Ward „as a major figure“ in der gegenwärtigen theologischen Landschaft, „who is leading thought in entirely the right direction“, kritisiert aber dass Wards eigener im interreligiösen Dialog vertretener Begriff einer „supreme reality of value, love and power“ doch zu einseitig an den theistischen Konzepten des Absoluten orientiert sei; dagegen sei sein eigener Vorschlag, der  Eigenschaften wie „Liebe“ und „Macht“ für Beschreibungen einer bestimmten personalen Erfahrungsgestalt des Absoluten, nicht für mögliche Beschreibungen des „Real in itself“ hält,  „more radical“ und zugleich „more comprehensive, in that it takes full account of the non-theistic as well as the theistic forms of religion“. (Hick, Rainbow, 64)

[36]  Ward, Vision, VII

[37]  Ward, Vision, VII

[38]  Ward, Vision, VII

[39]  Ward, Vision, 8

[40]  Ward, Vision, 10

[41]  Ward, Vision, 10

[42]  Ward, Vision, 11

[43]  Ward, Vision, 10

[44]  Ward, Vision, IX

[45] Ward, Vision, 131

[46]  Ward, Vision, 134

[47]  Ward, Vision, 132

[48]  Ward, Vision, 174f.

[49]  Ward, Vision, 175

[50]  Ward, Vision, 132

[51]  Ward, Religion and Revelation, 279

[52]  Byrne, Ward on Revelation, 15

[53]  Byrne, Ward on Revelation, 17

[54]  Byrne, Ward on Revelation, 19

[55]  Byrne, Ward on Revelation, 21

[56]  Byrne, Ward on Revelation, 21

[57]  Byrne, Ward on Revelation, 21

[58]  Byrne, Ward on Revelation, 21

[59]  Höhn, Der fremde Gott, 8

[60]  Höhn, Der fremde Gott, 7ff.

[61]  Hick, Rainbow, 63

[62]  Kaufman, Jesus and Creativity, 44ff.

[63]   Theißen, Evolution, 158

[64]  Ward, Vision, 162f.

[65]   Kaufman, Mystery, 120

[66]   Kaufman, Mystery, 133; kursive Hervorhebung von Kaufman

[67]   Kaufman, Mystery, 123

[68]   Schmidt-Leukel, Gott ohne Grenzen, 487

[89]   Schmidt-Leukel, Gott ohne Grenzen, 489

[70]   Cantwell-Smith, Reader, 238

[71]   Cantwell-Smith, Reader, 218f.

[72]   Cantwell-Smith, Reader,194

[73]   Cantwell-Smith, Reader, 191

[74]   so die Ausführung der pluralistischen Hypothese bei R. Bernhardt; dargestellt bei Danz, Theologie der Religionen, 99f.

[75]   vgl. Ott, neues Paradigma, 46

[76] vgl. Kaufman, Mystery, 374ff.

[77]   Theißen, Psychologie, 555

[78]   Theißen, Psychologie, 429.431

[79] Kaufman, Mystery, 377f.

[80]   vgl. Schmidt-Leukel, Gott ohne Grenzen, 296

[81] vgl. dazu auch Schmidt-Leukel, Gott ohne Grenzen, 301

[82]   vgl. dazu auch Schmidt-Leukel, Gott ohne Grenzen, 296f.

[83]   Schmidt-Leukel, Gott ohne Grenzen, 298

[84]   Hans-Martin Barth, Christlicher Glaube, 111

[85] Hans-Martin Barth, Christlicher Glaube, 111

[86]   Hans-Martin Barth, Christlicher Glaube, 111

[87]   Hans-Martin Barth, Christlicher Glaube, 102ff.

[88]   R. Bernhardt; dargestellt bei Danz, Theologie der Religionen, 99f.

[89]   vgl. Kaufman, Mystery, 374ff.

[90]   Kaufman, Mystery, 457; vgl. auch 412ff.

[91]   Schmidt-Leukel, Gott ohne Grenzen, 300

Artikelnachweis: https://www.theomag.de/65/sts1g.htm
© Stefan Schütz, 2010