Der Animationsfilm

Eine visuelle Rezension – Teil 4

Andreas Mertin

Florian Schwebel: Von Fritz the Cat zu Waltz with Bashir: Der Animationsfilm für Erwachsene und seine Verwandten


Stehen geblieben waren wir bei dem 1979 erschienenen Zeichentrickfilm „Der König und der Vogel“. Als nächstes stellt Schwebel Martin Rosens „Watership Down von 1981 vor und resümiert: „Das Beste am Film ist der Anfang“. Etwas besser kommt Rosens folgender Film „Die Hunde sind los“ weg, aber insgesamt zeigt sich Schwebel nicht recht überzeugt.

Eine sich über längere Zeit abzeichnende Herausforderung für den Animationsfilm war J.R.R. Tolkiens „Der Herr der Ringe“ aus den 40er-Jahren des 20. Jahrhunderts. Der Herausforderung stellte ysich dann Ralph Bakshi. Nachdem er 1977 mit „Wizards“ eine Vorlage geliefert hatte (Schwebel: „Von der Essenz her ist WIZARDS nicht einmal weit von Tolkien entfernt, es ist Bakshis notorische überdrehte Unfröhlichkeit mit ihren halb formulierten Abgründen, die bei diesem Film über das Pure und Gute gemischte Gefühle hinterlässt.), durfte er 1978 den Herr der Ringe verfilmen. Das Urteil fiel ambivalent aus. „Da ist all die künstlerische Tristesse des 70er Jahre-Zeichentricks versammelt“ moniert Andreas Platthaus, während Schwebel wenigstens ein paar positive Aspekte sieht: So „zeigt Bakshi einmal mehr Krieg als fremdartigen, nicht integrierbaren Einbruch in eine sonst kohärente Welt.“

Weiter geht es mit den Hubleys, einem Ehepaar, das zunächst für Disney gearbeitet hatte und nach 1952 auf der schwarzen Liste für unamerikanische Umtriebe landete. „Erst im Jahr 1986 vollendete Fran [Faith?] Hubley THE COSMIC EYE, einen mit John begonnenen Katalog der Kosmogonien … Die Arbeiten der Hubleys verbinden auf höchst eigenwillige Art Didaktik, Avantgarde und die Studiotradition.“

  • [Anm. A.M.: Von THE COSMIC EYE habe ich keinen Clip auf Youtube gefunden.]

Ganz interessant ist Schwebels Urteil zu Yamomotos „Die Tragödie der Belladonna“: Er sei „ästhetisch der interessanteste der in diesem Buch vorgestellten Filme, inhaltlich ist es der wertloseste. Scheinbar eine subverive Rachegeschichte ist er faktisch eine 80-minütige Vergewaltigungsfantasie.“

Ich überspringe jetzt die weiteren vorgestellten Filmer wie Akira, Ghost in the Shell, Prinzessin Mononoke, Jin-Roh, Paprika und Sita sings he Blues und wende mich dem nächsten  Kapitel zu. Wer sich die Filme im Überblick anschauen will, kann die folgenden Links anklicken:

Sita sings the Blues von Nina Paley aus dem Jahr 2008 steht übrigens unter einer Creative Commons Lizenz in verschiedenen Auflösungen komplett in zehn Teilen auf Youtube zum Betrachten bzw. zum Download bereit.

Das fünfte Kapitel des Buches ist mit „Simplicissimus: Satire im Animationsfilm“ (78-99) überschrieben. Der satirische Trickfilm, so schreibt Schwebel, „lebt mit einer Reihe von Widersprüchen: er ist zeitbezogen in einem Metier, das auf Zeitlosigkeit und zum Teil jahrzehntelange Produktionsprozesse setzt, er wendet sich in der Regel explizit an Erwachsene, während er überwiegend von Jugendlichen konsumiert wird und erzeigt mit immensem ästhetischen Aufwand die Hässlichkeit des Alltags“.

Ein Klassiker dieses Genres ist „Fritz the Cat“ aus dem Jahr 1972, über den Schwebel den schönen Satz schreibt, „er gehöre zu den unbekanntesten Kassenhits der Filmgeschichte. Obwohl er zu seiner Entstehungszeit für volle Kinos gesorgt hat und vergleichsweise häufig im Fernsehen läuft, haben ihn nur wenige Menschen vollständig und im nüchternen Zustand gesehen. Über die Frage, ob sich das überhaupt lohnt,gehen die Meinungen in der Fachliteratur auseinander. Die historische Bedeutung und dwer bis heute währende Einfluss des Werks bleiben allerdings unbestritten.“

Tarzoon – Schande des Dschungels von Picha wird so etikettiert: „Die Obszönitäten der Welt werden mit derbem Slapstickhumor ausgestellt, und der Ekel vor dem Leben wird beim Zuschauer schnell zum Ekel vor dem Film.“

Das zweite abendfüllende Werk von Ralph Bakshi wurde „Starker Verkehr“ aus dem Jahr 1973 und erzählt vom trostlosen Leben im heruntergekommenen New York. Schwebel sieht bei diesem Film eine fast schon zu große Nähe zum klassischen Spielfilm.

Es erfolgt nun ein Einschnitt, der mit einem Format wie der Fernsehserie Die Simpsons verbunden ist und der mit dem Lebensgefühl einer ganzen Generation zu tun hat. „Hoffnungsträger in diesem typischen ‚Post-Punk-Szenario’ sind anfangs die Geschwister Bart und Lisa, die die beiden Seiten der Slacker-Kultur als unschuldige Kinder repräsentieren: Bart ist der gutherzige, planlose Rebell auf dem Skateboard, Lisa die furchtsame, feministische Intellektuelle.“ Beide wehren sich gegen ihre Umwelt mit einer beleidigenden Schlagfertigkeit, die diese in der Regel nicht einmal bemerkt.“

Angeregt vom Erfolg der Simpsons begannen die Fernsehmacher dann, weitere Cartoon-Serien zu entwickeln, die insbesondere das MTV-Publikum im Blickfeld hatten: „Entwickelt wurden kurze Lückenfüller im Programm, die gleichzeitig später als abendfüllende Videokassetten funktionieren sollten.“

Zu diesen Serien gehörten z.B. Beavis und Butthead, „zwei vollpubertierende Heavy-Metall-Fans, die auf einem heruntergekommenen Sofa herumlungern und mit halbem Auge Videos auf MTV sehen.“

Zu nennen wären darüber hinaus noch die Werner-Filme oder die Filme nach dem Erfolgscomic „Das kleine Arschloch“ von Walter Moers, die immer noch regelmäßig im Fernsehen gezeigt werden, heute aber niemanden mehr aufregen.

Ein ganz eigenes Kapitel ist die 1997 begonnene Serie South-Park, die die Gesellschaft weltweit immer wieder bewegt, weil sie (fast) keinen Konflikt scheut. „Der erschrockene Kinderblick auf eine geisteskranke Welt ist ein perfekter Entwurf für die satirische Animation.“

Überschreitet South-Park die Grenzen der gesellschaftlichen Konvention regelmäßig, kann man das für den Shrek-Zyklus nun wahrlich nicht sagen: „unterm Strich bleibt ein maßgeschneiderter braver Film für Teenager und Rockmusik, sammelnde Erwachsene“. Das Beste, was man noch darüber sagen kann, ist, es sei „Postmoderne für Kleinkinder, Pastiche für ein Publikum im Töpfchentraining“ (David Denby)

Irgendwie scheint es aber mit dem Crossover von Satire und Animationsfilm nicht recht zu klappen, auch wenn abendfüllende Filme wie “Die Simpsons – Der Film“ noch einmal besseres boten. Mit der Serie Futurama sind wir bei der Science-Fiction-Travestie, die im Rückblick auf das 20. Jahrhundert noch einmal ihre Schärfe entwickelt.

„Die gemeinsame Furcht der amerikanischen Animationssatiren dieser Zeit ist die vor einer Militärdiktatur und die vor dem paranoiden, hasserfüllten Nachbarn. Von BEAVIS AND BUTTHEAD bis zu FUTURAMA werden sinnlos aggressive Schlachten geschlagen, und der gute Bekannte wird zum grölenden, fackeltragenden Lynchmob-Teilnehmer. Ein Beleg dafür, dass das Unwohlsein angesichts einer fortschreitenden Mobilisierung und Freund/Feind-Rhetorik lange vor dem 11. September akut war, und sich anschließend in weiten Teilen der Kulturindustrie kämpferisch artikuliert hat.“

An dieser Stelle unterbreche ich die Rezension wieder einmal. In Heft 67 des Magazins für Kunst | Kultur | Theologie | Ästhetik geht es weiter mit den nächsten Kapiteln. Wer so lange nicht warten will, kann und sollte sich das Buch besorgen und selber nachschauen …

Artikelnachweis: https://www.theomag.de/66/am321.htm
© Andreas Mertin, 2010