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Paradigmen theologischen DenkensAuf der Suche nach einem für mich heute tragfähigen und sagfähigen Glauben. Teil IIStefan Schütze FazitAm Ende dieses zweiten Teils meiner „Paradigmen theologischen Denkens“ soll ein kurzer Rückblick und Ausblick stehen. Was hat die Lektüre und Auswertung all dieser unterschiedlichen zeitgenössischen theologischen Entwürfe für meine Suche nach einem „für mich heute tragfähigen und sagfähigen Glauben“ gebracht? Sicher keine „glatte“ Lösung aller offenen Probleme, kein neues einheitliches theologisches „System“, keine zeitlos gültige neue Gesamtperspektive. Aber vielleicht doch so etwas wie eine Vision, einen offenen Grundriss, wie ein lebendiger und zukunftsfähiger kritischer Glaube, wie ich ihn suche, konturiert und ausgerichtet sein könnte (und wie nicht). Deutlicher geworden ist mir im Prozess der hier dargestellten theologischen Lektüre und Reflexion, dass und warum mir die apodiktischen Formen religiöser Behauptung im Christentum und in allen menschlichen Religionen inzwischen so schal und letal vorkommen, und mich dagegen "fragmentarische" Bestimmungen religiöser Orientierung heute um so mehr ansprechen. "Despite the fact that the contextualizing concepts of religion are most often cast in the form of the imperative, declarative, or the vocative, we must receive them as if they were hypothetical in form“[1], diese Formulierung Philipp Hefners bringt, was ich hier meine, vielleicht am prägnantesetn auf den Punkt. Dieses Motiv kehrt in unterschiedlicher Weise bei vielen der von mir fruchtbar gemachten theologischen Sprechversuche wieder: sie verstehen sich als "proposals to be tested" (Hefner[2]), "proffered best explanations" (Hick[3]), "varieties of constructive proposals and experiments, each limited and partial, each contributing to an unattainable and inexpressible whole from a particular angle of vision or insight" (Hodgson[4]), offene Denkvorschläge, jeweils „conceived as tentative hypothesis“ (Cohn-Sherbock). Sie sehen in dieser Fragmentarität, Veränderlichkeit und Vorläufigkeit von heute möglichem "god-talk" gerade seine heilsame Potentialität begründet, dagegen in der Behauptung absoluter Gewissheiten „eine der größten und gefährlichsten Versuchungen der Menschheit“ (Erdmann). Diese Formen "tastender" und "suchender" Religiosität ergeben vielleicht so etwas wie den gemeinsamen Grundmodus einer den hier dargestellten und miteinander in Beziehung gesetzten “Paradigmen theologischen Denkens” entsprechenden Vision einer “für mich heute trag- und sagfähigen” Transformation christlicher und überhaupt menschlicher Religiosität. Von Theißens „Plädoyer für einen kritischen Glauben“ und seiner bahnbrechenden Skizze biblischen Glaubens „in evolutionärer Sicht“, über Hicks Pionierarbeit für eine „kopernikanische Wende“ von einer exklusivistischen oder inklusivistischen zu einer pluralistischen „interpretation of religion“, von Gordon Kaufmans Bestimmung der Methode theologischer Arbeit als „imaginary human construction“ und seiner holistischen Rekonstruktion des Gottesbegriffes als des Geheimnisses der „serendipitous creativity“ im Kosmos, von der wir überall umgeben sind, über Mark Taylors a-theistischen Theismus in einer Welt, verstanden als emergentes, autopoietisches „Netzwerk von Netzwerken“, über Catherine Kellers prozesstheologische „theology of becoming“, eines „resoluten“ Glaubensmutes jenseits der vorherrschenden theistischen „absolutes“ und atheistischen „dissolutes“, über Cohn-Sherbocks Vision eines „Open Judaism“ bis zum Entwurf einer polydoxen religiösen Hermeneutik „of multiplicity and relation“, wird für mich die Kontur eines m.E. heute plausiblen Glaubenskonzeptes deutlich, das Offenheit mit Bestimmtheit vereint, das klar ist, ohne absolut zu sein, das Zweifel und Unsicherheit fruchtbar integriert, ohne in postmoderne Beliebigkeit zu verfallen, das auf das Verbindende und Gemeinsame zielt, ohne Unterschiede und Gegensätze zu nivellieren. Dabei ist der fruchtbare Umgang mit „multiplicity“ konstitutiv. Ähnlich wie Cohn-Sherbocks „Open Judaism“ nicht auf die Vereinheitlichung der Pluralität jüdischer Glaubensformen unter unter ein einziges für alle verbindliches theologisches Grundschema zielt, sondern gerade ihre Vielfalt als Reichtum begreift, wenn man sie nicht mehr als mögliche absolute Wahrheiten, sondern jede von ihnen als eine „tentative hypothesis“[5] zu einer möglichen religiösen menschlichen Wirklichkeitsorientierung versteht, formuliert auch der vergleichende Religionswissenschaftler Ninian Smart (dem Cohn-Sherbock seinen Aufsatz über das Konzept eines „Open Judaism“ gewidmet hat) seine Vision eines neuen Pluralismus der bisher getrennten „religions and worldviews“ in einer „emerging global civilization“. Er schlägt am Ende seiner „crosscultural explorations of human beliefs“ vor, die weltweit unterschiedlichen und in ihren „worldviews“ teilweise widersprüchlichen Religionen nicht im vereinheitlichenden Bild eines theologischen Essentialismus („sie alle meinen ‚irgendwie’ das Gleiche“) oder einer „philosophia perennis“ zu verstehen, sondern im differenzierten Bild eines, wie er es formuliert, „Föderalismus“ unterschiedlicher religiöser (und säkularer) Weltorientierungen, eines neuen Verhältnisses der einzelnen Traditionen, das von gegenseitigem Respekt, empathischer Öffnung, und Bereitschaft zur Veränderung bestimmt ist, weil sie sich nicht mehr als im Besitz einer absoluten Wahrheit begreifen, die für Menschen (auf jeden Fall vor dem Ende aller Dinge) „not available“ ist, sondern eben als unterschiedliche, aber aufeinander bezogene, Hypothesen und Vorschläge für eine gelingende Orientierung menschlichen Lebens, als „different experiments in living“. Insofern wäre der gemeinsame Referent aller religiösen Traditionen eben nicht so sehr die gemeinsame Dimension von Transzendenz, auf die sie zielen, sondern die pragmatische Ausrichtung auf gelingendes menschliches Leben, auf das alle ihre unterschiedlichen theistischen (Hick: „personae of the Real), non-theistischen (Hick: „impersonae of the Real“) und a-theistischen („säkularen“) Konzepte zielen, und für das sie alle unterschiedliche „clues“ bereitstellen und „distinctive contribution(s) … to our understanding of the world“.[6] Im Rahmen eines solchen „offenen“ und „konvergenten“ theologischen Grundansatzes, der die Vielfalt menschlicher religiöser Orientierungen und Konstruktionen („worldviews“) nicht nivelliert, sondern in einem vernetzten und differenzierten Gespräch fruchtbar macht, wäre dann auch die Frage nach einer den heutigen globalen Herausforderungen und Chancen angemessenen, modern bzw. post-modern plausiblen Weiterentwicklung („Rekonstruktion“) des christlichen Transzendenzkonzeptes zu stellen. Wie kann der „Schatz“ biblisch und theologiegeschichtlich überlieferter und „bewährter“ „Frömmigkeiten“, Gottes-, Welt- und Menschenbilder, Erzählungen, Rituale, Gemeinschaftsformen, „Erkenntnisse“ und Erfahrungen in ein unser heutiges Leben „nährendes“ (Kröger) und vertiefendes Panorama menschlicher „Gottes-“ und „Wirklichkeitsorientierung“ umgesetzt, weitergeführt und fruchtbar gemacht werden? Die alleinige Konzentration des Gotteskonzeptes auf die Dimension von „creativity“ und „mystery“ (z.B. bei Kaufman) ist vielleicht bei aller Plausibilität doch etwas zu eng, um die vielfältigen „varieties of religious experience“ (William James) aufzunehmen. Wenn Religion, wie James es formuliert hat hat, bedeutet, dass "our supreme good lies in harmoniously adjusting ourselves" an eine "unseen order"[7] des Universums, dann müssen nicht nur die kreative Dimension, sondern auch viele weitere Erfahrungsaspekte, in denen diese „unseen order“ unser Leben berührt, für die Rekonstruktion eines heute plausiblen Gotteskonzeptes berücksichtigt werden, etwa auf der Linie der Überlegungen Haughts. Vielleicht wäre es möglich, für die Konturen eines solchen „offenen“ christlichen Gotteskonzeptes (in Variation und Veränderung verschiedener in meinen beiden „Paradigmen“-Artikeln bereits dargestellter trinitarischer Ansätze) heuristisch ein erweitertes „trinitarisches“ Schema zu formulieren, das sowohl die Grunddimension von „creativity“ und „mystery“ als auch die weiteren „varieties of religious experience“ integrieren kann, indem es einen (pneumatologischen[8]!) Grundansatz des „Operierens von Differenzen her“ (vgl. die von Nikolaus von Kues klassisch formulierte theologische Redefigur, die Gott gerade von der Erfahrung von Polaritäten her als „coincidentia oppositorum“ begreift) verfolgt, und dabei sowohl für traditionellere Formen des Glaubens als auch für „radikale“ Refigurationen des Gotteskonzeptes (Gods after God) offen ist.
Solch ein „erweitertes trinitarisches Religionskonzept“ könnte kritisch, radikal, universal, plural, mystisch, pragmatisch, verbindend und differenziert zugleich sein, ganz unterschiedliche religiöse „proposals“ (Hefner, Hodgson) und „Tastversuche“ (Theißen) in sich vereinigen, und gerade so Basis einer zukunftsfähigen Artikulation von „Glauben“ und ihn umgebender „believes“ (Cantwell-Smith) sein, die heute (nicht nur für mich) „sag- und tragfähig“ sind. Insofern ist dieser zweite Teil meiner gesammelten „Paradigmen“ und paradigmatischen Quergedanken, zusammen mit dem ersten, selbst ein „Versuch“ und eine „Skizze“ eines möglichen neuen herausfordernden, tragenden und tröstenden „god-talk“, der vielleicht auch für andere religiös Suchende interessant ist. Anmerkungen
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Artikelnachweis: https://www.theomag.de/69/sts3e.htm
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