Paradigmen theologischen Denkens II |
Paradigmen theologischen Denkens - Auf der Suche nach einem für mich heute tragfähigen und sagfähigen GlaubenTeil IV: Weitere Verhältnisbestimmungen und GrenzziehungenStefan Schütze 7. AbschlussZum Abschluss will ich nochmals versuchen, meine „Paradigmen theologischen Denkens“ und ihre weitere Fortschreibung, die ich nun in diesem Teil IV versucht habe, mit Gerd Theißens „Neutestamentlichen Grenzgängen“ und v.a. seiner jüngsten Formulierung liberal-evangelischer „Glaubenssätze“ in seinem „Kritischen Katechismus“ in Beziehung zu setzen. Vom exegetischen und theologischen Denken Gerd Theißens habe ich sehr viel gelernt, und sein „Plädoyer für einen kritischen Glauben“ und seine Arbeiten zur „Biblischen Theologie in evolutionärer Perspektive“ haben mich in vieler Hinsicht überhaupt erst auf die „Spur“ meines heutigen Nachdenkens gebracht. Mich verbindet mit Theißen ein konsequent „liberaler“ theologischer Ansatz, der menschliche Religiosität von der „conditio humana“ her versteht, und darum grundlegend in eine anthropologische, kulturelle und evolutionäre Perspektive des Menschlichen einordnet. Dazu gehört der für Theißen wie für meine „Paradigmen“ leitende Versuch einer tiefen Verbindung von „kritischem Denken“ und „biblischem Glauben“, die Deutung von Religion als einem auf eine transformative, als „Liebe“ geahnte „Letzte Wirklichkeit“[1] hin ausgerichteten „kulturellem Zeichensystem“[2], und eine ethische Orientierung an dem, was Theißen den „antiselektiven Indikativ und Imperativ“ biblischer Religion nennt.[3] Dennoch würde Theißen mir, wie ich vermute, in vielen meiner radikaleren Revisionen, Dekonstruktionen und Rekonstruktionen der biblischen Gottesrede nicht oder nur mit Einschränkungen folgen können, weil sie sich für ihn vielleicht doch zu weit von der „bewährten“ biblischen Sprach- und Bilderwelt entfernen, und für ihn zu sehr die Differenz zu den Patriarchalismen und Dominologien der biblisch-christlichen Symbolwelt und auch zur heutigen geschichtlichen Realität evangelischen Glaubensdenkens und Kircheseins betonen. Während für mich das „apophatische“ Moment religiöser Existenz und die Bedeutung von Ungesichertheit und Instabilitäten im Vordergrund eines „für mich heute trag- und sagfähigen Glaubens“ stehen, ist es wohl kein Zufall, dass Theißen nach seinen „Neutestamentlichen Grenzgängen“ zuletzt einen „Kritischen Katechismus“ geschrieben hat, der sich um eine affirmativere Formulierung von nach wie vor den christlichen „Konsens“ normativ markierenden „Glaubenssätzen“ bemüht. Theißens „Katechismus“ versucht bei aller kritischen und liberalen Öffnung eine Entwicklung einer „Glaubensdeutung“ von Gott, Mensch und Welt immer noch in der Form der Korrelation von „Frage“ und „Antwort“, bei der die affirmative religiöse „Antwortkultur“ heutiger kirchlicher Kommunikationen doch sehr viel stärker gewahrt bleibt, als es mir heute noch möglich wäre. Theißen selbst hat diese affirmativere und kirchlichere Ausrichtung seines Versuches, „den christlichen Glauben in meditativen Texten zusammenzufassen“, in der er „nicht am Rande seiner Kirche, sondern mitten in ihr“ stehen möchte, als „konsensorientiert“ bezeichnet, wobei er v.a. den Konsens mit der Bibel, den Konsens mit der theologischen Tradition und den Konsens mit der „eigene(n) Glaubensgemeinschaft“ „im Blick hat“, aber dabei bewusst auch den Brückenschlag zu „andere(n) Konfessionen und Religionen“ sowie zu den „vielen Menschen, die fern von jeder Religion leben“ sucht, bei denen er in einer modernen und liberalen Form einer apologetischen Theologie „um Verstehen und Respekt für den Glauben auch dort, wo er keine Zustimmung erfährt“ werben möchte. [4] Entsprechend hat Theißen in seiner „Religion der ersten Christen“ und in seiner Bibeldidaktik für seine Darstellung der urchristlichen Zeichenwelt das Bild eines „semiotischen Doms“ benutzt „der nicht aus Steinen, sondern aus Erzählungen, Bildern, Riten und Gegenständen, kurz aus Zeichen verschiedener Art errichtet wurde“, und so den Menschen „den Einbruch einer transzendenten Wirklichkeit“ symbolisiert[5], einen Dom, in den man eintreten kann, um zu beten, ob man den poetischen Glaubensformulierungen, aus denen er erbaut ist, eher bejahend oder eher skeptisch gegenübersteht. In seinen „Neutestamentlichen Grenzgängen“ hat er dieses Bild von der „urchristliche(n) Zeichenkathedrale“ bekräftigt, aber zugleich dahingehend revidiert, dass es sich beim neutestamentlichen Dombau eher um „eine ständige Baustelle“ gehandelt habe, ohne festen „Bauplan, der von Anfang existierte“ [6], und darum vielleicht für das von ihm Gemeinte die „Metapher einer ‚Baugeschichte‘ mit Krisen und Katastrophen, Konflikten und Weggabelungen“[7] besser geeignet sei. Für mich wäre es in Anknüpfung an diese Modifikation des Bildes von der „semiotischen Kathedrale“ wichtig, zu betonen, dass es sich bei der christlichen (wie aller menschlichen) Religion überhaupt noch nicht um einen abgeschlossenen „Dombau“ wie den Petersdom in Rom, sondern immer noch um ein „Fragment“, eher in der Art der „Sagrada Familia“ in Barcelona handelt. Auch ist für mich das Zeichenhaus christlichen Glaubens von der barocken Pracht gerade vieler katholischer Dombauten, und dem Gestus papaler Prachtenfaltung, wie ihn die katholische Kirche erneut z.B. bei den jüngsten „Papst“-Wahlereignissen immer noch medial zelebriert hat, sehr weit entfernt. Sicher hat Theißen mit seinem Bild vom „semiotischen“ Dom nicht auf diese Konnotationen gezielt, aber ich frage mich, ob Theißens Dommetapher auch solche „barocken“ Deutungsmöglichkeiten gegen seine eigene Aussageabsicht nicht dennoch ungewollt weiter evoziert. Ich selbst würde darum die Art von Religion, wie sie mir heute vorschwebt, eher im Bild der „Baustelle eines spirituellen Dorfes“ als im Bild eines „Doms“ oder „Dombaus“ beschreiben: In diesem immer noch wachsenden und unvollendeten „spirituellen Dorf“ gibt es heute viele unterschiedliche „Gebetsstätten“ der historischen Religionen und Konfessionen, Kirchen, Moscheen, Lehrhäuser, Synagogen, Zen-Klöster und Tempel, aber zunehmend auch neue, interreligiöse Gebetshäuser und Häuser auch einer säkularen, nicht institutionell orientierten Spiritualität, Zentren ästhetischer und künstlerischer Lebensvertiefung, Konzerthallen und Kulturhäuser, von denen teils auch erst der „Rohbau“ fertiggestellt ist. Es werden noch ständig neue Häuser gebaut, und manchmal auch alte, heute nicht mehr bewohnbare Häuser abgerissen oder grundlegend renoviert, so wie heute die Kirchen in Deutschland tatsächlich aufgrund des gewandelten Bedarfs und zurückgehender Ressourcen viele Gebetsorte, teilweise auch wirklich alte und schöne Kirchen, verkaufen, umwidmen, neu nutzen oder sogar abreißen müssen, und dabei vielleicht allenfalls einige in ihnen enthaltene Kunstschätze noch „retten“ können. Alle spirituellen Bauten dieses Dorfes sind eher „Häuser“ als „Paläste“, darunter kleine, aber schöne „Kirchen“ und erhebende, aber nicht prächtige Sakralbauten, aber auch „Zelte“ und „Hütten“, eben „Heimat auf Zeit“, nicht „ewige Wohnungen“, weil biblischer Glaube für mich, symbolisch gesprochen, nicht so sehr „festes Wohnen“ wie „bewegliches Zelten“ bedeutet, eher den Exodus aus der Bedrückung und den Weg in die verheißene Freiheit als die Stagnation „gesicherter“ Sesshaftigkeit oder gar die Gewalt der „Landnahme“. Manchmal entstehen auf dieser Dorfbaustelle auch besonders schöne Häuser, Gebetsstätten, die durchaus vieles von der „Majestät“, architektonischen „Heiligkeit“ und religiösen „Raumwirkung“ hoher Dombauten integrieren, kleine Kathedralen, die tatsächlich eine Zeitlang zum Ausruhen, Bleiben und Verweilen einladen, im Sinne des Jesuswortes „Ruht ein wenig!“ (Mk 6, 31). Aber auch diese „Ruhe“ bleibt eine „kleine“, eine dynamische und keine statische Ruhe, weil wir religiös „das Ziel“ unserer „himmlischen Berufung“ (Phil 3, 14), „nämlich der Seelen Seligkeit“ (1Pt 1, 9) noch nicht erreicht haben, sondern uns weiter „nach ihm ausstrecken“ (Phil 3, 12f.), und in diesem „Ausstecken“ immer auch die Bereitschaft zur ständigen Dekonstruktion und Rekonstruktion unserer bisherigen Einsichten enthalten ist. Am Ende soll nochmals ein Rückblick auf den gesamten Gedankenbogen dieses IV. Teils meiner „Paradigmen theologischen Denkens“ stehen. Ich habe ihn mit „Weitere Verhältnisbestimmungen und Grenzziehungen“ überschrieben, weil er der bisherigen „Gedankenfolie“ meiner „Suche nach einem für mich heute sagfähigen und tragfähigen Glauben“ keine völlig neuen Bestandteile hinzufügt, aber dennoch in vieler Hinsicht für mich hilfreich war, das bisher Gedachte weiter zu klären und zu vertiefen. Für den religiösen Häuserbau auf der „spirituellen Dorfbaustelle“, wie ich sie hier zum Abschluss skizziert habe, haben diese „Verhältnisbestimmungen“ und „Grenzziehungen“, wie ich finde einige wichtige neue Konstruktionshilfen und „architektonischen“ Leithorizonte ergeben. Diese werden für mich, um alle fünf obigen Hauptteile nochmals kurz anzustreifen, zum Beispiel in folgenden mit ihnen verbundenen Grundüberlegungen deutlich:
Mit diesen fünf neuen „architektonischen“ Leithorizonten haben sich meine „Paradigmen theologischen Denkens“, wie ich meine, gemäß ihres theologischen Ansatzes als „Glaubensdenken in Bewegung“ tatsächlich nochmals weiterentwickelt, und damit die Grundlage und die Legimitation für diese Fortschreibung in einem IV. Hauptteil gegeben, der meine „Suche nach einem für mich heute sagfähigen und tragfähigen Glauben“ nochmals weiterführt und ergänzt, ohne sie damit abschließen oder zu ihrem „Ende“ (im doppelten Sinne des englischen Wortes „end“) führen zu können.
Anmerkungen
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Artikelnachweis: https://www.theomag.de/84/sts08.htm
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