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Magazin für Theologie und Ästhetik


Kunst als kritisches Spiel

Karl Barths Äußerungen zur Kunst

Andreas Mertin

Karl Barths Auseinandersetzung mit der Kultur ist deutlich vom Zusammenbruch der Kulturtheologie seiner akademischen Lehrer gekennzeichnet. Wenn die avancierte Kultur ihre Verehrer nicht daran hindert, in nationalistisches Pathos zu verfallen und Kriegsaufrufe zu unterschreiben, dann ist Kultur zu einer fragwürdigen Größe geworden. Kultur an sich ist kein eigenständiger, positiver Wert, die Kultur selbst hindert an keiner Barbarei. Die erschreckende Erfahrung, daß Goethe- und Schillerverehrer auch Konzentrationslager bauen, fordert eine Korrektur am affirmativen Kulturbegriff. Karl Barth betonte in seinem Römerbriefkommentar radikal die Andersartigkeit des Evangeliums gegenüber der Kulturreligion. Kultur sei Menschenwerk, der Glaube führe jegliche Kultur in ihre Krisis. Immer wenn Religion und Kultur eine Symbiose bilden, wird der christliche Glaube mit hineingerissen in den Zusammenbruch der Hoffnung. "Hier trennt sich die Theologie von der Selbstsicherheit der Moderne und ihrer Zuversicht in den Fortschritt des Menschengeschlechts. Nicht mehr die mit liberaler Brillanz notierte Selbstauflösung des Dogmas zur entwickelten Sittlichkeit und kulturell hochstehenden Religion, sondern die Entlarvung der Fortschrittsgläubigkeit der Moderne ... bestimmt den Blick auf Kultur und Gesellschaft" (B. Nebling).

Karl Barths Äußerungen zur Kunst im Kontext der Ethik sollen im Blick auf den Abschnitt zur Kunst (und zum Humor) in den Vorlesungen zur Ethik aus den Jahren 1928/29 bzw. 1930/31 aufgegriffen werden.(1) Barth nennt in diesen Vorlesungen die Kunst und den Humor jene zwei Instanzen, die die Relativität der Welt zu zeigen vermögen. Ihren konkreten Ort haben beide in der Erlösungslehre, konkreter, in der antwortenden Dankbarkeit des Menschen. Nachdem er den 'falschen' Ernst mancher Christen und ihre fehlende Freudigkeit erörtert hat, wendet sich Barth "zwei besonderen Lebensmöglichkeiten" zu, die uns die "Einsicht in den Spielcharakter des guten, des von uns geforderten Tuns gerade sub specie aeternis" [437] eröffnen.

Kunst ist bewußter Ausdruck des Spielcharakters des menschlichen Tuns, zugleich aber auch "von einem letzten tiefsten Schmerz getragen", denn "das wäre kein wahres Kunstwerk, das nicht, von der Freude erzeugt, aus dem Schmerz geboren wäre" [438]. Dieser Schmerz entsteht aus der Differenz zwischen der Erkenntnis des Ernstes der Gegenwart und der spielerischen Antizipation der Zukunft durch die Kunst.

Kunstwerke schaffen heißt nach Barth, besondere Werke zu schaffen, Werke, die sich durch ihre Differenz zu allen anderen Bereichen menschlichen Lebens auszeichnen. Das Werk des Künstlers steht "neben den lebensnotwendigen Werken der eigentlichen Arbeit, neben der Wissenschaft, neben Kirche und Staat" [439]. Gerade der absolute Spielcharakter der Kunst ist theologisch relevant: "Kunst bezieht sich als reines Spiel auf Erlösung", sie ist nur eschatologisch zu verstehen(2). Barth greift dann unter Bezug auf Jesaja 65,17 den mittelalterlichen Gedanken des Künstlers als einem zweiten Schöpfer auf: "Das wagt doch der Mensch in der Kunst: die gegenwärtige Wirklichkeit in ihrem schöpfungsmäßigen Das-Sein, aber auch in ihrem So-Sein als Welt des Sündenfalls und der Versöhnung nicht letztlich ernst zu nehmen, sondern neben sie eine zweite, als Gegenwart nur höchst paradoxer Weise mögliche Wirklichkeit zu schaffen, ohne von jener loszukommen" [440].

Kunst ist insofern ästhetische Kritik der Wirklichkeit, weil sie mit ihr spielt: "Sie läßt die Wirklichkeit in ihrem Das-Sein und So-sein nicht gelten als letztes Wort. Sie überbietet sie mit ihrem Wort. Sie meint es besser wissen und machen zu können" [441]. In der Kunst wird nach Karl Barth, "die Problematik der Gegenwart gerade darum und darin ernstgenommen, daß sie in ihrer Beschränktheit eingesehen, daß sie in der Aisthesis grundsätzlich überboten wird ... Das Wort und Gebot Gottes fordert Kunst". Kunst dient trotz ihres spielerischen Charakters nicht dem Genuß ("(k)ein Fakultativum für solche, denen es zufällig Spaß macht" [443]), sie ist unentbehrliche Kritik der Gegenwart und daher auch Aufgabe des Christen.

Insofern Barth die Kunst als differenzbildendes Moment gegenüber der Wirklichkeit hervorhebt, ist seine Beschreibung einem Modell der ästhetischen Kritik der nichtästhetischen Wirklichkeit verwandt. Barths Ansatz impliziert jedoch, daß er Kunst als prinzipiell aufzuheben begreifen muß, als Vorletztes, als Verheißung. Insofern setzt Barth "Sinn" dort voraus, wo er gerade noch die sinnkritische Aufgabe der Kunst betont hatte. Kunst ist sinnkritisch nur im Blick auf die Sinn-orientierte Selbstüberschätzung der Welt. Kunst ist für Barth daher ein unentbehrliches Zeichen auf die Zukunft, ein höchst bedeutsames Zeichen, aber auch nicht mehr als ein Zeichen. Daher begrenzt Barth die Kunst in einer Weise, die ihn von einem Modell einer ästhetischen Souveränität der Kunst(3) trennt. Denn die ästhetische Souveränität wird ja gerade dort zur Gefahr der nichtästhetischen Diskurse, wo das Ästhetische zur Haltung wird, ein Gedanke, den insbesondere Kierkegaard in seiner Abgrenzung des Ästhetischen vom Ethischen deutlich gemacht hatte.(4)

Genau an dieser Stelle setzt auch Barths theologischer Diskurs dem Ästhetischen eine Grenze: er sieht "die große Gefahr der ganzen ästhetischen Möglichkeit, daß ihr Charakter als der eines letzten Wortes, einer letzten und kühnsten Spitze menschlichen Tuns übersehen, daß mit ihrer Hilfe ein vermeintlicher Himmel auf der Erde errichtet wird, wo es sich doch auf der ganzen Linie nur um die Aufrichtung jenes Zeichens der Verheißung handeln könnte. Man kann vergessen, daß 'die Muse zu geleiten, doch nicht zu leiten versteht', man kann die Kunst zum konstitutiven Lebensprinzip erheben ... Hier stehen wir an der Wurzel der ... Zuschauerhaltung dem Leben gegenüber" [442]. Barths Einwand zielt offensichtlich auf das Programm eines selbstgenügsamen l'art pour l'art, eines sich selbst verabsolutierenden Ästhetizismus.

Jedoch kann dieses Argument in zwei Richtungen wirksam werden: einmal als Einwand dagegen, daß der ästhetische Diskurs die nichtästhetischen Diskurse substituieren will, daß er also aus seiner Geltungspartikularität gegenüber allen anderen Diskursen herausfällt und sich als lebensweltlicher Meta-Diskurs etabliert. In diesem Sinne kann Barths Kritik verstanden werden als zutreffende Kritik an der "moderne(n) Tendenz, die Lebenswelt selbst in der Unmittelbarkeit ihrer Vollzüge ästhetisch zu genießen", als Kritik des paradoxen Versuches, "den Alltag zum permanenten Fest zu machen".(5)

Barths Einwand kann aber auch als Versuch der grundsätzlichen Begrenzung des Ästhetischen verstanden werden, als Abweis der Souveränitätsansprüche des ästhetischen Diskurses auch noch auf den theologischen bzw. religiösen Diskurs(6). Wenn der Kunst die Orientierung an der Problematik des Gegenwärtigen als normative Vorgabe vorgegeben wird, ist dies nichts anders als die heteronome Begrenzung des einen Diskurses durch einen anderen, die die Bedingungen des Diskursgefüges der Moderne mißachtet. Es gibt aber Indizien im Text, die auf die erste Lesart deuten.

Auf jeden Fall aber gilt, daß wenn auch die Kultur unter dem eschatologischen Vorbehalt steht, nur begrenztes Menschenwerk zu sein(7), sie dennoch "die dem Menschen ursprünglich gegebene Verheißung dessen (ist), was er werden soll"(8).


Anmerkungen
  1. K. Barth, Ethik II. Vorlesung Münster Wintersemester 1928/29, wiederholt in Bonn, Wintersemester 1930/31 (Gesamtausgabe II. Akademische Werke 1928/29), hg. von D. Braun, Zürich 1978. Zur impliziten Analogie der Theologie der Krise beispielsweise mit dem Expressionismus vgl. P. Steinacker, Karl Barths "Römerbrief". Ein expressionistischer Schrei? Anstöße 34, 1987. S.12-22.
  2. "Aisthesis ist, wo sie wirklich stattfindet, Empfinden der wirklichen, der künftigen Wirklichkeit. Und Kunst ist Schaffen aus dieser Empfindung" [440].
  3. Vgl. etwa Christoph Menke: Die Souveränität der Kunst. Ästhetische Erfahrung nach Adorno und Derrida. Frankfurt 1991.
  4. Vgl. Verf., Die ästhetische Kritik der Ethik in Theodor W. Adornos "Minima Moralia", Marburg 1994.
  5. R. Bubner, "Ästhetisierung der Lebenswelt", Frankfurt 1989, S. 143 u. S. 152
  6. Deutlich wird die Absicherung des theologischen Diskurses gegenüber den ästhetischen Souveränitätsansprüchen z.B. in folgenden Satz K. Barths: "Der Zuschauer meint, sich der Entscheidung mit der Ruhe des vermeintlichen Künstlers entziehen zu können, weil er den Ort des Künstlers ... für einen möglichen Standpunkt hält, für einen Ort, von dem aus man nicht nur dichten, malen und musizieren, sondern überhaupt leben, auch in jeder anderen Beziehung leben, und z.B. Theologie treiben kann. Das geht eben nicht" [442].
  7. Vgl. R. Schaeffler, Was dürfen wir hoffen?, Darmstadt 1979, S. 55ff.
  8. K. Barth, "Die Kirche und die Kultur" in: ders., Die Theologie und die Kirche. Ges. Aufsätze, Bd. 2, München 1928, S. 368.

© Andreas Mertin, Hagen 1999

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