Der Verf. hat 1998 zusammen mit Eveline Valtink und Jörg Herrmann einen Sammelband vorgelegt, der vor allem eins versucht: Interdisziplinarität herzustellen.[1] Denn ob man heute noch einseitig aus theologischer Sicht auf die Kunst schauen kann, ist mehr als fraglich. So finden sich in diesem Band neben theologischen Perspektiven auch Stellungnahmen von Philosophen, Kulturredakteuren, Kunsthistorikern und Museumsvertretern. Als Fragestellungen des Buches werden benannt: "Worauf es nun ankommt, ist zum einen, sich die vormodernen Grundlagen der Entwicklung von Kunst und Religion bewußt zu machen, und zum anderen, an die differenzierten Überlegungen einzelner Autoren der Philosophie- und Theologiegeschichte zu den Konstitutionsbedingungen religiöser und ästhetischer Erfahrung anzuknüpfen und diese für die Gegenwart fruchtbar zu machen. Dabei kann es nicht darum gehen, den Differenzierungsgewinn, den der Prozeß der Moderne erbracht hat, rückgängig zu machen. Erst die Moderne hat zur Autonomie von Kunst und Religion geführt und damit die ästhetische Vielfalt der Gegenwart und die Intensivierung des religiösen Gefühls ermöglicht. Der erreichte Stand der Ausdifferenzierung legt es jedoch nahe, aus heutiger Sicht nach Verhältnisbestimmungen, Filiationen und Überschneidungsfeldern zu fragen: Wie sind die Differenzierungsprozesse verlaufen und zu welchen Konstellationen von religiösen und ästhetischen Erfahrungsformen haben sie im Kontext der Gegenwartskultur geführt? Lassen sich Kontinuitäten zwischen religiösen und ästhetischen Topoi beobachten und rekonstruieren? Wo hat sich Religion in Ästhetik verwandelt und welche Gewinne und Verluste bringen diese Transformationen mit sich? Was sind die Spezifika religiöser und ästhetischer Erfahrungen und wie können sich die beiden Erfahrungsformen ergänzen und bereichern?" Das Buch teilt sich in fünf Schwerpunkte: Die unter dem Stichwort Verhältnisse zusammengefaßten Aufsätze gehen der Beziehung von Kunst und Religion in der Moderne nach. Die unter der Überschrift Retro-Perspektiven versammelten Texte rekonstruieren die Geschichte ästhetischer Ideen in Religion, Ästhetik und Kunst. Das folgende Kapitel wirft drei Augenblicke auf die aktuelle Kunstszene. Wie Religion in der Reflexion, in der Lebenspraxis und in der Kunst realisiert werden kann, wird unter dem Stichwort Grenzerfahrungen verdeutlicht. Eine ästhetisch aufgeklärte Religionspraxis skizzieren die Beiträge des abschließenden Abschnitts Wahlverwandtschaften. Ich greife aus dem Buch zunächst einen Ansatz heraus, der sich mit anderen dort vertretenen berührt, und in klassischer Weise die Notwendigkeit interdisziplinären Arbeitens plausibel macht. Der Theologe Jörg Herrmann sucht einsichtig zu machen, daß das, was im Mittelalter noch als religiöse Erfahrung unter dem Begriff der Mystik beschrieben wurde, heute unter den Begriffen der Ästhetik Gestalt und Einsicht findet.[2] Ausgehend von der Beobachtung einer zunächst überraschend erscheinenden Renaissance des Mystischen nicht nur in der modernen Kunst der Gegenwart sucht Herrmann Motive des Ästhetischen in der Mystik des Dionysius Areopagita auf. Die "Topoi mystischer Erfahrung: Einheit, Reinigung, Gegenwart, Zweckfreiheit und Unsagbarkeit" findet Herrmann exemplarisch im ästhetischen Denken der Gegenwart aufgehoben. Wie der Blick auf das "ästhetische Denken" zeigt, spielen diese Begriffe in der heutigen Reflexion über ästhetische Prozesse eine zentrale Rolle. Zwar wäre die Behauptung einer Geburt der Ästhetik aus dem Geist der Mystik überzogen, weil dazu schon die griechische Ästhetik zu elaboriert war. Aber man wird der These Plausibilität zubilligen können, daß was einstmals mystische Erfahrung beschrieb, heute nach den Filiationen der Diskurse in der Moderne, als ästhetische Erfahrung beschrieben wird. Ging es Herrmann zunächst darum, aus ästhetischer Perspektive Elemente der alten Mystik als Vorformen moderner Ästhetik zu interpretieren, so wäre nun aufzuzeigen, daß eine derartige These nicht nur an spezifischen Äußerungen über Kunst und nicht nur an bestimmten Richtungen in der Kunst festgemacht werden kann, sondern die gesamte Kunst der Moderne oder doch wenigstens einen ihrer großen Stränge betrifft, daß es sich also nicht nur um Korrespondenzen, sondern um reale Zusammenhänge handelt. Es spricht einiges dafür, daß man das kann. Dann erst wäre die These in voller Stärke und letzter Konsequenz entfaltet. Herrmann kann mit seinen Überlegungen an den Philosophen Thomas Rentsch anknüpfen, welcher den Begriff der visio Dei beatifica als Vorgestalt moderner Bestimmungen ästhetischer Erfahrung bestimmt.[3] Ästhetische Erfahrung als Kontemplation auratischer Phänomene "postfiguriert die traditionelle eschatologische Glücksverheißung". Auch Rentsch sieht einer enge Beziehung zwischen der aktuellen Beschreibung ästhetischer Erfahrung (anhand der Begriffe: Totalität und Simultaneität, Nichtinstrumentalität, Singularität, kommunikative Selbsttransparenz, Genußqualität bzw. Glückscharakter) mit den traditionellen theologischen Begriffsbestimmungen von Erfahrung. Rentsch rekapituliert die für die Theologie- und Philosophiegeschichte zentrale Rede von der Schau Gottes, um vor diesem Hintergrund dann die eschatologische Ästhetik des Duns Scotus als präzise Präfiguration moderner Ästhetik und Umschlagspunkt von religiöser in ästhetische Erfahrung zu interpretieren. Rentschs vorsichtige Vermutung lautet, daß ein zentraler Grund für diese "Familienähnlichkeit" sein könnte, daß das Ästhetische noch keine eigene Sprache ausgebildet hat und sich daher alter Sprachgewänder bedient. Unbestreitbar sei aber die "Formgleichheit" der unterschiedlichen Erfahrungsbegriffe. Wie verschlungen die Wege der Beschreibung von religiöser und ästhetischer Erfahrung sind, wird vor allem durch den Text des Philosophen Ernst Müller deutlich, der anhand der Beschreibung des Erhabenen auf das nun schon fast luzide zu nennende Verhältnis zwischen der Kritik der Urteilskraft Immanuel Kants und den Reden über die Religion Friedrich Schleiermachers hinweist.[4] Die Geschichte der Kategorie des Erhabenen, so Müller, "erweist sich als Moment eines diese Kategorie übergreifenden Prozesses: die theoretische und praktische Aufhebung der Theologie in Ästhetik und Kunst wird konterkariert durch den umgekehrten Prozeß einer Ästhetisierung der Religion und Theologie". Schon in der Genese des modernen Religionsbegriffs erweist sich dessen Nähe zur Ästhetikdiskussion, etwa wenn Kant religiöse Gefühle als ästhetische zu verstehen und zu behandeln trachtet. "Kant versucht, die auf dem Gefühl beruhende Quelle der Religion in seinen Begriff des ästhetischen Gefühls zu integrieren, ohne dabei die Grenze zur Metaphysik oder Religion zu überschreiten". Er weist der Ästhetik Funktionen zu, die traditionell Metaphysik bzw. Religion hatten. Schleiermacher macht interessanterweise bei der Entwicklung des Religionsbegriffs wichtige Anleihen bei Kants Kritik der Urteilskraft, so daß man sagen kann, daß das, was bei Kant die Ästhetik leistet, bei Schleiermacher von der Religion erfüllt wird. Zugleich versteht Schleiermacher Religion konsequent autonom. In der Gegenwart ist es vor allem Lyotard, der an die Kantsche Diskussion des Erhabenen anknüpft. Bei Lyotard wird das Erhabene nun so verstanden, daß es einen Rest von Alterität bewahrt. In diesem Sinne sei es die Aufgabe aktueller Kunst, "sehen zu lassen, daß es Unsichtbares im Sichtbaren gibt". Alle drei Aufsätze[5] finde ich deshalb spannend, weil sie der Genese der Filiationen des Ästhetischen und des Religiösen nachgehen und deutlich machen, wie die inzwischen differenten Erfahrungsformen zu dem wurden, was sie heute sind. Manche Unsicherheit in der Unterscheidung von religiöser und ästhetischer Erfahrung rührt vermutlich auch daher, daß diese Entwicklungen immer noch unabgeschlossen sind, bzw. noch nicht ihre den Differenzierungen der Moderne entsprechende Ausdrucksform gefunden haben. Anmerkungen
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