Nach ihrer eigenen Positionsbestimmung "Auf der Suche nach der Wirklichkeit" haben Wolfgang Erich Müller und Jürgen Heumann 1998 einen Sammelband herausgegeben, der die Bandbreite theologischer Positionen zur Kunst aufzeigen soll.[1] Das ist insofern überraschend, als fast alle der dabei versammelten Positionen in ihrem zuvor veröffentlichten Buch noch unter das Verdikt "nicht mehr aktuell" gefallen waren, weil sie sich an der überholten Wahrheitsästhetik orientieren. Dennoch zeigt sich so ein bestimmtes Spektrum aktuellen theologischen Nachdenkens über Kunst. Dabei vermisse ich allerdings einige wichtige Positionen, etwa Eckhard Nordhofens höchst interessanten Hinweis auf die negative Theologie[2], Reinhard Hoeps Ansatz beim Ikonoklasmus,[3] Thomas Ernes "religiöse Erfahrung mit ästhetischer Erfahrung",[4] aber auch Wilhelm Gräbs ästhetische Verflüssigung starrer religionstheoretischer Ansätze.[5] Von konsequent differenztheologischen Ansätzen, wie sie in diesem Magazin vertreten werden, einmal ganz abgesehen. Aus den versammelten Positionen greife ich im Folgenden einige (protestantische) heraus: Inken Mädler, Albrecht Grözinger und Horst Schwebel. Inken Mädler möchte durch "eine adäquate Verhältnisbestimmung der beiden Bereiche Kunst und Religion in ihren Gemeinsamkeiten und Differenzen ... die theologische Urteilskraft in rebus aestheticis auf ein solides Fundament stellen".[6] Dazu verabschiedet sie zunächst einige ältere Modelle der Verhältnisbestimmung, die dieses durch die Christlichkeit des Kunstwerks oder die christliche Gesinnung des Künstlers begründet sehen. Kritisch erscheinen ihr auch jene Ansätze, die sich vornehmlich an der Rezeption orientieren. Ihren eigenen Ansatz entfaltet Mädler unter Rückgriff auf Überlegungen Friedrich Schleiermachers. Seine Unterscheidung von geselligem und religiösem Stil hält sie für wiederzuentdeckende Elemente des aktuellen theologischen Kunstdiskurses. Während der gesellige Stil auf Vielheit ziele, richte sich der religiöse auf Einheit. Meine schon früher an Rainer Volp geäußerte Kritik[7] gilt m.E. auch hier: daß der vorgenommenen Beschreibung des Verhältnisses von Kunst und Religion anhand des religiösen Stils eine Richtung auf Einheit zugrunde gelegt wird, die ich durch den Prozeß ästhetischer Erfahrung nicht gedeckt sehe.[8] Anders als Volp freilich beschreibt Mädler "Einheit" in einer Form, daß auch noch die Unabschließbarkeit ästhetischer Zeichenbildungsprozeße eingeschlossen ist. D.h. in ihrem Sinne ist Einheit das nie zu erreichende Ziel des ästhetischen Erfahrungsprozesses. Dennoch will mir angesichts meiner eigenen Kunsterfahrung die Plausibilität der Argumentation nicht einleuchten. Mir bilden sich bei der ästhetischen Erfahrung von Kunstwerken wie dem "Kreuz im Gebirge" Caspar David Friedrichs keine semantischen Ketten wie "Wanderung im Nebel - Gipfelkreuz - Kreuzigungsbild - Kreuzigung Christi - Erlösung ...". Damit will ich nicht sagen, daß ich derlei Assoziationsketten nicht verwenden würde, ich würde sie nur nicht als ästhetisch generierte bezeichnen. Sie sind ausschließlich religiöse/semantische Applikationen und haben mit dem Kunstcharakter des betrachteten Werks wenig zu tun. Der Schlußaufforderung von Inken Mädler, jeder möge "mit den eigenen Sinnen und am eigenen Leib überprüfen, was aktuell ästhetische Erfahrung ausmacht und wo ihre Grenzen zur religiösen Erfahrung sind"[9], kann ich allerdings nur zustimmen. Albrecht Grözinger geht der Frage nach, ob es heutzutage noch so etwas wie eine theologische Ästhetik geben könne.[10] Dazu charakterisiert er zunächst verschiedene Begründungsansätze, wie etwa die metaphysisch begründete Ontologie, die Grözinger als eine Form der Vergangenheit ansieht.[11] Anders steht es mit der "theologischen Ästhetik als Lehre von der Darstellung religiöser Erfahrung", die er vor allem von Wilhelm Gräb vertreten sieht. Hier sieht Grözinger vor allem die Gefahr einer derartig flexiblen Beschreibung des Religiösen, daß dieses zu umstandslos mit dem Ästhetischen kompatibel wird. Ich denke allerdings, daß Gräbs "Thesen zum Verhältnis von ästhetischer und religiöser Erfahrung"[12] hier einige Präzisierungen schaffen, die vor allem die Differenzen zwischen ästhetischer und religiöser Erfahrung stärker beleuchten. Als drittes Modell theologischer Ästhetik beschreibt Grözinger die immer noch beliebte und vielen die Autonomie der Kunst angeblich respektierenden Ansätzen dennoch zugrunde liegende Bevorzugung der Ikonografie der Kunst. Kritisch sei hier vor allem ihr instrumentelles Interesse an einer aufzeigbaren Nähe von Kunst und Kirche. Sein eigenes Modell der theologischen Ästhetik bezeichnet Grözinger als das der Konstellation (im postmodernen Pluralismus): die Anerkenntnis der unwiderrufbaren Pluralität divergenter Wahrheitsansprüche. Theologische Ästhetik müsse sich daher vorbehaltlos auf die kulturell-ästhetischen Erscheinungsformen unserer Gegenwart einlassen. Anderseits dürfe sie sich auch nicht als konturlos im postmodernen Diskursstreit erweisen. Sie sei notwendig positionell und trage die "Gottesgeschichte" in den postmodernen Pluralismus ein. Mein Einwand besteht vor allem darin, daß man stärker darüber nachdenken müßte, wie der "Widerstreit" zwischen religiöser und ästhetischer Erfahrung, religiösen und ästhetischen Wahrheitsansprüchen, der ja in uns tobt, im Subjekt zum Austrag kommt. Es ist ja eben nicht so, daß der Einzelne mit einer bestimmten religiösen Prägung einen bestimmten kulturellen Raum betritt (es wäre schön, wenn man das alles so trennen könnte), vielmehr findet das alles simultan statt und muß vom Subjekt permanent ausgetragen, das heißt entschieden werden: der Widerstreit wird je so oder so befriedet - in der Aktualisierung ästhetischer Erfahrungsprozessualität oder in der Vergegenwärtigung der "Gottesgeschichte". Aber wie das geschieht, unter welchen Gesichtspunkt wir welche Erfahrung machen und welcher Dynamik das in der Moderne respektive der Postmoderne unterliegt - das ist die entscheidende Frage.[13] Zudem finde ich auch hier das "Souveränitätspotential" der Kunst noch nicht ausreichend bedacht: was ist, wenn die Gottesgeschichte ästhetisch relativiert wird?[14] Horst Schwebel geht in seinem Aufsatz der Balance der "Kunst zwischen Programm und schöpferischen Prozeß" nach.[15] Sein Einsatz ist dabei von einer (schon im Titel zum Ausdruck kommenden) merkwürdigen Ambivalenz gekennzeichnet, denn er verengt von vorneherein die Fragestellung auf die Aufstellung von Kunstwerken im Gottesdienstraum. Und hier folgt dann in entschiedenes Ja - aber. Ja zur Autonomie, aber nur unter Einschränkungen. Ja zur Freiheit der Kunst, aber nur wenn sie paßt.[16] Erörtert wird dann ausführlich die Gestaltwerdung der christlichen Kirche ohne das dabei ersichtlich würde, warum dies zur Rahmung der Frage nach der Autonomie der Kunst notwendig wäre. Es sei denn, implizit würde weiter an dem Gedanken festgehalten werden, daß Kunst in der Kirche weiterhin Religion (in welcher Form auch immer) darzustellen habe.[17] Abschließend plädiert Schwebel für einen zweiten Diskurs. Sein Vorschlag: zunächst solle man sich der ästhetischen Erfahrung aussetzen und sekundär dann nicht-ästhetisch darüber entscheiden, wie man in der Kirche mit dem Erfahrenen umgeht. Und auf diese Weise kommen dann alle Filter nachträglich wieder zum Einsatz, die ansonsten als heteronome Bestimmungen der Kunst hätten gewertet werden müssen: die Kunst der Transzendenz, die Engel, der Gekreuzigte, das Abendmahl, die Apokalypse in der Kunst usw. usf. Offensichtlich ist die Vorstellung, daß all dies überhaupt nicht notwendig ist, um Kunst als Gast in der Kirche willkommen zu heißen, so abwegig, daß sie gar nicht erst zum Zuge kommen kann. Und doch bleibt die Frage unbeantwortet, was wir denn gewinnen, wenn Künstler das Abendmahl oder die Apokalypse thematisieren? Wird die christliche Religion damit glaubhafter, gewinnt der Glaube dadurch an Gestalt? Und kann der Glaube mit anderen Wrken nichts anfangen? Faktisch wird so die ästhetische Erfahrung als eigenständige Erfahrungsarbeit des Menschen im kulturellen Bedeutungsgewebe nicht nur nicht ernst genommen, sondern sogar abgewertet. Abschließend wird man feststellen müssen, daß die Kunst-Positionen nur das bieten, was sie auch versprechen: fixierte Positionen ohne erkennbare Aufbrüche und Innovationen. Querdenken, der Blick auf die akademischen Nachbardisziplinen, das Gespräch mit der neuesten Kunst - Fehlanzeige. All das, was die Faszination des Nachdenkens über aktuelle ästhetische Entwicklungen ausmacht, bleibt ausgeblendet. Nirgendwo die Bereitschaft zum Risiko, zum Scheitern und zum Experiment. Statt dessen kommen einige Positionen sogar ganz ohne Kunst aus und beziehen sich ausschließlich auf diverse Äußerungen von Kollegen. Insofern ist das Buch tatsächlich ein Spiegelbild des akademischen theologischen Diskurses über Kunst. Anmerkungen
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