1996 haben Jürgen Heumann und Wolfgang Erich Müller Betrachtungen über die "(Un-) Möglichkeit einer theologischen Interpretation der Kunst" vorgelegt.(1) Ansatzpunkt ist das Bestreben, die Reflexion über Kunst im Rahmen der theologischen Disziplinen zu verorten. In Abgrenzung klassischer Bestimmungen möchten die beiden Autoren unter Rückgriff auf semiotische Einsichten die Theoriebildung im Bereich von Kunst und Religion vorantreiben. Als Bewährungsfeld ihres Ansatzes sehen sie dabei die Alltagskultur, in der sich spezifische Beziehungen von Kunst und Religion beobachten lassen.(2) Im ersten Schritt geht es in der Auseinandersetzung mit dem wahrheitsästhetischen Ansatz von Hans Jonas(3) darum, die Tragfähigkeit einer derartigen Herangehensweise zu überprüfen. Nun ist das Wahrheitsparadigma in der Kunst seit mehr als 25 Jahren fraglich, nachdem Rüdiger Bubner mit Bezug auf Kant überzeugend daran Kritik geübt hatte.(4) Und so läßt sich auch bei Jonas nichts Plausibleres finden, was dieses Urteil in Frage stellen würde. Konsequenterweise versuchen sich die Autoren daher im Folgenden am Theorem des "Offenen Kunstwerks" von Umberto Eco zu orientieren. Dazu müßte allerdings ausführlich der zugrundeliegende und im 20. Jahrhundert ja keinesfalls mehr eindeutige Werkbegriff geklärt werden. Daß dies - trotz des erhellenden Bezugs auf Erich Franz Ausstellung "Das offene Bild"(5) - unterlassen wird, ist eine der Schwächen des Buches. Hier könnte man an jungen kunstphilosophischen Positionen wie denen Thomas Lehnerers(6) oder Christoph Menkes(7) wesentlich mehr lernen. Als Bezugsgrößen der vorzunehmenden Konstellation von Kunst und Religion werden dann Immanuel Kant (im Blick auf die Subjektivierung des Kunsturteils)(8), Nelson Goodmann und vor allem Oliver R. Scholz (im Blick auf den zeichentheoretischen Zugang) dargestellt. Gerade bezüglich der Zeichentheorie wäre mir dann aber auch - insbesondere wegen der permanenten theologischen Aneignungsversuche von Kunst - ein Blick auf die "Selbstsubversion der Signifikantenbildung" im Rahmen der prozessualen ästhetischen Erfahrung notwendig erschienen, die letztlich, wie Christoph Menke herausgearbeitet hat, zur Gefährdung der traditionellen (somit auch der theologischen) Diskurse führen kann.(9) Die Erfahrung der Kunstwerke geschieht ja nicht nur vielfältig und different, sondern höchst gefährlich im Blick auf die automatischen Verstehensvollzüge des Alltags. Von dieser Seite der zeitgenössischen Kunst, die sich deutlich von ihrer freundlichen Lesart als Lebensdeutung und Wirklichkeitsdarstellung unterscheidet, hätte ich gerne mehr gehört. Bei der im dritten Kapitel vorgenommenen Charakteristik der protestantischen Positionen zur Kunst werden - ein wenig kurzatmig - zahlreiche unterschiedliche Ansätze vorgestellt (Althaus, Barth, Fritsche, Pannenberg, Ebeling, Tillich, Brunner, Thielicke, Trillhaas, Bahr, Lüthi, Volp, Schwebel, Bohren, Müller, Jüngel, Grözinger, Zeindler)(10), um zu dem abschließenden Urteil zu gelangen, daß alle Ansätze in irgendeiner Form der (vorher schon verabschiedeten) Wahrheitsästhetik verpflichtet seien. Die Position Karls Barths wird dabei in einer Weise dargestellt, die nur noch unreflektiert genannt werden kann. Barths dezidiert die Autonomie der Kunst aufgreifende Position wird nicht einmal in Ansätzen wahrgenommen. Den Autoren reicht ein kritischer Hinweis auf zwei Seiten der Kirchlichen Dogmatik, um Karl Barth zu "erledigen". So einfach geht es nun doch nicht. Man wird Barth vielleicht jenen Theologen des 20. Jahrhunderts nennen können, der als erster und am entschiedensten den Eigenwert der Kunst hervorgehoben hat. Da Barth nach dem 2. Weltkrieg erklärt hat, seine dementsprechenden Äußerungen in den Vorlesungen zur Ethik seien das Entscheidende, was er zu diesem Thema beizutragen habe, ist es nicht zuviel verlangt, auch in einer Darstellung dogmatischer Positionen aus der 2. Hälfte dieses Jahrhunderts auf Barths einschlägige Bestimmungen aus den Jahren 1928/29 einzugehen.(11) (Kunst als kritisches Spiel. Karl Barths Äußerungen zur Kunst) Streckenweise wirken die Darstellungen der unterschiedlichen Positionen so, als ob man sich von vorneherein auf ihre Unergiebigkeit festgelegt hätte. Es wird gar nicht erst der Versuch gemacht, ihre Stärken und Interpretationspotentiale herauszuarbeiten.(14) Jeder Ansatz wird zudem (mißverständlich) so dargestellt, als ob er exklusiv einen theologischen Zugang zur Kunst vertreten würde, der andere Zugangsweisen ausschließt. Das ist aber nicht notwendig der Fall, hier sind einige der dargestellten Ansätze wesentlich offener. Daß alle positiv der Kunst gegenüberstehenden Ansätze die Kunst als den Ort verstehen, an dem eine religiöse Wahrheit hervortritt, wird von einigen der vorgestellten Autoren expressiv verbis bestritten, kann also nur entgegen deren Selbstverständnis (und entgegen ihrer eigenen Lesart) behauptet werden.(15) Im vierten Kapitel werden im Anschluß an Ernst Cassirer und Heinrich Scholz "Kunst und Religion als Indikatoren für Wirklichkeit" vorgestellt. Dabei wird das zugrundeliegende Kulturmodell kaum deutlich. Was macht die Autoren so sicher, daß in der Kultur die einzelnen Bereiche wirklich derartig miteinander verbunden sind, daß sie aufeinander bezogen werden können? Gegenüber den verführerischen Bildern eines gesamtkulturellen Zusammenhangs ließen sich ja alternativ andere Bilder beschreiben, wie etwa das des Polypen, das Clifford Geertz für kulturelle Zusammenhänge gebraucht hat: "Das angemessene Bild einer kulturellen Organisation kann, sofern überhaupt eines nötig ist, weder das eines Spinnennetzes noch das eines Sandhaufens sein. Vielleicht könnte man sie mit einem Polypen vergleichen, dessen Arme weitgehend eigenständig funktionieren, untereinander und mit dem, was beim Polypen als Gehirn gilt, nervenmäßig nur wenig verbunden sind, und der es dennoch zuwege bringt, als lebensfähiges, wenn auch recht ungeschicktes Wesen zurechtzukommen und sich - zumindest für eine Weile - zu erhalten."(16) Wenn dieses Bild zutrifft, dann beschreibt es zutreffend die immer wieder zu machende Erfahrung, daß auf der Ebene der kulturellen Selbstorganisation die Polypenarme "Religion" und "Kunst" derartig different reagieren, daß kaum noch Verbindungslinien wahrzunehmen sind. Es macht auch deutlich, warum theologische Interpretamente nur losgelöst vom ästhetischen Erfahrungszusammenhang eingebracht werden können. Die Art und Weise, wie die Autoren von der "Aussage des Bildes selbst" [111] sprechen, läßt vermuten, daß sie noch bestimmten Darstellungsästhetiken verbunden sind. "Wovon sprechen wir, wenn wir von der 'Aussage' eines Bildes sprechen? Wissen wir, was wir sagen, oder tappen wir in die Fallen unserer eigenen Metaphorik, in der wir 'lesen' statt 'sehen' brauchen, von der Sprache des Bildes oder der Sprache seiner Farben reden, vom Text des Bildes, von unserer Lektüre? Gehört nicht auch die Berufung auf Analogien zwischen literarischen Werken und Werken der bildenden Kunst zu diesem metaphorischen Gespinst? ... Solange wir der Metaphorik von Sehen als Lesen, von Bildern als Texten nachhängen, haben wir diese Aufgabe noch nicht geleistet. Wenn wir von 'lesen' und 'Text' sprechen, haben wir die Unterordnung des Bildes unter die Sprache anerkannt und versuchen, sie mit Metaphern zu korrigieren ... Das Wahrnehmen unseres eigenen Gefangenseins inmitten von Wörtern scheint mir die Voraussetzung für die Veränderung unseres eingeübten Verhaltens zu sein und damit die Voraussetzung dafür, daß wir die vom Bild selbst geleistete Befreiung von der Sprache überhaupt 'sehen' können und zum Gegenstand einer Untersuchung machen können ... Sicher ist die Relation von Sprache und Bild nicht eine historische Konstante. Es scheint mir aber wichtig, die Relationen mit einem Ansatz zu untersuchen, der nicht einfach den gegebenen Primat der Sprache und der Texte wiederholt und die dichte Decke von Sprache über den Bildern noch verstärkt ... Sehen lernen ist ein kritischer Prozeß, der sich sowohl gegen die Verdeckungen richtet, unter denen die Bilder stehen, wie gegen die Verdeckungen, unter denen wir selbst stehen."(17) Eines der zentralen Probleme des Buches ist, daß wird an dieser Stelle besonders deutlich, daß es den Diskurs von der Ebene des Sprechens aus ästhetischer Erfahrung auf die Ebene des Sprechens über ästhetische Erfahrung verlagert. So gut wie nichts von dem, was Heumann/Müller vortragen, ist aus ästhetischer Erfahrung gedeckt, alles wird nur plausibel, wenn man aus der Prozessualität ästhetischer Erfahrung ausgestiegen ist und sie retrospektiv zu anderen Diskursformen in Beziehung setzt. Die als Beispiel herangezogene Ausstellung post human hat daher für die Autoren die gleiche Funktion, die etwa die abstrakte Kunst für die Kunsttheologie Horst Schwebels hat: sie wird zur Darstellung von etwas. Bevorzugt wurde sie offensichtlich, weil ihr kulturethische Inhalte vorab eingeschrieben waren. Erhoben werden Aussagen über gesellschaftliche Fragen, die den dargestellten Inhalten und nicht der Darstellungsform entnommen sind. Und wo die Form schließlich doch in den Blick gerät, wird sie als Metapher für gesellschaftliche Prozesse gedeutet. Die Zerrissenheit der gesellschaftlichen Wirklichkeit wird vorab gewußt, bevor sie an Arbeiten von Robert Gober oder George Lappas exemplifiziert wird. Die Autoren meinen zeigen zu können, "daß eine theologische Kulturethik auf eine derart gezeichnete Wirklichkeit antworten (sic!) kann" [113]. Das klingt nun altvertraut nach Tillichs kultur-theologischem Frage-und-Antwort-Spiel. Bei einer Ausstellung von Werken von Ellsworth Kelly wäre dieses Spiel unendlich viel schwieriger und verkrampfter. Problematisch erscheinen schließlich auch objektivierende Reden wie: "ob es sich um ein ästhetisch wertvolles oder minderwertiges Werk handelt, kann allein (sic!) auf kunstwissenschaftlichem Wege entschieden werden" [114]. Soweit kommt es noch. So als ob der Wert eines Kunstwerks heute noch objektiv entschieden werden könnte. Dagegen ist daran festzuhalten, "daß es heute keinen Maßstab und keine Bestimmung mehr gibt, an dem sich objektiv erkennen ließe, was 'Kunst', geschweige denn was 'gute' Kunst ist."(18) Da sich "die Wirklichkeit" in der zeitgenössischen Kunst nur interpretativ, d.h. die ästhetische Erfahrung begrenzend erschließt, greifen die Autoren im fünften Kapitel lieber auf Graffiti, Kitsch und Trivialität zurück und suchen so die Konstellation von Kunst und Religion zu rekonstruieren.(19) Es bleibt aber unter dem Strich auch hier nur die Erkenntnis, daß kulturelle Produkte als Sichtweisen der Wirklichkeit gedeutet werden können, die man theologisch bearbeiten kann. Das ist entweder trivial, insofern der Theologie bzw. Religion natürlich alle menschlichen Ausdrucks- und Erfahrungsweisen zum Thema werden können, oder es ist problematisch, insofern es unterstellt, der "Sinn" kultureller Produkte sei es, Sichtweisen auf die Wirklichkeit zu produzieren. Davon würde ich nicht ausgehen, hier scheint mir vielmehr der negativitätsästhetische Einwand, daß die Kunst Sichtweisen der Wirklichkeit nun gerade unterminiert, treffender zu sein. Man wird den Beitrag des Buches zur Debatte von Kunst und Religion sicher im Hinweis auf die Notwendigkeit eines zeichentheoretischen Zugangs sehen können. Freilich ist dieser Ansatz in der philosophisch-ästhetischen Debatte schon längst viel weiter vorangetrieben worden. Anmerkungen
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