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Magazin für Theologie und Ästhetik


Editorial


"Das katoptrische Universum ist eine Realität,
die den Eindruck der Virtualität wecken kann"
Umberto Eco

Liebe Leserinnen und Leser,

das katoptrische Magazin für Theologie und Ästhetik widmet sich diesmal dem Thema "Virtuelle Religion. Theologie ohne Netz und Boden". "Virtuelle Religion? Ist das nicht ein Pleonasmus?" fragte jemand, als ich ihm von der Thematik des anstehenden Heftes berichtete. Von daher müßte der Titel des vorliegenden Heftes vermutlich präziser "Religion in der virtuellen Welt" lauten.

  • Überlegungen zur Theologie der Telepräsenz hat Hartmut Böhme vor einiger Zeit vorgestellt und auf die untergründigen religiösen Motive der Technikentwicklung hingewiesen. Die "religiösen Kräfte flottieren, switchen und shiften, zucken und wuchern durch die Systemebenen moderner und postmoderner Gesellschaften, sie bilden keine Diskursordnungen, sondern - mit Michel Foucault zu sprechen - den murmelnden, bebenden Sockel der dem Scheine nach religionsfreien Diskurse und wissenschaftlichen Entwicklungen. Man könnte dies die Religionsform nach dem Todes Gottes nennen." Auf Hartmut Böhmes Überlegungen zu den theologischen Implikationen von Cyberspace - die online bereits greifbar sind - sei an dieser Stelle ausdrücklich hingewiesen. ( http://www.culture.hu-berlin.de/HB/texte/telepraes.html )
  • In einem virtuosen Kunstvideo von Rotraud Pape hat sich der Kunsthistoriker Bazon Brock vor einigen Jahren zum Thema "Real Virtuality" geäußert und Religion darin allgemein als den Versuch der Realisierung von Virtualität bezeichnet. Tatsächlich kann man Religion als den Versuch verstehen, Virtualität real werden, sie Gestalt annehmen zu lassen. Keine Religion geht in der Realität auf oder reduziert sich auf das, "was der Fall ist". Das gilt nicht nur für Engel, Chaosmächte oder Dämonen, sondern auch für weitergehende religiöse Vorstellungen wie die Erkenntnis von Gut und Böse, das ewige Leben, die Erlösung oder auch die Deutung des eigenen Lebens. Alle Religion ist und handelt von Real Virtuality.

Und doch konzentriert sich das vorliegende Heft zunächst und vor allem auf das Thema Religion / Theologie / Kirche in der virtuellen Welt. Allgemein ist in den letzten Jahren ein deutlicher Aufbruch der Theologie und der Kirche ins Netz festzustellen. An vielen Stellen wird eifrig an neuen Auftritten bis hin zu religiösen / kirchlichen Portalen gebastelt. Die Zahl der theologischen Online-Magazine steigt. Entsprechend der allgemeinen kommerziell-professionellen Entwicklung des Netzes scheint auch im kirchlichen Bereich demonstrative Professionalisierung angesagt. Aber es ist auch Skepsis angebracht, denn hier reproduziert sich die Ambivalenz, die auch die Situation der Kirche in der Gegenwart charakterisiert: ein Changieren zwischen Marketing und Open Sources.

Der Beitrag von Jörg Herrmann und Andreas Mertin, im Kontext einer kulturtheologischen Debatte über Religion in der Alltagskultur entstanden, skizziert - jenseits der praktisch-theologischen Handlungsfelder - die Herausforderung, die das Internet für Theologie und Kirche insgesamt bedeuten könnte. Die Autoren plädieren dafür, dass die Kirche das Netz weniger als Ort der Mission und Beeinflussung, als vielmehr als Ort der Wahrnehmung religiöser Selbstartikulation und Pluriformität versteht.

Markus Eisele und Mika Herold stellen in ihren Überlegungen zur relationalen Ontologie des Internets und seiner Bedeutung für die Kirche die These auf, dass die "Online-Kommunikation nach einer Zeit der Gewöhnung zwangsläufig zu einer Re-Intensivierung personaler Beziehungen zwischen Menschen (führt). Auf diese Veränderung müssen Kirchen und Christen adäquat reagieren." Das Internet wird so zu einem "wichtigen Handlungsfeld der Kirche"

Sabine Bobert-Stützel wendet sich mit zwei Aufsätzen konkret zwei pastoraltheologischen Handlungsfeldern zu: der Seelsorge und der Predigt im Internet. Wie kann Seelsorge im Internet funktionieren und wie funktioniert sie dort schon? Welche "Reflexionsaufgaben für eine Seelsorge-Theologie des Internet" stehen noch an? Und wie könnte eine "Homiletik der Simulationskultur" jenseits der Reproduktion des Bestehenden aussehen?

Anna Teicherts Beitrag ist einerseits ein Nachtrag zur Thematik des letzten Heftes "Populäre Kultur und Religion" und paßt doch sehr gut in dieses Heft, behandelt sie doch die neuen Götter der Telekommunikation in ihrer alltagskulturellen Erscheinungsform: dem Handy. Die Ethik der Kommunikation ist zur Zeit, wie auch andere Äußerungen zeigen, außer Kontrolle geraten.

Rezensionen und Recherchen zur Thematik des Heftes finden sich zudem in den Spalten Reviews und Marginalien.

Die Spotlights stellen wie gewohnt aktuelle Kinofilme (Karsten Visarius) und Videoclips (Andreas Mertin) vor. 


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