WeltkulturerbeZur Kritik der neuen Denkschrift von EKD und VEFAndreas Mertin |
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Evangelisches Nachdenken über KulturZur Erinnerung: Im Herbst 1999 veröffentlichten EKD und VEF ihr Impulspapier "Gestaltung und Kritik. Zum Verhältnis von Protestantismus und Kultur im neuen Jahrhundert". Dieses Papier war nicht nur im Magazin für Theologie und Ästhetik auf entschiedenen Protest gestoßen. [Vgl. dazu Heft 4]. Kernvorwürfe waren seinerzeit, dass das Papier den Protestantismus in seiner ganzen Breite nicht repräsentiere und bestimmte theologische Richtungen aggressiv ausgrenze, dass es zentrale Begegnungsfelder von Kultur und Christentum vernachlässige, dass es sich über den Stellenwert des Christentums in der zeitgenössischen Kultur nicht im Klaren sei, dass es von einem apologetischen Grundzug getragen sei und noch vieles mehr. Begrüßt wurde allein die Tatsache, dass die Evangelischen Kirchen sich explizit mit Kultur zu beschäftigen vorgenommen hatten. Nun ist Anfang September 2002 die aus dem Konsultationsprozess erwachsene Denkschrift "Räume der Begegnung. Religion und Kultur in evangelischer Perspektive" erschienen. Um es vorweg zu sagen: Die neue Denkschrift unterscheidet sich wohltuend in Ton und Diktion, aber auch in der inhaltlichen Füllung vom vorhergehenden Impulspapier. War dieses in seiner aggressiv ausgrenzenden Art nur schwer erträglich und vermochte es kaum Perspektiven für das Gespräch von Kirche und Kultur zu bieten, gilt dies für die Denkschrift nicht. Sie bietet ein solides Fundament für die (allerdings auch unentbehrliche) Fortschreibung und Weiterarbeit. Die Gewichte der Argumentation sind mit Gewinn verlagert worden, die Wortwahl ist besonnen und sachangemessen. Die Denkschrift im EinzelnenWer die Denkschrift aufblättert, stößt - neben einer kurzen Einleitung - auf drei grundlegende Kapitel[1], die in insgesamt elf Abschnitten ausgeführt werden: I. Religion als Kultur - Religion ist mehr als Kultur Auf den ersten Blick etwas irritierend ist die sprachliche Gestaltung dieser Gliederung. Während die Überschriften zur Religion und zur Kirche positiv formuliert sind, ist die zur Kultur eingrenzend. Ist das Zufall? Die im Abschnitt dann hervorgehobene positive Pluralität der Kulturen hätte auch die Textüberschrift zieren können. I - Religion als Kultur - Religion ist mehr als KulturDie Denkschrift setzt ein mit der Vermutung, dass das Nachdenken über Kultur sich an der gesteigerten Wahrnehmung von Differenz entzündet. Erst wenn kulturelles Geschehen nicht mehr selbstverständlich ist, beginnt der Reflexionsprozess. Dieser macht sich zum einen an den kulturellen Modernisierungsbewegungen fest, zum anderen an der kulturellen Globalisierung.[2] Ob aber Fremdheit im Eigenen und Befremdung von außen dabei tatsächlich die initiierenden Momente kulturelle Reflexion darstellen, darüber müsste man lange diskutieren.[3] Die Denkschrift verweist darüber hinaus darauf, dass man von einer fast schon zyklischen Wiederholung religiöser Kulturdebatten sprechen könne: so seien ähnliche Erörterungen schon um 1800 und um 1900 vorgenommen worden, in deren Verlauf sich das Bewußtsein vom kulturellen Eigensinn der Religion (gegenüber Moral, Recht, Wirtschaft, Politik oder Kunst) geschärft habe. Dabei unterliege die Religion im Lauf der Entwicklung der Moderne einem Prozeß des Verlusts an Selbstverständlichkeit und damit der Relativierung.[4] Damit schreibt die Denkschrift das Verhältnis von Protestantismus und Kultur am Anfang des 21. Jahrhunderts als das einer Krise fest.[5] Löst man sich aber vom dominierenden ökonomischen und gesellschaftspolitischen Machtparadigma, dann erscheint der Protestantismus heutzutage in einer derart erfrischenden pluralistischen Vielfalt und Breite, dass man gegenüber den allzu häufigen ethischen Verengungen der Vergangenheit nur erfreut sein kann. Protestantismus am Beginn des 20. Jahrhunderts ist ja keinesfalls gestalt- und gesichtslos, sondern ausdrucksreich und kulturell ambitioniert. Die Denkschrift beschreibt dann drei grundlegende Modelle des Verhältnisses von Religion und Kultur, die in den Reaktionen auf das Impulspapier deutlich geworden seien: Kulturgeschichte des Christentums - Religion in der Kultur - Protestantische Kulturhermeneutik. Erstens könne das Verhältnis von Religion und Kultur unter dem Aspekt betrachtet werden, welchen Beitrag der Protestantismus zur Genese der Moderne geleistet habe und wie er deren Impulse dann verfehlt habe. Zum zweiten kann man die aktuelle Kultur auf ihre religiösen Dimensionen befragen. Und drittens könne und müsse die Kultur in protestantischer Perspektive betrachtet werden, also eine protestantische Kulturhermeneutik entwickelt werden. Die so skizzierten Modelle sind natürlich einander ergänzende und nicht einander ausschließende Modelle. Interessanterweise konkretisiert die Denkschrift diese Bestimmungen dann aber als kulturelle Selbstexplikation des Christentums und gerade nicht als Kulturhermeneutik. In dieser Perspektive ergibt sich dann "der Auftrag zur bewussten und selbstbewussten Gestaltung von Kultur".[6] II - Kultur gibt es nur in KulturenDer Abschnitt zur Kultur verweist zunächst auf die Schwierigkeit, den Begriff der Kultur präzis zu bestimmen und warnt zugleich vor bestimmten Verengungen: Das ist zum einen die Verengung auf die Hochkultur, zum zweiten auf die Kulturkritik und schließlich auf die Nationalkultur. Alle drei Verengungen verlieren bestimmte Perspektiven heutiger Kultur aus den Augen: die Alltagskultur, den Reichtum heutiger Kultur und den kulturellen Reichtum des noch Unvertrauten. Protestantismus, so die Denkschrift, ordnet die kulturelle Individualität des Menschen nicht seiner Sozialität unter. Kultur im Sinne von "Selbstthematisierungen von Menschen in ihrer Welt" ereignet sich daher in einer bunten Pluralität, die nicht verkürzt werden darf. Festhalten möchte die Denkschrift aber daran, dass Religion mehr ist als Kultur, genauer: "Gott erschöpft sich in keiner denkbaren kulturellen Ausdrucksweise". Das aber, so ist festzuhalten, ist selbst wiederum "nur" eine kulturelle Ausdrucksweise. Sie verflüssigt den religiös-kulturellen Ausdruck und die religiöse Erfahrung, macht aber Religion eben nicht zum kulturüberschreitenden Phänomen, denn Analoges ließe sich auch für den künstlerisch-kulturellen Ausdruck sagen.[7] Die Denkschrift zieht nun die - etwas ambivalent formulierte[8] - Schlussfolgerung: "Dies sollte uns in weit stärkerem Maße als bislang motivieren, die Entwicklung kultureller Formen in allen ihren Spielarten genau zu beobachten. Wir müssen den Ausdrucksweisen unseres Bekenntnisses mehr Aufmerksamkeit schenken, um innerhalb und außerhalb unserer Kirchen verständlich und anziehend zu sein. Das setzt in unseren Kirchen die Bereitschaft zur Auseinandersetzung mit alltags- wie hochkulturellen Entwicklungen voraus. Wir müssen insbesondere den Dialog mit Künstlerinnen und Künstlern suchen. Von einem Dialog aber kann ernstlich nur dann die Rede sein, wenn die Gesprächspartner in ihrer Eigenständigkeit anerkannt werden. Kunst muss nach ästhetischen Maßstäben beurteilt werden, auch dann, wenn sie Glaubensinhalte zum Gegenstand hat. Welche ästhetischen Formen welche Glaubensinhalte angemessen gestalten, entzieht sich der rein theologischen Beurteilung und kann nur in der Kooperation mit Künstlerinnen und Künstlern erarbeitet werden." [S. 35] Problematisch ist die verwirrende Begriffswahl im Folgenden, die immer wieder zu Verunklärung beiträgt und eher von mangelnder Problemdurchdringung zeugt. Das gilt etwa, wenn der Text zwischen den Begriffen Kultur und Kunst hin und her schwankt.[9] An anderer Stelle wird von alltags- und hochkulturellen Entwicklungen gesprochen - als ob nicht hochkulturelle Phänomene durchaus alltagskulturelle sein könnten.[10] Hier ist immer noch eine Gegenüberstellung tragend, die sich von der von Pierre Bourdieu kritisierten Elitenkultur her definiert.[11] Die Gleichsetzung oder auch Annäherung von Trivialkultur und Populärkultur ist meines Erachtens der Sache nach verfehlt. Es ist das Eigentümliche der (noch gar nicht so alten) Populärkultur, dass sie das Schema der Gegenüberstellung von Trivialkultur und Hochkultur immer wieder sprengt. Trivialkultur kann niemals Hochkultur sein, Populärkultur durchaus, wie viele Phänomene der letzten Jahrzehnte zeigen.[12] Die Analyse und implizite Apologie des Trivialen, die die Denkschrift im Folgenden - offensichtlich unter Aufnahme von Erkenntnissen der angelsächsischen Cultural Studies - durchführt, geht aber nun meines Erachtens entscheidend an der Sache vorbei. Während die produktive Auseinandersetzung mit der Populärkultur dringend geboten ist, ist das Triviale zwar der Be(tr)achtung, aber nicht notwendig einer Apologie wert. Das Triviale ist nach gängiger Definition die klischeeverhaftete, auf direkte Wirkung zielende Aufnahme populärer Stoffe. Mit anderen Worten, anders als die Populärkultur ist das Triviale durch seine Ideologiekonformität charakterisiert. Ich sehe nicht, wie das Triviale als solches - außer im diagnostischen Sinne[13] - produktiv für die Religion sein könnte, ganz im Gegenteil. Die fehlende Unterscheidung von Populärem und Trivialem führt hier zu falschen Schlussfolgerungen.[14] Gerade an dieser Stelle wäre etwas mehr von der viel gelobten protestantischen Kritik angebracht gewesen. Dem Satz: "Das Triviale ist einer von mehreren Wegen, um der protestantischen Verkopfung zu entkommen" möchte ich - es sei denn, er sei rein empirisch gemeint - in keinem Fall zustimmen.[15] Positiv wäre an dieser Stelle eine Differenzierung, das heißt die konsequente Bezugnahme auf die Populärkultur gewesen, die sowohl kulturhermeneutisch wie kultursoziologisch dem Anliegen der Denkschrift näher liegt. Dem Populär-Trivialen setzt die Denkschrift dann die modernen Künste bzw. das Kritisch-Komplexe entgegen. Auch darin liegt meines Erachtens eine unzulässige Verkürzung, haben doch die modernen Künste mit der Pop-Art[16] die Auseinandersetzung mit der Populärkultur in Europa überhaupt erst salonfähig gemacht. Zum kritischen Impuls der künstlerischen Tätigkeit gehört es eben auch, den pseudo-kritischen hochkulturellen Impuls der künstlerischen Avantgarden zu befragen und in Frage zu stellen und sich dem Trivialen als künstlerischem Bearbeitungsfeld zuzuwenden.[17] Das geschieht in den 50er und 60er Jahren in Amerika und Großbritannien und findet in den 80er und 90er Jahren des 20. Jahrhunderts noch einmal öffentliche Aufmerksamkeit. Die folgenden drei Unterabschnitte der Denkschrift a) Kunstskandale, artikulieren nun völlig neue Töne im Verhältnis von Kunst und Kirche. Liest man präzise zwischen den Zeilen, entschuldigt sich der Protestantismus für die von ihm verursachten Kunstskandale[18], sei dies nun der Streit um Johannes Schreiters Fenster für die Heidelberger Heilig-Geist-Kirche, um Herbert Achternbuschs Film "Das Gespenst" oder Terrence McNallys Theaterstück "Corpus Christi". Mangelnde Kompetenz habe in all diesen Fällen zu Fehlurteilen geführt. Das werden die aufmerksam vernehmen, die für ihren Einsatz in diesen konkreten Fällen in der Kirche heftig angefeindet wurden. Es ist aber auch ein Signal an die Künstler allgemein, dass die Evangelischen Kirchen künftig alles tun werden, derartige inkompetente Fehlurteile zu vermeiden.[19] Auf der anderen Seite kann die Denkschrift zu Recht auf eine aktive kulturelle kirchliche Praxis verweisen: Die evangelischen Kirchen "laden Künstlerinnen und Künstler zu Ausstellungen in ihre Räume ein, ihre Kunstbeauftragten befassen sich alle vier Jahre intensiv mit der Documenta,[20] die Akademien bieten Seminare an, es gibt eine eigene Filmzeitschrift etc. Und doch reicht das alles offenbar nicht aus: ein Konflikt wie der um die Schreiter-Fenster kann nur deshalb so eskalieren, weil es nicht genug Menschen in den Kirchen und ihren Gemeinden gibt, die willens und in der Lage sind, den notwendigen Disput kompetent auszutragen. Es bleibt zu hoffen, dass möglichst viele Gemeinden diesen Teil der Denkschrift intensiv zur Kenntnis nehmen und auch als kulturelles Konzept in die Gemeindekonzeption integrieren werden. Denn daran werden die Künste und die Künstler die Denkschrift messen: wie sie in der konkreten Gemeindewirklichkeit Gestalt wird. Die anschließend quasi zur Beruhigung aufgestellte Behauptung, im Gegensatz zu den ästhetischen Avantgarden am Beginn des 20. Jahrhunderts verzichte die zeitgenössische Kunst auf Wahrheit, macht in ihrer impliziten Gegenüberstellung zur Religion nur dann Sinn, wenn man der (christlichen) Religion das Gleiche unterstellt. Zur Beruhigung, in der Wahrheitsfrage brauche die Kunst gegenüber der Religion nicht mehr als Konkurrenz zu gelten, kann das aber keinesfalls dienen - ganz im Gegenteil.[21] Die Möglichkeiten, die in der Begegnung mit der zeitgenössischen Kunst für die Gemeinden und die Kirchen liegen, beschreibt die Denkschrift so: "Weil Kirchenräume nicht 'leer' sind, sondern über eine traditionsgebundene Ordnung und wirksame Symbolgeflechte verfügen, laden sie zur Auseinandersetzung ein. Die Kirche ist eine der letzten verbliebenen festen Bezugsgrößen, an denen sich die Kunst reiben kann. Der Abschluss dieser Beschreibung ist ebenso ironisch wie (zu)treffend. Wenn es in der evangelischen Kirche angesichts der Kunst kritisch wird, bleibt ja immer noch die Kirchenmusik. Als ob die ja nun wirklich nur scheinbaren Meriten in der Kirchenmusik all das Andere kompensieren könnten. Ganz im Gegenteil, aus eigener Erfahrung kann der Verfasser berichten, das gerade das kirchenmusikalische Engagement der Gemeinden dem Kunstengagement nur allzu oft im Wege steht. Nicht wenige Konflikte mit der bildenden Kunst entzünden sich am umfassenden Anspruch der Kirchenmusik auf den kirchlichen Raum. Hier besteht auch in Zukunft noch gravierender Konfliktstoff und damit Klärungsbedarf. Trotzdem: Was die evangelischen Kirchen in diesem Abschnitt zur bildenden Kunst (wie zur Kultur allgemein) gesagt haben, hat man bisher nur von einzelnen Kirchenmitgliedern, von Kunstbeauftragten oder von herausragend Engagierten[24] gehört. Und das ist ein kaum zu unterschätzender Fortschritt im Verhältnis von Kunst und Kirche! Künstlern und kulturell Engagierten kann man nur raten, sich im Gespräch mit den einzelnen Gemeinden auf diese Passagen der Kultur-Denkschrift der EKD und der VEF zu berufen. Die beiden verbleibenden Abschnitte widmen sich der multireligiösen Gesellschaft und - ganz aktuell - dem Kampf der Kulturen. Ersteres ist von der Auseinandersetzung um LER und den Religionsunterricht geprägt, in dem EKD und VEF mit guten Gründen am Unterrichtsfach Religion festhalten. Beim Clash der Kulturen setzen die Verfasser der Denkschrift zu Recht auf eine Kultur der Differenz gegen alle Nivellierung und Überbetonung kultureller Differenzen.[25] Darin wird man ihnen nur folgen können. III - Kirchen bieten Räume der BegegnungDer dritte Abschnitt der Denkschrift greift die "christliche Perspektive", die im Impulspapier das einleitende Kapitel bestimmt hatte, wieder auf und entfaltet noch einmal 1. Korinther 13, 13 - diesmal jedoch in betont kultureller Perspektive. Der Vorschlag: In einem Gedankenexperiment "Glaube, Liebe, Hoffnung" einmal als Weltkulturerbe zu begreifen. Der Vorschlag ist deshalb interessant, weil wir gewohnt sind, unter Weltkulturerbe in der Regel petrifizierte Artefakte zu verstehen. Weltkulturerbe, so erklärt uns der Brockhaus, sind "von der UNESCO als schutzwürdig erklärte Kunstwerke und Baudenkmäler, bei deren Schutz und/oder Restaurierung fachliche und materielle Hilfe geleistet wird."[26] Dagegen setzt die Denkschrift nun den Vorschlag, auch die Folgen kultureller Ideen zu bedenken und zu schützen. Und im Blick auf die jüdisch-christliche Tradition kommt da natürlich eine Menge kultureller Errungenschaften zusammen. Unter dem Stichwort "Inkulturation" - verstanden als "Prozess wechselseitiger Wahrnehmung und Kommunikation" von christlichem Glauben und umgebender Kultur - setzt sich die Denkschrift mit der religiös-kulturellen Situation in den neuen Bundesländern und der Notwendigkeit der verstärkten "Kommunikation des Evangeliums" auseinander. Der Abschnitt wirkt wie ein fremdes Einsprengsel, das weniger aus der Sache, als vielmehr aus kirchenpolitischen Gründen platziert wurde.[27] Der abschließende Abschnitt der Denkschrift steht unter der klassizistisch angehauchten Formulierung "Die Kirche als Muse - Ihre Rolle als Gastgeberin und Produzentin von Kultur".[28] Offen wird zugegeben, dass der mit dem Impulspapier intendierte Dialog mit den Kulturschaffenden - anscheinend gegen die Erwartung - nicht zustande gekommen ist. Die Reaktionen auf das Impulspapier erschöpften sich im binnenkirchlichen Bereich. Das ist ein Alarmzeichen im Blick auf den Graben, der Kirche und säkulare Kultur trennt. Die Denkschrift schließt daraus, das die Kirche lernen müsse, "die kulturelle Landschaft in Deutschland, in Europa und in der Welt neu wahrzunehmen." Dazu schließt sie sich den kulturpolitischen Forderungen des Zentralkomitees der Deutschen Katholiken an: "Die evangelischen Kirchen ... unterstützen eine staatliche Kulturpolitik ohne unangemessene Einflussnahme oder gar Zensur. Sie unterstützen Pluralität und Dezentralität der Kulturpolitik in Deutschland. Sie fordern, dass die Beteiligung an Kultur auch für soziale Schichten zugänglich ist, die finanziell schlecht ausgestattet sind. Sie fordern verlässliche Ausgaben für Kultur in den öffentlichen Haushalten, auch in Zeiten finanzieller Engpässe. Sie unterstützen die Möglichkeit gemischter Kulturförderung von privater und öffentlicher Seite und setzen sich für ein Steuerrecht ein, das privates Kulturengagement anregen und unterstützen kann. Sie werben ferner für die Unterstützung von Stiftungen mit kulturellen Förderzwecken und regen auch hier an, das Steuerrecht so zu gestalten, dass die Errichtung von Stiftungen attraktiver wird. Sie setzen sich kulturpolitisch für eine Sicherung der sozialen Lage von Kulturschaffenden ein. Dazu gehört ein verbesserter Schutz durch das Urheberrecht ebenso wie die Möglichkeit, Einkünfte steuerlich über mehrere Jahre zu verteilen. Sie stehen für eine Bildungspolitik, zu deren vorrangigen Zielen die ästhetische Erziehung junger Menschen gehört." [S. 88] Darüber hinaus verweist die Denkschrift auf die "ästhetische Dimension" von Religion. Das Christentum lebe immer in einer bestimmten, auch ästhetisch zu reflektierenden Gestalt, die es zu pflegen gilt. Die im Nachkriegsdeutschland geschaffenen kulturellen Einrichtungen der Kirche müssten gestärkt und ins Bewußtsein der Gemeinden gerufen werden. Die Gemeinden selbst müssten ihre Rolle als Gastgeber der Künste neu entdecken und entfalten. "Eine plurale Gesellschaft mit ihren offenen Strukturen der Sinndeutung braucht Räume der Begegnung, des Austausches und der Inspiration. Eine Kirche, die den Beitrag des Evangeliums zu dieser Sinndeutung erkennbar machen will, braucht sie auch. Das letzte, was die Kirche in ihrer Denkschrift mitzuteilen hat, betrifft die Kirche als Produzentin von Kultur. Meines Erachtens ist dies leider einer der schwächeren Abschnitte des Papiers. Zum einen verweist er zu aufdringlich auf die bisher erbrachten kulturellen Leistungen der evangelischen Kirchen. Zum anderen pflegt er immer noch die überkommene Vorstellung, die Bibel sei ein Schatz der Kirche, den diese konziliant für einen künstlerischen Umgang freigeben könne. Aber die Bibel gehört der Kirche nicht - muss man dagegen in Anlehnung an ein Kunstwerk des Theologen und Künstlers Thomas Lehnerer sagen.[30] Auch das muss in der öffentlichen Diskussion deutlich werden. Die Kirchen legen zwar eine oder mehrere Lesarten der Bibel vor, welche aber von anderen kulturellen Lesarten begleitet werden. Insgesamt vertritt die Denkschrift an dieser Stelle noch ein kulturpolitisches Modell des "von oben nach unten". Entscheidend wird aber für die Zukunft sein, inwieweit auf der Ebene der Gemeinden ein kulturelles Umdenken stattfindet und die Künste selbst in den Fokus der Wahrnehmung treten. Und genau an dieser Stelle rächt es sich, dass die Denkschrift den Wahrheitswert der Künste so vorschnell beiseite geschoben hat. Denn der Umgang mit den Künsten auf der Ebene der Gemeinden bedarf der Begründung und einer Motivation. Und diese liegt nicht zuletzt darin, dass sich in den Künsten eben doch Wahrheiten inkorporiert haben, welche sinnlich und reflexiv erfahrbar sind und nur mit ihnen zu machen sind. Die Wahrheiten der Künste sind freilich andere als die der Religion, der Moral, des Rechts oder der Wissenschaften, wobei sie deren Wahrheiten in Frage stellen. Und dennoch: allen kritischen Einwänden zum Trotz bietet die Denkschrift eine produktive Plattform, von der aus nun weiter gearbeitet werden kann und muss. Sie stärkt in erfreulicher Weise die Rolle der Künste in den Kirchen und der Gesellschaft. Epilog: Wie erklärt man sich die Unterschiede?Bleibt abschließend zu überlegen, wie sich die frappierenden Unterschiede zwischen Impulspapier und Denkschrift erklären. Liegt hier ein echter Lernprozess vor oder liegt es nur an der veränderten Zusammensetzung der Schreibergruppe? Vieles spricht für Letzteres. Was aber würde das besagen: Das auf der Ebene der das Impulspapier generierenden kirchlichen Funktionsträger eine andere Einschätzung der kulturellen Lage des Protestantismus vorliegt als bei der einberufenen ad-hoc-Gruppe? Wer den Pressetext der EKD zur Vorstellung der Denkschrift liest, kann zwischen den Zeilen die Ambivalenzen und Konflikte erkennen, die die kirchliche Stellungnahme zur Kultur begleitet haben müssen. Während Wolfgang Lorenz, Vertreter der VEF jedes Gespür für die Gesprächslage zwischen Religion und Kultur vermissen lässt und in den alten kolonialen Gesprächsstil zurückfällt, scheint Präses Manfred Kock zur Vorbereitung das falsche Papier gelesen zu haben, denn er nutzt unversehens wieder den alten ausgrenzenden Ton des Impulspapiers.[31] Allein Bischof Huber lobt die Kultur der Differenz und wirbt für die Begegnung auch mit den fremd gewordenen Bereichen der Kultur. Es bleibt zu hoffen, dass letztere Position die für den Protestantismus maßgebliche ist. Letztlich bedeutet die Denkschrift noch keine Entwarnung im weiterhin manifesten Konfliktverhältnis von Religion und Kultur. Zwischen den Expertenkulturen, den Funktionärskulturen und den Gemeindekulturen gibt es noch weitreichende Differenzen. Wer aber in der Kirche zum Thema Kultur sich äußern will, wird sich in Zukunft an der Denkschrift der EKD und der VEF messen lassen müssen. Anmerkungen
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