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Magazin für Theologie und Ästhetik


Weltkulturerbe

Zur Kritik der neuen Denkschrift von EKD und VEF

Andreas Mertin

Evangelisches Nachdenken über Kultur

Das Impulspapier "Gestaltung und Kritik"Zur Erinnerung: Im Herbst 1999 veröffentlichten EKD und VEF ihr Impulspapier "Gestaltung und Kritik. Zum Verhältnis von Protestantismus und Kultur im neuen Jahrhundert". Dieses Papier war nicht nur im Magazin für Theologie und Ästhetik auf entschiedenen Protest gestoßen. [Vgl. dazu Heft 4]. Kernvorwürfe waren seinerzeit, dass das Papier den Protestantismus in seiner ganzen Breite nicht repräsentiere und bestimmte theologische Richtungen aggressiv ausgrenze, dass es zentrale Begegnungsfelder von Kultur und Christentum vernachlässige, dass es sich über den Stellenwert des Christentums in der zeitgenössischen Kultur nicht im Klaren sei, dass es von einem apologetischen Grundzug getragen sei und noch vieles mehr. Begrüßt wurde allein die Tatsache, dass die Evangelischen Kirchen sich explizit mit Kultur zu beschäftigen vorgenommen hatten.

Der anschließende Diskussionsprozess zeigte, dass nahezu ausschließlich innerkirchlich diskutiert wurde, während die angesprochenen Kultursparten kein oder doch nur wenig Diskussionsbedarf signalisierten. Das war angesichts der verwendeten Terminologie und des apologetischen Grundcharakters des Impulspapiers auch nicht weiter überraschend.

EKD-Denkschrift zur KulturNun ist Anfang September 2002 die aus dem Konsultationsprozess erwachsene Denkschrift "Räume der Begegnung. Religion und Kultur in evangelischer Perspektive" erschienen. Um es vorweg zu sagen: Die neue Denkschrift unterscheidet sich wohltuend in Ton und Diktion, aber auch in der inhaltlichen Füllung vom vorhergehenden Impulspapier. War dieses in seiner aggressiv ausgrenzenden Art nur schwer erträglich und vermochte es kaum Perspektiven für das Gespräch von Kirche und Kultur zu bieten, gilt dies für die Denkschrift nicht. Sie bietet ein solides Fundament für die (allerdings auch unentbehrliche) Fortschreibung und Weiterarbeit. Die Gewichte der Argumentation sind mit Gewinn verlagert worden, die Wortwahl ist besonnen und sachangemessen.

Der für mich vorab zu benennende wichtigste Punkt: Klar und präzise schließen sich EKD und VEF der kulturpolitischen Position des Zentralkomitees der Deutschen Katholiken an, wie es in dessen Papier "Kultur als Aufgabe von Staat und Kirche" zum Ausdruck kommt. Das ist deshalb bedeutsam, weil es nun ermöglicht, in Zeiten der Reduktion staatlichen Engagements in der Kultur ökumenisch kulturpolitisch aktiv zu werden. Es ermöglicht im Kulturbereich Tätigen auch, die Gemeinden und die Landeskirchen kulturpolitisch in die Pflicht zu nehmen. Das ist nicht wenig!

Interessant ist darüber hinaus die "Ehrenrettung" des Trivialen. Wer hätte gedacht, dass einmal in einer Denkschrift der evangelischen Kirchen ein Hit der Sängerin Michelle oder die Gruppe "No Angels" Erwähnung finden? Sicherlich ist die Auseinandersetzung mit dem Trivialen auch einer bestimmten kirchlichen Klientel geschuldet. Zumindest ist aber die Thematisierung hochinteressant, wenn auch nicht in letzter Hinsicht befriedigend.

Die im Gütersloher Verlagshaus publizierte Denkschrift ziert in der Buchausgabe ein Kunstwerk von Georg Baselitz und zwar der "Tanz um das Kreuz". Das ist ein Bekenntnis, aber zugleich auch von gewisser Ironie. Erläutert wird die Entscheidung für dieses Titelbild nur inhaltlich im Vorwort, der innerkirchliche Skandal, der sich an diesem Bild entzündete, findet jedoch nirgends Erwähnung. Das ist insofern merkwürdig, als das sich ein eigener Abschnitt der Denkschrift den kircheninternen Kunstskandalen widmet. Baselitz' Arbeit war einer Kirchengemeinde als Altarbild angeboten worden und hatte heftige Kontroversen ausgelöst, die schließlich dazu führten, dass der Künstler sein Bild zurücknahm. Offensichtlich bedauern EKD und VEF diese Entwicklung und bekennen sich zu dieser Ausdrucksform der Gegenwartskunst. Dann hätte man das auch explizit sagen können.

Die Denkschrift im Einzelnen

Wer die Denkschrift aufblättert, stößt - neben einer kurzen Einleitung - auf drei grundlegende Kapitel[1], die in insgesamt elf Abschnitten ausgeführt werden:

I. Religion als Kultur - Religion ist mehr als Kultur
II. Kultur gibt es nur in Kulturen
III. Kirchen bieten Räume der Begegnung

Auf den ersten Blick etwas irritierend ist die sprachliche Gestaltung dieser Gliederung. Während die Überschriften zur Religion und zur Kirche positiv formuliert sind, ist die zur Kultur eingrenzend. Ist das Zufall? Die im Abschnitt dann hervorgehobene positive Pluralität der Kulturen hätte auch die Textüberschrift zieren können.

I - Religion als Kultur - Religion ist mehr als Kultur

Die Denkschrift setzt ein mit der Vermutung, dass das Nachdenken über Kultur sich an der gesteigerten Wahrnehmung von Differenz entzündet. Erst wenn kulturelles Geschehen nicht mehr selbstverständlich ist, beginnt der Reflexionsprozess. Dieser macht sich zum einen an den kulturellen Modernisierungsbewegungen fest, zum anderen an der kulturellen Globalisierung.[2] Ob aber Fremdheit im Eigenen und Befremdung von außen dabei tatsächlich die initiierenden Momente kulturelle Reflexion darstellen, darüber müsste man lange diskutieren.[3] Die Denkschrift verweist darüber hinaus darauf, dass man von einer fast schon zyklischen Wiederholung religiöser Kulturdebatten sprechen könne: so seien ähnliche Erörterungen schon um 1800 und um 1900 vorgenommen worden, in deren Verlauf sich das Bewußtsein vom kulturellen Eigensinn der Religion (gegenüber Moral, Recht, Wirtschaft, Politik oder Kunst) geschärft habe. Dabei unterliege die Religion im Lauf der Entwicklung der Moderne einem Prozeß des Verlusts an Selbstverständlichkeit und damit der Relativierung.[4] Damit schreibt die Denkschrift das Verhältnis von Protestantismus und Kultur am Anfang des 21. Jahrhunderts als das einer Krise fest.[5] Löst man sich aber vom dominierenden ökonomischen und gesellschaftspolitischen Machtparadigma, dann erscheint der Protestantismus heutzutage in einer derart erfrischenden pluralistischen Vielfalt und Breite, dass man gegenüber den allzu häufigen ethischen Verengungen der Vergangenheit nur erfreut sein kann. Protestantismus am Beginn des 20. Jahrhunderts ist ja keinesfalls gestalt- und gesichtslos, sondern ausdrucksreich und kulturell ambitioniert.

Die Denkschrift beschreibt dann drei grundlegende Modelle des Verhältnisses von Religion und Kultur, die in den Reaktionen auf das Impulspapier deutlich geworden seien: Kulturgeschichte des Christentums - Religion in der Kultur - Protestantische Kulturhermeneutik. Erstens könne das Verhältnis von Religion und Kultur unter dem Aspekt betrachtet werden, welchen Beitrag der Protestantismus zur Genese der Moderne geleistet habe und wie er deren Impulse dann verfehlt habe. Zum zweiten kann man die aktuelle Kultur auf ihre religiösen Dimensionen befragen. Und drittens könne und müsse die Kultur in protestantischer Perspektive betrachtet werden, also eine protestantische Kulturhermeneutik entwickelt werden. Die so skizzierten Modelle sind natürlich einander ergänzende und nicht einander ausschließende Modelle. Interessanterweise konkretisiert die Denkschrift diese Bestimmungen dann aber als kulturelle Selbstexplikation des Christentums und gerade nicht als Kulturhermeneutik. In dieser Perspektive ergibt sich dann "der Auftrag zur bewussten und selbstbewussten Gestaltung von Kultur".[6]

II - Kultur gibt es nur in Kulturen

Der Abschnitt zur Kultur verweist zunächst auf die Schwierigkeit, den Begriff der Kultur präzis zu bestimmen und warnt zugleich vor bestimmten Verengungen: Das ist zum einen die Verengung auf die Hochkultur, zum zweiten auf die Kulturkritik und schließlich auf die Nationalkultur. Alle drei Verengungen verlieren bestimmte Perspektiven heutiger Kultur aus den Augen: die Alltagskultur, den Reichtum heutiger Kultur und den kulturellen Reichtum des noch Unvertrauten. Protestantismus, so die Denkschrift, ordnet die kulturelle Individualität des Menschen nicht seiner Sozialität unter. Kultur im Sinne von "Selbstthematisierungen von Menschen in ihrer Welt" ereignet sich daher in einer bunten Pluralität, die nicht verkürzt werden darf.

Festhalten möchte die Denkschrift aber daran, dass Religion mehr ist als Kultur, genauer: "Gott erschöpft sich in keiner denkbaren kulturellen Ausdrucksweise". Das aber, so ist festzuhalten, ist selbst wiederum "nur" eine kulturelle Ausdrucksweise. Sie verflüssigt den religiös-kulturellen Ausdruck und die religiöse Erfahrung, macht aber Religion eben nicht zum kulturüberschreitenden Phänomen, denn Analoges ließe sich auch für den künstlerisch-kulturellen Ausdruck sagen.[7] Die Denkschrift zieht nun die - etwas ambivalent formulierte[8] - Schlussfolgerung:

"Dies sollte uns in weit stärkerem Maße als bislang motivieren, die Entwicklung kultureller Formen in allen ihren Spielarten genau zu beobachten. Wir müssen den Ausdrucksweisen unseres Bekenntnisses mehr Aufmerksamkeit schenken, um innerhalb und außerhalb unserer Kirchen verständlich und anziehend zu sein. Das setzt in unseren Kirchen die Bereitschaft zur Auseinandersetzung mit alltags- wie hochkulturellen Entwicklungen voraus. Wir müssen insbesondere den Dialog mit Künstlerinnen und Künstlern suchen. Von einem Dialog aber kann ernstlich nur dann die Rede sein, wenn die Gesprächspartner in ihrer Eigenständigkeit anerkannt werden. Kunst muss nach ästhetischen Maßstäben beurteilt werden, auch dann, wenn sie Glaubensinhalte zum Gegenstand hat. Welche ästhetischen Formen welche Glaubensinhalte angemessen gestalten, entzieht sich der rein theologischen Beurteilung und kann nur in der Kooperation mit Künstlerinnen und Künstlern erarbeitet werden." [S. 35]

Problematisch ist die verwirrende Begriffswahl im Folgenden, die immer wieder zu Verunklärung beiträgt und eher von mangelnder Problemdurchdringung zeugt. Das gilt etwa, wenn der Text zwischen den Begriffen Kultur und Kunst hin und her schwankt.[9] An anderer Stelle wird von alltags- und hochkulturellen Entwicklungen gesprochen - als ob nicht hochkulturelle Phänomene durchaus alltagskulturelle sein könnten.[10] Hier ist immer noch eine Gegenüberstellung tragend, die sich von der von Pierre Bourdieu kritisierten Elitenkultur her definiert.[11] Die Gleichsetzung oder auch Annäherung von Trivialkultur und Populärkultur ist meines Erachtens der Sache nach verfehlt. Es ist das Eigentümliche der (noch gar nicht so alten) Populärkultur, dass sie das Schema der Gegenüberstellung von Trivialkultur und Hochkultur immer wieder sprengt. Trivialkultur kann niemals Hochkultur sein, Populärkultur durchaus, wie viele Phänomene der letzten Jahrzehnte zeigen.[12]

Die Analyse und implizite Apologie des Trivialen, die die Denkschrift im Folgenden - offensichtlich unter Aufnahme von Erkenntnissen der angelsächsischen Cultural Studies - durchführt, geht aber nun meines Erachtens entscheidend an der Sache vorbei. Während die produktive Auseinandersetzung mit der Populärkultur dringend geboten ist, ist das Triviale zwar der Be(tr)achtung, aber nicht notwendig einer Apologie wert. Das Triviale ist nach gängiger Definition die klischeeverhaftete, auf direkte Wirkung zielende Aufnahme populärer Stoffe. Mit anderen Worten, anders als die Populärkultur ist das Triviale durch seine Ideologiekonformität charakterisiert. Ich sehe nicht, wie das Triviale als solches - außer im diagnostischen Sinne[13] - produktiv für die Religion sein könnte, ganz im Gegenteil. Die fehlende Unterscheidung von Populärem und Trivialem führt hier zu falschen Schlussfolgerungen.[14] Gerade an dieser Stelle wäre etwas mehr von der viel gelobten protestantischen Kritik angebracht gewesen. Dem Satz: "Das Triviale ist einer von mehreren Wegen, um der protestantischen Verkopfung zu entkommen" möchte ich - es sei denn, er sei rein empirisch gemeint - in keinem Fall zustimmen.[15] Positiv wäre an dieser Stelle eine Differenzierung, das heißt die konsequente Bezugnahme auf die Populärkultur gewesen, die sowohl kulturhermeneutisch wie kultursoziologisch dem Anliegen der Denkschrift näher liegt.

Dem Populär-Trivialen setzt die Denkschrift dann die modernen Künste bzw. das Kritisch-Komplexe entgegen. Auch darin liegt meines Erachtens eine unzulässige Verkürzung, haben doch die modernen Künste mit der Pop-Art[16] die Auseinandersetzung mit der Populärkultur in Europa überhaupt erst salonfähig gemacht. Zum kritischen Impuls der künstlerischen Tätigkeit gehört es eben auch, den pseudo-kritischen hochkulturellen Impuls der künstlerischen Avantgarden zu befragen und in Frage zu stellen und sich dem Trivialen als künstlerischem Bearbeitungsfeld zuzuwenden.[17] Das geschieht in den 50er und 60er Jahren in Amerika und Großbritannien und findet in den 80er und 90er Jahren des 20. Jahrhunderts noch einmal öffentliche Aufmerksamkeit.

Die folgenden drei Unterabschnitte der Denkschrift

a) Kunstskandale,
b) Zugang zu modernen Künsten,
c) Die Begegnung mit den Künsten als Chance für die Gemeinden

artikulieren nun völlig neue Töne im Verhältnis von Kunst und Kirche. Liest man präzise zwischen den Zeilen, entschuldigt sich der Protestantismus für die von ihm verursachten Kunstskandale[18], sei dies nun der Streit um Johannes Schreiters Fenster für die Heidelberger Heilig-Geist-Kirche, um Herbert Achternbuschs Film "Das Gespenst" oder Terrence McNallys Theaterstück "Corpus Christi". Mangelnde Kompetenz habe in all diesen Fällen zu Fehlurteilen geführt. Das werden die aufmerksam vernehmen, die für ihren Einsatz in diesen konkreten Fällen in der Kirche heftig angefeindet wurden. Es ist aber auch ein Signal an die Künstler allgemein, dass die Evangelischen Kirchen künftig alles tun werden, derartige inkompetente Fehlurteile zu vermeiden.[19]

Auf der anderen Seite kann die Denkschrift zu Recht auf eine aktive kulturelle kirchliche Praxis verweisen:

Die evangelischen Kirchen "laden Künstlerinnen und Künstler zu Ausstellungen in ihre Räume ein, ihre Kunstbeauftragten befassen sich alle vier Jahre intensiv mit der Documenta,[20] die Akademien bieten Seminare an, es gibt eine eigene Filmzeitschrift etc. Und doch reicht das alles offenbar nicht aus: ein Konflikt wie der um die Schreiter-Fenster kann nur deshalb so eskalieren, weil es nicht genug Menschen in den Kirchen und ihren Gemeinden gibt, die willens und in der Lage sind, den notwendigen Disput kompetent auszutragen.
     Was fehlt, ist ein breiter, in den Gemeinden verwurzelter Konsens darüber, dass die evangelischen Kirchen ein besonderes Interesse an der Auseinandersetzung mit den modernen Künsten haben: Ein Glaube, der selbstsicher in der Moderne beheimatet sein will, ist auf eine komplexe Gestalt angewiesen, welche er in der populären Ästhetik allein nicht finden kann. Dabei gibt es neben den Differenzen auch gleiche Interessen zwischen Protestantismus und Künsten zu entdecken. Zu ihnen gehört die Überzeugung, dass menschengemachte Ordnungen - hier ästhetisch, dort sozial - nicht einfach hinzunehmen, sondern auf ihren Sinn hin zu befragen sind." [S. 46]

Es bleibt zu hoffen, dass möglichst viele Gemeinden diesen Teil der Denkschrift intensiv zur Kenntnis nehmen und auch als kulturelles Konzept in die Gemeindekonzeption integrieren werden. Denn daran werden die Künste und die Künstler die Denkschrift messen: wie sie in der konkreten Gemeindewirklichkeit Gestalt wird.

Die anschließend quasi zur Beruhigung aufgestellte Behauptung, im Gegensatz zu den ästhetischen Avantgarden am Beginn des 20. Jahrhunderts verzichte die zeitgenössische Kunst auf Wahrheit, macht in ihrer impliziten Gegenüberstellung zur Religion nur dann Sinn, wenn man der (christlichen) Religion das Gleiche unterstellt. Zur Beruhigung, in der Wahrheitsfrage brauche die Kunst gegenüber der Religion nicht mehr als Konkurrenz zu gelten, kann das aber keinesfalls dienen - ganz im Gegenteil.[21]

Die Möglichkeiten, die in der Begegnung mit der zeitgenössischen Kunst für die Gemeinden und die Kirchen liegen, beschreibt die Denkschrift so:

"Weil Kirchenräume nicht 'leer' sind, sondern über eine traditionsgebundene Ordnung und wirksame Symbolgeflechte verfügen, laden sie zur Auseinandersetzung ein. Die Kirche ist eine der letzten verbliebenen festen Bezugsgrößen, an denen sich die Kunst reiben kann.
     Hierzu allerdings bedarf es eines Rahmens. Die Gemeinden müssen ihre Räume für die Begegnung mit der Kunst und den Künstlern zur Verfügung stellen; sie müssen Anlässe inszenieren, bei denen Künstler und Gemeinde gemeinsame Themen entdecken. Die Gemeinden müssen Orte werden, an denen Konflikte ausgetragen und Erfahrungen gesammelt werden. Denn entscheidend ist das Kunsterlebnis und die Begegnung mit den Künstlerinnen und Künstlern ... Kunsterfahrung lässt sich schwer über Dritte vermitteln: das Gespräch mit dem Künstler anstelle des Gesprächs mit dem Kunstexperten,[22] der Blick in die Werkstatt anstelle des Museumsbesuchs,[23] Erfahrung statt Belehrung. So kann sich der Dialog zwischen Kunst und Religion mit Leben füllen. Allerdings wird es die Gemeinden auch verändern. Als Orte des Rückzugs, als Kuschelecke gegen die Dynamik und Kälte der Moderne taugen sie dann weniger.
     Wer neue Erfahrungen sucht, geht das Risiko des Scheiterns ein. Evangelische Kirchen können dieses Risiko selbstbewusst in Kauf nehmen, weil sie Sicherheit in eigenen Traditionen finden und den Umgang mit derartigen Risiken aus der Tradition kennen. Der Protestantismus kann auf seine lange und reichhaltige Musiktradition vertrauen, die er durch professionelles Kulturmanagement pflegen und stärken muss." [S. 48]

Der Abschluss dieser Beschreibung ist ebenso ironisch wie (zu)treffend. Wenn es in der evangelischen Kirche angesichts der Kunst kritisch wird, bleibt ja immer noch die Kirchenmusik. Als ob die ja nun wirklich nur scheinbaren Meriten in der Kirchenmusik all das Andere kompensieren könnten. Ganz im Gegenteil, aus eigener Erfahrung kann der Verfasser berichten, das gerade das kirchenmusikalische Engagement der Gemeinden dem Kunstengagement nur allzu oft im Wege steht. Nicht wenige Konflikte mit der bildenden Kunst entzünden sich am umfassenden Anspruch der Kirchenmusik auf den kirchlichen Raum. Hier besteht auch in Zukunft noch gravierender Konfliktstoff und damit Klärungsbedarf.

Trotzdem: Was die evangelischen Kirchen in diesem Abschnitt zur bildenden Kunst (wie zur Kultur allgemein) gesagt haben, hat man bisher nur von einzelnen Kirchenmitgliedern, von Kunstbeauftragten oder von herausragend Engagierten[24] gehört. Und das ist ein kaum zu unterschätzender Fortschritt im Verhältnis von Kunst und Kirche! Künstlern und kulturell Engagierten kann man nur raten, sich im Gespräch mit den einzelnen Gemeinden auf diese Passagen der Kultur-Denkschrift der EKD und der VEF zu berufen.

Die beiden verbleibenden Abschnitte widmen sich der multireligiösen Gesellschaft und - ganz aktuell - dem Kampf der Kulturen. Ersteres ist von der Auseinandersetzung um LER und den Religionsunterricht geprägt, in dem EKD und VEF mit guten Gründen am Unterrichtsfach Religion festhalten. Beim Clash der Kulturen setzen die Verfasser der Denkschrift zu Recht auf eine Kultur der Differenz gegen alle Nivellierung und Überbetonung kultureller Differenzen.[25] Darin wird man ihnen nur folgen können.

III - Kirchen bieten Räume der Begegnung

Der dritte Abschnitt der Denkschrift greift die "christliche Perspektive", die im Impulspapier das einleitende Kapitel bestimmt hatte, wieder auf und entfaltet noch einmal 1. Korinther 13, 13 - diesmal jedoch in betont kultureller Perspektive. Der Vorschlag: In einem Gedankenexperiment "Glaube, Liebe, Hoffnung" einmal als Weltkulturerbe zu begreifen. Der Vorschlag ist deshalb interessant, weil wir gewohnt sind, unter Weltkulturerbe in der Regel petrifizierte Artefakte zu verstehen. Weltkulturerbe, so erklärt uns der Brockhaus, sind "von der UNESCO als schutzwürdig erklärte Kunstwerke und Baudenkmäler, bei deren Schutz und/oder Restaurierung fachliche und materielle Hilfe geleistet wird."[26] Dagegen setzt die Denkschrift nun den Vorschlag, auch die Folgen kultureller Ideen zu bedenken und zu schützen. Und im Blick auf die jüdisch-christliche Tradition kommt da natürlich eine Menge kultureller Errungenschaften zusammen.

Unter dem Stichwort "Inkulturation" - verstanden als "Prozess wechselseitiger Wahrnehmung und Kommunikation" von christlichem Glauben und umgebender Kultur - setzt sich die Denkschrift mit der religiös-kulturellen Situation in den neuen Bundesländern und der Notwendigkeit der verstärkten "Kommunikation des Evangeliums" auseinander. Der Abschnitt wirkt wie ein fremdes Einsprengsel, das weniger aus der Sache, als vielmehr aus kirchenpolitischen Gründen platziert wurde.[27]

Der abschließende Abschnitt der Denkschrift steht unter der klassizistisch angehauchten Formulierung "Die Kirche als Muse - Ihre Rolle als Gastgeberin und Produzentin von Kultur".[28] Offen wird zugegeben, dass der mit dem Impulspapier intendierte Dialog mit den Kulturschaffenden - anscheinend gegen die Erwartung - nicht zustande gekommen ist. Die Reaktionen auf das Impulspapier erschöpften sich im binnenkirchlichen Bereich. Das ist ein Alarmzeichen im Blick auf den Graben, der Kirche und säkulare Kultur trennt. Die Denkschrift schließt daraus, das die Kirche lernen müsse, "die kulturelle Landschaft in Deutschland, in Europa und in der Welt neu wahrzunehmen." Dazu schließt sie sich den kulturpolitischen Forderungen des Zentralkomitees der Deutschen Katholiken an:

"Die evangelischen Kirchen ... unterstützen eine staatliche Kulturpolitik ohne unangemessene Einflussnahme oder gar Zensur. Sie unterstützen Pluralität und Dezentralität der Kulturpolitik in Deutschland. Sie fordern, dass die Beteiligung an Kultur auch für soziale Schichten zugänglich ist, die finanziell schlecht ausgestattet sind. Sie fordern verlässliche Ausgaben für Kultur in den öffentlichen Haushalten, auch in Zeiten finanzieller Engpässe. Sie unterstützen die Möglichkeit gemischter Kulturförderung von privater und öffentlicher Seite und setzen sich für ein Steuerrecht ein, das privates Kulturengagement anregen und unterstützen kann. Sie werben ferner für die Unterstützung von Stiftungen mit kulturellen Förderzwecken und regen auch hier an, das Steuerrecht so zu gestalten, dass die Errichtung von Stiftungen attraktiver wird. Sie setzen sich kulturpolitisch für eine Sicherung der sozialen Lage von Kulturschaffenden ein. Dazu gehört ein verbesserter Schutz durch das Urheberrecht ebenso wie die Möglichkeit, Einkünfte steuerlich über mehrere Jahre zu verteilen. Sie stehen für eine Bildungspolitik, zu deren vorrangigen Zielen die ästhetische Erziehung junger Menschen gehört." [S. 88]

Darüber hinaus verweist die Denkschrift auf die "ästhetische Dimension" von Religion. Das Christentum lebe immer in einer bestimmten, auch ästhetisch zu reflektierenden Gestalt, die es zu pflegen gilt. Die im Nachkriegsdeutschland geschaffenen kulturellen Einrichtungen der Kirche müssten gestärkt und ins Bewußtsein der Gemeinden gerufen werden. Die Gemeinden selbst müssten ihre Rolle als Gastgeber der Künste neu entdecken und entfalten.

"Eine plurale Gesellschaft mit ihren offenen Strukturen der Sinndeutung braucht Räume der Begegnung, des Austausches und der Inspiration. Eine Kirche, die den Beitrag des Evangeliums zu dieser Sinndeutung erkennbar machen will, braucht sie auch.
     Das müssen Räume der Gastfreundschaft sein, die von einem professionellen Kulturmanagement[29] gestaltet sind und nicht den Eindruck einer Instrumentalisierung von Kunst und Kultur hinterlassen. Vorrangig sollen Veranstaltungen gefördert werden, die Begegnungen inszenieren. Die Kirche präsentiert sich dabei in einer Moderatorenrolle, die wissbegierig und respektvoll die Sinndeutungsmuster dieser Zeit wahrnimmt, ihnen eine diskursoffene Sprache verleiht und sich um eine inspirierende Atmosphäre des Gesprächs bemüht."[S. 90f.]

Das letzte, was die Kirche in ihrer Denkschrift mitzuteilen hat, betrifft die Kirche als Produzentin von Kultur. Meines Erachtens ist dies leider einer der schwächeren Abschnitte des Papiers. Zum einen verweist er zu aufdringlich auf die bisher erbrachten kulturellen Leistungen der evangelischen Kirchen. Zum anderen pflegt er immer noch die überkommene Vorstellung, die Bibel sei ein Schatz der Kirche, den diese konziliant für einen künstlerischen Umgang freigeben könne. Aber die Bibel gehört der Kirche nicht - muss man dagegen in Anlehnung an ein Kunstwerk des Theologen und Künstlers Thomas Lehnerer sagen.[30] Auch das muss in der öffentlichen Diskussion deutlich werden. Die Kirchen legen zwar eine oder mehrere Lesarten der Bibel vor, welche aber von anderen kulturellen Lesarten begleitet werden.

Insgesamt vertritt die Denkschrift an dieser Stelle noch ein kulturpolitisches Modell des "von oben nach unten". Entscheidend wird aber für die Zukunft sein, inwieweit auf der Ebene der Gemeinden ein kulturelles Umdenken stattfindet und die Künste selbst in den Fokus der Wahrnehmung treten. Und genau an dieser Stelle rächt es sich, dass die Denkschrift den Wahrheitswert der Künste so vorschnell beiseite geschoben hat. Denn der Umgang mit den Künsten auf der Ebene der Gemeinden bedarf der Begründung und einer Motivation. Und diese liegt nicht zuletzt darin, dass sich in den Künsten eben doch Wahrheiten inkorporiert haben, welche sinnlich und reflexiv erfahrbar sind und nur mit ihnen zu machen sind. Die Wahrheiten der Künste sind freilich andere als die der Religion, der Moral, des Rechts oder der Wissenschaften, wobei sie deren Wahrheiten in Frage stellen.

Und dennoch: allen kritischen Einwänden zum Trotz bietet die Denkschrift eine produktive Plattform, von der aus nun weiter gearbeitet werden kann und muss. Sie stärkt in erfreulicher Weise die Rolle der Künste in den Kirchen und der Gesellschaft.

Epilog: Wie erklärt man sich die Unterschiede?

Bleibt abschließend zu überlegen, wie sich die frappierenden Unterschiede zwischen Impulspapier und Denkschrift erklären. Liegt hier ein echter Lernprozess vor oder liegt es nur an der veränderten Zusammensetzung der Schreibergruppe? Vieles spricht für Letzteres. Was aber würde das besagen: Das auf der Ebene der das Impulspapier generierenden kirchlichen Funktionsträger eine andere Einschätzung der kulturellen Lage des Protestantismus vorliegt als bei der einberufenen ad-hoc-Gruppe?

Wer den Pressetext der EKD zur Vorstellung der Denkschrift liest, kann zwischen den Zeilen die Ambivalenzen und Konflikte erkennen, die die kirchliche Stellungnahme zur Kultur begleitet haben müssen. Während Wolfgang Lorenz, Vertreter der VEF jedes Gespür für die Gesprächslage zwischen Religion und Kultur vermissen lässt und in den alten kolonialen Gesprächsstil zurückfällt, scheint Präses Manfred Kock zur Vorbereitung das falsche Papier gelesen zu haben, denn er nutzt unversehens wieder den alten ausgrenzenden Ton des Impulspapiers.[31] Allein Bischof Huber lobt die Kultur der Differenz und wirbt für die Begegnung auch mit den fremd gewordenen Bereichen der Kultur. Es bleibt zu hoffen, dass letztere Position die für den Protestantismus maßgebliche ist.

Letztlich bedeutet die Denkschrift noch keine Entwarnung im weiterhin manifesten Konfliktverhältnis von Religion und Kultur. Zwischen den Expertenkulturen, den Funktionärskulturen und den Gemeindekulturen gibt es noch weitreichende Differenzen. Wer aber in der Kirche zum Thema Kultur sich äußern will, wird sich in Zukunft an der Denkschrift der EKD und der VEF messen lassen müssen.

Anmerkungen
  1. Insgesamt ist die so vorgenommene Grobgliederung eigentlich überflüssig. Plausibel wäre auch allein die Abfolge der durchgezählten elf Einzelkapitel gewesen.
  2. Man kann lange darüber spekulieren, warum beide Kulturreflexionen der evangelischen Kirche (Impulspapier und Denkschrift) nicht mit dem Reichtum, sondern immer mit dem Verlust einsetzen. Es gehört zur durchaus auch theologisch problematischen Seite dieser Äußerungen, dass ihnen die Kritik vertrauter ist als die positive Beschreibung und die Gestaltung. Erinnert sei daran, dass das Kulturpapier des Zentralkomitees der Deutschen Katholiken mit dem Satz eröffnet: "Das kulturelle Leben in Deutschland ist reich und differenziert entwickelt. Die Pflege des kulturellen Erbes und die geistig-kulturelle Zukunftssicherung liegen in der Verantwortung aller Bürgerinnen und Bürger."
  3. Problematisch ist vor allem die Unschärfe des Wortes "Fremd" in diesem Text. Fremdheitserfahrungen machen wir ja sowohl gegenüber jedem anderen Ich als auch gegenüber dem anderen Geschlecht, dem anderen Milieu, einer anderen Nation, einer anderen Kultur. Die Vertrautheit mit der eigenen Kultur ist eben "nur" eine individuelle oder bestenfalls auch milieuspezifische Vertrautheit. Jedes Gespräch, das man führt, eröffnet einem die Perspektive auf die Fremdheit im Eigenen.
  4. Der Abschnitt "Von der christlichen Mehrheitsgesellschaft zum Religionspluralismus" gehört in seiner apologetisch-trauernden Grundhaltung zu den Relikten aus dem alten Impulspapier. Hier wäre ein anderer Ein- und Ansatz positiver gewesen.
  5. Und zwar nicht im Sinne des kritischen Verhältnisses von Christentum und Kultur, in dem dieses sich immer befindet und befinden muss. Krise heißt in der Denkschrift weiterhin vor allem, Verlust an Bedeutung und Einfluss. Erkennbar wird dies an der schon beinahe peinlich wirkenden Erwähnung der zurückgehenden Beteiligung in Aufsichtsgremien und Rundfunkräten.
  6. Das Wort selbstbewusst spielt eine interessante Rolle im Kontext der Denkschrift. Bei der Pressevorstellung des Papier war es ein wichtiger Akzent. Aber wer selbstbewusst ist, braucht dies nicht explizit zu betonen.
  7. So ließe sich der Satz über Gott aus der Denkschrift adäquat umformulieren: Was Kunst ist, vermag kein Zeichen, kein Wort, kein Symbol, kein Bild, keine Musik endgültig und zureichend zeigen, wiewohl es ohne solche Zeichen keine Kunst gibt.
  8. Die Ambivalenz bezieht sich auf den Umstand, dass wiederum die Kultur nur im Blick auf das Eigene ins Blickfeld tritt, so als ob sie nicht einen Selbstwert darstellt. Wir müssen uns als Protestanten eben nicht nur mit Kultur beschäftigen, "um innerhalb und außerhalb unserer Kirchen verständlich und anziehend zu sein", sondern weil die Kultur selbst theologisch von Interesse ist. Kultur ist mit einem Wort Karl Barths "die dem Menschen ursprünglich gegebene Verheißung dessen, was er werden soll".
  9. Z.B. S. 36: "Kunst schafft Gemeinschaft, aber sie markiert auch Grenzen und macht Differenzen sichtbar." Dieser Satz macht mehr Sinn, wenn anstelle von "Kunst" das Wort "Kultur" gebraucht wird.
  10. Befremdlich auch die Tendenz zur Ausgewogenheit. Ist die Ignoranz des Trivialen auf der einen Seite strukturell dasselbe wie die Inanspruchnahme des gesunden Menschenverstands gegenüber dem Avancierten auf der anderen Seite? Das wäre eine kulturelle Perspektive, der man - allein schon aus historischen Gründen - kaum zustimmen kann. Die Berufung auf den gesunden Menschenverstand zur Eliminierung der künstlerischen Avantgarde ist in Deutschland untrennbar mit dem Nationalsozialismus verknüpft.
  11. Vgl. Pierre Bourdieu: Die feinen Unterschiede. Kritik der gesellschaftlichen Urteilskraft. Frankfurt 1982.
  12. "Das, was die Bezeichnung des 'Populären' umfasst, hat offensichtlich epochen- und stilübergreifende Dimensionen, entzieht sich der gängigen E-U-Dichotomie und weist auf den grundsätzlichen Ort von Musik als kultureller Praxis im Beziehungsgefüge von Individuum und Gesellschaft hin. Was beispielsweise für Musikhörer des frühen 19. Jahrhunderts populär war, ist kaum populäre Musik für gegenwärtige Musikhörer; Góreckis 'Sinfonie der Klagelieder' (1976) gelangte Anfang der Neunzigerjahre in die Hitparaden genauso wie kurz darauf Disco-Versionen gregorianischer Gesänge wie etwa Produktionen von 'Enigma'. Für die Freunde zeitgenössischer elektronischer Musik war Stockhausens 'Gesang der Jünglinge' ein Hit, andere bevorzugten Pink Floyds elektronikumhüllte Auftritte in den Ruinen von Pompeji. In einer exemplarischen Befragung 1995 wurde ein Tango der Zwanzigerjahre als um einiges 'populärer' als Mozarts 'Kleine Nachtmusik', diese wiederum 'populärer' als Musik von Frank Zappa bewertet." Hartmut Möller im Brockhaus 2002
  13. Als solches wird es in der Denkschrift natürlich auch in Anschlag gebracht.
  14. Natürlich kann man im Sinne der Cultural studies sagen: "wenn einer der wenigen feststehenden Gedanke in der anti-methodischen Methodologie der CS besagt, dass Kultur nur dort entsteht, wo zwischen Subjekten und Institutionen in einem gesellschaftlichen Kontext kommuniziert wird, dann heißt das auch: was immer in unserem Alltag kommuniziert wird, ist Kultur und ergo der kultursoziologischen Untersuchung würdig. Und das umfasst dann schließlich auch solche Sprachereignisse wie Verona Feldbusch, die Teletubbies und Zlatko - nicht aufgrund ihrer bahnbrechenden Eloquenz, aber weil sie Kommunikations- resp. Medienereignisse schaffen und für uns zu Alltagsbegleitern geworden sind" (Eike Wenzel, Wohnzimmer-Kriege. Cultural-Studies, Anti-Methode, Mode und Kanon http://iasl.uni-muenchen.de/rezensio/liste/wenzel.htm). Damit ist aber noch nichts über die Stellung zum Trivalen gesagt. Wenzel verweist zurecht darauf, dass oftmals das Studium des Trivialen "in eine sentimentale Verklärung" umschlägt.
  15. So wie die Denkschrift das Triviale lobt, würde sie sich es z.B. gegenüber dem Regressiven kaum erlauben.
  16. Pop-Art: "Strömung der zeitgenössischen Kunst, die v.a. in Großbritannien und in den USA seit Mitte der 1950er-Jahre und in den 60er-Jahren die Kunstszene beherrschte. Die Pop-Art entdeckte die Welt der Unterhaltungsindustrie und der Werbung als ästhetische Wirklichkeit. Banale Objekte des Massenkonsums wurden durch Isolierung, Ausschnitt, Vergrößerung, Reihung oder durch Imitationen verfremdet und parodiert. Die Pop-Art wollte die Kunst mit moderner Lebenswirklichkeit verbinden. Grelle Farbzusammenstellungen ('Popfarben') und große Formate dominieren. Der rasche Erfolg amerikanischer Künstler wie R. Rauschenberg, J. Johns, J. Dine, R. Lichtenstein, C. Oldenburg, J. Rosenquist, G. Segal, A. Warhol, T. Wesselmann, R. Indiana und E. Kienholz hing auch mit der Neubewertung der Volkskunst in den USA zusammen. In Großbritannien (R. Hamilton, P. Blake, D. Hockney, A. Jones, R. B. Kitaj, P. Phillips, J. Tilson, P. Caulfield) erhielt die Pop-Art Impulse von E. Paolozzi und F. Bacon." So der Brockhaus 2002.
  17. "Pop-Art war Aufbruch, Begeisterung, aber auch Sarkasmus und Zweifel. Fraglos waren die Künstler von der zeitgenössischen kulturellen Entwicklung, der neuen Technik, den Medien fasziniert; gleichwohl ist bei ihnen immer eine unterschwellig kritische Haltung zu spüren, eine ironische Brechung, ein ständiges Infragestellen der Rituale der Massen- und Konsumgesellschaft." Evelyn Weiss im Brockhaus 2002
  18. Das vom Verf. in seinem Beitrag "Vom Kulturverlust der Kirchen. Überlegungen zum Kulturpapier der Evangelische Kirche in Deutschland" in www.theomag.de\4\am12c.htm eingeforderte Schuldbekenntnis der evangelischen Kirchen gegenüber der Kultur wurde also eingelöst. Wolfgang Schoberth hatte im Heft 6 der Bayreuther Beiträge zur Religionsforschung unter dem Titel "Wieviel Kultur braucht das Christentum? Wieviel Christentum braucht die Kultur" die Forderung des Verfasser noch als "pathetisch" und ekklesiologisch problematisch abgewiesen. Die vorliegende Formulierung der Denkschrift zeigt aber, dass es durchaus möglich ist, die Fehler im Umgang mit bestimmten Bereichen der Kultur zu benennen und zu bekennen.
  19. Die sich anschließende Bemerkung, die modernen Künste seien der babylonische Turm des 21. Jahrhunderts, denn ihnen lägen so viele Sprachen und Dialekte und Slangs zugrunde, dass ein einziger Mensch sie allein nicht erlernen könne, ist in ihrer Metaphorik mehr als verwirrend. Sie kann kulturkritisch gelesen werden, in dem Sinne, dass die moderne Kunst ein hybrider Versuch der Menschen sei, sich einen Namen zu machen - denn das war ja das Ziel des Turms von Babylon laut Genesis 11,4. Und daher hat Gott eine Vielzahl von Kunststilen entstehen lassen, um dies zu verhindern. Die Ätiologie der gebrauchten Metapher läge also darin, die Sprachenvielfalt der Künste damit zu erklären, dass die Kunst ursprünglich ein Religionsersatz sein wollte, aber nicht sein durfte. Das ist nicht uninteressant, aber doch etwas überstrapaziert.
  20. Der evangelischen Kirche scheint entgangen zu sein, dass sie seit 20 Jahren Begleitausstellungen zur documenta veranstaltet. Diese sind älter als das Interesse der Kunstbeauftragten an der documenta.
  21. Vgl. dazu immer noch höchst zutreffend: Horst Schwebel: "Wahrheit der Kunst - Wahrheit des Evangeliums. Einer Anregung Eberhard Jüngels folgend und widersprechend". In: Mertin/Schwebel (Hg.). Kirche und moderne Kunst. Eine Dokumentation. Frankfurt 1988. S. 135-145. Siehe auch: Thomas Lehnerer: "Kunst - Selbstzweck und Totalität. Über die Autonomie der Kunst gegenüber der Religion". Kunst und Kirche 1987. S. 39-41. sowie: Verf.: "Ars ante portas? Skeptische Erwägungen zur Kunstvermittlung in der Kirche." Kunst und Kirche 1991. S. 190-194.
  22. Gemeint ist hoffentlich: "das Gespräch mit der Kunst anstelle des Gesprächs mit dem Kunstexperten".
  23. Das wiederum leuchtet gar nicht ein, hier unterliegen die Kirchen dem Hype der Authentizitätskultur. Ateliers sind nur in Ausnahmefällen Erfahrungsorte für kulturell interessierte Gemeinden. Erfahrungsort ist die Ausstellung, die Galerie, die Messe, das Museum. Auch das gehört zur Anerkenntnis des Betriebssystems Kunst unter den Bedingungen der Moderne bzw. Nach-Moderne.
  24. Hingewiesen sei an dieser Stelle noch einmal auf das im Protestantismus besonders herausragende Beispiel von Paul Gräb. Vgl. dazu ders., Kunst und Kirche. Getrennte Wege - Gemeinsame Wege", Magazin für Theologie und Ästhetik, Heft 9, www.theomag.de\9\pg1.htm
  25. Vieles, was in diesem Abschnitt ausgeführt wird, wäre ebenso produktiv im Bereich der Künste gewesen.
  26. Brockhaus 2002
  27. Entsprechend wurde dieser Abschnitt dann in der Presseerklärung insbesondere von den Freikirchen aufgegriffen. Wolfgang Lorenz bezeichnete die Denkschrift als "Ausrufungszeichen, vielleicht sogar ein kleines Denkmal für die nachhaltige Prägung, die unsere Kultur durch das Evangelium und den christlichen Glauben erfahren hat und noch erfährt". Den evangelischen Freikirchen gehe es bei der Erschließung von Räumen der Begegnung auch um den missionarischen Auftrag: Die "Inkulturation" des Evangeliums in Wort und Tat.
  28. Muss daran erinnert werden, was die Musen waren, nämlich die Töchter des Zeus und der Mnemosyne, Göttinnen (sic!) der Künste und der Wissenschaften, Hüterinnen einer harmonischen Ordnung.
  29. Die wiederholte Forderung nach professionellem Kulturmanagement, so sinnvoll sie an sich ist, hat an dieser Stelle einen fatalen Beigeschmack. Vgl. dazu Theodor W. Adorno, Kultur und Verwaltung, in: Horkheimer/Adorno, Sociologica, Frankfurt 1984, S. 48-68.
  30. Sein Kunstwerk trägt den Titel "Die Religion gehört der Kirche nicht".
  31. "Um das Verhältnis von Religion und Kultur aus evangelischer Sicht zu beschreiben, eigneten sich 'weder Identifikations- noch Separationsmodelle'." So Kock im veröffentlichten Pressetext.

© Andreas Mertin 2002
Magazin für Theologie und Ästhetik 19/2002
https://www.theomag.de/19/am64.htm

 
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Räume der Begegnung. Religion und Kultur in evangelischer Perspektive. Eine Denkschrift von EKD und VEF, Gütersloh 2002