August 2006
Liebe Leserinnen und Leser, |
dass die Frage des (Kirchen-) Raumes einmal zu den wichtigen Fragen der theoästhetischen Reflexion gehören würde, war in der nun eingetretenen Form nicht absehbar. Zwar hat es immer kirchliche Bauprogramme und diverse kirchenbauästhetische Aufbrüche gegeben, aber das geschah in der Regel fernab jeglicher gesellschaftlicher, kirchlicher, ja theologischer Öffentlichkeit. Heute aber beschäftigen sich nicht nur Religionswissenschaftler ubd Kulturtheologen, sondern auch Medien und gesellschaftliche Institutionen, Banker und Immobilienmakler oder auch das Feuilleton mit der Frage, wie sich Raum und Religion zueinander verhalten. Angesichts der drohenden Aufgabe von bis zu 50% des kirchlichen Bau- und Flächenbestandes fragt sich auch eine größere Öffentlichkeit, wie es die Kirchen mit ihren Räumen halten, ob sie sie brauchen und mit welchen Argumenten innergemeindlich und innerkirchlich gestritten wird. Gleichzeitig macht sich eine ganze Generation von Architekten Gedanken darüber, ob ihre zahlreichen Bauten aus der Nachkriegszeit künftig noch Bestand haben werden oder ob sie der ökonomischen Misere zum Opfer fallen. Um es klar zu sagen: in der augenblicklichen Situation gibt es keine Patentlösungen, so oder so wird es Einbußen geben. Die Apologie der Nachkriegsbauten lässt sich theologisch nicht fundieren, ebenso wenig die bloße Apologie des Raumes als kulturgeschichtlicher Raum. Auf der anderen Seite bringen die theologischen Erkenntnisse zur Raumfrage wenig Hilfestellungen für die anstehenden Fragen. Und schließlich vermengen sich in der öffentlichen Diskussion kulturkonservative, denkmalpflegerische, unternehmensstrategische und emotionale Argumentationen in einem heillosen Durcheinander. So wird so getan, als werde mit den bedrohten Kirchen(gebäuden) auch das christliche Abendland verteidigt, oder es wird insinuiert, mit der Aufgabe der einen oder anderen Betonkirche sei gleich eine ganze Epoche, ja Kultur bedroht. Beides ist ist nicht der Fall. Mit den Kirchen steht nicht das christliche Abendland und mit den Betonkirchen nicht die Moderne auf dem Spiel. Das wäre maßlos überzogen. Aufgabe der christlichen Theologie in der Gegenwart ist es nicht zuletzt, die Diskussion auf die tragenden Argumente zu versachlichen. Was ist aus theologischen, was aus seelsorgerlichen, was aus ekklesiologischen Gründen zu sagen? Nicht zuletzt muss die christliche Theologie den Gläubigen klar machen, dass mit den Kirchengebäuden nicht das Christentum auf dem Spiel steht, weil die jüdisch-christliche Tradition als leitende Metapher auch das wandernde Gottesvolk kennt. Sie muß vor allem dem Eindruck entgegen treten, als könnten wir "außer und neben diesem einen Worte Gottes auch noch andere Ereignisse und Mächte, Gestalten und Wahrheiten als Gottes Offenbarung anerkennen" (Barmen I). Es ist dringend notwendig, dass diese Fragen weiter vertieft reflektiert werden. Menschen verräumlichen ihren Glauben - das wird aus mehreren Beiträgen dieser Ausgabe des Magazins für Theologie und Ästhetik deutlich. Die Verräumlichung geschieht aber in unterschiedlichen Formen, die nicht alle gleich christentumskompatibel sind. 'Suchet der Stadt Bestes' ist nicht nur ein Aufruf zur Bewahrung, sondern auch ein Auftrag zu Kritik und Gestaltung. Vor lauter Kummer über den scheinbaren Verlust an etablierten räumlichen Gestaltungsformen vergessen wir die sich daraus ergebenden Chancen der Besinnung auf das neu zu Gestaltende. Wenn Kultur immer auch Grenzüberschreitung heißt, dann muss die Aufgabe der Kulturtheologie das Nachdenken über die Möglichkeit zur fortzuschreibenden Grenzübertretung sein. Auf der Grenze (Paul Tillich) ist und bleibt eine gute kulturtheologische Positionsbestimmung. Das Magazin für Theologie und Ästhetik hat sich wiederholt mit Raumnutzungsfragen und inszenierten Räumen auseinandergesetzt ( grundsätzlich in Heft 16: Die kulturelle Nutzung von Kirchenräumen; in einzelnen Beiträgen in Heft 28 und Heft 37 ). Auf die entsprechenden Beiträge sei an dieser Stelle noch einmal explizit verwiesen. Das aktuelle Heft des Magazins wurde (wie schon das Heft 16) in Zusammenarbeit mit Matthias Ludwig vom Marburger Institut für Kirchenbau und kirchlicher Kunst der Gegenwart erstellt. Unter den ARTIKELN dieses Heftes finden Sie Aufsätze von Matthias Ludwig zum vieldiskutierten Umgang mit den Kirchenbauten der Nachkriegszeit, von Conrad Lienhardt über das komplexe Verhältnis von Kirchenbau und Personalplanung unter dem Stichwort "Pastoralökonomie", von Jörg Herrmann zu einem neuen Kulturprojekt in Hamburg, von der Projektgruppe Nennhausen zu 16 Dorfkirchen im Westhavelland. Über diese an konkreten Beispielen orientierten Beiträgen hinaus gibt es noch grundsätzliche Überlegungen von Horst Schwebel zum heiligen Raum und zum Kirchenbau, von Wolfgang Grünberg theologische Reflexionen zum Raum, von Dominik Bertrand-Pfaff zum Heiligen Raum in profaner Zeit, von Jörg Hermann zu Raum und Religion sowie von Andreas Mertin zum Verhältnis von Raum und religiösem Gefühl. Wie die Leserinnen und Leser feststellen werden, ergibt sich dabei ein breites Spektrum unterschiedlicher Ansätze und Perspektiven. Unter den REVIEWS finden Sie einen ausführlichen Bericht über eine Tagung zum Thema von Andreas Poschmann und einige Notizen zu kirchlichen Umnutzungs-Anleitungen von Andreas Mertin. In den MARGINALIEN ein geopolitischer und zugleich raumbezogener Fund in der GoogleEarth-Community von Andreas Mertin. In der Rubrik SPOTLIGHT finden Sie das WEBLOG, die vertrauten Kolumnen zu Videoclips, zu interessanten Internetadressen und Lektüren von Andreas Mertin und Ausstellungen von Karin Wendt. |