Magazin für Theologie und ÄsthetikDenkmal?Ein Beitrag zu einer ruinösen DiskussionAndreas Mertin |
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das alte stürzt, es ändert sich die zeit
und neues leben blüht aus den ruinen. SCHILLER[1] RezessionDen christlichen Kirchen Deutschlands geht es finanziell nicht gut. Die seit Jahren vertraute Rede von den knapper werdenden Kassen erweist sich nach und nach sogar als noch untertrieben. An allen Ecken und Kanten muss gespart werden. Allzu häufig geht das nach dem Rasenmäherprinzip, d.h. es wird alles pauschal um 10-15% gekürzt. Das betrifft natürlich auch den Bereich der Kultur und vor allem auch den Bereich der kirchlichen Gestaltwerdung in Form von Gebäuden und Räumen. Schon seit Jahren wird davon ausgegangen, dass langfristig 40% aller kirchlichen Gebäude aus Finanzgründen aufgegeben werden müssen, nicht nur aus finanziellen Gründen, sondern schlichtweg auch deshalb, weil die Gebäude zu groß geworden sind. Wer einigermaßen ehrlich und einsichtig ist, kann in dem dadurch notwendig entstehenden Reflexionsprozess nur einen überaus heilsamen Vorgang für die Volkskirche sehen. Denn jetzt muss - anders als in Zeiten der Fülle und des Überflusses - endlich geklärt werden, was für die christliche Kirche elementar ist, wie und nach welchen Kriterien die anfallenden Probleme bewältigt werden sollen.[2] Steht die Verkündigung im Zentrum der Aufgaben der Kirche oder ist es die auf große bzw. ostentative Kirchengebäude nicht notwendig angewiesene Seelsorge, die sich zwar auch in Kirchengebäuden, in der Regel aber in 'normalen' Räumen abspielt?[3] Und wie steht es mit den anderen Tätigkeitsfeldern der Kirche, z.B. der Kultur? Ist die Bereitstellung von nennenswerten Geldern für Kultur eine evangeliumsgemäße Tätigkeit? Gilt weiterhin, dass - auch wenn sie unter dem eschatologischen Vorbehalt steht, nur begrenztes Menschenwerk zu sein - die Kultur dennoch "die dem Menschen ursprünglich gegebene Verheißung dessen (ist), was er werden soll"?[4] Ist andererseits das Beharren auf ostentativen Zeichensetzungen in der Stadt oder auf dem Dorf eine biblisch gedeckte Haltung? Nach welchen Kriterien sollte die Kirche Geld für Kultur zur Verfügung stellen und wann und weshalb sollten z.B. Gebäude aufgegeben werden? Nicht, dass der Verweis auf das knappe Geld diese Fragen auch nur ansatzweise beantworten würde. Ich sehe Kultur und die Ausgaben für Kultur theologisch als überlebenswichtig an. Kultur und das Engagement für Kultur sind keine luxuriösen Geschmacksfragen, sondern betreffen den Kern des christlichen Lebens: "Kunst bezieht sich als reines Spiel auf Erlösung - Das wäre eine schlottrige Auffassung, nach der die Kunst ein Fakultativum für solche wäre, denen es zufällig Spaß macht."[5] Jesus Christus spricht: Siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende. (Mt 28,20) - Gottes Wort ist nicht gebunden. (2. Tim 2,9) - Der Auftrag der Kirche, in welchem ihre Freiheit gründet, besteht darin, an Christi Statt und also im Dienst seines eigenen Wortes und Werkes durch Predigt und Sakrament die Botschaft von der freien Gnade Gottes auszurichten an alles Volk. Wir verwerfen die falsche Lehre, als könne die Kirche in menschlicher Selbstherrlichkeit das Wort und Werk des Herrn in den Dienst irgendwelcher eigenmächtig gewählter Wünsche, Zwecke und Pläne stellen. BARMEN 6 Theologie der Kultur?Anders als die Frage der Form der äußeren Gestaltung, die ich für eine theologisch sekundäre und von den damit befassten Fachwissenschaften zu klärende Frage halte,[6] ist die Frage, nach welchen Kriterien wir über unsere kirchlich genutzten Gebäude diskutieren, d.h. ob wir zum Beispiel ästhetisch ausgezeichnete Gebäude im Dienste des Evangeliums brauchen und wozu sie dienen, theologisch durchaus bedeutsam und damit auch theologisch begründungspflichtig. Auffällig ist allerdings, dass in den einschlägigen Fachzeitschriften und Stellungnahmen zwar durchgehend kulturelle oder denkmalpflegerische Gesichtspunkte vorgetragen werden, theologische Argumente aber so gut wie keine Rolle spielen. Es wird nur einfach thetisch behauptet, es handele sich um theologische Fragen, ohne dies argumentativ zu unterfüttern. Was aber lässt sich theologisch sagen, außer, dass Gott unbehaust ist?[7] Die Diskussion um die Gebäude ist oft von erschreckender Einseitigkeit. Ein Beispiel: Eine Kirchengemeinde entscheidet sich zu einer anderen Raumlösung als die beratenden Architekten. Darauf hin wird ihr vorgeworfen, sie sei eigentlich kein legitimer Sachwalter der Kirche, vielmehr sei nach 30 oder 40 Jahren das Gebäude kulturelles Gemeingut, weshalb sie sich der Expertenmeinung beugen müsse. Anderes Beispiel: Da droht in einer deutschen Großstadt eine Kirche der 50er-Jahre kulturell umgewidmet zu werden - es geht nicht einmal um die Umwidmung in einen Supermarkt, sondern wirklich um eine hochkulturelle Nutzung - und die entsetzten Aufschreie beschwören den Denkmalschutz, die architekturgeschichtliche Bedeutung des Gebäudes in der Entwicklung von kirchlichen Betonbauten, seinen vorgeblich spirituellen Charakter als Ort der Begegnung mit Gott (sic!). Von der Gemeinde, die dort lebt, von der Aufgabe, um die es an diesem Ort doch im Kern gehen sollte, kein Wort. Ob die Gemeinde ihrem Auftrag, "an Christi Statt und also im Dienst seines eigenen Wortes und Werkes durch Predigt und Sakrament die Botschaft von der freien Gnade Gottes auszurichten an alles Volk" (Barmen 6) nur mit diesem oder nicht auch - und vielleicht sogar viel besser - mit einem anderen Gebäude gerecht werden kann, spielt anscheinend keine Rolle. Ob sie darüber hinaus die finanzielle Last tragen kann und sollte, die der Unterhalt eines derartigen Gebäudes bedeuten kann, zumal dann, wenn die Gemeindezahlen sinken, wird ebenfalls nicht gefragt. Bei aller Liebe zur Kunst und zur Kultur geht es doch auch darum, darüber nachzudenken, ob die Verkündigung derart einer bestimmten, hier denkmalpflegerisch ausgezeichneten Raumgestalt verpflichtet ist. "Im jüngsten Stadium reduziert sich das schöne Leben auf ... die Ostentation, das bloße Dazugehören, und der Park bietet keinen anderen Genuss mehr als den der Mauer, an welcher die draußen die Nase sich plattdrücken ... Leben ist zur Ideologie seiner eigenen Absenz geworden." ADORNO[8] OstentationAuffällig ist jedenfalls, dass von den großen geistesgeschichtlichen kulturellen Ausdrucksformen der Menschheit weder die Literatur noch die Philosophie notwendig mit ästhetisch ausgezeichneten Gebäuden verbunden sind, um sich gesellschaftlich durchzusetzen oder auch nur zu Gehör zu bringen. Selbst für die Musik, die Bildende Kunst oder die Bretter, die die Welt bedeuten, kann man die nur lockere Bindung an Räumlichkeiten leicht aufzeigen. Natürlich gab und gibt es die so genannten Musentempel, aber sie sind für die Produktion und auch die Rezeption der Künste selbst in der Regel sekundär. Literatur schreiben und rezipieren, Philosophie lehren und lernen, Kunst schaffen und wahrnehmen ist weitgehend von jeder Äußerlichkeit frei, es sei denn, es ginge um die Wahrnehmung bloß störende Faktoren wie Akustik oder mangelndes Licht. Gilt das für die evangelische Theologie und evangeliumsgemäße Verkündigung nicht? Ist sie auf eine bestimmte ästhetisch ausgezeichnete Räumlichkeit angewiesen? Wird die Verkündigung oder die Seelsorge besser, oder sagen wir anders: verändert sie sich, wenn sie in ästhetisch ausgezeichneten Räumen geschieht? Und wenn das so ist, geschieht das zu ihrem Vorteil? Selbstverständlich bin ich der Ansicht, dass, wenn wir im Kontext der Kirche Gebäude bauen oder umbauen, sie durchaus ästhetisch ausgezeichnet sein und bleiben sollten - darin bin ich mit allen kulturell engagierten Christen, Kultur-Apologeten und Baedecker-Christen einig. Die Gestaltwerdung des Christentums ist jedoch eine Folge, aber nicht die Bedingung ihrer Verkündigung. Warum sollte der Glaube - anders als etwa die Philosophie oder die Literatur - konstitutiv und nicht konsekutiv auf ostentative Räume verwiesen sein? Gilt denn nicht, was Schleiermacher schrieb, dass diese "nur eine äußere Bedingung, mithin Nebensache, nicht ein Teil des Kultus selbst" sind? In der augenblicklichen Diskussion muss man aber das Gefühl haben, die Aufgabe oder Veränderung von Gebäuden sei Aufgabe und Veränderung der christlichen Botschaft, der Umzug einer Gemeinde vom Kirchengebäude ins Gemeindehaus sei eine Aufgabe spiritueller Ausdrucksfähigkeiten. Das mag für manche Religionen zutreffen, für das Christentum reformatorischer Provinienz kann davon keine Rede sein. Meiner festen Überzeugung nach sind die Kirchen mit ihrer Jahrhunderte währenden Orientierung an ostentativen städtebaulichen Gebäudelösungen - die ja auch direkt etwas mit der Verbindung von Thron und Altar zu tun haben - in die Irre gegangen. Das rächt sich jetzt, wo aus finanziellen Gründen derartige Gebäude nicht mehr unterhalten werden können. Nahezu jeder Architekt hält selbstverständlich das öffentliche Gebäude, das er geschaffen hat, für etwas Besonderes und daher Schützenswertes. Das ist sein gutes Recht und sein verteidigenswertes Interesse und es ist rechtlich in so weit ja auch geschützt. Aber es ist nicht notwendig auch theologisch und kirchlich das letzte Wort. Leider folgt in Deutschland die Denkmalpflege allzu oft den Architekten in ihrer Ansicht und stellt deren Gebäude unter Schutz. Das hat - nicht nur bei Kirchengebäuden wie der Frankfurter Matthäuskirche, bei der Architekturtheoretiker das Gebäude zwar nicht für gelungen halten, es aber aus architektur-dokumentatorischen Gründen schützen wollten[9} - auch seine komische Seite. Wenn noch die von Eiermann entworfene Hortenfassade - lange nachdem es keine Firma Horten mehr gibt - als schützenswertes Denkmal ob dieser zeit- und kapitalbedingten Verirrung der Gebäudegestaltung gilt, kann nahezu alles unter Denkmalschutz gestellt werden - Hauptsache es weicht in irgendeiner Form von der Norm ab. Wenn Städte also gezwungen werden, bestimmte Erscheinungsformen der Architektur - wie bizarr sie auch sein mögen - als Dokument der Zeit zu konservieren, terminiert dies letztlich sogar in der Ausdruckslosigkeit der Architektur unserer Städte. In einem Kunstmuseum kann man Kunstwerke wenigstens ins Depot stellen, wenn man ihre zeitbedingte und nicht die Zeit überdauernde Gestalt bemerkt hat und sie dennoch für kommende Generationen erhalten will. Mit der Architektur geht das nicht, hier müssen die Städte die Funktion des Depots erfüllen. "Vom Nachteil der Historie für das Leben. Wie die Erinnerungsobsession am Ende zur Geschichtsvergessenheit führt" hat Hans Ulrich Gumbrecht daher zu Recht in der Zeitschrift "Die Welt" geschrieben und auf die bissige Bemerkung von Niklas Luhmann verwiesen, "nach der nicht 'jeder Fabrikschlot aus Ostwestfalen' die Erhebung in den Rang eines nationalen Kunstdenkmals verdient". Und Gumbrecht beschreibt den "Klaustrophobie auslösende Albtraum, dass eines Tages in den europäischen Städten als Folge enthemmter Restaurierungswut kein Platz mehr für irgendwelche neuen Gebäude bleiben wird. Denn dass nichts in der Vergangenheit zurückbleiben oder gar verschwinden darf, das ist ein bedingungsloses Gebot unserer Biedermeier-Zeit."[10] Dabei war ein Architekt wie der für die Horten-Fassade verantwortliche Egon Eiermann[11] selbst überhaupt nicht skrupulös im Umgang mit der Denkmalpflege: In Stuttgart "war er mitbeteiligt an einem Kaufhausneubau an der Stelle des berühmten Kaufhauses Schocken[12] von Erich Mendelsohn. Um seinen eigenen Bau zu realisieren nahm er einen Abriss dieses architektonischen Jahrhundertwerks trotz massiver Proteste in der Bevölkerung in Kauf. Der Neubau für Horten war eines der ersten Gebäude mit einer vorgesetzten ornamentalen Fassade, die das Gebäude nahezu vollständig bekleidet, Maßstäblichkeit vermissen lässt und stadträumlich als Fremdkörper wirkt. Da sich mit dieser "Horten-Fassade" die Gebäudegrundrisse sehr flexibel und mit einem Höchstmaß an Stellfläche durch die Vermeidung von Fenstern ausbilden lassen, fand dieses Fassadensystem leider in den Folgejahren viel Anklang beim Neubau von Kaufhäusern. Es ist auch als früher Versuch zu werten durch bauliche Vereinheitlichung und Ornament eine Corporate Identity aufzubauen."[13] Wie viele kirchliche Gebäude also aus der Zeit sagen wir zwischen 1960 und 1970 (also nur einem Jahrzehnt aus den zwei Jahrtausenden Christentum) sollten in Deutschland langfristig als Kultur- bzw. Baudenkmal erhalten bleiben? Wie viele sind wirklich denkmalwürdig - aus dem einen oder anderen Grund? Und was hat das für Folgen für die weitere kirchliche Tätigkeit? Es ist sicher jedes Mal eine schwere Entscheidung, Gebäude aufzugeben, abzureißen oder durch Umbau zu verändern. Aber die Gesichtspunkte, die Notwendigkeiten, nach denen dies geschieht, müssen erörtert werden und sie müssen die Argumente aller Beteiligten berücksichtigen - insbesondere die der Nutzer des Gebäudes.[14] Und es müssen verstärkt auch theologische Argumente berücksichtigt werden, wozu wir Gebäude im Dienste des Evangeliums brauchen und wozu sie dienen. Letztlich könnte dies eben auch dazu führen, dass Gebäude aufgegeben werden oder vielleicht auch - und das bildet einen zentralen Punkt meiner weiteren Überlegungen - ostentativ zu Ruinen (gestaltet) werden. Aber sie waren glücklich zwischen den Ruinen. Theorie der RuineSeit langem gibt es keine veritable Theorie der Ruine mehr, die reflektieren würde, Gebäude nicht zuletzt des 20. Jahrhunderts in Würde altern und sterben zu lassen - bei aller mythischen Ambivalenz dieser subjekthaften Aussage über Gebäude.[16] Letzte Überlegungen dieser Art stammen von dem Soziologen und Kulturphilosophen Georg Simmel[17]: "Die Ruine des Bauwerks aber bedeutet, dass in das Verschwundene und Zerstörte des Kunstwerks andere Kräfte und Formen, die der Natur, nachgewachsen sind und so aus dem, was noch von Kunst in ihr lebt und dem, was schon von Natur in ihr lebt, ein neues Ganzes, eine charakteristische Einheit geworden ist. Gewiss ist vom Standpunkt des Zweckes aus, den der Geist in dem Palast und der Kirche, der Burg und der Halle, dem Aquädukt und der Denksäule verkörpert hat, ihre Verfallsgestalt ein sinnloser Zufall; allein ein neuer Sinn nimmt diesen Zufall auf, ihn und die geistige Gestaltung in eins umfassend, nicht mehr in menschlicher Zweckmäßigkeit, sondern in der Tiefe gegründet, wo diese und das Weben der unbewussten Naturkräfte ihrer gemeinsamen Wurzel entwachsen ... Anders ausgedrückt, ist es der Reiz der Ruine, dass hier ein Menschenwerk schließlich wie ein Naturprodukt empfunden wird."[18] Dass Ruinen kulturell inspirierend sein können, ist dementsprechend nicht nur eine Entdeckung der Romantik und ein Vorteil für die Tourismusindustrie. Ruinen, darauf weist Simmel hin, sind eine Art instabiler Balance von Kultur und Natur, mit der Tendenz eines Triumphes der Natur über die Kultur - es sei denn man kultiviert die Ruine als ostentatives Zeichen wie etwa die Ruine der Berliner Gedächtniskirche, welcher aber ein neu geschaffener Turm und eine Kirche beigesellt wurden, um den Triumph menschlicher Kultur über die Natur zu verdeutlichen. Kunsthistorisch beflügelte die Phantasie der Ruine insbesondere den französischen Maler Hubert Robert (1733-1808). Als Maler und Entwurfzeichner war er berühmt wegen seiner Ruinenlandschaften, die die Vanitasthematik des Rokoko in Richtung romantischer Stimmungen weiterführen. Beeinflusst war er u.a. von den Werken Giovanni Paolo Panninis, die er in Italien kennen gelernt hatte. Seine Liebe für das Thema Ruine wurde durch Besuche des Herculaneums und Pompejis verstärkt. 1784 wurde er zum Leiter der im Louvre neu zu errichtenden Galerie ernannt, 1801 wurde er Konservator der Louvregalerie. Im Rahmen seiner Beschäftigung mit dem Louvre malte er nicht nur Bilder derselben, sondern auch Träume des Louvre als Ruine. Angeblich war es die Anschauung der Ruine, die ihn zu der nach oben offenen Konzeption inspirierte: "Hubert Robert's great work was the realization of the Louvre Museum. A comparison of two of his paintings, the first showing a ruined barrel-vault hall, and the second the Grande Galerie in the Louvre, immediately reveals the source of the idea for the top lighting and the "antique effect" that the newly designed gallery is open to the sky. The sublimity of antique ruins was to be transferred to the real building, and this in turn was to be a treasure chest of art and a worthy successor to its antique models."[19] Die Ruinen-Romantik[20] eines Caspar David Friedrich war dabei keinesfalls, wie heute oft verkürzend zu lesen ist, eine Fortstellung gegenüber Moderne und Fortschritt. Caspar David Friedrich hat die Erinnerung an die Freiheitskriege und den politischen Enthusiasmus, an die Entwürfe für eine gerechtere soziale Ordnung, an die Verwirklichung einer demokratisch-republikanischen Ordnung festgehalten. Zur Romantik gehört aber auch die frühe Kritik an der instrumentellen Vernunft und Hoffnung auf eine neue Ganzheitlichkeit, "wenn nicht mehr Zahlen und Figuren, sind Schlüssel aller Kreaturen" (Novalis). Vielleicht ist genau dies der Beitrag der Kirchen zur kulturellen Situation der Gegenwart, dass sie Orte der Vergänglichkeit im Getriebe der Metropolen wie der Städte etablieren könnten. Wenn Kirchen Zeichen in der Stadt sind, wenn sie aber mehr sein wollen, als bloß ostentative Symbole des kulturellen Selbstbehauptungswillens der Christenheit, dann müssen sie vielleicht zu Ruinen werden. Ruinen sind bedeutungsvolle Zeichen des ganz Anderen in der Stadt - sie sind zudem Verweigerung einer städtebaulichen Konkurrenz, in der alles mit Ähnlichkeit geschlagen ist. Nicht ganz in diesem Sinne, aber mit einer ähnlichen Schlussfolgerung hat Wolfgang Pehnt in der F.A.Z. vom 29. August 2005 unter der etwas dramatisierten Überschrift "Kirchensterben. Deutschland schleift seine Gotteshäuser" nach Abwägung der verschiedenen Gesichtspunkte geschrieben: "Und wenn Nutzungsphantasie und Verhandlungsgeschick auf Dauer nicht fruchten, wäre dann nicht zu handeln, wie frühere Jahrhunderte gehandelt haben? Nämlich ein Bauwerk stillzulegen statt es abzuräumen. Es zu schließen und zu sichern. Gelegentlich Wallfahrten zu den aus dem Gebrauch gefallenen Sakralstätten zu organisieren. Notfalls die Natur ihr Werk verrichten zu lassen. Den Verfall planend zu begleiten. Ruinen binden Erinnerung auf lange Zeit. Erinnerung angesichts eines lädierten Bestandes ist allemal besser als der bald vergessene Totalverlust."[21] Vielleicht überlassen wir es künftig den Bürgern, Kirchen als Kultorte der Baedecker-Christen zu pflegen oder wiederaufzubauen. Wenn es im Sinne der Definition des Kulturdenkmals und des Baudenkmals bei den in Frage kommenden Objekten um Denkmale handelt, dann ist es die Aufgabe der Bürger und des Staates für deren Erhaltung zu sorgen, das nennt man öffentliches Interesse. Insofern auch die Gemeinde im Sinne von Jeremia 29, 7 (Suchet der Stadt Bestes) ein Interesse am öffentlichen Interesse hat, wird sie das berücksichtigen müssen. Allerdings kann im Sinne von Barmen 6 ("an Christi Statt und also im Dienst seines eigenen Wortes und Werkes durch Predigt und Sakrament die Botschaft von der freien Gnade Gottes auszurichten an alles Volk") dies nicht die primäre Aufgabe der Gemeinden sein. Ganz im Gegenteil, Barmen 6 verwirft dezidierte die Meinung, "als könne die Kirche in menschlicher Selbstherrlichkeit das Wort und Werk des Herrn in den Dienst irgendwelcher eigenmächtig gewählter Wünsche, Zwecke und Pläne stellen" - wozu eben auch der Erhalt der Kultur um ihrer selbst willen gehört. Das ist kein Einwand gegen Denkmalschutz, wohl aber dagegen, ihn zur primären Aufgabe der Religionsgemeinschaften zu machen. Dort also, wo - wie etwa in Österreich - der Denkmalschutz den religiösen Überzeugungen in diesen Fragen übergeordnet wird, wird man religiös dagegen opponieren müssen. Mit Luther gilt, dass wir überall und noch in der kleinsten Hütte Gottes Wort verkündigen können. Die medialen und auch in kirchlichen Kreisen höchst erfolgreichen Interventionen der Deutschen Stiftung Denkmalschutz,[22] die insinuieren, es sei etwas Elementares für die christliche Religion getan, wenn ein verfallendes Kirchengebäude gerettet werde, haben von der christlichen Religion oder gar von der Souveränität Gottes nichts, aber auch überhaupt nichts verstanden: Gottes Wort ist nicht gebunden (2. Tim 2,9). Die 'Rettung' der Frauenkirche in Dresden etwa ist eine rein bürgerliche, keine religiöse Angelegenheit. Weil die Architektur tatsächlich nicht nur autonom, sondern zugleich zweckgebunden ist, kann sie die Menschen, wie sie sind, nicht einfach negieren, obwohl sie das, als autonome, ebenfalls muss. Exkurs: Moderne in Gefahr ! ?Nun wird das Argument der vor der Umnutzung oder dem Abriss zu rettenden Kirchen inzwischen weniger für historische, als vielmehr vermehrt für moderne Kirchengebäude eingesetzt. Es ordnet sich ein in die Kontroverse um die "Rettung der Moderne" schlechthin, welche seit vielen Jahrzehnten geführt wird. Kritische Töne gab es schon in den 60er Jahren, als Intellektuelle wie Theodor W. Adorno und Alexander Mitscherlich über das 'Unbehagen' an der modernen Architektur und über die 'Unwirtlichkeit' der Städte klagten.[24] Heute geht es darum, ob wir diese Bauten erhalten wollen oder ob sie abgerissen werden sollten. So heißt es auf einer Internetseite zur Rettung der Bauten der Moderne: "Bauten der Moderne, insbesondere der Nachkriegsmoderne der fünfziger bis siebziger Jahre, haben heute einen schweren Stand. Häufig sind sie am Ende ihres physischen Lebenszyklus angelangt und müssten aufwändig saniert werden. Doch sie passen vielerorts gestalterisch und vor allem städtebaulich nicht mehr in den Geist der Zeit. Schnell findet sich ein Investor, der mit Abriss und Neubau lockt. Dabei werden vorschnell auch erhaltenswerte Gebäude geopfert."[25] Unter den auf der Webseite aufgeführten bedrohten Gebäuden befindet sich zur Zeit nur eine Kirche, nämlich Werner Düttmanns St. Agnes-Kirche aus Berlin: "Die Kirche ist fast fensterlos. Licht fällt in das Kirchenschiff nur durch einen raumhohen Schlitz im Eingangsbereich und zwei Oberlichtbänder an den Seitenwänden. Der Altar wird durch seitliche, senkrechte Fensterschlitze diffus beleuchtet. Der grobe Zementwurfputz unterstreicht den nüchternen Charakter der Kirche zusätzlich." Und zur aktuellen Situation heißt es: "Im Zuge von Sparmaßnahmen plant die katholische Kirche in Berlin, Gemeinden zusammen zu legen und somit die Zahl ihrer Kirchengebäude zu reduzieren. Die Gemeinde St. Agnes wird mit der Nachbargemeinde St. Bonifatius fusioniert. Die St. Agnes-Kirche soll verkauft werden. Findet sich keine sakrale Folgenutzung, erwägt die Kirche den Abriss von Kirchengebäuden, um eine 'weltliche' Nachnutzung zu verhindern. Bei der Kirche St. Agnes besteht Sanierungsbedarf (Undichtigkeiten im Seitenschiff). Somit steht zu befürchten, dass ein Abriss wahrscheinlicher ist als eine sakrale Nachnutzung."[26] Was man gerne erfahren würde, ist, was die Gemeinde zur Nutzung des Gebäudes sagt und welche theologischen Gründe sie zur weiteren Nutzung motivieren sollten. Wie überhaupt die fehlende Transparenz der Beschlüsse und der Proteste dagegen zu beklagen ist. Überall wird beredt über den drohenden Verkauf und Abriss geklagt, ohne dass ersichtlich würde, welche Motive zur Aufgabe führen. Nach allen Erfahrungen sind Kirchengemeinden eher konservativ und stehen zu ihren Gebäuden - selbst dann, wenn sie ästhetisch missraten sind. Wenn sie also bereit sind, Gebäude aufgeben, müssen zwingende Gründe - nicht nur finanzieller Art - vorliegen. Darüber wüsste man gerne mehr. Einer dieser Gründe könnte zum Beispiel die perennierende Renovierungsbedürftigkeit bestimmter (Beton-)Bauten der Moderne sein. Ich kann Dieter Hoffmann-Axthelms Argumentation aus seinem umstrittenen Gutachten für das "Bündnis 90/Die Grünen" aus dem Jahr 2000 nicht im Einzelnen nachprüfen, aber wenn sein Hinweis stimmt, dass gerade die Beton-Bauten der Moderne nicht für die Ewigkeit, sondern als städtebauliches Intermezzo gebaut wurden, dann gibt das doch zu denken: "Die Bauten der Moderne wurden polemisch gegen jede Form von Schutz, Denkmal und Dauer errichtet. Sie drücken dies nicht nur ästhetisch, sondern auch in ihrem Material aus, so dass man es nicht nur mit einer Ideologie-, sondern vorrangig mit einer Funktions- und Materialbehauptung zu tun hat. Wer für den Schutz ausgewählter Bauten der Moderne eintritt, muss also
Sicher ist Hoffmann-Axthelms seinerzeitiges Gutachten überaus subjektiv und vor allem polemisch angelegt, aber auffällig ist doch die Nervosität, die es bis heute auslöst.[28] Das wird vielleicht erst verständlich, wenn man bedenkt, wie viele Gebäude z.B. im kirchlichen Bestand von seinen Überlegungen betroffen sind. Neben der oben erwähnten St- Agnes-Kirche sind "allein in Berlin noch weitere 80 Kirchen aus jener Zeit"[29] vorhanden. Und "von den rund 1.200 Kirchen und Kapellen im Erzbistum Köln (sind) seit 1948 bis heute 678 neu entstanden."[30] Das heißt, gerade diese Gebäude sind im Blick auf ihre vorgebliche oder tatsächliche Schutzwürdigkeit betroffen. Und einige von ihnen kämen eben auch für eine bewusste inszenierte Ruinenkultur in Frage. Und die künstlichen Ruinen fiengen nun allmählig an natürliche zu werden. Ruinen vom 2ten Grad. Zum SchlussDie Tatsache, dass es in der freien Enzyklopädie Wikipedia inzwischen einen eigenen Artikel zum Thema "Kirchenschließung" gibt,[32] zeigt, dass das Problem inzwischen auch für eine breite Öffentlichkeit interessant und diskutabel geworden ist. Ebenso, das erste Blogs zum Thema auftauchen (www.kirchenschwinden.de). Was aber dezidiert fehlt, sind weiterführende theologische Überlegungen, die mehr tun, als nur kulturelle Gesichtspunkte einzubringen. Sätze wie die des Bamberger Bischofs Ludwig Schick "Kirchen sind Zeugnisse des christlichen Glaubens und Orte der Gegenwart Christi. Sie bezeugen und verkündigen die Frohe Botschaft Jesu. Sie erhalten unsere christliche Kultur" sind ja noch keine Entfaltungen theologischer Lehre, sondern eher kirchenpolitische Leitsätze und darüber hinaus sogar eher irreführend, insofern sie implizit nahe legen, die Gegenwart Christi sei an anderen Orten weniger gewährleistet. Veritable theologische Überlegungen zur Kirchenraumgestaltung und zum Kirchenbau hat 1993 Matthias Zeindler in seiner Dissertation "Gott und das Schöne. Studien zur Theologie der Schönheit"[33] vorgelegt, die nun allerdings im Blick auf das konkrete Problem der Kirchenumnutzung und der Kirchenschließung konkretisiert werden müssten. Was wir wiedergewinnen müssen, ist eine Perspektive dessen, wozu die Gebäude der christlichen Kirche dienen. Populäre Verkürzungen wie die von der "Predigt der Steine" oder den "Zeugnissen des Glaubens" müssen hinterfragt und auf eine theologische Grundlage gestellt werden. Dabei ist zu berücksichtigen, dass auch Ruinen ihre eigene Sprache und ihren eigenen Ausdruck haben. Es mag sein, dass Ruinen nur eine Ultima ratio im Prozess der Entscheidungsfindung über die Zukunft eines kirchlichen Gebäudes sind, aber es ist eine diskutable. Anmerkungen
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