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Paradigmen theologischen DenkensAuf der Suche nach einem für mich heute tragfähigen und sagfähigen Glauben. Teil IIStefan Schütze Zu meiner Zusammenstellung aktueller „Paradigmen theologischen Denkens“, vor allem aus der theologischen Diskussion im englischsprachigen (nordamerikanisch-kanadischen und angelsächsischen) Bereich, die mir bei der Suche nach einem für mich heute tragfähigen und sagfähigen Glauben geholfen haben, will ich hier in einem zweiten Teil einige wichtige Lektüreimpulse nachtragen, die ich in meinem ersten Teil noch nicht aufgenommen hatte, und einige „Nachträge“ ergänzen, welche sich aus meiner seitherigen weiteren Lektüre ergeben haben. Auf dieser Grundlage will ich die bisherige „Denkfolie“ meiner „Paradigmen“ noch etwas weiterführen und am Ende eine weitere Zusammenschau über eine für mich heute tragfähige Form der Formulierung von theologischen Aussagen versuchen. 1. „In der Tiefe ist Wahrheit” - Rekonfiguration des Gottesbegriffes auf den Spuren von Tillichs „change of metaphor“Lektürebasis:
Im ersten Teil dieser Weiterführung meines „Paradigmen“-Artikels will ich einige Ansätze zu einer Neuformulierung des Gottesbegriffes reflektieren, die vor allem in der Aufnahme und Weiterführuing der theologischen Impulse von Paul Tillich entwickelt wurden. John A.T. Robinsons Plädoyer für eine nachtheistische Neuformulierung des GottesbegriffesTillichs berühmte Predigt „Von der Tiefe“ hat eine große Wirkung entfaltet sowohl auf das religiöse Leben in Nordamerika und Europa, als auch auf das globale theologische Denken und seine Weiterentwicklung des Gottesbegriffes jenseits klassisch theistischer Konzepte. Insofern war sie zusammen mit der „Gotteslehre“ in seiner „Systematischen Theologie“ und seinen theologischen Gedanken in „The courage to be“ vielleicht sein wichtigster Beitrag zur Entwicklung einer die intellektuelle Situation der Mitte des 20. Jahrhunderts rezipierenden Rekonstruktion eines nachtheistischen Gottesbegriffes, der Formulierung des Konzepts eines „God above the God of theism“, eines nicht mehr supranaturalistisch und anthropomorph verstandenen göttlichen Grundes von Lebensmut und Daseinsbejahung „who appears when God has disappeared in the anxiety of doubt“.[1] Neben dem Entmythologisierungsprogramm Rudolf Bultmanns und der Bonhoeffer’schen Skizze der Entwicklung eines „religionslosen Christentums“ waren es v.a. diese Impulse Tillichs, die den englischen Bischof John A.T. Robinson zu seinem Klassiker des modernen religiösen Diskurses „Honest to God“ inspiriert haben. Damals ein Skandalbuch, wohl v.a., weil erstmals ein amtierender Bischof solche für viele konservative Gläubige „ketzerischen“ Gedanken aussprach, und damit die Diskussionslage der historisch-kritischen akademischen Theologie sowohl „popularisierte“ als auch für viele Menschen erstmals ins Bewusstsein hob, zeigt es heute, dass (post-)moderne „radikale Theologien“ schon sehr viel ältere Wurzeln haben als es irritierten Gläubigen früher und heute erscheinen mag.[2] Robinson beschreibt einen „change of spatial metaphor“ zwischen den Gottesvorstellung der Bibel, die die Gottheit meist noch naiv im Rahmen eines „dreistöckigen Weltbilds“ als „up there“ denken, und der späteren theologischen Metaphysik, die das räumliche „up there“ in ein transzendentes „out there“ verwandelte, meist ohne sich dieser hermeneutischen Transposition explizit bewusst zu sein. Aber für heutiges wissenschaftliches Denken ist auch eine Vorstellung eines transzendenten Gottes „out there“ schwierig geworden. Wir können Gott heute nicht mehr als höchstes Seiendes außerhalb der Erde, als himmlische Überperson, irgendwo „jenseits“ der Grenzen des uns bekannten Raum-Zeit-Kontinuums denken. Das aber macht vielen Gläubigen Schwierigkeiten: „The abandonment of a God ‚out there’ represents a much more radical break than the transition to this concept from that of a God ‚up there’. For this earlier transposition was largely a matter of verbal notation, of a change in spatial metaphor, important as this undoubtably was as in liberating Christianity from a flat-earth cosmology. But to give up any idea of a Being ‚out there’ at all will appear to be an outright denial of God. … But suppose such a Super-Being ‚out there’ is really only a sophisticated version of the Old Man in the sky? Suppose belief in God does not, indeed cannot, mean being persuaded of the ‚existence’ of some entity, even a supreme entity“ irgendwo „jenseits“ der uns bekannten Welt?[3] Die Bestreitung einer solchen jenseitigen Über-Person wäre dann gerade kein glaubensfeindlicher Atheismus, sondern nur eine weitere nötige Reformulierung des Gottesbegriffes, so wie es die alte Transposition vom „up there“ zum „out there“ war. Atheisten, die die Existenz eines Gottwesens „out there“ bestreiten, hätten Recht. Aber was ihre Kritik träfe, wäre nicht wirklich Gott, sondern seine Verkehrung in einen Götzen. Nur der Abschied von einer solchen Vorstellung eines jenseitigen Gottwesens könnte dann das Christentum zukunftsfähig machen, auch wenn dieser Abschied vielen noch schwer fällt. Eine solche Transformation des Gottesbegriffes theologisch vorbereitet hat laut Robinson neben Bonhoeffer („Einen Gott, den es gibt, gibt es nicht!“) und Bultmann („Lass brennen was brennt!“) v.a. Paul Tillich, der mit dem Symbol der „Tiefe“ nicht nur einen neuen „change of spatial metaphor“ vornimmt, sondern das Nachdenken über Gott insgesamt auf neue, nachtheistische Bahnen führt. Das erste Lesen seiner Predigt „Über die Tiefe“ war für Robinson wie das „Läuten einer Glocke“ in seinem Denken, und wie ein „Licht“, das ihm plötzlich aufschien: „Der Name dieser unendlichen Tiefe und dieses unerschöpflichen Grundes alles Seins ist Gott. Jene Tiefe ist es, die mit dem Wort Gott gemeint ist. Und wenn das Wort für euch nicht viel Bedeutung besitzt, so übersetzt es und sprecht von der Tiefe in eurem Leben, vom Ursprung eures Seins, von dem, was euch unbedingt angeht, von dem, was ihr ohne irgendeinen Vorbehalt ernst nehmt. Wenn ihr das tut, werdet ihr vielleicht einiges, was ihr über Gott gelernt habt, vergessen müssen, vielleicht sogar das Wort selbst. Denn wenn ihr erkannt habt, dass Gott Tiefe bedeutet, so wisst ihr viel von ihm. Ihr könnt euch dann nicht mehr Atheisten oder Ungläubige nennen, denn ihr könntet nicht mehr denken oder sagen: 'Das Leben hat keine Tiefe, das Leben ist seicht, das Sein selbst ist nur Oberfläche.' Nur wenn ihr das in voller Ernsthaftigkeit sagen könnt, wäret ihr Atheisten, sonst seid ihr es nicht. Wer um die Tiefe weiß, der weiß auch um Gott."[4] Auf den Spuren dieser Einsicht gilt es für Robinson den Gottesbegriff zu reformulieren. Dabei weiß er, dass eine solch fundamentale Neuformulierung in der gegenwärtigen Kirche noch wenig Anhänger hat und viel Widerstand erzeugt. „Nevertheless, despite its practical reference, such thinking is still nowhere near being assimilated or digested by the ordinary man in the pew, nor by most of those who preach for him or write for him.“ Doch er hält fest: „I believe there must come a time when in some form or another it will be so digested, and when our everyday thinking about God will have become as subtly transformed by it as by the earlier transposition of which I have spoken.“[5] Mit seinem Buch und seiner Vision hat Robinson jenseits der dadurch ausgelösten „Bekenntniskämpfe“ tatsächlich zu einer anhaltenden Popularisierung und Wirkkraft kritisch-theologischen Gedankengutes beigetragen, das in den Hauptrichtungen gegenwärtigen kirchlichen Christentums m.E. immer noch nicht wirklich tiefgreifend rezipiert und assimiliert wurde, das sich aber insgesamt in den von mir hier zusammengestellten „Paradigmen“ eines zukunftsfähigen neuen theologischen Denkens niederschlägt, und insbesondere im Rahmen der beiden in meinem ersten „Paradigmenartikel“ von mir benannten grundlegenden theologischen „Rekonstruktionsaufgaben“ von richtungsweisender Bedeutung ist. John F. Haughts Weiterentwicklung von Tillichs Grundsymbol der Tiefe zu fünf Wegen der Verortung der Gottesrede in Grundhorizonten menschlicher WirklichkeitserfahrungEine richtungsweisende Weiterentwicklung des Gottesbegriffes auf den Spuren von Tillichs neuem „change of spatial metaphor“ stellt m.E. auch das 1986 erschienene kleine Buch „What is God? How to think about the divine“ von John F. Haught dar, dessen Impulse ich in diesem Zusammenhang hier nun als nächstes skizzieren will. “The topic of this book is to think about God“[6], schreibt Haught in seiner Einführung. Dabei will er an die menschlichen Intuitionen und Gefühle für das Göttliche anknüpfen und sie in einen „theoretical mode of consciousness“ integrieren. „By theoretical consciousness I mean the type of cognition in which we step back from the immediacy of an experience and place that experience in a conceptual framework. Once we have placed our immediate experience in such a network of ideas the original experience can be mediated to us in a way that allows us to relate it to other experiences and ideas.“[7] Dabei will Haught die Einwände der Tradition „negativer Theologie“ in allen religiösen Traditionen der Menschheit Ernst nehmen, dass positive Aussagen über Gott allenfalls indirekt möglich sind, in der Form von Analogien, Symbolen, und Metaphern, weil „our language is always inadequate at best“[8]. Die Gottesidee drückte sich in der Menschheitsgeschichte ursprünglich in Ritualen und Mythen aus. Darum muss jedes gedankliche Gotteskonzept konstitutiv auf die Orientierungskraft dieser Ursprungsmythen bezogen bleiben. „For it may be that in these symbolic sources there is an ever renewable plenitude of meaning that can continue to nourish our thinking in every age, no matter how scientifically minded we may become.“[9] Doch nicht nur der Erfahrungsgehalt überlieferter Mythen und Rituale, sondern auch unsere eigenen Lebenserfahrungen sind Quelle eines rationalen Gotteskonzeptes, wie es Haught entwickeln will: „We must ask whether there is anything identifiable in the experience of all of us, and not just ‚religious’ people, to which the name ‚God’ might refer.“[10] Wie Theißen fragt Haught also nach der „Erfahrungsbasis religiöser Vorstellungen“[11] im heutigen menschlichen Leben, ohne die jedes Gotteskonzept ein sinnloses Wortgebilde bliebe. Hier sind, so Haught, auch die Einwände der Religionskritik entschieden auf- und ernstzunehmen. Dazu führt er weiter aus: „In this book I shall suggest five ways of thinking realistically about God. I shall propose that ‚God’ need not be mistaken as refering to anything alien to the deepest aspects of our common human experience. And I shall argue that the referent of this name is what all of us have already experienced to one degree or another, and that we all long to experience even more intimately at the most fundamental levels of our being.“[12] Dabei kommt es nicht nur zu einer Bestätigung, sondern auch zu einer Transformation des traditionellen Gottesgedankens vieler Christen, die Gott mit „a human-like image of a cosmic ‚personality’“[13] verbinden. Diese traditionelle Vorstellung eines „persönlichen Gottes“ scheint vielen Menschen heute kaum noch vereinbar zu sein mit den wissenschaftlichen Erkenntnissen heutiger Kosmologie. Auf der anderen Seite ist es schwer, nur noch zu einem „kosmischen Prinzip“ zu beten. Haught will darum in Anlehnung an Tillich Gott nicht als „unpersönlich“ verstehen, denn „Gott“ ist auch der Grund und die Zukunft des menschlichen Personseins, und wenn Gott nicht „at the very least“ über „those qualities“ verfüge, „which constitute the dignity of human persons, that is, something like intelligence, feeling, freedom, power, initiative, creativity etc. (though to an eminent degree)“ könnte er nicht „adequately inspire trust or reverence in human beings“[14]. Aber das bedeutet nicht, dass es für Haught heute noch möglich wäre, sich Gott naiv als himmlische „Über-Person“ vorzustellen. Neben den „personalen“ sind die „überpersonalen“ oder „transpersonalen“ Aspekte für ein heute plausibles Gottesbild genau so wichtig, die sich in vielen religiösen Traditionen finden: „Religions often allude to an aspect of deity that cannot be adequately represented in personalistic imagery. And it is this side of ‚thought’ about God that I shall highlight.“[15] Diese Betonung der nichtpersonalen Aspekte des Gottesbildes trägt auch dem Problem von „God’s apparent absence and unavailability“, seiner „elusiveness“ in vielen Teilen heutiger Wirklichkeitserfahrung Rechnung. „Why, as Freud asked, should that which holds the most importance for believers … be so lacking in immediate obviousness to themselves as well as to non believers? I shall contend that an examination of the transpersonal dimension of God’s life … may help us to make some sense to the ‚scandal’ of divine hiddenness.“[16] Gerade eine Betonung der „neuter language“ in der Gottesrede kann über die Aporien eines traditionellen antropomorphen Gottesbildes hinausführen. „Thinking of the ultimate context of our existence in such a neuter manner seems necessary if we are to avoid unduly narrow ideas of ultimacy. There is a strong temptation in all historical religions to reduce their notions of God to manageable antropomorpic proportions for the sake of easy access to and even control of deity. Thus an emphasis on the neuter in our thinking about God … is a necessary corrective to a one-sidely personalistic understanding.“[17] Im Folgenden führt Haught fünf auf alltägliche menschliche Grunderfahrungen bezogene „ways of looking at the idea of God“ in einer solcherweise die „neuter dimensions of the divine“ betonenden Zuspitzung weiter aus. Dabei fragt er jeweils a) nach der besonderen Erkennbarkeit Gottes in diesem besonderen Bereich menschlicher Gunderfahrung, b) nach seiner dennoch bleibenden Verborgenheit und Nicht-„Verifizierbarkeit“, weil Gott auch in diesen Erfahrungsbereichen „does not show up as one object among others“, und c) „how we might reach a deeper understanding of ‚religion’ in the light of our analysis of these aspects of our experience“.[18] In der konkreten Ausführung nimmt er Impulse von Whitehead, Ricoeur, Lonergan, Rahner und insbesondere Paul Tillich auf, mit dessen Reformulierung des Gottesbegriffes im Symbol der „Tiefe“ er beginnt. Die anderen „Haftpunkte“ der Gottesrede im Bereich menschlicher Erfahrung, die er entfaltet, sind „Zukunft“, „Freiheit“, „Schönheit“ und „Wahrheit“. Alle diese unterschiedlichen Fäden der Erfahrungsbasis des Gottesglaubens führt er schließlich zusammen im übergreifenden Grundsymbol des Geheimnisses („mystery“), in dem er letztlich alle menschliche Gottesrede begründet und verwurzelt sieht. (1) In unserer Wirklichkeit sind Menschen und Dinge oft nicht, „what they seem to be“, sondern, wenn wir ihnen wirklich begegnen, spüren wir, dass wir „have to move to a deeper level of understanding“.[19] Der Grund dafür ist nach Tillich, dass „beneath (the) surface“ aller erfahrenen Wirklichkeit „there lies … an infinite and inexhaustible dimension of depth“[20]. Diese Tiefendimension der Wirkichkeit, die Menschen erfahren, oder vor der sie fliehen, ist „both abyss and ground“.[21] Aber noch im tiefsten Abgrund der Wirklichkeit findet der Mensch „something like a ground in the depths of the abyss“, den „courage to be“. „It is this ground of courage, testified to even by serious atheistic thinkers, that helps us in part to indicate what we mean by God.“[22] Wenn Gott diese „always elusive“, niemals auf der oberflächlichen Ebene der Wirklichkeit fixierbare und verifizierbare abgründige „Tiefe“ der Lebensbejahung ist, dann ist Religion zu beschreiben als die lebenslange Suche nach dieser Tiefe. (2) Menschen erfahren jeden Augenblick ihres Lebens als vergänglich; wenn sie den Augenblick fassen wollen, ist er immer schon vorbei. Aber der Augenblick, der soeben in der Vergangenheit versunken ist, kam aus der Zukunft zu uns. „The source of that moment’s novelty we refer to as the future.“[23] Menschliches Leben ist immer auf Zukunft ausgerichtet, die zugleich seine Hoffnung und seine Bedrohung ist. „The name for this infinite and inexhaustible future is God.“[24] „Perhaps therefore, God may be understood less as a potential object of experience than as … (its) … condition and future horizon“: Gott wäre dann der „ground of hope that animates us to search further whenever we realize that we have not yet arrived at what we really long for“.[25] Religiöses Leben wäre dann wesentlich Leben im Modus der Zukunftsoffenheit und Hoffnung. (3) Menschen erfahren „Freiheit“ als den Mut, ihr Leben zu bejahen trotz seiner radikalen Bedrohung durch das Nichtsein. So kann diese grundlegende Freiheitserfahrung ein weiterer empirischer Haftpunkt menschlicher Gottesrede sein: „The name of this ultimately grounding and courage-bestowing horizon of freedom that becomes transparent in acts of courage is God.“[26] Und Religion wäre dann zu verstehen als „both the quest for and the affirmation of an ultimate ground of freedom … in spite of anxiety“[27]. (4) Menschen erfahren die Dimension von „Schönheit“ in der Natur, in anderen Menschen, in großen Ereignissen oder Kunstwerken als etwas, von dem sie „ergriffen“ werden, und dem sie sich „hingeben“ müssen. Menschliche Schönheitserfahrungen sind auf der einen Seite „überwältigende“ Erfahrungen. Auf der anderen Seite gibt es im Menschen eine Sehnsucht nach Schönheit, die keine konkrete irdische Schönheitserfahrung jemals ganz erfüllen kann. Dies ist der vierte empirische Haftpunkt für die Gottesrede, den Haught vorschlägt: „In short, our quest for beauty is a quest for the divine. That ultimately satisfying beauty for which we long but which continues to elude us is what the word ‚God’ means.“[28] Insofern hat Religion immer auch eine ästhetische Dimension. „Religion … may be thought of as … devotion or surrender to the cosmic process that orders novelty into more intense aesthetic contrasts and so enhances the incarnation of beauty in our world.“[29] (5) Auch wenn die „Wahrheit“ als weiterer wichtiger Grundhorizont des menschlichen Lebens schwer zu definieren ist, und Menschen vor der Wahrheit oft eher fliehen, als sie suchen, setzt menschliches Handeln immer ein grundlegendes Vertrauen in die Wahrheitsfähigkeit menschlicher Erkenntnis voraus: „Every act of judging or of questioning presupposes the possibility of our finding the truth. Without an implicit ‚faith’ that intelligibility and truth can be found, we would not have the courage either to seek understanding or to make judgements about the world around us.“[30] Die Möglichkeit gelingender Weltorientierung setzt eine uns freundliche und tragende Grundstruktur der Wirklichkeit voraus, ein Vertrauen in die Welt, das einem Gefühl unbedingten Angenommen- und Geliebtseins trotz aller Absurditäten des Daseins entspricht. Das Wort „Gott“ wäre dann ein Ausdruck für das „ultimate objective“ unseres „desire to know“, eine Beschreibung des „unrestricted horizon of truth and love toward which (our) desire to know is directed“.[31] Religion wäre dann ein „surrender“ unseres gesamten Lebens unter die Suche nach echter Wahrheit, eine aller Lüge und Illusion gerade entgegen gesetzte „uncompromising passion for the truth“[32] Schließlich widmet Haught das letzte Kapitel seines Buches unter der Überschrift „conclusion“ dem Begriff des „mystery“. Für viele glaubende Menschen sei „the term mystery … resonant with the depth, future, freedom, beauty and truth to which I have pointed in this book.“[33] Haughts „objective“ in der theologischen Interpretation dieser fünf grundlegenden religiös sensiblen Erfahrungsbereiche war es darum „to provide several avenues leading up to the idea of mystery as the most appropriate designation for the divine“[34]. Dabei ist unsere Zeit geprägt durch eine „eclipse of mystery“, die zugleich die Möglichkeit für heutige Menschen bedeutsamer Gottesrede verdunkelt. Dennoch bleibt die Dimension des „Geheimnisses“ grundlegend für unser Leben. Viele Menschen verwechseln dabei heute „mystery“ mit „problem“, einem „gap of knowledge“, das sich wissenschaftlich schließen lässt. Aber weit entfernt davon nur auf ein lösbares „Problem“ zu verweisen, bezeichnet das Wort „mystery“ „a region of reality that, instead of growing smaller as we grow wiser and more powerful, can actually be experienced as growing larger and more incomprehensible as we solve more of our scientific and other problems“[35]. „Mystery appears to consciousness as the ‚limit’ of our ordinary problem-oriented questions. It reveals itself decisively where we seriously ask what may be called ‚limit-questions,’ questions that lie at the ‚boundary’ of our ordinary problem-solving consciousness.“[36] Solche „limit-questions“ sind z.B.: Warum überhaupt soll ich nach „Wahrheit“ suchen, und dafür die prinzipielle „Intelligibilität“ des Universums voraussetzen? Warum soll ich mich um Ethik kümmern und das „Gute“ dem „Schlechten“ vorziehen? Warum sehne ich mich nach dem Schönen und bin „unheilbar“ auf Zukunft ausgerichtet? Das sind das wissenschaftliche Forschen weit transzendierende Fragen, bei denen „a specifically religious discourse“[37] beginnt. Religiöses Denken erlaubt diesen „impossible questions“ „to take over our consciousness and pull us into the mystery that lurks on the other side of our problems“.[38] Diesen „limit-questions“ entsprechen „boundary experiences“ unter der Oberfläche unseres geordneten Alltags, Erfahrungen von Erfüllung und Verlust, von Liebe, Leiden und Tod. Diese Grenzfragen und Grenzerfahrungen sind Einladungen, uns für die Tiefendimension unserer Wirklichkeit zu öffnen und „the dimension of mystery“ zum „most important and enlivening aspect of our lives“ zu machen.[39] Manche Menschen haben Schwierigkeiten, diese „dimension of mystery“ mit dem Namen „Gott“ zu verbinden. Zu oft wurde dieser Name missbraucht, trivialisiert und politisch instrumentalisiert. Auf der anderen Seite gibt es in unserer abendländischen Geschichte kein stärkeres und reicheres Wort, um diese Dimension von „mystery“ zu benennen und zugleich in eine bestimmte Richtung zu deuten: „It is in order to accentuate the gracious, self-giving nature of mystery that we use the term ‚God’ in referring to it.“[40] In all dem ist Haught sich bewusst, dass er im Rahmen dieser Überlegungen einseitig das positive Potential von Religion und Gottesrede hervorhebt und kaum auf ihre Schattenseiten eingeht. Von daher ist sein Werk nicht nur eine Apologie des Gottesglaubens im Blick auf religionskritische Einwände, und nicht nur eine Einladung zum Glauben für skeptische Zeitgenossen, sondern auch ein Appell an die Glaubenden selbst, die Gestalt ihres Glaubens diesem „Ideal von Religion“ entsprechend zu transformieren, das auch als kritische Norm für alle gelebte Religion und alles theologische Denken fungieren soll. Vielleicht könnte man in der Verbindung der Impulse Haughts und Theißens formulieren, dass die von Haught ausgeführten fünf grundlegenden religiös sensiblen menschlichen Erfahrungsbereiche (und der sie alle umfassende Erfahrungsbereich von „mystery“) so etwas wie grundlegende „Resonanzräume“ menschlicher Existenz sind, in denen Menschen etwas von der Harmonie zwischen dem Ganzen der Wirklichkeit und ihrem eigenen Leben spüren, also Resonanz erfahren, aber auch Erfahrungen der „überwundenen Absurdität“[41] machen können, so dass sie in diesem Sinne tatsächlich Grundsymbole des Lebens „in face of mystery“ (Kaufman), und damit in der Dimension des Göttlichen, sind. Non-theistische Refiguration reformatorischer Leitgedanken Matthias Kroegers Forderung nach einer Neuausrichtung kirchlicher Gottesrede auf dem Hintergrund moderner menschlicher ReligiositätSehr viel stärker noch als Haught plädiert der emeritierte Hamburger Kirchen- und Theologiehistoriker Matthias Kroeger für einen grundlegenden Paradigmenwechsel im christlichen Verständnis von „Religion“ und „Gott“: Er entwirft die Vision einer alternativen Spiritualität, die die Wirklichkeit der sog. „vagabundierenden Religiosität“ vieler heutiger Menschen nicht mehr von angeblich überlegener Warte aus als defizitär verurteilt, sondern positiv an sie anknüpft und sie theologisch integriert. Die Spiritualität gerade der Mehrheit der der Kirche und ihrem Dogma religiös längst entfremdeten Menschen sei der eigentliche Ort, an dem die Aufgabe der theologischen Rechenschaft und Verkündigung sich heute zu vollziehen hat. Dabei entwirft er kein unkritisches Ideal dieser „freien Religiosität“ jenseits der Kirchen. Er beschreibt sie vielmehr als „in mancherlei Hinsicht ein allzu angepasstes Kind heutiger Ratlosigkeiten, Ausblendungen und Eindimensionalitäten“[42]. Insofern muss kirchliche Theologie auch zur Vertiefung, Klärung und Korrektur dieses oft eher diffusen „vagabundierenden“ religiösen Empfindens beitragen, aber sie muss es dabei „als ihre produktive und unausweichliche Voraussetzung, als Gegenüber ihrer weiterreichenden Botschaft kennen und theologisch ernst nehmen“[43]. Faktisch verweigern die Kirchen sich heute aber einer solchen kritisch-konstruktiven Integration des religiösen Umbruchs der modernen Welt, und setzen stattdessen auf die kurzsichtigen „Ausweichmanöver“[44] einer formalen „Marktorientierung" und Übernahme von Methoden des Managements, um der eigentlich notwendigen grundlegenden inhaltlichen Neuausrichtung aus dem Wege zu gehen. Die von Kroeger stattdessen geforderte fundamentale Revision kirchlichen theologischen Denkens und Sprechens bedeutet eine durchgängige Transformation traditioneller theologischer Inhalte im Rahmen einer non-theistischen Theologie, die nicht nur dem tatsächlichen religiösen Empfinden der meisten heutigen Menschen Rechnung trägt, sondern im Grunde auf ganz alte Wurzeln zurückgreift, sowohl in der christlichen Theologie (von Meister Eckhart bis Dietrich Bonhoeffer oder Paul Tillich) als auch in vielen anderen Religionen (Buddhismus, Hinduismus etc.). Kroeger fragt: „Kann man legitim und genuin religiös sein, wenn man denn an die Existenz einer die Welt leitenden Gottperson nicht mehr glauben kann?“[45] Kroeger bejaht diese Frage nicht nur, sondern sieht in einer solchen non-theistischen Refiguration des Transzendeskonzeptes geradezu die „Schaltstelle“, an der sich entscheidet, „ob die heutige theologische Rede die Logik und das Plateau des (nötigen) neuen Paradigmas … legitim erreicht und in sich aufnimmt“[46]. „Gott“ wird in dieser non-theistischen Rekonstruktion der menschlichen Transzendenzerfahrungen vor allem als „Geheimnis“ verstanden, ein Geheimnis, das auch in seiner Selbsterschließung („Offenbarung“) nicht aufhört, Geheimnis zu sein, dem Menschen sich darum nur in „Symbolen, Bildern und Analogien“ nähern können. „Wir glauben nicht an ‚einen Gott’, welcher ein verendlichtes, vereinzeltes Jenseitswesen wäre … Vielmehr ist ‚Gott’ (so wie alttestamentlich Jahve!) ein Name Name einer uns in allen Poren umgebenden, umfassenden, tragenden (immer wieder auch richtenden und bedrohenden) überpersönlichen Wirklichkeit. Sie, das Göttliche und Geheimnis aller Dinge, ist der Kern aller Wirklichkeit, das Wirkliche der Wirklichkeit.“[47] Mit dem Namen „Gott“ interpetiert theologisches Denken vielfältige religiöse Grunderfahrungen, die der Mensch in seiner Berührung durch dieses Geheimnis aller Dinge macht. Religion erwacht, „wenn ein Mensch … sich allmählich der Schönheiten, Rätsel und Probleme seines Lebens, seiner Liebe, seiner Sterblichkeit oder seiner Einsamkeit … bewusst wird und das scheinbar Selbstverständliche fragend zum Unselbstverständlichen, Erstaunlichen, Merkwürdigen wird. Und wenn er eines Tages mit Staunen und Entdeckerfreude auf das Erfreuliche, das Wunder und das Schöne, oder … auf das Anstrengende, Bedrohliche, Zwiespältige … aufmerksam wird“[48]. Diese religiösen Grunderfahrungen aufzunehmen und zu vertiefen ist Aufgabe aller Theologie. Insofern diese Grunderfahrungen „uns als Menschen in unserem Personzentrum betreffen und ansprechen“, hat dabei auch die Symbolisierung des Göttlichen in personalen, anthropomorphen Bildern ihr relatives Recht: „Es gehört“ in diesem Sinne „zu den Möglichkeiten des religiösen Mutes, dass er - … im klaren Wissen, dass es keine separate Gottperson gibt ins Dunkel der diffusen und zwielichtigen Erfahrungen hinein, die wir ständig machen, die Ansprache des ‚Du’ wagen kann“[49]; denn diese „Anrede erkennt, unterstellt und betont etwas Legitimes, weiß aber sehr wohl, dass sie menschliches Symbol“ und „projektive(n) Deutung(en)“ religiöser Erfahrung ist[50]. Wenn der Name „Gott“ zwar eine zutiefst „persönliche“ Erfahrung mit der uns Menschen tragenden (und beunruhigenden) Letzten Wirklichkeit bezeichnet, aber nicht auf ein tatsächlich persönliches jenseitiges Gottwesen weist, dann lösen sich auch die Aporien der klassischen Theodizeefrage. Es ist der theistischen Theologie nie gelungen, das „Schweigen“ ihres als allmächtig und liebend zugleich gedachten Gottes verstehbar zu machen. „Das non-theistische Paradigma hingegen erklärt das ‚Schweigen Gottes’ besser, weil es gar keinen Gott gibt, der reden“ und allmächtig eingreifen könnte. „Es gibt keinen extra-mundänen eingreifenden Gott, sondern nur ein allenthalben … innewohnendes, verborgenes und wehrloses Geheimnis, mit dem es eins zu werden gilt. Diese berechtigte Einsicht des Non-Theismus ist … ein wesentlicher Erkenntnisfortschritt.“ Die quälende Frage, warum „Gott das und das“ zulässt, hat ein Ende. „’Dir hat kein Gott dies zugedacht …’, so lautet die neue, herbe, erst zu lernende Antwort. Die Frage nach der Bedeutung und Wirklichkeit eines blinden Schicksals, innerhalb dessen es doch immer noch tragende Kräfte und Gewissheiten gibt, spitzt sich jetzt erst angemessen zu.“[51] Gebet bleibt auch unter solchen non-theistischen Vorzeichen eine wichtige Dimension religiöser Existenz. Es ist ein Sich-Öffnen zum Geheimnis aller Dinge hin, nicht mehr abergläubisches Bittgebet, sondern „meist die Meditation, die sich in das umfangende und tragende … Göttliche hinein loslasst und im … Sich-Ausstrecken der Seele Anschluss an die immer auch vorhandenen Kräfte des Heils sucht“[52]. In dieser neuen Form von Gebet ist auch die Kraft der Haltung des alten Bittgebets enthalten: „Wir können unsere - berechtigten und herzensnotwendigen Wünsche, Bitten, Hoffnungen und Sehnsüchte aussprechen und an den Himmel werfen, aber es gilt dabei meditierend oder betend, im Wissen, dass der Sehnsucht keine eingreifend theistische Gottperson entspricht - … mit den Kräften des Heils, die allenthalben mitten in allem Unheil auch in der Welt sind, eins zu werden und sich … in sie zu fügen.“[53] Der mit dieser non-theistischen Refiguration der Gottesrede verbundene notwendige „Ruck“ im kirchlichen Denken lässt sich dabei weiter darstellen als viele kleine „Rückungen“, oft nur kleine Verschiebungen in klassischen christlichen Lehrstücken, deren sachliche Grundlage Kroeger bereits in der reformatorischen Neuausrichtung der Theologie sieht. Insbesondere bei Luther finden sich viele weiterführende, transformative Denkansätze, die bei Luther selbst aber eher noch einzelne steile Spitzen sind, mehr am Rande seines theologischen Denkhorizontes angedeutet, als tatsächlich in seinem Lehrsystem ausgeführt. Insofern will Kroeger gewissermaßen mit Luther über Luther hinausgehen, um die von ihm beklagte „Transformationsverweigerung“ im gegenwärtigen „offiziellen“ kirchlichen Denken durch Anknüpfung an den protestantischen Ursprungsimpuls zu überwinden. Solche transformativen „Rückungen“ vollzieht Kroeger zunächst im Bereich der Christologie, indem er vorschlägt, a) den Gedanken der „Absolutheit des Christentums“ („Christus allein“), der nicht nur sozial unakzeptabel, sondern auch theologisch unhaltbar geworden ist, mit einer bereits „in den frühen 1920er Jahren“ von Tillich eingeführten „kleinen, aber genialen und erhellenden Begriffsverschiebung“[54] zu transformieren in den Gedanken der „unbedingten“ Gültigkeit christlicher Glaubenserfahrung für die Christen, und b) die Versöhnung in Christus nicht mehr weiter in der Kategorie des Gott befriedigenden Opfers zu denken, sondern, einem Impuls Luthers folgend, eines heilshaften „Mächtekampfes“ Christi, der die Unheilsmächte überwindet. Auf dieser Grundlage wird dann eine Neuauslegung zentraler christlicher Grundworte für die heutige Zeit möglich, durch die die „alternative“ Spiritualität der christlich längst Distanzierten mit der Öffnung und Aufbereitung der traditionellen religiösen Schätze der Kirche in eine für beide Seiten fruchtbare neue Beziehung gebracht werden kann. Das freie, aber diffuse religiöse Bewusstsein moderner Menschen erhält so aus dem „Schatz der interreligiösen wie der christlichen Tradition“, und aus diesem speziell „in seiner reformatorischen Zuspitzung“ klärende und wegweisende Impulse, die „informierend, orientierend und ernährend“ wirken als „bewährtes Brot, keine Steine, unbedingte, wenngleich keine absolute Wahrheit, erprobt und bewährt im Leben und Sterben von Generationen mit erstaunlichem Wiedererkennungswert in anderen religiösen Mustern und biographischen Selbsterfahrungen“[55]. a) Das erste und wichtigste „Grundwort“, mit dem die christlich-reformatorische theologische Tradition das religiöse Leben heutiger Menschen „nähren“ und vertiefen kann, ist „Gnade“. Der Begriff der „Gnade“ „meint das Wissen und die Erfahrung, dass es zentrale Aspekte unseres Lebens gibt, ja dass es sogar die letztlich entscheidenden Erfahrungen des Lebens sind, die … nicht vorgenommen, geplant und gemacht werden können, die man vielmehr nur geschenkt bekommen kann“[56]. Dazu gehören Liebe, Freundschaft, Gewissheit, Schönheit, Vergebung oder Lebensmut „trotz alledem“. „Diese Erfahrung von ‚Gnade’ ist ein … Gegengewicht gegen den allenthalben grassierenden Wahn der Machbarkeit aller Dinge“[57], „auch des eigenen Lebens“[58] Um Gnade wissen, heißt „Danke zum Leben“ zu sagen und es trotz seiner unheilbaren Gebrochenheit jeden Tag zu lieben. b) Das zweite „Grundwort“, mit dem die christlich-reformatorische theologische Tradition das religiöse Leben heutiger Menschen „nähren“ und vertiefen kann, ist das „Du sollst“, die Dimension des verpflichtenden „Gesetzes“ im menschlichen Leben, die die „Bedingung der Freiheit und der religiösen Autonomie“[59] ist. Die Dimension des „Gesetzes“ weist auf die „Erfahrung, dass uns immer wieder im persönlichen oder politischen Leben - Zumutungen und Forderungen begegnen, an denen wir nicht vorbeikönnen es sei denn um den Preis unserer seelischen Integrität und Versteinerung. Wir können diesen allenthalben begegnenden und sprechenden Imperativ wohl übergehen und verletzen, aber die Tatsache des Ethischen können wir nicht übergehen, auslöschen und wieder aus der Welt bringen. Sie hängt uns seit der humanen (kulturellen) Ko-Evolution an und sie besteht in Erfahrungen, die uns ‚stellen’, uns ‚packen’ und die ein ‚Du musst’ zu uns sprechen.“[60] c) Die beiden Grundworte „Gnade“ und „Gesetz“ sind das vielleicht wichtigste Erbe reformatorischer Theologie zur Orientierung heutigen religiösen Lebens. Der „blinde Fleck“ der Reformation war dagegen die mystische Dimension der Religion, die „Entwicklung der religiösen inneren Stimme, … des Gelassenwerdens, Loslassens und Leerwerdens, … der Erfahrung des Eins- und Versöhntseins mit sich selber und der Welt (dem ‚All’)“[61]. Dennoch kann die dritte Grunddimension religiöser Orientierung, mit der das Erbe der Reformation heutiges religiöses Leben „nähren“ und vertiefen kann, die reformatorische Unterscheidung von Gott und Mensch sein, die gegen den mystischen Verschmelzungsgedanken von Göttlichem und Menschlichen festhält, dass der Mensch durch die Religion wahrhaft „menschlich“, nicht aber „göttlich“ wird, und „Religion" durch den Gedanken der „Vergöttlichung“ des Menschen tatsächlich eher gefährdet und verführbar ist. Insgesamt scheint mir Kroegers Ansatz im Rahmen meiner „Paradigmen theologischen Denkens“ viele wichtige weiterführende Impulse und Denkanstöße zu geben. Etwas schade ist, dass er seine Argumente zwar im Gespräch mit der Reformation und der deutschsprachigen theologischen Tradition entwickelt, aber die Ansätze etwa der „pluralistischen Religionstheologie“ oder des theologischen „Konstruktivismus“ aus dem englischsprachigen Bereich genauso wenig aufgreift und fruchtbar macht, wie es die „normale“ kirchliche theologische Tradition tut, die er verändern will. Insgesamt könnte es m.E. der gesamten gegenwärtigen deutschen Diskussion um theologisch und religiös „notwendige Abschiede“ m.E. nur gut tun, in dieser Hinsicht auf beiden Seiten aus ihrer „splendid isolation“ herauszukommen. Anmerkungen[1] Tillch, Courage, 190 [2] vgl. dazu auch den im Deutschen Pfarrerblatt veröffentlichten Diskussionsbeitrag von Wolfgang Lück über die nicht erst heute nötige „Zurückhaltung in der ‚Gottesgelehrtheit’“ [3] Robinson, Honest, 17 [4] Tilich, Tiefe, 54f. [5] Robinson, Honest, 26 [6] Haught, What is God, 1 [7] Haught, What is God, 2 [8] Haught, What is God, 2 [9] Haught, What is God, 3 [10] Haught, What is God, 3 [11] Theißen, Plädoyer, 46 [12] Haught, What is God, 4 [13] Haught, What is God, 6 [14] Haught, What is God, 7 [15] Haught, What is God, 7 [16] Haught, What is God, 7 [17] Haught, What is God, 8 [18] Haught, What is God, 9 [19] Haught, What is God, 11 [20] zitiert bei Haught, What is God, 11 [21] Haught, What is God, 17 [22] Haught, What is God, 19 [23] Haught, What is God, 25 [24] Haught, What is God, 31 [25] Haught, What is God, 35 [26] Haught, What is God, 58 [27] Haught, What is God, 66 [28] Haught, What is God, 70 [29] Haught, What is God, 88 [30] Haught, What is God, 96 [31] Haught, What is God, 109 [32] Haught, What is God, 113 [33] Haught, What is God, 115 [34] Haught, What is God, 116 [35] Haught, What is God, 119 [36] Haught, What is God, 120 [37] Haught, What is God, 121 [38] Haught, What is God, 122 [39] Haught, What is God, 123 [40] Haught, What is God, 126 [41] Theißen, Plädoyer, 49 [42] Kroeger, Ruck, 15f. [43] Kroeger, Ruck, 16 [44] Kroeger, Ruck, 18 [45] Kroeger, Ruck, 25 [46] Kroeger, Ruck, 25 [47] Kroeger, Ruck, 92 [48] Kroeger, Ruck, 35 [49] Kroeger, Ruck, 105 [50] Kroeger, Ruck, 107 [51] Kroeger, Ruck, 109 [52] Kroeger, Ruck, 111 [53] Kroeger, Ruck, 110 [54] Kroeger, Ruck, 135 [55] Kroeger, Ruck, 191 [56] Kroeger, Ruck, 195 [57] Kroeger, Ruck, 202 [58] Kroeger, Ruck, 202 [59] Kroeger, Ruck, 202 [60] Kroeger, Ruck, 203 [61] Kroeger, Ruck, 215 |
Artikelnachweis: https://www.theomag.de/69/sts3b.htm
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