Paradigmen theologischen Denkens

Auf der Suche nach einem für mich heute tragfähigen und sagfähigen Glauben. Teil II

Stefan Schütze

Grundlegende Beiträge zu einer neuen, wissenschaftlich plausiblen religiösen Vision in der „Postmoderne“

Im zweiten Teil dieser Weiterführung meines „Paradigmen“-Artikels reflektiere ich besonders weitere Impulse zu einer heute tragfähigen Reformulierung von „believes“ (Cantwell-Smith), welche die Perspektive der Einordnung theologischer Denkwege in den Zusammenhang eines naturwissenschaftlich plausiblen Weltbildes, also der Erkenntnisse der evolutionären Kosmologie und Anthropologie, vertiefen und ergänzen können. Eine konsequent geschichtliche Analyse der Entwicklung des Gotteskonzeptes im Rahmen der kulturellen Evolution der Menschheit führt, wie schon die Darstellung der Pionierarbeit Theißens und der Arbeiten Haughts, Hefners und Kaufmans im ersten Teil meiner „Paradigmen“ gezeigt hat, auch zu der (für viele Kritiker und Befürworter der „Religion“ vielleicht überraschenden) Einsicht, dass, was in der Menschheitsgeschichte sicher weitgehend „arose as illusion(s)“, in der „subsequent history of the idea of god“ immer mehr zu einer Ahnung von etwas geworden ist, was man „can meaningfully call divinity“. Anders gesagt: die ursprünglich weitgehend illusionäre menschliche Konstruktion einer Götterwelt, „in the course of evolving, has gotten streamlined in a way that moved it“ zunehmend näher an eine „less and less illusory“ Tiefendeutung der Welt[1].

Wie kann man heute kritisch vertieft und wissenschaftlich plausibel von „Gott“ reden? Die unter dieser Leitperspektive nun hier im zweiten Teil meiner „Paradigmen“ gesammelten „spätmodernen“ oder „postmodernen“ Beiträge zur Entwicklung eines neuen Verständnisses „Gottes“ bzw. des „Heiligen“ sind teils aus theologisch-philosophischer, teils aus biologisch-naturwissenschaftlicher Perspektive verfasst. Gemeinsam ist ihnen das Anliegen, über den „modernen“ Gegensatz von naturalistischer oder supra-naturalistischer Weltsicht hinauszukommen zu einer neuen Synthese im Rahmen gegenwärtiger kosmologischer und evolutionsdynamischer Konzepte.

„Gods after God“ – zwei Visionen einer neuen Spiritualität jenseits der alten Polaritäten von „Naturalismus“ und „Supranaturalismus“ bzw. „Theismus“ und „Atheismus“

Lektürebasis:

  • Stuart A. Kauffman, Reinventing the Sacred: A New View of Science, Reason, and Religion, New York 2008, Paperbackausgabe 2010
  • Mark C. Taylor, After God, Chicago 2007

In den Grenzbereich zwischen Theologie und allgemein natur- bzw. geisteswissenschaftlicher Orientierung gehören zwei kürzlich erschienene Werke, die auf ihre Weise mit dem Begriff der kosmischen Kreativität („creativity“) und dem damit verbundenen Konzept der „Emergenz“ des immer komplexeren Neuen, bzw. des Lebens in der kosmischen Evolution ein heute plausibles Gotteskonzept zu begründen versuchen. Es geht ihnen dabei wie den zuvor besprochenen theologischen Entwürfen um eine neue Religiosität, die 1.) die Aporien der traditionellen theistischen Transzendenzkonzepte überwindet, 2.) dem Gewalt- und Bedrohungspotential gegenwärtiger religiöser Absolutismen ein anderes Modell religiöser Weltorientierung und damit verbundener ethischer Normen gegenüberstellt, und 3.) dafür eine neue Brücke zwischen Glauben und Naturwissenschaft baut.

Mit der Verwendung des Begriffes der kosmischen Kreativität für die Beschreibung eines nachtheistischen Konzepts des Göttlichen erinnern beide an die Rekonstruktion eines modernen, nicht antropomorphen und nicht anthropozentrischen Gotteskonzeptes durch Gordon D. Kaufman. Obwohl sich beide Autoren nirgends explizit auf Kaufmans „In Face of Mystery“ beziehen, stellen beide mit ihren Ansätzen doch, wie ich meine, eine sehr hilfreiche Möglichkeit dar, auf der von Gordon D. Kaufman grundgelegten Linie weiterzudenken und diese weiterzuentwickeln.

Der amerikanische Biologe und „Komplexitätsforscher“ Stuart A. Kauffman schlägt in seinem erstmals 2008 erschienenen Buch „Reinventing the Sacred“ aus naturwissenschaftliche Perspektive vor, in Aufnahme neuerer Ergebnisse der biologischen Forschung, insbesondere der „Komplexitätsforschung“, gegen den vorherrschenden naturwissenschaftlichen „Reduktionismus“ das Konzept einer zu echten Emergenzen des Neuen und immer Komplexeren führenden kosmischen Kreativität zu setzen. Dabei können nach seiner Überzeugung „our senses of the sacred“[2], die die Menschheitsgeschichte seit Jahrtausenden begleiten, zu einem neuen religiösen Bewustsein und einer neuen Orientierung menschlichen Handelns durch eine „global ethic“ führen, die nicht nur den „wedge between faith and reason“[3], der seit der Aufklärung immer breiter zu werden schien, schließen kann, sondern auch in der Lage ist, die evolvierende menschliche Kultur in eine heilsame, der Dynamik des Lebens selbst folgende Richtung zu führen: „We live our lives forward into mystery, and do so with faith and courage, for that is the mandate of life itself.“[4]

„Reduktionismus“ ist nach Kauffman die seit Galileo und Newton entwickelte und heute vorherrschende „materialistische“ Weltsicht, die besagt, dass „all phenomena are ultimately to be explained in terms of the interactions of fundamental particles“.[5] Alles, was ist, lasse sich reduzieren auf „particles in motion“, es gebe nur „happenings“ und keine „agency“, „no meanings, no values, no doings“.[6] Alle „explanatory arrows“ deuteten nach unten auf die rein physikalische Basis aller Wirklichkeit. Dagegen setzt Kauffman den Entwurf eines neuen „view of a fully natural God and of the sacred, based on a new, emerging scientific worldview.“[7] „I shall show that biology and its evolution cannot be reduced to physics alone but stand in their own right. Life, and with it agency, came naturally to exist in the universe. With agency came values, meaning and doing, all of which are as real in the universe as particles in motion.“[8]

Das dahinter stehende wissenschaftlich zu beschreibende Phänomen heißt „Emergenz“. Emergenz meint „explanatory arrows in the universe that do not point downward.“[9] „Emergence is therefore a major part of the new scientific worldview. Emergence says that, while no laws of physics are violated, life in the biosphere, the evolution of the biosphere, the fullness of our human historicity, and our practical everyday worlds are also real, are not reducible to physics nor explicable from it, and are central to our lives.“[10] Diese Sicht auf die immer neue Emergenz komplexerer Wirklichkeiten im Universum und die dahinterstehende Dynamik des Lebens kann den „Galilean spell“ brechen, der Glauben und Wissenschaft auseinandergetrieben hat. „This web of life, the most complex system we know of in the universe, breaks no law of physics, yet is partially lawless, ceaselessly creative. So, too, are human history and human lives.“ [11]

Damit entspricht die kosmische Kreativität genau dem religiösen Impuls, der zur Ausbildung unserer „senses of the sacred“ und zum Entstehen des Gottesbegriffes geführt hat: „This creativity is stunning, awesome, and worthy of reverence. One view of God is that God is our chosen name for the ceaseless creativity in the natural universe, biosphere, and human culture.“[12] Bloßer atheistischer Humanismus ist nach Kauffmans Überzeugung „too thin to nourish us as human agents in the vast universe we partially cocreate. I believe we need a domain for our lives as wide as reality.“[13]

Diese spirituelle Domäne unseres Lebens wurde traditionell durch den Glauben an den einen Schöpfergott oder ein anders gedachtes die ganze Wirklichkeit bestimmendes Göttliches geformt, und für viele Menschen ist dieser Gottesglaube heute noch tragend. Das Gottessymbol wird darum auch in Zukunft unsere entscheidende Weise sein, unsere Weltperspektive spirituell zu vertiefen. „I hold that it is we who have invented God, to serve as our most powerful symbol. It is our choice how wisely to use our own symbol to orient our lives and our civilizations. I believe we can reinvent the sacred. We can invent a global ethic, in a shared space, safe to all of us, with one view of God as the natural creativity in the universe.“[14]

Mark C. Taylor, amerikanischer Theologe, Kolumnist, Religionsphilosoph und Kulturkritiker, benutzt in ähnlicher Weise Begriffe der modernen Biologie und Komplexitätsforschung, um im Begriff der „emergent creativity“ eine religiöse Vision für die globale Kultur der „Postmoderne“ zu entwerfen. Taylor hat in einer Reihe von theologischen, philosophischen, kultur- und kunstwissenschaftlichen Büchern seine Sicht der Entwicklung von der „Moderne“ zur „Postmoderne“ beschrieben, und eine ihr entsprechende Theorie der Verbindung von Kunst, Kultur, Medien, Ökonomie, Naturwissenschaft und Religion im Rahmen einer „poststrukturalistischen Philosophie“ zu entwickeln versucht. Sein „After God“, verfasst im Herbst des Jahres 2007, arbeitet die verschiedenen Stränge seines bisherigen Werkes zu einem vielschichtigen Ganzen zusammen.

Dabei orientiert er sich an unterschiedlichen philosophischen und theologischen Traditionen, um sein Konzept einer durch und durch vernetzten, beziehungsreichen Welt und ihrer religiösen Tiefe zu entwickeln, das dem tödlichen Kampf der unterschiedlichen Absolutismen die Vision einer komplexen, integrativen Relationalität entgegen stellt: „The most pressing dangers we currently face result from the conflict of competing absolutisms that divide the world between oppositions that can never be mediated.“[15] Dagegen schlägt er ein religiöses Orientierungsschema vor, das, wie er hofft, sich als „better adapted“ erweisen kann „to the complexities of contemporary life. In a world, where to be is to be connected, absolutism must give way to relationalism, in which everything is codependant and coevolves. After God, the divine is not elsewhere but is the emergent creativity that figures, disfigures, and refigures the infinite fabric of life. A religion without God issues in ethics without absolutes to promote and preserve the creative emergence of life across the globe.“[16]

Religion, so Taylor in "After God", ist wesentlich komplexer als sowohl die meisten ihrer Verteidiger als auch ihrer Kritiker zu denken scheinen. Dabei ist sie für unsere moderne und postmoderne Welt von sehr viel weitreichenderem Einfluss als wir bisher wahrgenommen haben. Unsere Welt, sagt Taylor, ist bestimmt durch Religion auch da, wo es am wenigsten offensichtlich scheint. Glaube and Werte, betont er, bestimmen die Entwicklung unserer Kultur, ihrer explizit religiösen Bestandteile genauso wie ihrer scheinbar areligiösen. Auch das Phänomen der „Säkularität“ und die Emergenz der modernen wissenschaftlichen, politischen, und ästhetischen Systeme haben zutiefst religiöse Charakteristica, und Religion und Säkularität sind coevolutiv und interrelational verwoben, prägend für „Gläubige“ und „Ungläubige“ in gleicher Weise.

Im Einzelnen will ich hier folgende Bestandteile des Taylor’schen Gedankengangs herausstellen:

(1) Die Entwicklung, die zu einem neuen religiösen Bewusstsein in der Postmoderne führt, beginnt mit Luthers Entdeckung des religiösen Subjekts, und führt von Luther über Kant und Hegel bis in die Gegenwart. Insofern kann das komplexe religiöse Schema zur Orientierung menschlichen Lebens, das Taylor vorschlägt, als konsequente Weiterentwicklung von Luthers reformatorischer Entdeckung verstanden werden.

(2) Religiöse Orientierungsschemata wechselten in der Geschichte immer wieder zwischen einer monistischen Betonung der Identität zwischen Gott und Welt ("sowohl als auch", Immanenz) und einer dualistischen Betonung ihrer Differenz ("entweder oder", Transzendenz). So war das Schema der liberalen Theologie des 19 Jh. monistisch (innerweltliche Teleologie zum ethischen Reich Gottes). Als die Aporien dieses Denkschemas immer deutlicher wurden, kam es zur Reaktion der Behauptung der radikalen Transzendenz durch Karl Barth. Doch auch im Barth'schen Denkschema kulminierten die Aporien, und so kam es am Ende der Moderne wiederum zur radikalen Revision durch die "Gott-ist-tot"-Theologie. Die Aporien sowohl des nur monistischen als auch des nur dualistischen religiösen Schemas erfordern heute ein neues, Monismus und Dualismus zugleich integrierendes und überwindendes komplexes religiöses Schema des "weder noch", das allerdings seine Anfänge schon auf die Formulierung der altkirchlichen Trinitätslehre und Christologie zurückführen kann (die auf ihre Weise selbst schon erste Formulierungsversuche eines komplexen weder-noch sind), und zugleich heute wissenschaftliche Erkenntnisse der Emergenz komplexer Systeme aufnimmt und fruchtbar macht.

(3) Damit verbunden ist eine Lösung des alten philosophischen Leib - Seele - Problems. Weder Leib noch Seele sind Substanzen im cartesianischen Sinne. Vielmehr ist das Selbst als "autopoietisches offenes System" ein emergentes, sich ständig selbst erschaffendes und selbst veränderndes Netzwerk von Netzwerken, in dem die Teile und das Ganze coemergent und codependent sind und coevolvieren. Das Selbst ist so etwas wie ein ständig in Bewegung befindlicher grundlegend relationaler Prozess. Dabei ist das Ganze dieser Selbst-Struktur ein Emergent seiner Teile und doch mehr als ihre Summe, weil es die Entstehung und Entwicklung seiner Teile wiederum reziprok steuert und bestimmt.

(4) Alle lebenden Organismen können in diesem Sinne als emergente autopoietische Systeme verstanden werden, deren Entstehung im Modell dieser grundlegenden Interdependenz ihrer „Teile“ und ihres „Ganzen“, und in grundlegender Relationalität zum ganzen „Netzwerk“ des Lebens zu verstehen ist. Damit wird auch ein Verständnis des Lebens jenseits des Gegensatzes zwischen der vordarwinischen Behauptung der ontologischen Priorität der Formen vor den konkreten Individuen („rational morphology“) und der darwinistischen Umkehr zum ontologischen Primat der im „Kampf ums Dasein“ ausschließlich durch Mutation und Selektion geformten Individuen möglich: „When fully developed, rational morphology and Darwinism represent binary opposites that are both insufficient when taken by themselves.“[17] Der (auf Platon und Aristoteles zurückgehende) morphologische Ansatz macht den Fehler, die „Formen“ oder Arten für „fixed and independent of each other“ zu halten. „Darwinism, by contrast, presupposes a notion of individualism“ that „gives priority to isolation over relation and privileges competition over cooperation as the driving force of developement.“[18] In einem neuen, „more adequate account of the process of evolution“ bewirkt das Verständnis von Lebensformen als „complex adaptive systems“ die Einsicht, dass „natural selection alone cannot account for evolution“. Das führt aber nicht wieder zur Einführung von „external causes as explanatory principles“; „to the contrary, self-organizing structures provide flexible parameters of constraint within which selection can occur. These structures … are not fixed, but emerge through the interrelation of their elements or components …“[19] Mit dieser „relational notion of differential identity“[20] werden die darwinischen Prinzipien von Mutation und Selektion durch den Gedanken der Kooperation und Interdependenz im Rahmen eines übergreifenden „Netzwerks des Lebens“ ergänzt.

(5) Mit dem Modell der vernetzten und relationalen autopoietischen Prozesse lässt sich nicht nur das irdische Leben (und darin die Emergenz des menschlichen „Geistes“), sondern auch der ganze Kosmos verstehen. Das Leben im Kosmos ist insgesamt ein Netzwerk von Netzwerken, ein aus seinen Teilen entstehendes und diese wiederum bestimmendes Ganzes, ein komplexes autopoietisches System von unterschiedlichen aufeinander bezogenen und voneinander abhängigen Prozessen, die coemergent und coevolutiv sind. Dabei ist die "emergent creativity", die in dieser Weltsicht das Konzept des Infiniten als "transzendenter Immanenz" bestimmt, eine Folge der Negation der Negation, in der das entropische Prinzip durch das negentropische in einer solchen Weise aufgebrochen wird, dass kreative Prozesse und die Emergenz von Leben an der Grenze von Chaos und Ordnung möglich werden.

(6) Diese emergente Kreativität, die zur "Schöpfung aus dem Nichts", und zur Entstehung von Ordnung aus dem Chaos führt, vollzieht sich in Paradoxen und in ständiger Bewegung. Dabei kann das Infinite weder statisch als "Grund des Seins" noch gegenteilig als Nichtsein gedacht werden. "There seems to be no underlying ground or foundation that can secure the meaning and purpose of life. More precisely, the groundless ground from which all emerges and to which all returns (without having come full circle) approaches by withdrawig in a way that faults every foundation that seems secure. The absence of ground issues in the endless restlessness of life, in which everything is in motion and (the) all is in flux."[21]

(7) Das Infinite ist "after God", weil alle Gotteskonzepte das Unbedingte immer doch wieder bedingt, das Unbegrenzte begrenzt machen; insofern setzt die an der "emergent creativity" orientierte postmoderne Religiosität den Tod oder die Tode Gottes voraus. "The structure of the Infinite is fractal ... Morover, its operational logic is always triadic, or trinitarian: creativity emerges at the edge of chaos between alternative states of order that tend to drift towards disorder. Disorder is the noise without which the new cannot be heard. Far from unique, human creativity is but a moment in this infinite process."[22]

(8) "Since the whole emerges from but cannot be reduced to the sum of its parts, and since the activity of imagination is not limited to the 'subjective' deeds of human agents but is also the 'objective' production of things in the world, there is something like mind or the Logos at work within this process. Neither external nor transcendent, this mind or Logos emerges through the self-organisation of the autopoietic process of life.“ Dabei ist diese Emergenz einer Logos-Struktur des kosmischen Prozesses nicht notwendig mit der Ausbildung von so etwas wie „Selbstbewusstsein“ verbunden, aber sie erklärt die allen Dingen innewohnende rationale Grundstruktur. „Never fixed or stable, this is a nonlogocentric Logos that is figured, disfigured, and refigured through the dynamic morphogenesis of the constitutive networks from which it emerges and, in turn, shapes."[23]

(9) "In human beeings this creative process has become aware of itself. But this awareness is always incomplete and hence must forever be refigured. Since emergence is aleatory, life is always surprising."[24] Insofern sind religiöse Fundamentalismen jeder Art mit dieser komplexen religiösen Schematisierung des Infiniten niemals vereinbar, und religiös nicht nur unproduktiv, sondern sogar gefährlich. "Religion degenerates into religiosity when the finite as such is absolutized by constructing foundations that are purported to be unshakable, Fixed structures, however, cannot adapt to changing circumstances. Excessive order, paradoxically, drifts toward chaos, which unexpectedly creates the conditions for the creative emergence of new patterns of order. The infinitizing of the finite disrupts, dislocates, and disfigures every stabilizing structure, thereby keeping (the) all in play. Rather than fixed forms, emergent schemata that effectively order experience and shape the world are complex dynamic networks that are subtly shifting pockets of stability in the midst of fluxes and flows."[25] Ein solches komplexes religiöses Schema ist konsequent relational, da alles mit allem vernetzt ist, und verträgt sich daher mit keinerlei Form "absoluter", isolierter Wahrheitsansprüche.

Die Welt als „creatio ex profundis“ – Catherine Kellers feministisch-trinitarische „Theologie des Werdens“

Lektürebasis:

  • Catherine Keller, Face of the Deep. A Theology of Becoming, New York 2003
  • Catherine Keller, On the Mystery. Discerning divinity in process, Minneapolis 2008

Die amerikanische Theologin und Inhaberin eines Lehrstuhls für „Constructive Theology“, Catherine Keller entwickelt in den beiden og. Büchern einen theologischen Gesamtentwurf, in dem sich auf der einen Seite Taylors Lust am Spiel mit der Sprache und paradoxen Denkfiguren widerspiegelt, auf der anderen Seite aber eine strenge exegetische Disziplin im Erschließen traditionell „verdrängter“, marginalisierter, oder entgegen ihrem ursprünglichen Sinn repressiv interpretierter Inhalte der Bibel leitend ist. Ihr eigenes „constructive proposal“ zur Refiguration theologischen Denkens in der heutigen Zeit verbindet und verwebt dabei Ergebnisse biblischer Wissenschaft mit literarischer Analyse, mystischer Frömmigkeit, evolutiver Kosmologie, panentheistischer Prozesstheologie und feministischer Dekonstruktion. Dabei kommt ein Vorschlag für eine Welt-, Gottes- und Menschensicht heraus, den sie in Anlehnung an den Wortlaut von Gen 2, 1-2 eine „tehomische“ Theologie der Tiefe und des Werdens nennt.

„Face of the Deep“ ist so etwas wie ihr ausgeführtes theologisches Grundlagenwerk. Mit „On the mystery“ hat sie dann eine darauf aufgebaute (prozesstheologische) „Einführung in die Theologie“ vorgelegt, die die Impulse von „Face of the Deep“ aufgreift, komprimiert und in ein theologisches Gesamtkonzept integriert, das m.E. nicht nur in vielfacher Weise originell und erfrischend ist, sondern theologisches Denken insgesamt weiterführen kann. Im theologischen Ansatz ihrer beiden Bücher habe ich viel von der Denkbewegung meiner „Paradigmen“-Artikel wiedererkannt, und zugleich hat er mir weitere, bisher so noch nicht enthaltene Dimensionen erschlossen.

Keller formuliert das Grundanliegen der Suche nach einem heute „trag- und sagfähigen“ kritischen Glauben als die Suche nach einem „dritten Weg“ jenseits theistischer Absolutheitsansprüche auf der einen Seite („the absolute“) und atheistischer Totalrelativierungen auf der anderen Seite („the dissolute“). Wie Taylor sieht sie in der Postulierung solcher „binary opposites“ eine verbreitete Engführung des Denkens und des Glaubens, die sowohl von religiösen wie von säkularen Fundamentalisten geteilt wird. Beide vertreten die reduktionistische Wirklichkeitsinterpretation des „nothing but“ (Glaube sei „nothing but delusion“, die Wirklichkeit „nothing but matter“ auf der einen Seite; kritisches Denken sei „nothing but“ Unglauben, die Welt „nothing but“ eine zum Verderben bestimmte Bühne für die Vorbereitung auf ewiges Heil und Unheil auf der anderen). Dabei gewinnt auch der dissolute Relativismus schnell absolutistische, lebensfeindliche Züge, und der theologische Absolutismus führt zur Dissolution aller „rein diesseitigen“ menschlichen Fragen, auch der sozialen Frage und der ökologischen Überlebensfrage, wie die „religious right“ in Amerika beweist.

Wenn es nur diesen Gegensatz von Absolutismus und Relativismus in der Wahrheitsfrage gibt, dann bleibt „no way“ für eine zugleich fromme und kritische Interpretation der Welt und Gestaltung des eigenen Lebens. Die Eigenart lebendigen Glaubens ist aber, dass er Wege öffnet, wo vorher alles verschlossen schien (Jes 43, 19; Joh 14,6[26]). Der „dritte Weg“ jenseits des „Absoluten“ und des „Dissoluten“ ist für Keller dabei kein Kompromiss zwischen beiden, kein Mittelweg, sondern die echte Öffnung eines neuen Weges, wo vorher kein Weg mehr möglich schien[27]: „Between the absolute and the dissolute, arises the resolute“[28], als Mut („courage“) zum Leben in einem offenen Prozess, einer prozessualen Glaubenshaltung in einem doppelten Sinne: Glauben und das Verstehen des Glaubens sind ein Prozess, eine immerwährende Bewegung des „Werdens“; aber auch der Gegenstand des Glaubens, Gott selbst, wird gedeutet als ein „Prozess“.

Im offenen Prozess der kosmischen Evolution kann Gott verstanden werden als geheimnisvoller „eros“ und „lure“, der die Dinge und alle Kreaturen ins Leben lockt, ohne sie zu manipulieren, kausal zu verursachen oder sie in irgendeiner Weise zu bestimmen und von außen in die Welt einzugreifen. Vielleicht, sagt Keller, ist ein solches kosmisches „Sein Lassen“ „the very meaning of what we call ‚God’: the letting be at the heart of the universe“[29]. Wie sie diesen Grundgedanken weiter ausführt und in allen Bereichen der Theologie durchbuchstabiert, war für mich beim Lesen hoch spannend und erhellend.

Gegen den herrschenden theologischen Absolutismus erhebt eine prozessuale „theology of becoming“ nach Keller den (biblisch begründeten!) Protest negativer Theologie, nach der man von Gott nur sagen kann, was er/sie/es nicht ist, so dass, wie Nikolaus von Kues es formuliert hat, die einzige mögliche „eigentliche“ Aussage über Gott die seiner In-Finität, seiner Unterschiedenheit von allem Endlichen ist[30]. Theologie ist als prozessuales Geschehen immer auch ein kritisches Überschreiten allen fixierenden Verstehens, ein Einüben in die „Kunst der Bestreitung“[31], eine Inspiration, „rigorously“ to „negate, or as we say now, deconstruct the absolutism that presumes to name the infinite like some person or entity over there, that knows God with any certainty, abstract or literal“, eine Inspiration, die „keep(s) theology on its way“.[32]

In ihrem Grundlagenbuch „Face of the Deep“ geht Keller zunächst von dem exegetischen Befund aus, dass die heute dominierende (jüdische und christliche) Vorstellung einer „creatio ex nihilo“ weder vom priesterschriftlichen Schöpfungshymnus noch überhaupt vom alttestamentlich-biblischen Textbestand gedeckt ist. Die Entwicklung der Vorstellung einer „creatio ex nihilo“ bedeutet vielmehr eine Maskulinisierung, Dominisierunng und Dualisierung des Gottesglaubens, die theologisch die Welt und Gott in eine fundamentale Diastase bringt, und damit nicht mehr zur echten Liebe zu allem Geschaffenen, zur „Ehrfurcht vor dem Leben“ motivieren kann. Dagegen setzt Keller auf die Wiederbelebung der älteren, mythischeren, lebendigeren biblischen Sicht einer „creatio ex profundis“, einer „chaosmischen“ Sicht der Welt, nach der alle Schöpfung sich „at the edge of chaos“ vollzieht, aus der Dynamik der „tehom“, der „watery, resonant, responsive Deep“, über dem Gottes Geist nach Gen 1,1-2 „vibriert“ hat.

Vertreter des bevorzugten westlichen Denkmodells einer „creatio ex nihilo“ tun sich nach Kellers Analyse schwer mit der Interpretation der ersten Sätze der Bibel. Sie müssen entweder annehmen, dass das ursprüngliche „tohu va bohu“ in Wahrheit ein „Nichts“ ist (was dem Wortlaut der Genesis eindeutig widerspricht), oder so etwas wie eine von Gott zuerst geschaffene „Protomaterie“, was aber der Wortlaut des Textes ebenfalls nicht hergibt, und zudem im Widerspruch stünde zur durchgängigen priesterschriftlichen Kennzeichnung der göttlichen Kreativität durch ein einleitendes „Und Gott sprach“, das ausgerechnet bei diesem ersten Schöpfungsakt fehlen würde. Nach der vorwiegenden Auffassung wissenschaftlicher Exegese (z.B. Westermann) sind die ersten zwei Sätze des Genesishymnus tatsächlich grammatikalisch keine Hauptsätze, sondern ein Nebensatz und eine „elaborate parenthesis“[33], und die Schöpfung selbst beginnt erst mit dem „Und Gott sprach: Es werde Licht“ des dritten (aber ersten eigentlichen Haupt-) Satzes des Textes.

Schöpfung ist nach dem ursprünglichen biblischen Verständnis dann, so Keller, kein absoluter Beginn aller Dinge (origin), sondern die kreative Formung und Gestaltung der immer schon vorausgesetzten Wirklichkeit, wie sie auch dem platonischen Gedanken der Weltformung aus der Potentialität ungeformter Materie (khora) entspricht. Hinter der kreativen Grundmatrix der „tehom“ im priesterschriftlichen Hymnus stehen alte mythische Vorstellungen von einer Urflutgöttin (Tiamat), matriarchale Vorstellungen des kreativen Grundes der Welt in einer abgründigen Tiefe, einer „fluid, indeterminate, germinating compilation of poteniality that generates itself and everything else infinitely, with no clear beginning or end“. Eine „tehomische Theologie“ konzeptualisiert darum Gott als „a fluid matrix of bottomless potentiality, a germinating abyss, a heterogenous womb of self-organizing complexity, a resistance to every fixed order”[34].

Die diesem biblischen Schöpfungsdenken verwandte platonische Interpretation der Schöpfung als „Weltformung“ findet sich noch bei den früheren Versuchen philosophischer Theologie, die am Anfang der christlichen Dogmengeschichte stehen, etwa bei Justin oder Hermogenes. Doch bald setzt sich in christlichem (und jüdischem) Schöpfungsdenken die Vorstellung einer „creatio ex nihilo“ durch, die einem absolutistischen Gottesverständnis unbedingter Allmacht entspricht, und darum bis heute das schöpfungstheologische Grundparadigma theistischer Weltkonstruktion bleibt, sogar bei einigen der „most progressive theologies of the twentieth century“, die ansonsten ökologisch und sozial wenig traditionelle Konzepte vertreten.[35]

Die hinter dieser Entwicklung stehende Maskulinisierung und „Dominisierung“ religiöser Weltsicht beginnt schon im babylonischen Mythus des Götterkampfes (Enuma Elish), in dem der (nun) eigentliche Schöpfer Marduk seine Großmutter Tiamat besiegt, und setzt sich fort in der traditionellen jüdischen, christlichen und muslimischen dualistischen Schöpfungsmetaphysik, die das ursprüngliche „chaosmische“ Verständnis der göttlichen Kreativität als „Bedrohung“ der Ordung der Welt sieht, als gefährliche Einschränkung der „Allmacht“ Gottes, die schließlich zu dem führt, was als skandalös, häretisch, zerstörerisch und dämonisch abgelehnt wird. Insofern steht hinter dem Konzept des „ex nihilo“ „not a latent biblical logic, but but the polemic against ‚heresy’ that crystallized earlier narratives of beginning into the ‘orthodox’ doctrine of origin”, die in ihrer Wirkung “vaporizes any residual, female-tinged chaos”.[36]

Dieses „thehomophobe“ „loathing of the deep“ ist für Keller Ausdruck beonders eines männlichen „desire to master chaos, to control the ‚origin’“, das entgegen seinen explizit formulierten Absichten nicht nur faktisch zur Unlösbarkeit des Theodizeeproblems führt, sondern auch zu den zerstörerischen Tendenzen menschlicher Kultur, die heute die ganze Erde bedrohen, beiträgt. Dennoch geht es bei der von ihr vorgeschlagenen Neuausrichtung der Theologie nicht um ein Machtspiel „boys vs. girls“, sondern darum, ob christliche Schöpfungstheologie dem sie begründenden biblischen Ursprungsimpuls gemäß „keeps the future wide and opening[37], oder eine vorzeitige „closure“ „of creaturely spontaneity“ bewirkt, die den alles determinierenden Gott auch „for the havocs“ menschlichen Fehlverhaltens ursächlich macht[38].

Trotz ihres dualistischen Transzendenzbegriffes zeigen sich immer wieder, wie durch eine „glückliche Inkonsequenz“, auch bei den Hauptvertretern der theologischen Orthodoxie, z.B. bei Irenäus und bei Athanasius Spuren der verdrängten „mysterious, chaos-edged infini“ eines panentheistischen theologischen Ansatzes: „For all its anxiety in the face of non-being and femininity, the patristic theology articulated a divine wisdom pervading the universe“[39]. Das gilt besonders für Augustin, dessen „Bekenntnisse“ weder rein tehomophob noch rein tehomophil sind, sondern „rhetorically fluctuating between both currents“[40] In den Tiefen der Seele fließt für ihn der abgründige Ozean „of tehom itself“; teilweise gefürchtet als „the very ‚flood of sin’“[41], teilweise geliebt als „the divine ocean, the Infinite (that) permeates all finitude, utterly soaks and saturates the creation: God-in-All, All-in-God“[42].

Eine solche Ambivalenz zwischen tehomophilen und tehomophoben Elementen fehlt dagegen in der das vergangene Jahrhundert kirchlich bestimmenden „neo-orthodoxen“ Theologie Karl Barths und seiner Lehre „vom Nichtigen“ fast völlig. Haben Irenäus und Athanasius versucht, die „dark waters“ der tehom zu unterdrücken, hat Augustin versucht, sie zu sublimieren, so hat „Barth’s opus (performed) their demonization“. Die Tehom ist für Barth das, was „God has from the beginning ‚negated, rejected, ignored and left behind’“. Barth identifiziert in seiner Auslegung von Gen 1, 1-2 die “primeval flood” der tehom und die mit ihr verbundene Finsternis konsequent als „mere adversary for a theology of God’s ‚absolute superiority and lordship’“[43] Barths patriarchalischem theologischen Absolutimus entspricht sein fundamentaler Antifeminismus, der neben seinem Antifaschismus seine „Kirchliche Dogmatik“ bestimmt. Das macht sie so schwer vermittelbar mit einer „theology of the Deep“, wie Keller sie vertritt. Dennoch will Keller auch das Gespräch mit dieser vielfach das kirchliche Denken bestimmenden theologischen Hauptströming des 20. Jh. als „a chaosmic opportunity“[44] nutzen. Einen Anknüpfungspunkt für eine trotz allem mögliche Verständigung sieht sie in Barths gerade im Zusammenhang seiner „Lehre vom Nichtigen“ auch artikulierten Einsicht in die „necessary brokenness of all theological thought and utterance“. Hier formuliert er mit seinem Verständnis einer „theology on the way“ (theologia viatorum) trotz seiner Dämonisierung der Tiefe eine eigene Brücke zu einer „theology of becoming“. Die Einssicht in die „Gebrochenheit“ allen theologischen Denkens steht in einem wohltuenden Kontrast zu der Denkfolie seines theologischen Absolutismus, auf der er sie entwickelt. „The humble recognition of this brokenness“ verbindet ihn mit dem Ansatz einer tehomischen Theologie. Für Keller bleibt aber „the deep“ – entgegen Barths tehomophober Grundhaltung „the very name, place and open end of that brokenness”[45].

Dem tehomischen Schöpfungsverständnis, das Keller für das biblisch ursprünglichere hält, entspricht eine „dialogical hermeneutics“ auch in der Interpretation des „Wortes Gottes“, aus dem nach Gen 1 die Ordnung der Welt hervorgeht. Anders als in der absolutistischen Wort-Gottes-Lehre der theologischen Tradition steht hinter dem „Und Gott sprach“ der Genesis nach diesem Verständnis nicht die Vorstellung eines herrschaftlichen Befehls, der „blasts royally in a vacuum“, sondern eher die eines lockenden „whisper of desire“, einer „art of persuasion“, die einen kreativen Prozess eröffnet, in dem Gott nicht einfach „imposes order on unruly matter“, sondern in eine „dialogical cooperation“ mit den Elementen eintritt, die zu einer „Creator/creature synergy“ führt, die den modernen Gedanken der „co-creativity of evolution“ antizipiert.[46] Der „Babylonian Intertext“ der cogenerativien mythischen Urflut, über der Gottes Geist vibriert, unterstützt diese Sichtweise, indem er dem Text die Perspektive einer „infinite intimacy“ zwischen Mensch und Weltgrund verleiht, „the desire for a mothering matrix, where we can romp and risk“[47].

Wenn eine „constructive theology“ in ihrer Gott-Welt-Konstruktion auf die Kategorie des vorzeitlichen „origin“ verzichtet (wie wir ja auch naturwissenschaftlich hinter den vermuteten „Big Bang“ nicht zurückgehen können), dann wird sie die tehomische „Deep“ als kreative „matrix of possibilities“ verstehen können, als eine kreatürliche Grunddimensionalität nicht „before but of beginning“[48], die sich in „an infinity of virtual finitudes“[49] entfaltet. In Aufnahme von Sprachkategorien von Derrida schlägt Keller vor, die Schöpfung als „a complex, and as such relative/relational, beginning“, „a multidimensionality of becoming“ zu verstehen, das sich nicht vor aller Zeit, sondern in jedem schöpferischen Augenblick in der Zeit ereignet[50]. „For a tehomic discourse, it is only as such a matrix of possibility that chaos becomes depth”, nicht als die homogenisierende “Tiefe”, die die “orthodoxies of origin” begründet, sondern als das “bottomless surface” echter Kreativität.[51]

Im Zusammenhang dieser Matrix kann dann auch die Rede von „Gott“ neu bestimmt werden. Es ist schwierig, so von Gott zu reden, dass er nicht mit einem kreatürlichen Etwas oder Jemand verwechselt wird, sondern, dem mystischen Einspruch negativer Theologie entsprechend, mit keinem menschlichen Bild des Göttlichen verwechselt wird. Aber wenn wir auf der anderen Seite die Silbe theos aus dem Wort „Theologie“ streichen, bleibt eine bloße hohle „Logie“ zurück, „a regime of secular monologoi, from which mystery, prophecy and the love that is stronger than death have evaporated“[52].

Im pluralen Wort „elohim“, das die Priesterschrift verwendet, spiegelt sich nicht nur die polytheistische Vorgeschichte des jüdischen Monotheismus; er hält das Gotteskonzept offen für ein differentiales Reden von „the many in the one“[53], wie es sich auch noch in der christlichen Trinitätslehre findet. Diesem pluralen Subjekt des singulären Prädikates „bara“ entspricht es nicht, „Gott“ in der Logik des „ex nihilo“ als den einen „supreme and absolute master of the universe“ zu sehen.

Vielmehr ist die „divine plurisingularity“ des Genesis-Textes „suggestive“ für eine Konzeptualisierung Gottes als „an elemental power of creativity, articulate, humble, kenotic, almost democratic, in its delegations; and effusive in its delights“[54]. Der Name “Gott” stünde dann für eine “muliplicity of differences-in-relation, the multiple that as such is the relational”, jüdisch symbolisiert durch “the turbulent swarm of godhood”, der in der Konzeption des Göttlichen immer mitgedachten Pluralität göttlicher Wesen und Manifestationen: „angels, shekhinah, bni elohim, thrones, word, torah, hochma/sophia, spirit(s), sepiroth“, und christlich in der „trinitarian dimensionality“ des Gotteskonzeptes.[55]

Eine „theology of becoming“, wie Keller sie vorschlägt, sieht in einer solchen „countless divinity“[56] zugleich Subjekt und Objekt des Prozesses der Schöpfung. Diese göttliche Matrix „divines the potentiality of the tehom“. Potentialiät als solche ist noch nicht schöpferisch. Erst wenn es zur Entscheidung zwischen unterschiedlichen Möglichkeiten kommt, hat ein schöpferischer Prozess begonnen. „Decision breaks like grace. The great cosmic decision has been traditionally, with justice, named the creation, its agency, the creator.”[57] Schöpfung bedeutet eine “decision within a plenary of possibilities”. Der “Schöpfer” kann dann verstanden werden als “the agency” solcher “decision”, die mit der Schöpfung gemeinsam aus „den dunklen Tiefen“ hervorgeht, als „outcome“ (Whitehead) einer Kreativität, die selbst weder Schöpfer noch Geschöpf ist.

„Only in relation to what we call creation can what we call Creator be signified.” Schöpfer und Geschöpf “both arise as effects of the primal creativity.” “Elohim” meint in dieser Sichtweise “not a cause, not even the first cause”, sondern vielmehr den “effect through whom all causes arise”, “the condition that conditions all causal processes”[58]. Das Wort “Gott” ist, so verstanden, ein Grenzwort menschlicher Sprache: Denn die Wirklichkeit des Göttlichen „arises out of those unruly depths, over which language catches its breath. The creator, creating, becomes. In singular plurality”[59]. „Gott“ inkarniert sich in diesem andauernden schöpferischen Prozess in seiner gesamten Schöpfung. Inkarnation heißt „The divine and the world form the conditions of each other’s becoming.”[60] Nur in seiner Inkarnation in menschlichen Personen wird dieses Göttliche “personal”, aber immer ist es beziehungshaft, eine schöpferische Grundrelation im Prozess jeden Werdens.

Ähnlich wie für Kaufman, Kauffman und Taylor ist es für Keller die den den ganzen Kosmos (oder „Chaosmos“) tragende und hervorbringende „mysterious“ creativity, in deren Rahmen sie ein heute plausibles Gotteskonzept rekonstruiert. Dabei identifiziert sie einerseits (wie Kaufman) Gott mit dieser „creativity“, unterscheidet sie andererseitsaber auch (wie Hodgson) von ihm. „Tehom“/”creativity” ist „neither God nor not-God”, sondern “metonym of the divine womb”, “the depth of ‘God’”[61]. Diese Identität in Unterscheidung führt sie weiter aus mit Hilfe trinitarischer Kategorien: Gott „emerges“ nach ihrem Verständnis „against the bottomless ground of creativity as its difference from itself“. So können „Tehom“ (Kreativität) und „Elohim“ (Gott) verstanden werden als zwei „if not ‚persons’ … capacities of an infinite becoming“; und die „relation“ dieser beiden capacities zueinander „can be resignified … through the icon of the oscillating Spirit“[62].

Diesen Gedanken einer prozessualen Kreativität, die Ordnung, Vielschichtigkeit und Leben aus dem „primordial“ Chaos hervorbringt, verbindet Keller dabei, wiederum vergleichbar mit Kaufman, Kauffman und Taylor konstruktiv mit dem, was wissenschaftliche Weltsicht heute „self-organizing complexity“ nennt. Das biblische „tohuvabohu“, die antike „khora“ ungeformter Materie, aus dem Kosmos und Leben sich entfalten, übersetzt sich, so Keller, in die „language of science“[63] als die Weltsicht der „Chaostheorie“, nach der alle neue Ordnung „at ‚the edge of chaos’“ entsteht, aus der „criticality“ eines Systems, das durch seine Fluktuationen so instabil geworden ist, dass es „impossible“ ist „to determine whether the system will disintegrate into ‚chaos’ or entropy, or leap to a new, more differentiated, higher level of ‚order’“[64]. Die zunehmende Komplexität emergenter Systeme entsteht entgegen der Gesamtzunahme der Entropie im Kosmos, wenn ein System „far from equilibrium“ ist und darum „dissipative“ Strukturen entwickelt.

In dieser Abhängigkeit emergenter komplexer Syteme vom Chaos, „from which they arise and to which they contribute“ sieht Keller eine “tehomically fertile” Verbindung antik-biblischer und modern wissenschaftlicher Weltkonstruktion. Durch seine Expansion entstehen in unserem Universum entgegen seiner sonstigen energetischen Abwärtsbewegung Myriaden neuer Galaxien und kosmischer Systeme, „where none might have formed at all“ (Stuart Kauffman). „In theology“, so Keller, „we call this nonlinear might-not-have-been ‚grace’“[65].

Dieses neue schöpfungstheologische Verständnis von “Gnade” kommt dabei ganz ohne supranaturalistischen Überbau aus: „Less than ever does one need a super-natural Creator to supply a transcendent origin for the universe.”[66] Aber genau aus dieser Destabilisierung und “disruption” traditioneller Gotteskonzepte, auch hier „at the edge of chaos“, „we are discerning the self-oganization of another discourse of the divine. Insistently pluralist, tuned to the echo of the earth and the scales of the heavens, curious rather than defensive toward the natural sciences, this becoming-theology makes itself at home within this complexity.”

Diese Theologie der Emergenz, „itself still emerging“, kann Menschen ein neues Gefühl der Beheimatung vermitteln, „within rather than beyond the ‚world’“, ein stabilisierendes Grundgefühl paradoxerweise gerade auf dem Hintergrund der instabilen „far-from-equilibrium dynamics“ eines Denkens in grundlegender „proximity to Exodus“[67]. Das Bild von der Welt als „Heimat“, die uns hervorbringt und trägt, ist „an image redolent of pregnancy, nurturance, hospitality“[68], eine mütterliche Metaphorik, in der die Theologie durch die Begegnung mit der Chaos-Theorie neue Kraft und Vitalität gewinnt, auch wenn sie bedeutet, dass wir uns „at home in uncertainty“[69] machen müssen.

Gott ist in diesem Verständnis kein externer „Verursacher“ der Vielfalt der Schöpfung, sondern „attracts“ ihre Kokreativität. Der elohim der priesterschriftlichen Schöpfungserzählung „lets be“: Er spricht: „Die Erde möge hervorbringen …“, und die Erde bringt selbst Leben in seiner ganzen Vielfalt hervor. „Creation takes“ hier also „place as invitation and cooperation“: „the creator lures self-organizing systems out of the fluctuating possibilities.” So entsteht eine “vision of the co-creativity of the creatures with the creator – a divine receptivity to the works of earth, of sea, and no doubt of the humans too”. Dieses “co-kreative” Verständnis der Schöpfung entspricht auch Whiteheads prozesstheologischer Einsicht, nach der divinity “actual“ wird „through relation, in which indeed God ‚repeats’ our self-actualization in Godself“.[70]

Ein solcher reziproker Panentheismus “vergöttert” auch nicht, wie Calvin befürchtet, das Geschaffene, weil der Vorgang der „co-creation“ keine kreatürliche „mimicry“ eines absoluten Schöpfungsaktes ist, sondern Antwort auf den kreativen Impuls des kosmischen Prozesses selbst[71]: „the creature responds to the lure of the creator; the creator responds to the action of the creature“, so dass „by feeling the becoming of the other, the divine itself becomes”.[72] Gottes Sein und das Sein der Welt sind in einem gemeinsamen Prozess des Werdens verwoben, und weder „existiert“ Gott vor oder jenseits der Welt, noch hat die Welt eine Realität „ohne Gott“, weil der Weltprozess niemals von der chaotischen Tiefe zu trennen ist, über der der Geist Gottes in jedem Augenblick „anfänglich“ vibriert.

In diesem Zusammenhang gewinnt auch der „parental anthopomorphism“ der christlichen Tradition, die Beschreibung des Göttlichen im Bild der „Liebe“ sein relatives Recht: „The impersonal iterations of the Elohimic manyone have evolved within human language to a high pitch of interpersonality“ Menschliche Imaginisierung Gottes als Liebe „echoes the delight of a cosmic ‚It is good!’“ Doch im einzelnen menschlichen Leben kann diese Erfahrung Gottes als Liebe auch sehr verdunkelt sein: „The sufferings that seem to assault us whithout rhyme or reason, the miseries whose causes we cannot change, lead us down dark roads indeed. The divinity to whom we cry may collapse into the cause of the torment, or into a mere impersonal fate, a chaos of indifferent nature.” In solchen Absurditätserfahrungen des Lebens können wir “all sense of humor and home“ verlieren. Oder es kann sein, dass mitten in einem solchen „tohuwabohu of meaning“ neuer Glaube entsteht, der im Umgang mit der „unpredictability of divine love“ dennoch an der Güte der Schöpfung festhält und so „learns to rhyme its reasons“. [73]

Kellers „tehomische“ Welt- und Gotteskonstruktion ist Ausdruck auch einer „Hermeneutik des Werdens“, die Theologie insgesamt zu einer „incantation at the edge of uncertainty“, einem „heuristic device“ zum Aufspüren neuer Lebensmöglichkeiten macht, zum „unblocking“ von „possibilities“, die ein religiöses Weltverständnis als „divine gifts and graces“ zu lesen versucht[74]. Auch damit greift Keller theologisch die Denktradition „negativer Theologie“ auf, die das „Dunkel“ der Welt nicht zugunsten eines angeblich nur hellen Göttlichen perhorresziert, sondern in der „brillant darkness“ der Dinge den Grund für die Möglichkeit einer „docta ignorantia“, einer „epistemology of unknowing“ (Nikolaus von Kues) sieht. „A tehomic theology“, so führt sie aus, „requires the deconstruction of the light supremacism of the western spirit. The negativity of theology, with its ‘cloud of unkowing’, marks in the present experiment an overlap between mystical disclosure and prophetic iconoclasm: a negativity – not altogether western – where language itself comes into question.” So verstanden kommt die die mystische Dunkelheit nicht nur als besondere spirituelle Erfahrungsform ins Spiel, sondern als durchgängige „epistemic strategy“.[75]

Der Gedanke des „Infiniten“ als Relativierung alles Finiten ist „bottomless“ ikonoklastisch in dem Sinn, dass er „subverts all truth-regimes to precisely the extent that they do not first negate themselves, that is, recognize themselves as variously and relatively applicable projections of our finitude”.[76] Insofern gibt es eine “strange familiarity” (Derrida) zwischen der apophatischen Tradition negativer Theologie und postmodernem Dekonstruktivismus. War für das Selbstbewusstsein der Moderne die Vorstellung vom „Licht der Vernunft“ leitend, das schließlich alle „Dunkelheit“ von „ignorance, inferiority and evil“ vertreiben wird[77], so führt die Post-Moderne nicht nur zur Dekonstruktion der alten, vorkritischen Weltbilder, sondern auch zur Dekonstruktion des Vertrauens in die kritische Kraft der Vernunft selbst. Aber Keller fordert in der Tradition negativer Theologie auch eine Dekonstruktion des Dekonstruktivismus, soweit er sich wiederum verabsolutiert. Denn dann fällt er „short of its own bottomlessness, and of the epistemological radicalism of … the docta ignorantia[78].

Wie Cantwell-Smith unterscheidet Keller “faith“ und „belief“: „Faith … signifies a trust that is kin to courage. It cannot be identified with belief, with knowledge, with any stash of propositions”[79]. Eine tehomische Epistemologie begründet darum keinen Glauben („belief“) an die Wahrheit irgendeines, sei es vorkritischen, kritischen oder nachkritischen Denksystems, sondern einen Glaubensmut („faith“), der der radikalen Fraglichkeit aller Dinge standhält, weil er im Dunkel der Unsicherheit das „infinite light“ einer die Diastase von Licht und Dunkelheit gerade aufhebenden, und darum immer neu schöpferischen „coincidentia oppositorum“ suchen und lieben kann.

Zusammenfassend spricht Keller von einem postmodernen Dilemma theologischen Denkens: Wenn „religious thinkers“ zu sehr auf fortschrittliche Erneuerung setzen, verlieren sie ihre „traditional constituencies“ und damit paradoxerweise gerade ihr „activist potential“. Wenn sie aber zu sehr auf die „accountability“ ihrer Theologien im Rahmen traditioneller kirchlicher Dogmatik setzen, verlieren sie ihre Anpassungskraft in einer Zeit von „swirling symbols and insecure institutions“. Diese „confusion“ hat dazu geführt, dass „talk about God … has been growing uncertain for centuries.” Auch Keller hat, so bekennt sie, im Laufe ihres Lebens erst langsam gelernt, “this confusion as a gift” zu bergreifen, als eine „great opurtunity“.[80]

Als sie als Jugendliche zum ersten Mal Altizers Klassiker „The Death of God“ in einem Buchladen sah, verband sich diese Vorstellung vom Sterben des Vertrauten mit anderen „adolescant anxieties“.[81] Aber Psychoanalyse hat gezeigt, dass „death … is underworld code for depth“. So begann sie sich zu fragen: „Has the death of God, viewed from down under, (un)veiled instead another depth of ‚God’? Coming not in triumph this time, nor yet in apology, can the God-Word find resonance within the gaping between-space … of so-called postmodernity? … Might we read the in-between of the divine and the world – and so perhaps of the spirit and the waters – as the place of spiritual decolonization, subverting the dispiriting dominologies of antiquity and (post)-modernity?”[82]

Damit endet Kellers Buch nicht zufällig mit einem pneumatologischen Kapitel: Der Raum der Entdominisierung theologischer Rede ist für Keller heute ein „pneumatic space“, in dem „the intimacy of the infinite begins to open … to a future whose way is measured not in linearities but in irreversibilities: irreducibles of loss, love and insight”. “Tehom, Elohim, Ruach” – diese “vibrating” Dynamik des schöpferischen Aufbruchs “teaches trust within the cloud of unknowing“ und wird zum „empowerment“ einer konkreten Hoffnung: „As we stop promising final utopias or transcendent escapes, the discourse and practise of divinity begin to join forces with the chaotic democracies of the becoming-creation.” Im “shadow of the night” kommt es zum “wrestling” mit dem Unbekannten, “whether we call it Other, angel, Elohim, problem, sibling”. Wir finden uns bewegt “by a strange eros”, ringen mit seinem Impuls die ganze Nacht hindurch, und, wenn wir hinkend in den nächsten Tag eintreten, “the place of this nocturnal struggle has opened up: It is called Peni’el, Face of the godhood.”[83]

Der “Geist”, klassisch trinitarisch gedacht als einigendes “Band” zwischen den göttlichen Personen, wird in einer „theology of becoming“ zum einigenden Band zwichen den „Kapazitäten“ des Göttlichen, „creativity“ („tehom“) und „creator“ („elohim“), des Prozesses, der die kreative Potenz der „Tiefe“ in die vielfältige Komplexität der Wirklichkeit „entfaltet“. So ist der Geist die „relation of relations“, die alles Leben vitalisiert, „love itself“ nach Augustin und „mutuus amor“ nach Thomas von Aquin. „Apart from the spirit ‚brooding o’er the chaos’, Tehom remains a sterile possibility and ‚God’ remains mere word, fleshless abstraction and power code.” Der Geist ist “life and breath of the universe”, der “vibrates at the edge of chaos”, und als Lebensatem durch Kontraktion und Expansion Raum eröffnet, indem er dem „Logos“ einen Körper gibt, „turning relation to possibility“[84].

Alles in allem erscheint mir Kellers Werk eine sehr erfrischende, belebende, weiterführende Stimme für meine „Paradigmen theologischen Denkens“, mehr als nur eine Variante der theologischen Rekonstruktionsarbeit Kaufmans oder Taylors. Dass sie die bis dahin einzige weibliche Stimme in meiner Zusammenstellung für mich weiterführender theologischer Ansätze ist, hebt sie umso mehr heraus. Als weitere wichtige feminine Ergänzung meiner gesammelten Perspektiven will ich im nächsten Abschnitt noch einen Blick auf Sallie McFagues metaphorische Theologie mit ihrem Konzept der Welt als „body of God“ und Gottes als des „spirit“ der „enlivens God’s body, empowers and sustains it“[85] ergänzen. Auch, wenn mir McFagues metaphorische Rekonstruktion des Gottesbildes streckenweise immer noch zu nahe an den ungelösten Problemen des klassischen Theismus, an der „notion of a personal being who has created the universe and acts beneficiently towards it“ [86] zu sein scheint, gehört sie als weitere „weibliche Stimme“ im heute nötigen transformativen religiösen Diskurs trotzdem auf jeden Fall in den größeren Zusammenhang meiner Suche nach heute „sag- und tragfähigen“ neuen Paradigmen (christlicher) religiöser Orientierung. Insofern stehen die ausführlichere Darstellung der feministischen Rekonstruktion des Gottesglaubens durch Keller und der kürzere Blick auf McFagues erweiterte Inkarnationstheologie hier auch insgesamt für das wichtige Desiderat der stärkeren Aufnahme spezifisch weiblicher Perspektiven insgesamt in die mir wichtige theologische Suchbewegung.

Abschließend zum Abschnitt über Keller möchte ich noch ein paar ausgewählte weitere Gedanken Kellers für die Konturen einer „theology in process“ aus ihrem zweiten hier zugrunde gelegten Buch herausgreifen, die ich im Zusammenhang meiner „Paradigmen“ noch für besonders weiterführend halte:

  • Der Zusammenhang von „Gott“ und „Liebe“: Im Unterschied zur theologisch abstrahierenden Sprache der späteren Bekenntnisse enthält das NT nach Keller nur zwei theologische Abstraktionen, die sich beide im Bereich des johanneischen Schrifttums finden: „Gott ist Geist“ (Joh 4, 24) und „Gott ist Liebe“ (1 Joh 4, 16). Entgegen der Betonung der alles bestimmenden „Allmacht“ Gottes in der klassischen Theologie fällt auf, dass es in der ganzen Bibel nirgends heißt: „Gott ist Macht“ („power“). Insofern muss jede Bestimmung der Macht Gottes eine Näherbestimmung der grundlegenden Gottesbestimmung als „Liebe“ sein und niemals umgekehrt: Gottes Macht bedeutet niemals im Sinne absolutistischer Theologien Zwang, „dominance“ oder „coercion“. Sie bedeutet aber auch nicht Hilflosigkeit und die Idealisierung von „victimization“ – auch wenn die Bestimmung der göttlichen Macht als Liebe „results in a cruciform passion“[87] Die „elemental love of the Gospels, in an unconditional radiance that embraces neighbor, stranger, or even enemy, suggests something utterly different from the self-demeaning, abuse-accepting passivity so many have mistaken for Christian love“[88]. Diese Liebe unterscheidet sich auch von der „saccharine sentimentality“ und der „passionate destructiveness“[89], die die menschliche Rede von Liebe sonst oft bestimmt. Widerständige Liebe als Qualifizierung der göttlichen Macht verstanden kann „resist the forces of destruction, empower the powerless, and embolden the meek“[90]. Göttliche Macht als die Macht der Liebe ist Ausdruck des „infinite desire for incarnation“, der Gestaltwerdung des Möglichen in den Aktualitäten der Welt: „The love-process morphs power into actions of care, of justice, of celebration. Of poetry“.[91] So verstanden ist die Bestimmung des Göttlichen als Liebe auch der Sinn seiner metaphorischen Personalisierung in der Bibel: „The metaphor of streaming love makes it possible for us to relate to the unknowable deep of reality“ in persönlicher Weise: „Its infinite, impersonal mystery gets personal. In spirit and in truth: we find ourselves permeated by love. We may realize that we are in Love. Or is Love in us – inviting, drawing, desiring?“[92]
  • Die Bedeutung ständiger Erneuerung für den theologischen Prozess: Kellers Bestimmung von „theology“ und „truth“ als „process“ macht auch deutlicher, warum die konstruktive Aufgabe der Theologie immer auch den Charakter von „Rekonstruktion“ bzw. „Revision“ haben wird. Es geht bei der Rede von Dekonstruktion (Taylor, Keller) und „fairly radical revision“ (Hodgson, Ward) des „alten“, absolutistischen theologischen Redemodus also eben gerade nicht darum, alles Bisherige in wiederum absolutistischer Weise als komplettes Missverständnis zu eliminieren und durch ein für alle verbindliches völlig Neues zu ersetzen: „To deconstruct is not to destroy but to expose our constructed presumptions.“[93] Die Aufgabe der „Revision“ in der Theologie geht es dann vielmehr gerade um die Freisetzung der durch die gängigen Interpretationen oft verschütteten Kraftpotentiale der religiösen Traditionen der Menschheit, in Hodgsons Worten: „revisioning them in such a way that their potential for redemptive transformation will be released anew”.[94] Eine solche “theologia semper reformanda", „theologia viatorum“ (Barth), oder, wie Keller es formuliert, „theology on the way“, „theology in process“ und „theology of becoming“ darf nie bei einem einmal erreichten Kenntnisstand stehen bleiben, sondern muss immer neue Versuche machen, sich der infiniten, menschlich unerreichbaren Letzten Wirklichkeit tastend anzunähern. So verstanden hat die Forderung nach ständiger Erneuerung und Revision theologischen Denkens zutiefst biblische, neutestamentliche (Röm 12, 2 u.v.a.) und bereits alttestamentliche Wurzeln: „’Behold, I do a new thing!’[95] The hebrews had a genius for novelty, thus for history as the scene of the new, the irreversible, the ‚acts of God’. Newness marks the irruption of possibility out of the impossible. ‚Let us sing a new song’[96]“.[97] Dekonstruktion, Rekonstruktion und Revision als Grundbewegungen konstruktiver Theologie sind so nicht Ausdruck eines traditionsfeindlichen „Modernismus“, sondern entsprechen dem Ansatz bei einer „creatio ex profundis“, bei der „fluency of the very waters of creation, in our con/fusing historical lives“, und dem prozesstheolgischen Grundansatz einer „theology of becoming: „In process thought, you and I are comprised not of skin-encapsulated subjectivities, not of atoms or of substances, nor of any fixed natures, sexual or otherwise. We are processes of relationship, members of multiple incomplete collectives, human and nonhuman.“[98]
  • Christliche „theology of becoming“ und der interreligiöse Dialog: Wenn die prozesstheologische Grundannahme zutrifft, dass alles Leben „Leben in Beziehung“ ist, dann ist auch der theologische Prozess der christlichen Annäherung an die „Wahrheit“ konstitutiv auf die Wahrheitsprozesse in anderen Religionen und Weltanschauungen zu beziehen. Keller deutet dabei in „On the mystery“ ihr eigenes Konzept des religiösen Pluralismus nur an: Der göttliche „lure invites an interactive process of interpretation, in which we own up to our perspectives even as we open them up to criticism and influence. To root our own thinking in theological traditions is to exercise a critical fidelity toward those traditions. So they neither demand assent nor exclude non-Christians and post-Christians from the conversation. Other traditions of faith, wisdom, and ethics unfold worthy ways that we could not explore within the scope of this book.“[99] Insofern wäre das Thema des interreligiösen Pluralismus noch ein wichtiges Thema der Weiterführung des Keller’schen Ansatzes. Hier passen Kaufmans Überlegungen in „God-Mystery-Diversity“ sicher besonders gut zu Kellers Denkrichtung: „In this view, religious truth is not so much a possesion owned by a particular tradition as it is something expected to emerge in the conversation among persons of differing faith-commitments – as they work together seriously in their collaborative effort to to understand and assess their diverse frames of orientation.“[100]
  • Prozesstheologie und Eschatologie: Wenn Gott, Welt und Mensch als „Prozess“ verstanden werden, dann stellt sich die Frage nach der Zukunft, nach dem Ziel dieses Prozesses. Auch christliche Hoffnung, so Keller, kann der Welt und dem individuellen Leben kein gutes „Ende“ garantieren. „By what we can predict with the apparatus of a calculative certainty, the odds seem poor for our shared future. But we do not know what might be possible, becomes possible. Where possibilities previously closed into impossibilty open up“ [101] kann die Vision Jesu von der „basileia“ über unser Können und Verstehen hinaus Gestalt annehmen, „along the edges of chaos“[102]. So ist die christliche Hoffnung begründet in der offenen Potentialtät des nonlinearen Weltprozesses: „Whatever horrors we as a species may perpetrate against the earth and all its populations, the spirit in process continues to call us toward the ‚new heaven and earth’: the renewal of the creation. ‚End’ in Christian eschatology signifies purpose, not termination. … The vision of a desirable future remains a possibiliy – a tipping point that we may or may not collectively actualize, a butterfly-effect upon the currents of the windy spirit. Against the odds, against the predictable, the end remains open.“[103]
Die Welt als „embodiment“ Gottes – ein Blick auf Sallie McFagues erweiterte ökologische Inkarnationstheologie

Lektürebasis:

  • Richard Grigg, God and Pragmatism I: Sallie McFagues Metaphorical Theology, in: Richard Grigg, Gods after God. An Introduction to Contemporary Radical Theologies, New York 2006, 53-73
  • Sallie McFague, Human Beings, Embodiment, and our Home the Earth. In: Rebecca S. Chopp, Mark Lewis Taylor (Hg.), Reconstructing Christian Theology, Minneapolis 1994, 141-169

Zur Einordnung und Übersicht über McFagues Hauptwerk beziehe ich mich (1) zunächst auf die Darstellung bei Grigg, a.a.O., bevor ich (2) ihre eigene Zusammenfassung und Weiterführung von „The Body of God“ in „Human Beings, Embodiment, and our Home the Earth” von 1994 darstelle, und (3) einen kurzen auswertenden “Ausblick” versuche.

(1) McFague teilt mit den anderen hier dargestellten Entwürfen den apophatischen theologischen Grundansatz, nach dem von “Gott” nicht eigentlich, in assertorischen Propositionen gesprochen werden kann, sondern nur uneigentlich in Bildern (Metaphern) und Modellen.[104] In den Leitmodellen von „mother“, „lover“, und „friend“, die sie selbst dafür zunächst verwendet[105], bleibt sie in ihrer Gottesrede noch weitgehend theistisch. Das in ihrem dritten Hauptwerk „The Body of God“ von 1993 verwendete Modell von der Welt als des „body of God“ hat dagegen m.E. ein eindeutig transtheistisches Potential, wenn auch McFague selbst Gott, als den „spirit“ der Welt, noch weiterhin auch im Sinne eines persönlichen Schöpfers und Erhalters deutet, allerdings nicht mehr im Sinne einer außerweltlichen „Ursache“ der Welt oder einzelner Erignisse in ihr.[106] Welche theologischen Möglichkeiten eine solche erweiterte inkarnatorische Theologie der Welt als „embodiment“ Gottes eröffnet, und wie sie mit der heutigen wissenschaftlichen Sicht auf Welt und Kosmos verbunden ist, wird in dem im Folgenden ausführlicher dargestellten Beitrag McFagues „Human Beings, Embodiment, and our Home the Earth” von 1994 m.E. sehr eindrücklich deutlich.

(2) „Traditional Christian theology“, sagt McFague, „has not taken the body seriously“. Und das, obwohl „Christianity“ doch „the religion of the incarnation, the religion of embodiment“ ist, „as proclaimed in its central doctrines of Christology (the Word made flesh), the Eucharist (the body and blood of Christ), and the Church (the body of Christ)“.[107] Dieses „refusal“ der Christenheit, ihre eigenen theologischen Grundlagen Ernst zu nehmen, hat die gegenwärtige ökologische Krise zwar nicht allein verschuldet, aber doch deutlich zur „deterioration and destruction of our planet“ beigetragen: Das Christentum mit seinem „hierarchical dualism of spirit over flesh, male over female, and human beings over the natural world“[108] „has not preached a gospel of embodiment, has not proposed an earthly anthropology, and has not taught us to think of our planet as our home.“[109]

Gegen eine nur spiritualisierte Deutung des christlichen Glaubens haben in den vergangenen Jahrzehnten die verschiedenen Befreiungstheologien schon seine politische Bedeutung betont. Doch heute, so McFague, müssen wir noch einen Schritt weiter gehen: In ihrer Vision einer neuen ökologischen Theologie, in der „the whole creation is the theater of God’s saving activity“, „justice and ecology issues join hands in a theology of embodiment“: „An earthly theology, epitomized in the model of the world as God’s body, claims that bodies matter, and whatever else salvation means, it starts with the need of bodies, all the wonderful, various, strange, and beautiful bodies on our planet.“[110] In einer solchen ökologischen Theologie des „embodiment“ werden Menschen Ernst genommen, aber sie sind nicht von einzigartiger oder absoluter Bedeutung. Dabei bekommt auch die Inkarnationslehre eine erweiterte, kosmische Bedeutung: „God ist Emmanuel not only in Jesus of Nazareth, but also in the flesh of our planet.“[111]

Der Mensch ist in dieser Perspektive nicht nur ein geschichtliches, sondern vor allem ein natürliches Wesen, Teil des großen Ökosystems der Natur, das seine unersetzbare Heimat und damit auch sein Schicksal ist: „We do belong to the earth: it is not only our space, but our place, our beloved home.“ Das bestimmt grundlegend die mit dieser Sicht verbundene Anthropologie: „An embodiment anthropology must start with who we are as earthly, physical creatures who have evolved over billions of years as pictured by postmodern science.“ Dabei ergänzen sich die wissenschaftliche Perspektive der neuen „common creation story“ und die religiöse Perspektive des christologischen Paradigmas gegenseitig: Die Perspektive der wissenschaftlichen Kosmologie zeigt, „that we have been decentered as the point and goal of creation“. Aber die christologische Perspektive „suggests … that we have been recentered as God’s partners in helping creation to grow and prosper in our tiny part of God’s body“, und bewirkt damit „a new calling“ für unser menschliches Leben, „that evolutionary science could never have envisioned – the calling to solidarity with all other creatures on earth, especially the vulnerable and needy ones“.[112]

Wie genau kann die „common creation story“ „help to reformulate a postmodern theological anthropology“? McFague nennt fünf „features“, die sich aus der Perspektive heutiger wissenschaftlicher Welterklärung für die Einordnung des Menschen „in the scheme of things“ ergeben. Zuerst wird der auf den Menschen zentrierte Blick auf die Welt klassischer christlicher Welt- und Gottessicht zeitlich und räumlich immens überschritten: „In this view, God would relate to the entire fifteen-billion-year history of the universe and all its inhabitants, living and nonliving.“ Der Mensch tritt in der Uhr der bisherigen Weltgeschichte erst in den letzten Sekunden, ziemlich am Rand des Universums auf.[113]

Das „second feature“ ist die dynamische Sicht des Weltprozesses als einer echten Geschichte, die die klassische Newton’sche Physik so noch nicht hatte, mit einem (wahrscheinlichen) Anfang und einem (wahrscheinlichen) Ende. „In our new cosmic story … genuine novelty results through the interplay of chance and law, and the future is open.“ Das Universum ist eine „unfinished story“, die Schöpfung ist, anders als in klassischen Schöpfungsmythen, auch dem der Genesis, noch nicht vollendet.[114] Das dritte „feature“ der common creation story“ ist die Einzigartigkeit jedes ihrer Teile und zugleich die „radical interrelatedness and inderdependence of all aspects of it“. Menschliche „Naturbeherrschung“ und Naturausbeutung, so als wäre der Mensch ein von der Natur unabhängiges Herrschaftswesen, ist in dieser Sicht der Welt nicht mehr zu rechtfertigen. Das hat immense Konsequenzen für die theologische Sicht des Menschen in der Welt und kann der Beginn einer wirklich transformativen „evolutionary, ecological, theological anthropology“ sein.[115]

Das „fourth feature“ ist die Einsicht in die vielschichtige Komplexität aller Dinge, belebt und unbelebt. Dabei ist für die Entwicklung des Universums eine Zunahme der Komplexität seiner Bestandteile, die Emergenz immer komplexerer Systeme zu beobachten. Aber das bedeutet nicht, dass „höhere“ Komplexitätsstufen „superior“ gegenüber „niedereren“ wären: „the higher and more complex the level, the more vulnerable it is and the more dependent upon the levels that support it.[116] Das fünfte „feature“ der „common creation story“ ist ihre Universalität. Während die verschiedenen religiösen Schöpfungsmythen immer kulturell partikular sind, einer bestimmten Tradition und Gruppe der Menschheit angehören, ist die neue „common story“ zugänglich für jeden Menschen auf unserem Planeten, und für alle relevant, weil jeder ein Teil von ihr ist. Insofern ist sie auch eine gemeinsame Basis, auf der die bisher getrennten Religionen sich treffen können, sich gegenseitig bereichern durch ihre unterschiedlichen traditionellen Weisheiten, dabei aber ihre bisherige oft gewaltsame Konkurrenz aufgeben müssen, weil sie „out of keeping“ ist „with reality as currently understood“.[117]

Die hier skizzierte neue, postmoderne Sicht auf die Welt dekonstruiert sowohl den bisherigen religiösen Anthropozentrismus (nicht nur) der christlichen Tradition, als auch den zerstörerischen technischen Anthropozentrismus und Machbarkeitsglauben der „säkularen“ Moderne. Mit den Augen der neuen postmodernen Kosmologie „one sees the world differently, not anthropocentrically, not in a utilitarian way, not in terms of dualistic hierarchies, not in parochial terms. One has a sense of belonging to the earth, of having a place in it, and loving it more than one ever thought possible.“[118]

Die möglichen Rekonstruktionen theologischer Anthropologie, die sich aus dieser neuen Sicht auf die Welt ergeben, sind vielfältig, je nach Tradition, sozialem Kontext, und erfahrenen Ungerechtigkeiten. Sie haben aber auf jeden Fall gemeinsam „a focus on gratitude for the gift of life rather than a longing for eternal life; an end to dualistic hierarchies, inluding human beings over nature; an appreciation for the individuality of all things rather than the glorification of human individualism, a sense of radical interrelatedness and interdependence with all that exists; the acceptance of responsibility for other forms of life and the ecosystem …; the acknowledgement that salvation is physical as well as spiritual …; and finally the recognition that sin is the refusal to stay in our proper place“. Sünde ist, wie es schon in alten theologischen Denkfiguren ausgesagt war, „living a lie“[119], eine Lüge in Bezug auf andere Menschen, auf andere Tiere und Geschöpfe, und auf die ganze Natur[120].

Zusammenfassend hält McFague fest: „A new way of being in the world begins to emerge from our reflections on our place in the scheme of things as pictured by the common creation story: We have been decentered as the point and goal of evolutionary history; hence, ecologial sin means living as if we were the center, denying space and place to other human beings, other species, and the ecosystems of the planet. But that same history suggests a recentering for us“ in unserer Verantwortung für die Zukunft des gesamten irdischen Lebens.

In christlicher Perspektive heißt das: wir sind als Mitgeschöpfe im Schöpfungsprozess des Kosmos zugleich „members of God’s body, qualified by the liberating, healing, and inclusive love of Christ“; wir sind mitverantwortlich für die Zukunft alles irdischen Lebens, aber darüber hinaus berufen zur besonderen Solidarität mit „especially the vulnerable. The Christic shape for humanity is built upon our evolutionary distinction but is also a radical intensification of it.“[121]

Wenn Menschen sich an dieser „Christic shape“ orientieren, können sie mithelfen, „evolution to its next step“[122] zu führen, aber zugleich an einer kosmischen Transformationskraft teilhaben, die alle ihre Möglichkeiten und Grenzen weit übersteigt: „We need to recall … that we are not the creators or redeemers of creation, only the stewarts and partners of the redeermer and savior. Christians believe that our efforts on behalf of the planet are not ours alone, and that the source and power of life in the universe is working in and through us for the wellbeing of all creation, including our tiny bit of it.“[123]

(3) Zusammenfassend möchte ich bemerken, dass in der gewissen Ambivalenz von McFagues Gotteskonzept, nach dem von Gott auch weiterhin in (allerdings feministisch und naturwissenschaftlich rekonstruiertem) theistischen Metaphern gesprochen werden kann, aber nicht muss, vielleicht tatsächlich auch ihre Stärke und die offene Potentialatität ihres Ansatzes für einen „heute trag- und sagfähigen Glauben“ liegt. Das „Gegenüber“ von „Geist“ (Gott) und „Körper“ (Welt) muss ja eben nicht im Sinne alter theistischer Kategorien verstanden werden, und ist von McFague selbst auch holistisch, nicht dualistisch, und nicht supranaturalistisch konzipiert.

Wenn man die Ergebnisse heutiger anthropologischer Forschung Ernst nimmt, nach der „Geist“ (Seele) und „Körper“ (Leib) eines Menschen keine cartesianischen „Substanzen“, sondern komplexe, autopoietische, vernetzte und relationale Systeme sind (Taylor), dann kann auch das Verhältnis von „Gott“ und „Welt“ im Bild der Welt als „embodiment“ Gottes komplex und systemisch gedacht werden. Wie nach heutiger biologischer und neurologischer Sichtweise der „Geist“ des Menschen wohl weder einfach identisch ist mit seiner materiellen Basis, noch aber von dieser getrennt zu denken und unabhängig, so könnte auch das Verhältnis von „Gott“ und Kosmos als komplexe Interelationalität verstanden werden.

Dann wäre „Gott“ vielleicht sowohl das abgründige Geheimnis, als auch (ähnlich wie Keller es in „Face of the Deep“ formuliert hat) ein „Emergent“ der kreativen Prozesse des Kosmos, als die „agency“ alles kosmischen Werdens, so wie heute der menschliche „Geist“ als „Emergent“ der neuronalen Prozesse des menschlichen Körpers verstanden wird, als Teil des Körpers und doch auch als sein den Körper transzendierender, ordnender Identitätsprozess.

Anmerkungen

[1] Wright, The evolution of God, 4

[2] Kauffman, Reinventing, 2

[3] Kauffman, Reinventing, 2

[4] Kauffman, Reinventing, XI

[5] Kauffman, Reinventing, IX

[6] Kauffman, Reinventing, X

[7] Kauffman, Reinventing, IX

[8] Kauffman, Reinventing, X

[9] Kauffman, Reinventing, X

[10] Kauffman, Reinventing, X

[11] Kauffman, Reinventing, XI

[12] Kauffman, Reinventing, XI

[13] Kauffman, Reinventing, XI

[14] Kauffman, Reinventing, XIII

[15] Taylor , After God, XVII

[16] Taylor , After God, XVIIf.

[17] Taylor , After God, 334

[18] Taylor , After God, 334

[19] Taylor , After God, 334f.

[20] Taylor , After God, 335

[21] Taylor , After God, 358

[22] Taylor , After God, 346

[23] Taylor , After God, 346

[24] Taylor , After God, 346

[25] Taylor , After God, 347

[26] vgl. zur Exegese von Joh 14,6 Keller, On the Mystery, 35f.; auch diese kritische Rekonstruktion des ursprünglichen Sinns und der ursprünglichen Funktion dieser meist ganz anders interpretierten und verwendeten Stelle ist ein Beispiel für die tiefe Biblizität von Kellers Denken jenseits aller Engführungen eines dogmatischen Biblizismus, der Kunst, das „Geheimnis“ der ursprünglichen biblischen Weisheitsrede wiederzuentdecken, das durch jahrhundertelange theologisch absolutistische Exegese, wie sie es nennt, „lost in translation“ war (Keller, On the Mystery, X).

[27] vgl. Keller, On the Mystery, 9, 33f.

[28] Keller, On the Mystery, 25

[29] Keller, On the Mystery, 89

[30] Keller, On the Mystery, 18

[31] vgl. Höhn, Der fremde Gott, 7ff.

[32] Keller, On the Mystery, 19

[33] Keller, Face of the Deep, 9

[34] Keller, Face of the Deep, Zusammenfassung im Klappentext zu Beginn des Buches

[35] Keller, Face of the Deep, 16f.; Keller bespricht hier im Folgenden v.a. den schöpfungstheologischen Entwurf Jürgen Moltmanns, der „seems to promise a less conventionally unilateral, masculinizing creativity“, aber aufgrund seiner unhinterfragten “ex-nihilo-premise” diesen innovativen Impuls nicht konsequent durchführen kann: “I fear that the dominology he unmasks with one hand will be blessed by the other.”

[36] Keller, Face of the Deep, 43f.

[37] Keller, Face of the Deep, 19

[38] Keller, Face of the Deep, 49

[39] Keller, Face of the Deep, 64

[40] Keller, Face of the Deep, 66

[41] Keller, Face of the Deep, 69

[42] Keller, Face of the Deep, 81

[43] Keller, Face of the Deep, 84

[44] Keller, Face of the Deep, 84f.

[45] Keller, Face of the Deep, 99

[46] Keller, Face of the Deep, 116f.

[47] Keller, Face of the Deep, 121

[48] Keller, Face of the Deep, 161

[49] Keller, Face of the Deep, 171

[50] Keller, Face of the Deep, 164

[51] Keller, Face of the Deep, 169

[52] Keller, Face of the Deep, 172

[53] Keller, Face of the Deep, 175

[54] Keller, Face of the Deep, 177

[55] Keller, Face of the Deep, 177f.

[56] Keller, Face of the Deep, 178

[57] Keller, Face of the Deep, 180

[58] Keller, Face of the Deep, 181

[59] Keller, Face of the Deep, 182

[60] Keller, Face of the Deep, 227

[61] Keller, Face of the Deep, 227

[62] Keller, Face of the Deep, 219

[63] Keller, Face of the Deep, 187

[64] Keller, Face of the Deep, 188

[65] Keller, Face of the Deep, 190

[66] Keller, Face of the Deep, 190

[67] Keller, Face of the Deep, 191

[68] Keller, Face of the Deep, 191

[69] Keller, Face of the Deep, 194

[70] Keller, Face of the Deep, 195

[71] Keller, Face of the Deep, 196

[72] Keller, Face of the Deep, 198

[73] Keller, Face of the Deep, 199

[74] Keller, Face of the Deep, XVIII

[75] Keller, Face of the Deep, 201

[76] Keller, Face of the Deep, 207

[77] Keller, Face of the Deep, 210

[78] Keller, Face of the Deep, 218

[79] Keller, Face of the Deep, 214

[80] Keller, Face of the Deep, 229

[81] Keller, Face of the Deep, 229

[82] Keller, Face of the Deep, 230

[83] Keller, Face of the Deep, 230f.

[84] Keller, Face of the Deep, 233

[85] vgl. die Darstellung des theologischen Werkes McFagues bei Grigg, Gods after God, 60

[86] vgl. die kritische Würdigung der „Future of Radical Theology“ bei Grigg, Gods after God, 129

[87] Keller, On the mystery, 108

[88] Keller, On the mystery, 113

[89] Keller, On the mystery, 91

[90] Keller, On the mystery, 91

[91] Keller, On the mystery, 101

[92] Keller, On the mystery, 97

[93] Keller, On the mystery, 138

[94] Hodgson, Winds, 17

[95] Jes 43, 19

[96] Psalm 33, 2f. und Psalm 98, 1

[97] Keller, On the mystery, 105

[98] Keller, On the mystery, 106

[99] Keller, On the mystery, 160f.

[100] Kaufman, Diversity, 213

[101] Keller, On the mystery, 147

[102] Keller, On the mystery, 153

[103] Keller, On the mystery, 165

[104] so grundlegend ausgeführt in ihrem ersten Hauptwerk, „Metaphorical Theology“ von 1982; vgl. Grigg, Gods after God, 55ff.

[105] so v.a. in ihrem zweiten Hauptwerk, „Models of God“ von 1987; vgl. Grigg, Gods after God, 59, 65ff.

[106] vgl. Grigg, Gods after God, 60ff.

[107] McFague, Embodiment, 141

[108] McFague, Embodiment, 141

[109] McFague, Embodiment, 142

[110] McFague, Embodiment, 142

[111] McFague, Embodiment, 143

[112] McFague, Embodiment, 147

[113] McFague, Embodiment, 149

[114] McFague, Embodiment, 149f.; hier erinnert McFagues Kosmo-Theologie an Haughts Konzept des Kosmos als einer „multilayered“ und „still ongoing story“; vgl. Haught, Deeper than Darwin, 169 u.ö.

[115] McFague, Embodiment, 150

[116] McFague, Embodiment, 151

[117] McFague, Embodiment, 152

[118] McFague, Embodiment, 155

[119] McFague, Embodiment, 155

[120] McFague, Embodiment, 155-167

[121] McFague, Embodiment,168

[122] McFague, Embodiment, 168

[123] McFague, Embodiment, 169

Artikelnachweis: https://www.theomag.de/69/sts3c.htm
© Stefan Schütze, 2011