Paradigmen theologischen Denkens |
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Paradigmen theologischen DenkensAuf der Suche nach einem für mich heute tragfähigen und sagfähigen Glauben. Teil IIIStefan Schütze 2. Weitere „anatheistische“ Annäherungen an GottAls mögliche weitere Denkversuche und theologische Transformationsvorschläge, die die bis hierher beschriebene „anatheistische“ Grundausrichtung mit weiteren konkreten möglichen Inhalten ausfüllen, sind die folgenden im Einzelnen dargestellten theologischen Grundlagenwerke hier rezipiert. Gemäß meiner eigenen religiösen Herkunft und Prägung entstammen auch diese „Annäherungen an Gott“ dem christlich-abendländischen Denkraum, versuchen aber ihre Vorschläge zu einer heute plausiblen Rekonstruktion des jüdischen und christlichen Gottesgedankens bewusst in einer „globalen“, für interkulturelle und interreligiöse Horizonte offenen Perspektive zu formulieren. Ich glaube, dass religiöse Wirklichkeitsdeutungen in Zukunft nicht mehr konfessorisch auf eine religiöse Tradition begrenzt werden, oder, wie viele (auch heute noch theologisch verbreitete) traditionelle Entwürfe der christlichen Dogmatik partikular von „Gottes Reden und Handeln“ nur in einer bestimmten religiösen Teilgeschichte der Menschheit ausgehen können. Wird auch innerhalb der liberaleren Richtung gegenwärtiger theologischer Konstruktionsarbeit vor der vermeintlichen Gefahr einer synkretistischen Beliebigkeit oder Vergleichgültigung traditioneller religiöser Geltungsnsprüche manchmal immer noch recht pauschal gewarnt, so ist doch der multireligiöse Horizont der faktischen Religiosität heutiger Menschen nicht mehr aufzuhalten. Manche mögen das bedauern; aus Sicht einer pluralistischen Theologie der Religionen ist dies aber vielmehr ein ungemeiner Zugewinn und Bereicherung des religiösen Gesamthorizontes. Als Beispiel für m.E. nicht mehr überzeugende noch bestehende Abwehrhaltungen auch liberalerer heutiger theologischer Denkversuche mag hier ein Blick auf Dietrich Zilleßens praktisch-theologisches Orientierungsbuch „Gegenreligion“ dienen. Zilleßen legt zunächst eine durch und durch liberale, postmoderne, stark an Impulsen Jacques Derridas orientierte theologische Grundlegung vor. Er anerkennt und entfaltet den nicht-fundationalistischen, konstruktivistischen Charakter aller menschichen Rede von „Gott“: „Gottesbilder verweisen nicht auf einen für sich stehenden Gott, sondern auf den Menschen, seinen Glauben und seine Begeisterung … Erfahrungen können sich hier als religiöse Positionen ausdrücken, in Sozialisation gelernt, in Ritualen angewöhnt, als Grundvertrauen ausgebildet oder als Schuldzuweisung aufgenommen.“ Diese religiösen Positionen werden, so Zilleßen, entschieden sein, aber auch beweglich bleiben, „bezweifelbar“ und „dekonstruierbar“. „Dekonstruktion ist die (demokratische) Grundlage von Entschiedenheit, nicht deren Bestreitung.“[1] Das bedeutet einen grundsätzlich nicht-exklusivistischen, tastenden, fragmentarischen Zugang zum jüdisch-christlichen Grundsymbol „Gott“: „Nicht das, was sich in den Symbolen präsentiert, sondern was sich in ihnen entzieht, ist symboldidaktisch von entscheidender Bedeutung. … Gott ist und bleibt in unseren Zeichen abwesend, ohne Präsenz, ein Mangel. … In menschlichen Konstrukten ist allenfalls ein Hauch von Gott, ein flüchtig vorübergehender (Ex 33, 18-23), ein widersprüchlicher.“[2] Insofern erteilt auch Zilleßen vermeintlich der Kontingenz menschlicher Wirklichkeitsdeutung enthobenen offenbarungspositivistischen theologischen Ansätzen eine klare Absage: „Keine Wahrheit unserer Verkündigung, unseres Unterrichts, unserer Didaktik kann zweifelsfrei offenbar(t) sein. Jede Wahrheit ist von Welt durchsetzt, von Uneindeutigkeit, Ambivalenz, Zweifel und Unsicherheit.“[3] „Gott“ kann darum für Zilleßen nur in den „Rissen“ und „Brüchen“ unserer theologischen Sprechversuche geahnt werden: „Ein sprachloses Unbewusstes ‚durchquert’ unsere Entwürfe, Konstrukte und Imaginationen, hat eine Spur in kleinen Irritationen, die uns einen Augenblick lang haltlos verunsichern oder aus der Bahn werfen können.“[4] In seltsamem Widerspruch zu dieser nichtfundationalistischen Grundlegung theologischen Fragens stehen dann für mich aber Zilleßens Ausführungen zu „Wege(n) interreligiöse(r) Kommunikation“. Hier scheint es mir ein wenig, als hätte Zilleßen mitten im dekonstruktivistischen Sprung den Mut zu seiner radikalen Fraglichkeit verloren, so dass er doch wieder bei einem (fast exklusivistischen) Behaupten von „Wahrheitsansprüchen“ und dualistisch entgegensetzender „Entscheidungen“ zwischen den unterschiedlichen religiösen Traditionen der Menschheit landet: „Dialog ist nur möglich zwischen unterschiedlichen Positionen. Wenn alles im Fluss ist, zerfließt der Dialog. Ohne Gegenposition lässt sich kein Eigenes behaupten.“[5] Aus dieser dialektischen Bestimmung des Verhältnisses unterschiedlicher religiöser Deutungswelten folgert er: „Konkrete Religionen, konkrete Bilder und Riten sind nicht gleichwertig und gleich gültig.“[6] Aber von welcher Warte aus will er das beurteilen? Pluralistische Religionstheologie sagt entgegen dem auch von Zilleßen wiederholten Missverständnis ja gerade auch nicht, dass alles „gleich gültig“ sei, nur dass die Grenze zwischen dem „Gültigen“ und dem „weniger Gültigen“ oder „Ungültigen“ eben doch eine fließende, permeable Grenze ist, die zudem eher quer durch die einzelnen Religionen, als klar verteilt zwischen ihnen verläuft. Zilleßen versteigt sich schließlich sogar zur Behauptung eines faktischen Polytheismus: „Die Einheit der Religionen soll uns vor der Vielfalt des Religiösen retten: ‚es gibt nur einen Gott’. Gott bewahre, es gibt viele Götter. Soll die bunte Welt der Religion und Religionen etwa trist werden?“[7] Aber will er wirklich ernsthaft den Polytheismus wieder einführen? Widerspricht die Annahme vieler Götter nicht gerade dem Geist und der Geschichte des sich zu immer größerer Klarheit entwickelnden jüdischen und christlichen monotheistischen Universalismus? Hilfreicher (und auch im Sinne von Zilleßens eigener theologischer Grundlegung plausibler) schiene mir zu sagen, dass es nicht viele Götter, wohl aber viele Gottesbilder gibt, die auf ihre Weise jeweils alle genauso auf ein unaussprechbares Göttliches zielen, (insofern mehr oder weniger „gültig“ sind), wie auch es immer verfälschen und verfehlen (insofern mehr oder weniger „ungültig“) sind. Die „bunte Welt der Religion und Religionen“ verwiese dann nicht so sehr auf viele verschiedene Götter, sondern auf ein in sich vielschichtiges, „buntes“ Göttliches (Keller: the „divine plurisingularity“[8]), das aber den vielfältigen Bildern gegenüber, die Menschen sich von ihm machen (auch dann, wenn sie dieses letzte Geheimnis der Wirklichkeit vielleicht ganz anders nennen) immer unverfügbar und „höher als alle Vernunft“ (Phil 4, 7) bleibt. Ein immer wieder vorgebrachter weiterer Einwand gegen einen solchen theologischen Pluralismus lautet: Ist ein solcher auf den traditionellen christlichen Absolutheits- und Exklusivitätsanspruch verzichtender theologischer Ansatz überhaupt noch „christlich“? Hier muss m.E. differenziert geantwortet werden. Einerseits kann man sagen: Insofern ein exklusivistischer Theismus für das traditionelle Judentum und Christentum konstitutiv war, ist eine „anatheistische“ oder transtheistische Denkbewegung eben nicht mehr im traditionellen Sinne jüdisch oder christlich, sondern nachjüdisch und nachchristlich. Darin steckt schon auch ein tatsächliches Ende einer früheren Identität, aber auch das Ende einer Begrenzung, denn der Raum religiösen Denkens ist jetzt der Raum der gesamten Menschheitsgeschichte, und unumkehrbar kein parochialer oder konfessioneller Raum mehr. „Anatheismus“ meint tatsächlich eine Religion „after God“ (Taylor), meint den Versuch, „atheistisch an Gott zu glauben“ (Sölle). Dass es „Gott“ als himmlisches Wesen vielleicht gar nicht „gibt“, sondern dass der Name „Gott“ vielmehr vor allem eine Metapher ist, ein Symbol „mit dem wir zur Symbolisierung desjenigen ausgreifen, das uns im Grundverhältnis unseres Lebens auf das Ganze eines tragenden Sinns hin versammelt“[9], wäre für viele „traditionelle“ christliche - an der Vorstellung einer persönlichen transzendenten und wunderbar in die Welt eingreifenden Gottheit orientierten Theologinnen und Theologen kein nach ihrem Verständnis mehr möglicher theologischer Gedanke. Andererseits muss man sagen, dass dieser „Abschied von Gott“ eben kein „Abschied vom Göttlichen“ ist, das „Ende der Metaphysik“ kein „Ende der Religion“. Nach Taylor ist das „after“ in einer Religion „after God“ „an after that is before“ und das „before“ in ihr „a before that is after“[10]. Ähnlich formuliert es Fritz P. Schaller in seinem Buch: „Die Evolution des Göttlichen“: „Das Göttliche ist logisch früher als ‚Gott’. Der Gottesbegriff erweist sich als sekundär zum Göttlichen.“ „Gott“ ist eine Sprachfigur, die Menschen zum Ausdruck „für den transzendenten Horizont der menschlichen Erfahrung und Erkenntnis“ entwickelt haben, keine unabhängig von ihr bestehende ontische Realität.[11] Mit Kaufman könnte man diesen Gedanken so formulieren: die kosmische Kreativität in ihrer dritten Gestalt, der menschlichen Kokreativität, geht der Entwicklung des Gottesgedankens voraus und bleibt auch nach dessen Ende bestehen; „creativity“ ist zeitlich und sachlich „vor“ der kreativen Konstruktion des Gedankens eines „creators“, und bleibt auch nach dessen transtheistischer Rekonstruktion als der Horizont von „mystery“ und „Gnade“ erhalten, der unser Menschsein umfängt und trägt. Zusammenfassend kann man sagen, dass es die anatheistische Bewegung im Christentum immer schon gab, und dass der Keim seiner transtheistischen Transformation, wie u.a. Vattimo herausgearbeitet hat[12], tatsächlich schon in seinem eigenen Ursprungsimpuls enthalten ist. Dennoch war die transtheistische Bewegung in der bisherigen Geschichte meist eher am „häretischen“ Rand als im „orthodoxen“ Zentrum kirchlichen Christentums zu finden, und wurde und wird in der katholischen oder evangelischen Fassung der anerkannten „Lehre“ des Christentums sicher auch heute von vielen (noch) nicht „offiziell“ akzeptiert oder in die Interpretation von „Schrift und Bekenntnis“ integriert. Aber vielleicht ist es auch hier so, wie Jesus es in seinem Gleichnis vom Sauerteig gesagt hat: „Das Himmelreich gleicht einem Sauerteig, den eine Frau nahm und unter einen halben Zentner Mehl mengte, bis es ganz durchsäuert war.“ (Mt 13,33). Vielleicht ist auch der „anatheistische“ Denkansatz so ein Sauerteig, ein Ferment, das einmal in den Prozess christlich-theologischen Denkens eingebracht, bald dieses ganze Denken prägt und verwandelt. a) Gott und das „schwache Denken“Lektürebasis: Gianni Vattimo, Jenseits des Christentums. Gibt es eine Welt ohne Gott? München 2004 John D. Caputo, The Weakness of God. A Theology of the Event, Bloomington 2006 John D. Caputo, What would Jesus deconstruct? The good news of postmodernism for the church, Michigan 2007 Als ersten hier genauer betrachteten „anatheistischen“ bzw. nachtheistischen Zugang zu „Gott“ möchte ich Gianni Vattimos Ansatz bei einem „schwachen Denken“ vorstellen, den John D. Caputo zum Konzept einer „weak theology“ ohne eine „starke“ ontologische Gotteskonstruktion ausgebaut hat. (1) Dem „starken Denken“ vormoderner und moderner Wahrheitsgewissheiten hat Gianni Vattimo als Signum der „Postmoderne“ das sog. „schwache Denken“ ohne sichere epistemologische und ontologische Fundationen entgegengesetzt. Der Epistemologie eines solchen „schwachen Denkens“ ohne es begründende Absolutheiten entspricht ontologisch eine „Schwächung des Seins“, eine Ontologie, die Sein als (flüchtiges) „Ereignis“ (Heidegger) und nicht mehr als (stabile) Essenz begreift; eine nachmetaphysische Ontologie, deren Grundlage im abendländischen Denken Vattimo bereits im Ursprungsimpuls des Christentums gelegt sieht, im Gedanken der „kenosis“ (Selbsterniedrigung) Gottes als seines radikalen „Machtverzichts“ zugunsten der sich preisgebenden Macht seiner Liebe, und damit seines radikalen (inkarnatorischen) Eingehens in die Welt. Dieser Prozess der „Kenosis“ Gottes, der im Christentum als „Heilsgeschichte“ verstanden wird, ist, so Vattimo, zugleich der Motor der abendländischen Säkularisierungsprozesse. Säkularisierung ist damit Folge des christlichen Glaubens und kein Abfall von ihm. In „Jenseits des Christentums“ führt Vattimo die Folgen des Endes der epistemologischen und ontologischen Fundationen für das Gottesverständnis in postmoderner Perspektive weiter aus: Unhintergehbar für jedes künftige theologische Denken sind Nietzsches Proklamation des „Todes Gottes“ und Heideggers Proklamation des „Endes der Metaphysik“. In diesen beiden Denkfiguren liegt für Vattimo nicht das Ende theologischen Denkens, wie von vielen konfessorischen Atheisten und Theisten gleichermaßen behauptet, sondern in Wahrheit seine Entgrenzung und Neuermöglichung: „Gott ist tot, das bedeutet für Nietzsche, dass es kein letztes Fundament gibt, und nichts anderes.“[13] Und das „Ereignis ‚Ende der Metaphysik’ hat im Denken Heideggers denselben Sinn wie der Tod Gottes (bei Nietzsche): … Das, was Heidegger als Metaphysik bezeichnet, ist nämlich eben der Glaube an eine objektive Ordnung der Welt …“[14] Daraus folgert Vattimo für die Gottesrede und die Religion: „Schließlich ist, wenn Gott tot ist, und das heißt, wenn die Philosophie zur Kenntnis genommen hat, dass sie das letzte Fundament nicht mit Gewissheit ergreifen kann, auch die ‚Notwendigkeit’ des philosophischen Atheismus beendet. Nur eine ‚absolutistische’ Philosophie kann sich ermächtigt fühlen, die religiöse Erfahrung zu leugnen.“[15] Anders, und noch pointierter gesagt: „Das Ende der Metaphysik und der Tod des moralischen Gottes haben die philosophischen Grundlagen des Atheismus liquidiert. Heute scheinen die Philosophen mehrheitlich nur aus Trägheit, nicht aus starken theoretischen Gründen, irreligiös oder antireligiös zu sein.“[16] Gottesglaube genauso wie Atheismus sind mögliche „Interpretationen“ der Wirklichkeit, keine an sich gegebenen „Tatsachen“, die unabhängig der weltinterpretierenden Denkprozesse von Menschen Geltung hätten: „Übrigens kann man die hermeneutische Philosophie … in ihrer radikalsten Fassung mit den Worten Nietzsches zusammenfassen: ’Es gibt keine Tatsachen, nur Interpretationen.’ Bewusst, wie wir uns sind zumindest ausgehend von Nietzsche und Heidegger -, dass jede unserer Beziehungen zur Welt durch kulturelle Schemata, durch historische Paradigmen … ‚vermittelt’ ist (die postanalytischen Epistemologen würden sagen theory-laden), können wir uns nicht mehr in dem Glauben wiegen …, dass das, was wir uns sagen und was uns gesagt wird, ‚objektive’ Beschreibungen einer ‚da draußen’ gegebenen Realität sind.“[17] Dieser Ansatz macht jeden religiösen oder säkularen „Absolutheitsanspruch“ vermeintlich sicherer „Wahrheitsgewissheit“ zunichte, und erfordert darum auch von der christlichen Gottesrede eine fundamentale Bereitschaft zur Selbstrelativierung, Pluralisierung und Dogmenkritik: „Wenn sich das christliche Denken mit der Aufgabe konfrontiert sieht, das Gewicht des Buchstabens der Bibel und der Dogmen zu verringern, um die Wahrheit auch der anderen Religionen zu begreifen, entdeckt es wahrhaftig, dass das, was allein zählt, die Liebe (caritas) ist; nur die Liebe stellt nämlich die Grenze und das Kriterium der geistigen Interpretation der Schrift dar. … Die Kulturanthropologie hat uns auf die unabänderliche Pluralität der Kulturen aufmerksam gemacht. Um die Welt zu interpretieren und die ethischen Alternativen zu bewerten, können wir uns allein auf den Appell beziehen, der uns von der Geschichte her zukommt, in die wir immer schon mit verwickelt sind: Das ist ein Appell, der nicht mit Eindeutigkeit und Gewissheit spricht, und der uns als Interpreten verpflichtet.“[18] (2) Diesen theologischen Ansatz Vattimos bei einem „schwachen Denken“ und einer „schwachen Ontologie“ führt John D. Caputo weiter aus in seiner Unterscheidung einer „starken“, an offenbarten Wahrheitsgewissheiten orientierten christlichen Theologie von einer an der paulinischen Rede von der „Schwachheit Gottes“ (1 Kor 1,25) orientierten „weak theology“, die alle „starken“ religiösen Geltungsansprüche „dekonstruiert“, und sich damit an der „schwachen“ Macht des im Namen Gottes beheimateten „Ereignisses“ eines „Rufs“ zum am Kommen des „Reiches Gottes“ ausgerichteten Leben orientiert[19]. Die von Caputo durchgeführte „Dekonstruktion“ einer „starken“ Gottesrede hat das Ziel, das „Ereignis“ freizusetzen, das im „Namen“ Gottes verborgen ist, das Ereignis, das Jesus das „Kommen des Reiches Gottes“ genannt hat. Dieser „event“ im Herzen des christlichen Gottesglaubens ist eine „Provokation“, ein „Ruf“, der uns aus der Tiefe der Wirklichkeit erreicht, ein Ruf, der uns erschüttert und unruhig macht, der uns in die Dimension seines Geheimnisses hineinzieht, obwohl wir dieses Geheimnis niemals begreifen können. Dieser im „Namen“ Gottes beheimatete „Ruf“ ist nicht der „starke“ Ruf eines Weltenschöpfers oder Weltenherrschers, sondern der „schwache“ Ruf einer Mahnung, einer Verlockung, die uns zu nichts zwingt, aber uns zu heilsamen „Transformationen“ unseres Lebens und unseres Handelns „verführt“. Mit diesem Gedanken der „Verführung“, des „lure“, nimmt Caputos Theologie der „weakness of God“ bewusst auch Züge der Prozesstheologie auf, nach der „Gott“ die Welt nicht durch die Macht seines „Seins“ beherscht, sondern ihr durch das Ereignis seiner gewaltlosen Liebe Entfaltungsraum gibt. Als „theology of the event“ identifiziert Caputos „weak theology“ Gott dabei weder mit der „Macht des Seins“ noch mit einem (höchsten) Seienden, sondern bestimmt den Namen Gottes eher als das in allem Seienden und allem Sein verborgene „Seufzen“ einer Liebe, die geboren werden will (vgl. Röm 8,22): „An event refers neither to an actual being or entity nor to being itself, but to an impulse or aspiration summering within both the names of entities and the name of being, something that groans to be born, something that cannot be constricted to either the ontic or ontological order at all. Rightly understood, the event overflows any entity; it does not rest easily within the confines of the name of an entity, but stirs restlessly, endlessly, like an invitation or a call, an invocation (‚come’) or provocation, a solicitation or a promise, a praise or a benediction (like Elohim’s ‚good, very good’), whether or not the occurrences on the plane of being are promising or good, whether or not they are the match for what is stirring in the event of the call. An event is not an ontico-ontological episode on the plane of being but a disturbance within the heart of being, within the names for being, that makes being restless.“[20] Das Wahrnhmen dieser „Geburtswehen der Liebe“ im Herzen der Welt sieht Caputo als etwas, was für eine postmoderne Weltsicht an die Stelle der alten „Gottesbeweise“ treten kann: „Indeed, were I coerced by the police of orthodoxy into coughing up an argument for the existence of God, I would offer, not a teleological argument, but an ateleological one. I would point to all the disturbances in being and ask, What is the anarchic arche at the heart of all this disorder? And instead of asking whether some intelligent being must not have designed it, I will ask whether something amorous must not have loved it!“[21] Eine solche „Dekonstruktion“ einer „starken Theologie“ zugunsten einer schwachen „theology of the event“ führt, wie Caputo dann in seiner Weiterführung „What would Jesus deconstruct“ ausgeführt hat, zu einer „Theopoetik“ des „Reiches Gottes“, was er in kritischer Bezugnahme auf Mark C. Taylors „A/Theology“ so weiter entfaltet: „Mark C. Taylor once famously described deconstruction as the hermeneutics of the death of God. But in the view I am advancing here, deconstruction is treated as the hermeneutics of the kingdom of God, as an interpretive style that helps get at the prophetic spirit of Jesus … “[22] Damit ist er neben neben Amos Niven Wilder und Catherine Keller auch ein Hauptvertreter dessen, was heute als „theopoetischer“ Zugang zur Religion und zum Gottesglauben diskutiert wird: „I am presenting the New Testament as a ‚poetics’ of the kingdom of God, a theo-poetics as opposed to a ‚theo-logic’, an ethics or a church dogmatics …“[23] b) Gott als der Horizont des „Unbedingt Menschlichen“Lektürebasis: Fritz P. Schaller, Die Evolution des Göttlichen, Ostfildern 2006 Als zweiter „anatheistischer“ bzw. nachtheistischer Zugang zum Göttlichen soll hier Fritz P Schallers humanistisch am Transzendenzhorizont des „Unbedingt Menschlichen“ ausgerichtetes Gotteskonzept dargestellt werden. Der katholische Theologe und Publizist Fritz P. Schaller setzt für seine Sicht auf „Gott“ bzw. „das Göttliche“ bei der in der conditio humana grundgelegten menschlichen Kontingenzbewältigung an, aus der er das Religiöse und die Konstruktion eines Göttlichen hervorgehen sieht. „Wir können Religion als Versuch verstehen, mit den Bedingungen und der Bedingtheit des Menschlichen ins Reine zu kommen.“[24] Es ist der Transzendenzhorizont des Menschlichen selbst, der die Menschen über die Vergänglichkeit und Begrenztheit ihres Lebens hinaus fragen lässt nach einer Dimension des Unvergänglichen und Unbedingten: „Alle unsere Spekulationen und unser Gerede finden innerhalb unserer Condition humaine statt. Sie reichen nicht weiter als bis an die Grenzen von Erfahrung und Erkenntnis.“ Im „Göttlichen spiegeln sich unsere ureigensten Zuversichten, Hoffnungen und Ängste.“[25] Weil der Mensch die Kontingenz seines Lebens bewältigen und im Bedingten nach dem Unbedingten fragen muss, ist er religiös: „Religion, so die Grund-Hypothese, gehört zur Eigenart menschlicher Existenz, so wie Kunst, Wissenschaft oder auch Sexualität. Nicht jeder Mensch muss künstlerisch, wissenschaftlich oder auch sexuell aktiv sein. Es genügt, dass er die Fähigkeit dazu erworben hat. So verhält es sich auch mit der Religion. Nicht jeder Mensch muss religiös sensibel und aktiv sein, aber der Horizont des Unbedingten, des Unendlichen ist ein Element seiner Natur.“[26] „Das Göttliche können wir als religiösen Namen für den transzendenten Horizont der menschlichen Erfahrung und Erkenntnis verstehen. … Wenn wir den Ausdruck ‚Gott’ verwenden, beziehen wir uns nicht auf ein Wesen, sondern auf eine Sprachfigur. Die weitere Frage ist natürlich: Worauf aber bezieht sich die Sprachfigur Gott? Wir werden in unserer Untersuchung erörtern, wie sich der Gottesbegriff auf eine weitere und allgemeinere Metapher bezieht: auf das Göttliche.“[27] Schaller sieht in der menschlichen Rede von „Gott“ also einen Spezialfall der allgemeineren Rede vom „Göttlichen“, von der sie herkommt und auf die sie wieder zielt: „Das Göttliche ist logisch früher als ‚Gott’. Der Gottesbegriff erweist sich als sekundär zum Göttlichen. Die Sprachfigur ‚Gott’ ist eine Möglichkeit, das Göttliche konkret zu benennen.“[28] Das Religiöse entwickelt sich dabei in der Menscheitsgeschichte gemeinsam mit dem Künstlerischen und dem Philosophischen in einer ständigen Wechselbeziehung: „Zwischen Kunst, Religion und Philosophie spielt ein Drehtüreffekt. Ihre gemeinsame Achse ist die Condition humaine. Wo wir emotional und kognitiv an unsere Grenzen stoßen, zeichnet sich das Unbedingte und Absolute ab, das wir begreifen möchten.“[29] Von Anfang an hatte die menschliche Religiosität auch eine ästhetische Dimension: „Denn der Sinn für Schönheit lässt uns Menschen eine transzendete Dimension der Weltwirklichkeit erspüren. … Die Frage …, warum wir die Weltwirklichkeit ästhetisch interpretieren, lässt sich nicht mit einem Überlebensvorteil beantworten oder mit sexuellen Funktionen. In den schönen Dingen spiegelt sich der unfassbare Horizont des Transzendenten.“[30] Weiter gehört das Wissen um die eigene Sterblichkeit von Anfang an zu den Quellen menschlicher Religion: „Indem der Mensch sich evolutiv vom Tier zu unterscheiden beginnt, wird er seiner Sterblichkeit gewahr. In die menschliche Lebenserfahrung beginnt sich die Endlichkeit und Unverfügbarkeit von Macht, Tod, Sexualität, Schicksal und Gewalt einzuzeichnen. Das Leiden an der unerträglichen Endlichkeit nahm seinen Anfang. Das Leiden an der Endlichkeit treibt den medizinischen, wirtschaftlichen, wissenschaftlichen und politischen Fortschritt an. Ohne dieses Leiden bräuchten wir weder Kunst noch Religion. Der Mensch ist ein Leidgetriebener. Als der Mensch seiner Menschlichkeit gewahr wurde, erfuhr er seine unbedingte Bestimmung zum Tod.“[31] „Warum bescheiden wir uns nicht wie die Honigbienen mit unserem Leben? Warum fliegen wir nicht einfach von Blume zu Blume, sammeln unseren Nektar und lagern ihn zum Überwintern in die Waben ein, damit die nächste Generation beim nächsten Frühling ausschwärmen kann? Wir haben es der Religion zuzuschreiben. Denn der ästhetische und der religiöse Sinn lassen uns nicht zur Ruhe kommen, solange wir mit dem Unbedingten, Unbestimmbaren und Unverfügbaren der Condition humaine nicht im Reinen sind.“[32] Diese religiöse Grunddimension menschlicher Lebensbewältigung hat zwei Seiten: Auf der einen Seite bleibt das Göttliche dem menschlichen Verstehen gegenüber immer transzendent: „Hinter jedem Horizont, den wir erschließen können, eröffnet sich, metaphorisch gesprochen, ein neuer.“ Auf der anderen Seite ist es aber gerade dieser unerreichbare „transzendente Horizont, der die Condition humaine in Spannung versetzt, als wäre hinter dem Horizont der Schlüssel zu einer alternativen, ja vollkommenen Condition humaine verborgen, die Möglichkeit eines Lebens in direkter Gottesschau, ein Himmel, eine Welt des Friedens und der Glückseligkeit. Offenbar möchte der bedingte Mensch seine Sehnsucht nach Glückseligkeit stillen, Auswege aus seiner leidvollen, tödlichen, schicksalshaften Bedingtheit … finden oder mindestens den Sinn dieses zu Leid und Tod bestimmten Lebens erfassen.“[33] Diese Sehnsucht nach dem Unbedingten kann aber innerhalb der Condition humaine niemals gestillt werden. Die „absolute Wahrheit, … ewige Schönheit, … ewige Liebe, … unbedingte Gerechtigkeit“ können nur „als unüberschreitbarer Horizont unserer Erkenntnis und Erfahrung“ geahnt werden. „Sie erscheinen uns immer nur in Gestalt von zeitlich und örtlich begrenzten Wahrheiten, Schönheiten und Gerechtigkeiten. Wir finden auf der Suche nach dem Unbedingten nach Jacques Derrida die Spuren eines immer schon Entzogenen. Und wir mühen uns, die Zeichen zu entziffern.“ Zeichen, so Derrida, verweisen immer auf andere Zeichen. „Die Horizonte unserer Erfahrung und Erkenntnis sind durch und durch zeichenhaft und damit interpretationsbedürftig.“[34] Schallers Verständnis des Göttlichen als „Transzendenzhorizont“ des Menschlichen führt damit zu einer konsequent geschichtlichen Interpretation religiöser Vorstellungen und Dogmen, und ist mit einem übergeschichtlichen Supranaturalismus nicht vereinbar. Versteht man das Göttliche als in der Condition humaine selbst begründeten Transzendenzhorizont des Menschseins, so wird man auch die Offenbarungsansprüche der Religionen funktional und geschichtlich betrachten: „Unsere Frage an das Göttliche ist darum nicht: Was hat Gott in den Religionen geoffenbart? Unsere Frage lautet: Wie kamen die Menschen dazu, bestimmte Normen, Aussagen, Schriften und Riten als geoffenbart zu interpretieren?“[35] Alles, was Menschen denken und sich vorstellen können, ist in ihrer Condition humaine begründet, auch ihr Denken und Vorstellen über den transzendenten Horizont dieser Condition humaine. „Der religiöse Sinn verweist hinter die Horizonte der menschlichen Lebenswelt. Das Paradox ist, dass die Theologie aber keine außermenschliche Erkenntnisquelle besitzt, die quasi als Licht vom Jenseits das theologische Denken erleuchten könnte. Theologie arbeitet innerhalb der Condition humaine, nicht außerhalb. Begriffe wie Offenbarung, Wort Gottes, Erleuchtung, Erlösung, Schuld und Sühne sind deshalb nicht hinfällig. Wir verstehen sie aber neu als Interpretationen bestimmter Verhältnisse des Menschen zum transzendenten Horizont von Erfahrung und Erkenntnis.“ Schaller nennt diesen Zugang zu religiösen Vorstellungen einschließlich der Gottesvorstellungen „Interpretationstheologie“, und hält fest: „Wichtig für unser Thema ist, auch religiöse und theologische Aussagen als Interpretationen zu verstehen.“[36] Schaller ist sich bewusst, dass eine solche Deutung auch religiöser Aussagen als interpretative Konstrukte des menschlichen Geistes von vielen immer noch abgelehnt wird, weil sie dem Selbstanspruch des Christentums widerspreche: „Denn der Theologie gehe es um die Wahrheit. Und das Wahre sei wahr, unabhängig von jeder Interpretation.“ Doch eine „solche essenzialistische Auffassung verkennt einerseits den metaphorischen, mythischen, … schemageleiteten Charakter der religiösen Sprache, und andererseits die grundsätzliche Unbestimmbarkeit des Transzendenten. … Folgten wir einer essenzialistischen Vorstellung des Göttlichen, wäre die Rede von Mutationen des Göttlichen nichts als eine Sprechblase. Da wir das Göttliche aber interpretativ verstehen, können wir seine Veränderungen mit der Condition humaine verbinden und durch die Geschichte verfolgen.“[37] Eine solche konsequent geschichtliche Interpretationstheologie führt dabei nicht, wie Kritiker ihr immer wieder vorwerfen „in logische Unverbindlichkeit, in ästhetischen Relativismus und in ethische Beliebigkeit“ Im Gegenteil: „Eine glaubwürdige Interpretation muss einer Reihe von Standards des Denkens genügen. Sie muss konsistent und kohärent sein, muss sich an logischen, ästhetischen und ethischen Kriterien im Zusammenhang ausweisen. … Eine Wahrheit wird nicht wahr, weil wir ihre absolute Gültigkeit erkannt hätten. Sie wird vielmehr wahr, weil sie emotional und kognitiv in das Gesamtgefüge passt, das unsere Existenz ausmacht. Interpretationstheologisch ist es wichtig zu sehen, dass es verschiedene Wahrheiten über das Göttliche geben kann. In ihrer Condition humaine können menschliche Gemeinschaften verschiedene letzte Wahrheiten glauben. Wir fragen nicht nach der einzig richtigen Wahrheit, sondern wir fragen, inwiefern religiöse Wahrheiten konsistent und kohärent vertreten werden können, ob sie logischen, ästhetischen und ethischen Kriterien genügen können.“[38] Im Rahmen dieses „interpretationstheologischen“ Denkansatzes zeichnet Schaller dann konkret nach, wie das Paradigma des Göttlichen mit der kulturellen Evolution des Menchen selbst eine evolutionären Entwicklung durchlaufen hat, die es erlaubt, von „Mutationen des Göttlichen“ zu sprechen, durch die die menschliche Religionsgeschichte sich jeweils neu den konkreten Rahmenbedingungen menschlichen Lebens angepasst und das den Transzendenzhorizont der conditio humana repräsentierende Grundsymbol des Göttlichen fortentwickelt und tiefer ausgelotet hat. „Im Übergang des Menschen zur Sesshaftigkeit und Argrargesellschaft fanden entscheidende Mutationen des Paradigmas statt, desgleichen im Übergang von der Argrargesellschaft zur frühen Städtebildung. Ohne hierarchische Gesellschaftsordnung könnten wir die Mutation des Göttlichen zu Stadt- und Landgöttern nicht verstehen. Desgleichen ist der Übergang von Israels Volksgott Jahwe zur monotheistischen Gottesvorstellung ein weiteres Beispiel einer folgenscheren Mutation in der Evolution des Göttlichen.“[39] Auch die monistischen Gottesvorstellungen des Ostens sind solche Mutationen einer ursprünglich polyteistischen Gottesvorstellung. Die „großen Paradigmen der Religionsgeschichte“ und die mit ihnen verbundenen „Mutationen des Göttlichen“ ergeben sich aus den „Gesellschaftstypen“ der Jäger und Sammler (frühe Religionen), der Agrarier und Hirten (Vedische Religion, Religion der Stämme Israels), der Antiken Hochkulturen (Gottkönigsreligionen in Mesopotamien, Ägypten, Griechenland, und bei den Azteken, Maya, Inka), der Monistischen Zivilisationen (Upanishaden, Buddhismus, Konfuzianismus, Taoismus), der Monotheistischen Zivilisationen (Judentum, Christentum, Islam) und der multikulturellen demokratischen Gesellschaften (Religionen der Moderne und Postmoderne).[40] „Was wir aus der religiösen Geschichte der Menschheit festhalten können, ist dies: Die Paradigmen des Göttlichen sind abhängig von der Lebenswelt. Sie können sich verändern, und mit ihnen der Cluster der zugeordneten Vorstellungen wie Opfer, Engel, Sünde, Schuld, Gebet, Geschichte, Schicksal. Die klassische Schultheologie erklärt die Mutationen gerne mit Offenbarungen, die gottgewirkt von außen in die Menschenwelt hereinbrechen. Die Interpretationstheologie begreift sie dagegen von der menschlichen Lebenswelt her, der Condition humaine. Wir Menschen selbst sind es, die sich mit den existentiellen Fragen abmühen, die uns die Endlichkeit unserer Kognition und Emotion aufgibt.“[41] Auch unsere heutige Gegenwart erlebt wieder eine weitreichende Mutation des Göttlichen vor dem Hintergrund der multikulturellen demokratischen Gesellschaften der Postmoderne. „Wir waren in unserer Geschichte schon bemerkenswert erfolgreich, dem Transzendenten Stücke seines Geheimnisses zu entreißen. Kunst, Philosophie und Religion stellten Bilder, Metaphern und Mythen zur Verfügung. Die gesellschaftlich dominierenden Mächte nahmen sie in Dienst.“ Sie nahmen „Gestalt an in Riten, Bräuchen, Dogmen, in Glaubensgemeinschaften und Kirchen.“[42] Mit der postmodernen Globalisierung der Condition humaine verändern sich diese Gestalten des Religiösen erneut in einer bisher noch nicht gekannten weltweiten Begegnung und Durchdringung: „Wir verstehen uns mehr und mehr als Glieder einer durchmischten Weltgesellschaft, jederzeit und überall erreichbar.“ Die Themen des Lebens und Überlebens betreffen nicht mehr nur die Einzelnen, sondern die Weltgemeinschaft als ganze. „Nicht alle Menschen sind schon von der globalen Betroffenheit erfasst, aber doch der dynamische Teil der Menschheit.“[43] Die Globalisierung der Condition humaine ist vordergründig ein Phänomen der medialen Vernetzung und weltumspannenden Mobilität. Doch sie hat auch eine religiöse Dimension. Die Religionen können in diese neue globale Situation nicht mehr mit dem Anspruch universaler Gültigkeit ihrer Glaubenssätze hineingehen. Aber ihr Beitrag bleibt fundamental: „Die religiösen Traditionen enthalten die schönsten und mächtigsten Begründungen für unsere modernen Kulturideen. Sie beschreiben das Unbedingt-Menschliche in wunderbaren Mythen, Erzählungen und Poesie.“[44] Was kann der Beitrag der alten religiösen Paradigmen zur heutigen globalen Zivilgesellschaft sein? „Im Prinzip dürfte ein globaler Konsens darüber bestehen, dass die Erde als Lebensraum für die künftigen Generationen von Lebewesen, die Vegetation, die Fauna, die Menschheit zu erhalten ist. Nicht mehr bloß für das Dorf oder die Ethnie oder die Nation oder das Reich. Nein für alle, in Frieden und Gerechtigkeit und Solidarität. Eine Utopie vom Unbedingt-Menschlichen zeichnet sich ab.“ In diesem neuen globalen Paradigma des Religiösen bleiben „die monotheistichen Religionen“ zwar „potente Systeme … die ihre Funktion erfüllen können.“ Sie können aber nicht mehr den Anspruch erheben, „die universalen, einzig wahren“ Beiträge zum neuen Paradigma zu sein, oder von einem übergeschichtlichen Standpunkt offenbarter Wahrheiten aus zu reden.[45] Zu überwinden ist darum heute auch die reine „Selbstreferentialität“ der einzelnen Teilnehmer im religiösen Diskurs, als könne in einer globalen Welt eine unkritische Wiederholung und allenfalls apologetische Modifikation traditioneller Glaubensperspektiven der einzelnen religiösen Systeme immer noch ausreichend sein. Gefordert ist heute vielmehr eine Selbstkritik aller bestehenden Religionen vom Unbedingt-Menschlichen her: „Die Religionen hinterließen in ihrer Geschichte zwei Spuren: Eine Lichtspur und eine Blutspur. Auf der Lichtspur finden wir Wege zum Heil, Maßnahmen für Gerechtigkeit, für Toleranz. … Auf der Blutspur der Religionen finden wir Tieropfer, Menschenopfer, Denunziationen, Beschämung, Verurteilung, Scheiterhaufen, Inquisition, Todesurteile, Religionskriege, Selbstmordattentate, Terrorismus. Das Unbedingt-Menschliche verlangt darum nicht bloß eine Ethik der Weltgerechtigkeit[46]. Sie setzt die Überprüfung der Paradigmen des Göttlichen voraus in allen Religionen und religiösen Institutionen. Die Frage lautet: Wie ist das Göttliche zu denken unter den Verhältnissen der modernen Welt.“[47] Die Religionen haben auch heute die Kraft, auf einen „Mehrwert“ des Menschlichen, des Sozialen, des Geschöpflichen zu weisen, auf den eine naturwissenschaftliche Betrachtung allein nicht weisen kann. „Wir verfügen zwar über keinen Gottesstandpunkt, um zu entscheiden, warum es uns überhaupt gibt. Die Naturunmittelbarkeit der Jäger und Sammler ging uns verloren. Die Himmelsunmittelbarkeit der Hirten und Argrarier können wir so nicht mehr erleben. Und selbst die göttlichen Hierarchien sind entzaubert. Aber wir haben die Kunst, die Philosophie, die Wissenschaft und die Religion. Sie heben unsere unerträgliche Endlichkeit, die Signatur der Condition humaine nicht auf. Aber sie machen sie erträglich. Das ist der Trost dieser unmöglichen Aufgabe. Ihre Mythen erzählen vom Unbedingten am Menschlichen, von der Gleichheit aller, von der Würde und dem Recht der Kreatur, von Freiheit, Gerechtigkeit, Solidarität und von der Hoffnung, das Leben zu bewahren.“[48] c) Gott als die unerreichbare Grenze der SpracheLektürebasis: Mark C. Taylor, The End(s) of Theology. In: Greeve Davaney, Sheila: Theology at the End of Modernity. Essays in honor of Gordon D. Kaufman, Philadelphia 1991, 233-248 Als dritten „anatheistischen“ bzw. nachtheistischen Zugang zum Göttlichen möchte ich nochmals auf Mark C. Taylors beziehungsreiche A/Theologie zurückkommen, die er als eine „parapraktische“ Weise des Schreibens (an) der Grenze näher bestimmt, durch die er ein „Anderes“ der Sprache aufscheinen lassen will, das „nach Gott“ an die Stelle Gottes tritt. Sein 1991 mit dem für ihn typischen mehrdeutigen Titel: „The End(s) of Theology” publizierter Aufsatz in einer Festschrift für Gordon D. Kaufman steht im “Zwischenraum” zwischen seiner “Postmodern A/Theology” von 1987 und seinem im zweiten Teil meiner Paradigmen-Artikel bereits ausführlicher besprochenen “After God” von 2007, ist aber zeitlich und sachlich noch näher bei jenem als bei diesem. Es betont noch stärker als “After God” den dekonstruktivistischen Grundansatz seines Denkens, nach dem “Gott” sprachlich nicht “(re)präsentiert" werden, d.h. nicht auf ein “textäußeres” Signifikat der Sprache über ihn weisen kann (auch nicht in poetisch-metaphorischer Signifikation, wie z.B. bei Gordon Kaufman[49]). Das „Ende der Theologie“, so Taylor in „The End(s) of Theology”, „is approaching without ever arriving“, schon vor dem Anfang und ohne Ende. „The endless approach of the end of theology might however harbor … another end“, nämlich „the irreducible opening of the a/theological imagination“. „Beyond“ dem Ende der Theologie wäre dann ein bisher (auch theologisch) ungedachtes a/theologisches „strange end“ allen Denkens, „which is neither simply immanent nor transcendent“.[50] Das immer wieder vorhergesagte, aber nie eingetretene „Ende der Religion“ zeigt, dass die Wirklichkeit komplexer ist, als es die religionskritische „hermeneutics of suspicion“ wahrhaben will. Heute muss vielleicht die religionskritische „obsession with demystification … itself be demystified.“[51] „Religion, it seems, is more complex and multifaceted than reductionist critiques acknowledge.“ Das postmoderne „disenchantment with disenchantment“ hat religiös seinen Ausdruck in den vielen fundamentalistischen Bewegungen rund um den Globus gefunden. Gemeinsam ist all den diversen Strömungen des postmodernen Fundamentalismus der Wunsch nach der Rückkehr zu einem vormodernen Fundationalismus. „Fundamentalism, in all its guises, I would suggest, involves the search for secure foundations to ground thought and action.“[52] Um dem Fundamentalismus zu widerstehen, muss man darum dem ihm zugrundeliegenden Fundationalismus widerstehen. „Fundamentalism or foundationalism is essentially reactionary. In the wake of the confusion and uncertainty brought by the pluralism and relativity of modern culture, there is a pervasive nostalgic longing to return to the peace and security of a world in which truth seemed knowable and morality doable.“ Aber eine solche Rückkehr kann es nicht geben, und sie denoch zu fordern, „is, in my judgement, pernicious and should be vigorously resisted.“ Wie der Fundamentalismus meint auch
Taylors Versuch „to think this fault“ setzt bei Nietzsches Proklamation des Todes Gottes an. Hier sieht er den Ausgangspunkt für ein postmodernes theologisches Denken ‚beyond’ the end of theology“.[54] Die Theologie des 20. Jh. war geprägt von gegenläufigen Versuchen, Gott entweder ganz ohne Immanenz (Barth) oder ganz ohne Transzendenz (Altizer) zu denken. Barths „Nein“, mit dem die dialektische Theologie ihren Ausgang nahm, „represents a rejection“ der liberalen Kulturtheologie vor ihm „in which divine presence is regarded as immanent in historical, social and cultural processes.“[55] Dieses neo-orthodoxe „Nein“ Barths zur kulturellen „Begründung“ des Glaubens war in seiner „historical situation“ nach dem Ersten Weltkrieg „not only understandable, but even persuasive“, hatte doch eben der Glaube an die menschliche „Kultur“ „left Western Europe in ruins“. Doch mit der erneuten Änderung der historischen Situation schwand auch die Überzeugungskraft des Barth’schen Ansatzes. Als Gegenentwurf zur Bart’schen radikalen Transzendenz formulierte schließlich Thomas Altizer in den 1960ern seine Theologie des „Todes Gottes“. „When Altizer declares the death of God, it is really the death of the Barthian God he proclaims. Altizer’s ‚No’ to Barth’s ‚No’ is at the same time a ‚Yes’ to a radical immanence in which all vestiges of transcendence are erased.“[56] Radikale Immanenz Gottes ist aber für Altizer zugleich seine wirkliche Präsenz im Hier und Jetzt. Trotz seiner Opposition zu Barth teilt Altizer damit mit ihm immer noch die traditionelle theologische Ontologie der Präsenz. Gegen die Barth’sche Betonung der Differenz betont Altizer mit Hegel die Identität. Aber die Reduzierung der Differenz auf Identität löst das Problem der komplexen Beziehung von Identität und Differenz nicht. Hier kann, so Taylor, das neue Differenz-Denken von Jacques Derrida weiterhelfen. Sein Ansatz bei der unauflösbaren „differánce“ und der damit verbundenen Dekonstruktion jeder klassischen Metaphysik der Präsenz öffnet neue Möglichkeiten, indem er hilft, „beyond absolute knowledge“, auch über das „Ende“ der westlichen metaphysischen Theologie hinauszudenken. „What neither philosophy nor theology has thought … is that which lies between presence and absence, identity and difference, being and nonbeing. Neither representable in nor masterable by traditional philosophical and theological categories, this margin is the trace of a different difference and another other.“[57] Theologisch wäre auf der Linie dieses Denkens zu fragen: „What have Barth and Altizer not thought? What does the alternative of transcendence and immanence leave out? Is there a nondialectical third that lies between the dialectic of either/or and both/and? Might this third be neither transcendent nor immanent? Does this neither/nor open the time-space of a different difference and another other a difference and an other that do … actually subvert the polarities of Western philosophical and theological reflection?“[58] Der Beginn einer Antwort auf diese Fragen könnte im Bedenken des Horizontes des „Nichts“ jenseits von Sein und Nicht-Sein liegen. Ein „Nichts“ ganz anders als das bisher gedachte Nichts westlichen Denkens: „This nothing is … neither the no thing that is the fullness of being nor the absence of things that is the emptiness of nonbeing. The nothing that both philosophy and theology leave unthought is ‚between being and nonbeing’ … it is not present without being absent“. Es ist „the nonevent in which nothing happens. The eventuality of nothing ruins all presence by interminably delaying the arrival of every present.“ Religion könnte dann refiguriert werden als die Einsicht, dass weder Anfang noch Ende dem Menschen verfügbar sind. Religion wird traditionell verstanden als „a binding (ligare) back (re) that is supposed to bind together. The return of the origin that constitutes the end holds out the promise of unifying human life by reconciling opposites and overcoming strife.“[59] Religion im neuen, postmodernen Verständnis, bindet den Menschen dagegen nicht an einen sicheren Grund zurück, sondern an ein Nichts, das doch Anfang und Ende von allem umschließt. „When re-ligare fails by returning all to nothing, it must be repeated. Through repetition, binding back is transformed into a re-binding that creates a double bind. … To be bound to and by nothing is not to be free but to be entangled in a double bind from which there is no escape.“ Eine so verstandene Religion „no longer heals wounds“, indem sie Gegensätze zusammenbindet, sondern im Gegenteil „exposes wounds that can never be cured.“[60] „Faltering constructions … expose the fault of foundations and the error of every fundamentalism. This crack, this fault, lies ‚beyond’ the end of theology. To write this ‚beyond’ is to write the lack of language that is nothing other than the nothing of silence. Neither speach nor silence, this lack of language remains in and as the failure of words.“ Diese Grenze aller Sprache „is neither exactly inside nor outside the text. As such, it eludes the economy of representation. … To write the ‚beyond’ is not the end of theology“, sondern bedeutet vielmehr ein neues, weder referentielles noch rein selbst-reflexives theologisches Schreiben.[61] Dieses neue theologische Schreiben nennt Taylor auch „parapraxical writing“. „To write parapraxically is to write the limit rather than to write about the limit.“ Parapraktisches Schreiben hat eine performative Dimension, aber es performiert keinen Erfolg: „It succeds by failing. By doing nothing with words, parapraxical writing stages the withdrawal of that which no text can contain, express or re-present.“ Parapraktisches Schreiben unterscheidet sich auch von einer negativen Theologie, die das Nichts immer noch als binären Gegensatz zum Seienden denkt, während „the a/theologian interprets nothing as neither being nor nonbeing“. Parapraxis ist darum keine bloße Negation, sondern „indirekte Kommunikation“, die auch den Gegensatz von negativer und affirmativer Rede transzendiert: „That which is unrepresentable cannot be approached directly but must be approached indirectly through linguistic twistings and turnings that can never be straightened out.“[62] Die a/theologische Aufgabe des Sprechens von dem, was sich dem Aussprechen immer entzieht, bedeutet also immer „to undo the coherence of signification“ und „to think beyond representation“. „The nonsynthetic imagination employs aberrant syntax to create a text that lacks semantic plenitude.“ Durch „errant language“ versucht der/die Sprechende „to say the unsayable by allowing language to undo itself“. Dieses Sprechen ist mehr als Schweigen. „By simultanueously inscribing and erasing, parapraxis allows the withdrawal of language“, durch das Sprache sich dem „forever elusive“ Anderen, dem nicht erfahrbaren Nichtgesagten als der Grenze aller Erfahrung nähern kann. „This experience of limit is a liminal experience in which an other that is, in effect, sacred is glimpsed“, das was zwar nicht Gott ist, aber was „remains and approaches“ nachdem Gott „gestorben“ ist.[63] „In the postmodern world, nihilism is, in a certain sense, anavoidable. It cannot be overcome by returning to a premodern search for foundations or the modern affirmation of presence. By thinking beyond the end of theology … we approach the possibility of thinking otherness otherwise and thinking difference differently.“ Es ist vielleicht naiv, zu glauben, solches a/theologische Denken könnte im gegenwärtigen Stadium der Menschheitsgeschichte wirklich etwas verändern. „We are on the edge of disaster, under its threat. … Can disaster be delayed? Will it be deffered? We cannot be sure. If there is hope, than it lies not in certainty, but in uncertainty … not in foundations, but in their faults.“[64] d) Gott als PotentialitätLektürebasis: Richard Kearney, The God Who May Be: A Hermeneutics of Religion, Bloomington 2001 Als vierter „anatheistischer“ Zugang zu „Gott“ soll hier Richard Kearneys eigene Neubestimmung der Gottesrede in einer Onto-Eschatologie des Möglichen stehen, die er als Mittelweg versteht zwischen der ontotheologischen Gleichsetzung Gottes mit einem höchsten Seienden oder der Macht des „Seins selbst“ im Sinne der klassischen Metaphysik, und einer völligen Entgegensetzung von Ontologie und Theologie, wie sie etwa Jean-Luc Marion in seinem Konzept eines an Barths dualistischer Dialektik des „ganz anderen“ Gottes angelehnten radikal transzendenten Gottes „ohne Sein“ („God without being“) vertritt[65]. Auf der Suche nach einem heute plausiblen, nachtheistischen Gottesbild stellt Kearney in „The God Who May Be“[66] die Frage, wie es möglich ist, to „overcome the old notion of God as disembodied cause, devoid of dynamism and desire“[67], also von Gott nachmetaphysisch und nicht mehr onto-theologisch zu denken. Kearneys Antwortversuch in diesem Buch lautet: „God neither is nor is not but may be. … What I mean by this is that God, who is traditionally thought of as act or actuality, might better be rethought as possibility.“ Gegen eine ontotheologische setzt Kearney auf eine onto-eschatologische Hermeneutik des Göttlichen: Sein Ansatz „privileges a God who possibilizes our world from out of the future, from the hoped-for eschaton which several religious traditions have promised will one day come.“[68] Kearney nimmt mit diesem Ansatz beim „posse“ statt beim „esse“ u.a. Impulse der apophatischen Theologie von Nikolaus von Kues auf, der in Kombination der beiden lateinischen Wörter „posse“ und „esse“ das Kunstwort: „possest“ für die besondere Prädikation der Wirklichkeit Gottes geprägt hat. Der „God who may be“ ist der Gott des kommenden Gottesreiches, ein eschatologischer Gott, ein Gott der Verheißung ohne zwingende Macht, ein Gott der Ermöglichung von Gerechtigkeit und Frieden, der Menschen lockt und ruft, auf seine Verheißungen zu antworten. Nicht nur hier zeigt sich eine deutliche Nähe von Kearneys onto-eschatologischer Theopoetik auch zu wichtigen Ansätzen prozesstheologischen Denkens, auf die u. a. Catherine Keller in ihrem Beitrag zu Richard Keyrneys nachtheistischer Gottesrede in Mannousakis‘ „After God“ hinweist.[69] Kearney selbst entwickelt sein Konzept in Anlehnung an und im Gespräch mit verschiedenen „postmodernen“ Denkern, etwa Levinas, Derrida, Ricoeur, Marion, Caputo, Breton oder Greisch. Ausgangspunkt von Kearneys nachmetaphysischer Onto-Eschatologie ist dabei eine phänomenologische Beschreibung der „persona“ eines Menschen, als Grenzbegriff für das Andere im anderen Menschen, also dasjenige am Anderen, das sich niemals erfassen, erkennen oder begreifen lässt; das was den Anderen irreduzierbar von mir selbst unterscheidet, und jeden Versuch, sich seiner zu bemächtigen, unterläuft. Diese unfassbare „persona“ ist unablösbar an eine fassbare menschliche Person gebunden (in ihren biologischen, psychologischen und sozialen Dimensionen), aber niemals auf sie zu reduzieren. Mehr noch: die „persona“ als das „infinite other in the finite person before me“ wird zum Zeichen Gottes. „Not the other person as divine, mind you - that would be idolatry - but the divine in and through that person. The divine as trace, icon, visage, passage.“[70] In dieser Hinsicht behauptet Kearney einen Vorrang des Ethischen vor dem Ontologischen, des Guten vor dem Sein, der „eschatological relation of one-for-the-other“ vor der „onto-theological relation of one-for-one or the one-for-itself-in-itself“.[71] Kearney begründet seinen Ansatz biblisch v.a. in einer Interpretation des im brennenden Dornbusch offenbarten Gottesnamens „ehejä asher ehejä“ (Ex 3, 13) als „I am who may be.“[72] Denn der Gott des brennenden Dornbuschs ist weder „Sein“ noch „Nicht-Sein“, sondern ein sich selbst setzendes Ereignis: „God is what he will be when he becomes his Kingdom and his Kingdom comes on earth. ‚I am who may be’: it is a performative rather than a constative expression, invoking ‚mutual answerability’ and co-creation.“[73] Ein so in der Modalität des „posse“ verstandener Gott ist weder der radikal weltnegativ verstandene „God without being“ eines Jean-Luc Marion, noch der völlig weltimmanente Gott mancher moderner Theologien, die alles Religiöse aufs Ethische reduzieren. Nach Kearneys onto-eschatologischem Verständnis ist das Verhältnis Gottes zum Sein vielmehr dialektisch: „God (is) putting being into question just as being gives flesh to God.“[74] Weitere biblische Kernstellen, die Kearney für sein onto-eschatologisches Gottesverständnis fruchtbar macht, sind die neutestamentlichen „Verklärungsgeschichten“, in denen das Geheimnis der Gottesgegenwart in Jesus zugleich offenbart und verborgen wird, die erotischen Lieder des „Hohelieds Salomos“, nach denen unser Verlangen nach Gott als Antwort zu verstehen ist auf Gottes Verlangen nach uns, und das Jesuswort Markus 10, 27: „Bei den Menschen ist's unmöglich, aber nicht bei Gott; denn alle Dinge sind möglich bei Gott.“ Das Reich Gottes, das Jesus ankündigt, so Kearney, ist das Unmögliche, das Möglichkeit wird. Es besteht aus Möglichkeiten, die unsere „normalen“ Möglichkeiten und Unmöglichkeiten übersteigen. Es evoziert ein eschatologisches Zeitfenster, das als Gabe Gottes erscheint: „the possibles given to me by the posse would be impossible were they not a gift“[75]. Diesen Gedanken des Gottesreiches als unser Handeln evozierendes Möglichkeitsfeld führt Kearney näher aus in Aufnahme von vier nach-metaphysischen Interpretationen des Möglichen: Husserls teleologischer, Bloch's dialektisch-utopischer, Heidegger's ontologischer, und Derrida's dekonstruktiver Beschreibung der Möglichkeitskraft der Wirklichkeit. Alle vier postmodernen Denker, so Kearney, schlagen auf ihre Weise vor, dass der traditionell angenommene Vorrang der Aktualität vor der Potentialität umgekehrt werden sollte. In der weiteren Ausführung setzt Kearney Gottes eschatologisches Kommen und menschliches Handeln nochmals in eine konstitutive Beziehung: genauso wie Caputos Verständnis Gottes als der „weak force of a call“ besagt auch Kearneys onto-eschatologisches Gotteskonzept: „God will be God at the eschaton. That is what is promised. But precisely because the promise is just that, a promise, and not an already accomplished possession, there is a free space gaping at the very core of divinity: the space of the possible. It is this divine gap which renders all things possible which would be otherwise impossible to us including the kingdom of justice and love. But because God is posse (the possibility of being) rather than esse … the promise remains powerless until and unless we respond to it.“[76] Gott wird erst dann Gott, wenn wir auf sein Möglichkeiten öffnendes Versprechen antworten. Gottes Macht ist also auch bei Kearney die Macht eines „empowerment“ von Menschen, am Prozess des Kommens des Gottesreiches teilzunehmen, ohne sich selbst an die Stelle Gottes zu setzen und damit ihren Gottesdienst in Götzendienst zu verkehren. So verstanden fallen in Gott die Gegensätze von posse und esse zusammen, weil „the realization of possest's divine esse, if and when it occurs, if and when the kingdom comes, will no doubt be a new esse, refigured and transfigured in a mirror-play where it recognizes its other and not just the image of itself returning to itself“. Das Wirklichwerden des Möglichen „is not impossible for God - if we help God to become God. How? By opening ourselves to the ‚loving possible’, by acting each moment to make the impossible that bit more possible“[77]. Mit dieser konstitutiven Verknüpfung von Gottes auf unser Handeln zielendem Kommen und menschlichem auf Gottes Kommen zielendem Handeln erreicht Kearneys Onto-Eschatologie des Möglichen ihre Spitze. Sallie McFague setzt in ihrer Besprechung von Kearneys Entwurf darum auch genau an dieser Stelle an, an der für sie die Stärken von Kearneys Ansatz kulminieren, an der sie aber auch eine mögliche Schwäche ausmacht: „It is difficult for me to critizise this convenental process theology. I like it so much: I find it personally relevant, scripturally sound, and a powerful motivator for acts of justice and love. If I have a problem with it, it is what I mentioned earlier: Are we up to it? What will cause us to answer ‚Here I am‘ when we hear the call ‚Where are you?‘ A traditional Christian theology will say that grace enables us to answer; a metaphysical process view will say that God lures us with the possibilities that will fulfill us. Kearney seems to be saying that God knocks and knocks and knocks, hoping we will answer. Perhaps it is enough that, as Kearney says, quoting Mark 10, for us it is impossible, but all things are made possible by God. We can agree with that answer but still realize that we have to open ourselves to the knocking.“ Hier möchte McFague stärker als Kearney die Bedeutung der „Spuren“ Gottes schon jetzt, in unserer Gegenwart und Geschichte betonen, die uns die Kraft geben, uns auch für Gottes Zukunft zu öffnen. Gott kommt nicht nur, er ist in einem bestimmten Sinne nicht nur die Zukunft, sondern auch der Grund aller Dinge, und darum ahnbar und tastbar schon in unserer Gegenwart, in Spuren der Transzendenz, die sie durchziehen: „We need the traces the stories, promises, convenants, and good works which are the intimations of transcendence making it possible for our weak wills to open the door.“ [78] Aus Kearneys Sicht wäre hier vielleicht zu antworten, dass er eine solche „Spur“ des Göttlichen bereits in der menschlichen Gegenwart ja durchaus benannt und seinem Entwurf zugrundegelegt hat, wenn er vom „infinite other in the finite person before me“ spricht, das für ihn „trace, icon, visage, passage“[79] des Göttlichen in der gegenwärtigen menschlichen Wirklichkeit ist. Darin klingt auch die McFague wichtige Dimension einer vorlaufenden „Gnade“ an, wenn er sagt: „the possibles given to me by the posse would be impossible were they not a gift“[80]. Kearneys eigene „anatheistische“ Vision von Gott als Möglichkeitsgrund der Zukunft, „who possibilizes our world from out of the future“[81] halte ich jedenfalls für ein wichtiges weiteres „proposal to be tested“[82], das meine Sammlung für mich erhellender und weiterführender „Paradigmen theologischen Denkens“ bereichert und ergänzt. e) Gott als Symbolisierung eines Sinnganzen im menschlichen LebenLektürebasis: Wilhelm Gräb: Sinn fürs Unendliche. Religion in der Mediengesellschaft, Gütersloh 2002 Wilhelm Gräb: Sinnfragen. Transformationen des Religiösen in der modernen Kultur, Gütersloh 2006. Als fünften „anatheistischen“ bzw. nachtheistischen Zugang zum Göttlichen möchte ich Wilhelm Gräbs an Impulsen Schleiermachers orientierte Analyse heutiger „Religion in der Mediengesellschaft“ skizzieren. Ich beziehe mich dabei v.a. auf sein medientheologisches Grundlagenbuch „Sinn fürs Unendliche“ von 2002, und ergänze meine Darstellung am Ende durch einige weiterführende Gedanken aus seinem neueren Werk „Sinnfragen“ von 2006. Die Medien, so Gräb in „Sinn fürs Unendliche“[83] sind heute überall gegenwärtig und bestimmen, was für uns wirklich ist und was nicht. Das hat auch religiöse Konsequenzen, auf die die Theologie antworten muss: Die Medien stellen Symbole bereit, die den menschliche Alltag deuten und seinen Sinn erschließen; ihre vielfältigen Symbolwelten haben dabei auch religiöse Dimensionen. Deshalb bedarf es zur Deutung der „Transformationen des Religiösen in der modernen Kultur“ einer religionstheologischen Kulturhermeneutik, d.h. einer „Hermeneutik der Kultur und ihrer Medien im Blick auf ihren die (menschlichen) Unbedingtheitsdimension ansprechenden Sinngehalt“[84].a Das Verhältnis von Religion und Kultur hat sich mit der Moderne geändert. „Die Kultur wird nicht mehr von der Religion dominiert, sondern die Religion wird von ihrem Beitrag zur Kultur her beurteilt“[85]. Religion wird zur ästhetischen Beschreibung der Welt, Kunst und Kultur dagegen übernehmen religiöse Funktionen als Instrumente der Vermittlung der Tiefe und Sinndimensionen der Wirklichkeit. So wird heute der „Sinn fürs Unendliche“ transformiert zur „Suche nach Sinn. Die moderne Kunst ist die Religion der Suchenden“[86] „Herauszufinden ist“ darum von heutiger Praktischer Theologie, „wie die explizit religiöse, die kirchliche Kommunikation innerhalb und außerhalb der Medien an deren religionsbildende Potentiale anschließen kann“[87]. Da die Massenmedien heute sinnstiftende, Werte vermittelnde, lebensvertiefende und religionsbildende Funktion haben, kommen wir „an den Medien nicht mehr vorbei und nicht hinter sie zurück“[88] Die Aufgaben kirchlicher Theologie sind dabei heute: „Dogmatischen Ballast abwerfen“[89], Präsenz in der Lebenswelt zeigen und darin Sinn erschließen, das Evangelium kommunizieren statt „verkündigen“: „Die theologische Arbeit mit absoluten Vorgaben, aufgrund von von Offenbarung, göttlicher Stiftung und Einsetzung, vorgegebenem Auftrag usw. funktioniert nicht mehr.“[90] Stattdessen muss die Theologie lernen, von „Gott“ im Horizont der Unbedingtheitserfahrungen im menschlichen Leben neu zu reden: An den Grenzen des menschlichen Lebens, „an den Grenzen unserer analytischen Fähigkeiten, an den Grenzen unserer ethischen Sicherheit, an den Grenzen unserer Leidensfähigkeit“ brechen die Sinnfragen auf, die Theologie eigentlich zu bearbeiten hätte: „Ist, obwohl wir immer wieder an solche Grenzen stoßen … die Welt im Ganzen und mein eigenes Dasein in ihr vielleicht doch nicht sinn-, grund- und ziellos? Die religiöse Frage ist die so gestellte Sinnfrage. Und der Glaube an Gott ist das Vertrauen auf Sinnbedingungen, die von unüberbietbarer Allgemeinheit sind, so dass von ihnen her alle Erfahrungen des Abgründigen und Sinnwidrigen ergriffen werden.“[91] Dabei wird eine solche an den Sinnfragen des menschlichen Lebens orientierte Religionstheologie die Schätze und Reichtümer der Bibel unter den Bedingungen der Medienwelt neu zum Wirken und Sprechen bringen: „Wer mit der Bibel lebt, dem fallen ihre dichten Worte, ihre starken Bilder, ihre großen Erzählungen ein, wenn sonst schwer nur oder gar nicht gesagt werden könnte, was beglückt, was bedrückt und belastet. Wer mit der Bibel lebt, der lebt auch mit dem Gott, von dem sie redet. Und die Bibel redet so von Gott, dass dabei das Ganze des Lebens zur Anschauung kommt, in seinem ersten Anfang und in seinem letzten Ende, in all seinen Widersprüchen, im Wunder der Liebe und in der Grausamkeit des Hasses, auf den Höhen des Glücks und in den Tiefen der Not. Die Bibel ruft … jene Resonanzen im Gefühl hervor, die gerade an den Grenzen, im Zerbrechenden, Fragmentarischen, Desaströsen und Ungeheuren dennoch von bergendem Halt und neuem Mut zum Leben sprechen lassen.“[92] „Gott“ wird dabei als Grundsymbol der religiösen Erfahrung neu verstanden und interpretiert: „Für unser Leben wichtig ist die Öffnung für die Religion, nicht die Rede von Gott. Denn die Rede von Gott ist ja nichts anderes als die Deutung, die Interpretation einer menschlichen Grunderfahrung, die an sich selbst den Charakter eines Geheimnisses hat.“ ‚Gott’ ist ein Wort, hervorgebracht durch „unsere Imaginationskraft. Wir symbolisieren. Wir setzen Zeichen, die dadurch Symbole sind bzw. zu Symbolen werden, dass das Bezeichete anders als durch sie unseren Vorstellungen auf gegenständliche Weise nicht ‚gegeben’ ist. ‚Gott’ ist kein Gegenstand, keine gegenständliche Realität. … Gott ist eine geistige Realität, in Gedanken existierend, die wir Menschem uns machen. Gedanken gleichwohl von der Art, dass in ihnen eine letzte Realität, das Unbedingte, existierend gedacht ist. Gott hat also gedankliche, geistige Realität. Das Wort ‚Gott’ ist ein Symbol, ein Sinnzeichen für die geistige Wirklichkeit des Absoluten, einer ebeno allumfassenden wie ursprünglichen Wirklichkeit.[93] Oder anders gesagt: „’Gott’ ist das Wort unserer Sprache, mit dem wir zur Symbolisierung desjenigen ausgreifen, das uns im Grundverhältnis unseres Lebens auf das Ganze eines tragenden Sinns hin versammelt.“ Das religiöse, im Wort ‚Gott’ symbolisierte Gefühl (Schleiermacher) „ist das Gefühl der Bergung in einem Einen und Ganzen. Genau dieses Gefühl aber weckt das Zutrauen ins Dasein und erhält es in uns bei jedem nächsten Schritt auch auf offenkundig völlig undurchsichtigem, brüchigem, stürzendem Lebensgelände.“[94] Ein solches konstruktiv-symbolisches Gottesverständnis führt nicht zu einem theologischen Anti-Realismus. „Die Rede von Gott hat Realität, unter Umständen eine ungeheuer machtvolle Realität aber in unseren Gedanken und Gefühlen, in der Wirklichkeit des bewussten Lebens, das wir selber sind. Wir haben es auch sonst mit solchen Formen geistiger Realität zu tun, in der Liebe, in der Moral, in den Rechtsverhältnissen der Gesellschaft. Sie können in sichtbare soziale Ordnungen eingebracht … werden. Aber ihre Kraft schöpfen sie aus einer geistigen Wirklichkeit, mit der sie in den Köpfen und Herzen der Menschen lebendig sind. Das gilt so gesteigert von Gott. Das Wort von ihm führt uns in letzte Gedanken und die Empfindung der tiefsten Gefühle.“[95] Wie Theißen interpretiert Gräb die Gotteserfahrung dabei als grundlegende Resonanzerfahrung von Menschen mit der sie umgebenden Wirklichkeit: „Die Rede von Gott, die in langen Überlieferungen geprägte, an Metaphern reiche Sprache der Bibel birgt immer noch einen großen Reichtum. Wir finden dort die Symbole, die Resonanzen in uns zu erzeugen vermögen. Wenn das Wort ‚Gott’ in unser Denken einfällt, dann deshalb, weil Gott seit alters ein Wort ist, das auf ebenso dunkle wie erhellende Weise ans Geheimnis des transzendenten Grundes unseres bewussten Lebens rührt. Gott ist ein Wort unserer Sprache, eines, das nicht Gott spricht, sondern das wir Menschen sprechen“, das uns aber dennoch „auf jene Dimension einer letzten, unbedingten Realität“ und „einen letzten Sinnzusammenhang“ anspricht, von der wir eigentlich leben. Das Wort ‚Gott’ zielt darum auf „Resonanzen in unserem Gefühlsbewussteins“, in denen sich uns der Sinn unseres Daseins trotz all seiner Gebrochenheit erschließt.[96] Diese Wiedergabe zentraler Gedanken aus Gräbs „Sinn fürs Unendliche“ von 2002 will ich schließlich noch ergänzen durch einige weiterführende Gedankengänge aus Gräbs neuerem Buch „Sinnfragen“ von 2006: Gräb vertieft hier seine funktionale Analyse von Religion und „Glauben“: „Es ist die Funktion von Religion, (die) Einheit des Unterschieds von Wirklichem und Möglichem, Bestimmtem und Unbestimmtem, Vertrautem und Unvertrauten, Verfügbarem und Unverfügbarem, Endlichem und Unendlichen, Immanenz und Transzendenz im gesellschaftlichen Bewusstsein präsent zu halten.“[97] Dabei macht die Religion im menschlichen Leben und im gesellschaftlichen Diskurs v.a. die Sinnfrage zum Thema: „Die Religion reduziert einerseits Komplexität. Sie bremst die Reflexion aus und konstituiert fundamentale Überzeugungen. Sie kennt andererseits aber auch die Sehnsucht nach dem Vollkommenen, ist mehr Frage als Antwort, eher eine Bewegung der Suche und des unaufhaltsamen Problematisierens als die Gewissheit des Gefundenhabens und der fertigen Antworten. Diese Suche ist letztlich eine Suche nach Sinn. … Nichts kennzeichnet die Moderne tiefenschärfer als die Suche nach dem (verlorenen) Sinn. Sinnfragen aber sind die Fragen der Religion. Sie gehen aufs Ganze und brechen in den verschiedenen Bereichen des Lebens auf, sind aber ohne Ausgriff ins Metaphysische nicht zu ertragen, geschweige denn zu beantworten. … Wo Sinnfragen aufs Ganze gehen, zeigt sich in der modernen Kultur das Verlangen der Menschen nach Symbolen und Ritualen, wie sie die Religionen und in unseren Breiten besonders das Christentum seit jeher entwickelt haben.“ [98] Dabei ist für Gräb entsprechend des Untertitels seines Buches die Wahrnehmung eines grundlegenden Wandels leitend, in dem sich das Religiöse in unserer christlich-abendländischen Kultur heute befindet: „Transformationen des Religiösen“ vollziehen sich in der modernen Kultur in vielfältiger Weise. Die christlichen Kirchen haben in der modernen westlichen Gesellschaft hier kein Deutungsmonopol mehr. Menschen suchen „(s)pirituelle Erfahrungsdimensionen“ für ihr Leben nicht mehr nur in den „ethisch-religiösen und kulturellen Traditionen des Christentums“, sondern „auch in Symbolen und Ritualen anderer Religionen“, und allgemein „in den Erlebnisdimensionen der ästhetischen Kultur“. Dabei verlieren auch traditionelle christliche Glaubensformulierungen an Bedeutung, weil in der modernen Religiosität „inhaltlich unbestimmte Transzendenzerfahrungen an die Stelle dessen, was in theologischer oder christologischer Bestimmtheit als Glaubenserfahrung beschrieben wurde“[99], treten. Die Kirchen haben, so Gräb, die Chance und die Aufgabe, sich auf diese „Transformationen des Religiösen“ konstruktiv einzustellen und sie in einer neuen Gestaltung ihrer praktischen Vollzüge, aber auch konzeptionell-theologisch zu rezipieren. Dabei müssen sie sich auf ihre religiöse Grundaufgabe zurückbesinnen, die nicht in der „Verkündigung“ zeitloser Dogmen, sondern in der „Chiffrierung von Kontingenz und (der) Symbolisierung von Transzendenz“[100] besteht. In diesem Zusammenhang gehört für Gräb auch eine an Schleiermacher anknüpfende funktionale Neubestimmung der christlichen Rede von „Gott“. Religion deutet, so Gräb im Anschluss an Schleiermacher, das menschliche Leben im Horizont eines Unendlichen und Unbedingten, ohne dabei aber dieses Unbedingte begrifflich fassen und sich aneignen zu können. „Das Unendliche und Unbedingte kann ja selbst nicht der direkte Gegenstand der Erfahrung sein, kein Inhalt der Wahrnehmung. Könnte die Unendlichkeit wahrgenommen werden, würde das Unendliche selbst ein Endliches sein, ein endlicher, bedingter Gegenstand der Wahrnehmung.“ Religiöse Erfahrung ist also nicht direkte Erfahrung eines Unbedingten oder Göttlichen, sondern eine bestimmte Deutung menschlicher Erfahrung, nämlich „Deutung und Symbolisierung von Erfahrung im Lichte der Unterscheidung von Unendlichem und Endlichem, Unbedingtem und Bedingtem.“[101] Auch „Gott“ als menschliches Grundsymbol für das Unbedingte ist in diesem Sinne „kein Gegenstand, keine gegenständliche Realität“ [102], „keine extramundan existierende Person“[103], sondern vielmehr zu verstehen als „Deutewort für Erfahrungen …, die anders nicht in einen Sinnzusammenhang integriert werden können“[104], als Symbol einer Sinnperspektive, die alle Einzelerfahrungen, die menschlichen „Sinngründe“ und „Sinnabgründe“ transzendiert, und in ein Ganzes menschlicher Daseinsvergewisserung integriert. Schließlich ergibt sich für Gräb von diesem funktionalen Religions- und Gottesverständnis her auch eine Neubestimmung der christlichen „Rechtfertigungslehre“, die nach evangelischem Verständnis im Zentrum des Glaubens steht und diesem seine Dynamik und seine Kontur gibt. Die Rechtfertigungslehre „formuliert die Auffassung, dass die Würde eines Menschen … nicht in dem besteht, … was er kann und leistet, sondern in dem, dass er ist“[105]. Rechtfertigungsglaube ist also Vertrauen auf die Güte des Wirklichkeitsganzen selbst, nicht Fürwahrhalten irgendwelcher theologischer Formulierungen oder Dogmen. „Da ist eine unbedingt gute Vorgabe, sagt (die) religiöse Rede. Nenne sie Gott, Liebe, Geschenk des Daseins. Sein Leben von einer unbedingt guten Vorgabe her zu verstehen, heißt christlich Glauben.“[106] „Es geht nicht darum, etwas glauben oder akzeptieren zu müssen, was nicht einleuchtet und dem ich mit meiner Lebensführung nicht folgen kann. Es geht auch nicht darum, seinen Glauben in der Zugehörigkeit zu einem bestimmten gemeindlichen Milieu zu leben. Nein, im Glauben geht es darum, dass ich mich selbst in christlicher Freiheit zu allen Dingen des Lebens, den Erfahrungen des Glücks und der Not, in Deutungen verhalten kann, die auf Gott, den Sinn des Ganzen ausgreifen.“ [107] f) Gott als „Urquelle des Kosmos“Lektürebasis: Hans-Peter Dürr, Auch die Wissenschaft spricht nur in Gleichnissen: Die neue Beziehung zwischen Religion und Naturwissenschaften, Freiburg 2004 Hans-Peter Dürr (Hg.): Physik und Transzendenz. Die großen Physiker unserer Zeit und ihre Begegnung mit dem Wunderbaren. Überarbeitete Neuauflage Ibbenbüren 2010 Hans-Peter Dürr / Raimon Panikkar, Liebe - Urquelle des Kosmos: Ein Gespräch über Naturwissenschaft und Religion, Freiburg 2008 Als sechster „anatheistischer“ bzw. nachtheistischer Zugang zu „Gott“ sollen hier die Überlegungen des Physikers, Heisenberg-Schülers, Friedensnobelpreisträgers und Trägers des Alternativnobelpreises, Hans-Peter Dürr, vorgestellt werden, für den mit den zeitgenössischen Veränderungen im naturwissenschaftlichen Weltbild („neue Physik“) auch eine neue Verhältnisbestimmung von Glaube und Wissenschaft möglich geworden ist, weil sich das wissenschaftliche Bild der „Fundamente“ unserer Wirklichkeit dabei grundlegend gewandelt, und so auch für die Möglichkeit religiöser Deutungen neu geöffnet hat.[108] Die klassische Newton’sche Physik, so Dürr, hat die Welt im Bild eines „Uhrwerks“ gedeutet: Die Wirklichkeit schien durch die beobachtbaren Naturgesetze vollständig definiert, ihre Entwicklung determiniert und (bei ausreichender Kenntnis dieser Gesetze jedenfalls prinzipiell) vorhersagbar. Am Grunde der Wirklichkeit standen nach dieser Sicht kleinste, nicht mehr teilbare Materiepartikel, von denen her sich alles streng deterministisch aufbaute, und auf die physikalisch alles andere zurückgeführt werden konnte. Die neue Physik der Relativitätstheorie und Quantenmechanik, sagt Dürr nun weiter, hat dieses klassische physikalische Weltbild im Grunde vollständig aufgegeben und seinen „materiell-mechanistischen“ Ansatz durch eine „immateriell-holistische“ Sichtweise ersetzt.[109] Weder lässt sich nach heutigem Verständnis die Zukunft aufgrund beobachtbarer Naturgesetze aus der Vergangenheit ableiten und vorhersagen, noch lässt sich die Welt überhaupt noch mechanistisch darstellen und erklären. Am Grunde der Wirklichkeit ist nicht Materie, sondern so etwas wie „Beziehung“, das sich mit klassischen physikalischen Kategorien gar nicht beschreiben lässt; zur Beschreibung dieser Grundstruktur der Wirklichkeit müssen auch Naturwissenschaftler auf Bilder und Gleichnisse zurückgreifen, so dass auch naturwissenschaftliche Rede metaphorischen Charakter hat. Im Grunde, so führt Dürr aus, ist Materie nach heutigem Verständnis nicht Materie. Es gibt keine kleinsten Teilchen am Grunde der Wirklichkeit, wie man sie noch Ende des 19. Jahrhunderts zu finden glaubte. Was auf der makroskopischen Ebene als feste Materie erscheint, erscheint auf der mikroskopischen Ebene nur noch als Geflecht reiner, nicht mehr materieller Formen. Die kleinsten Einheiten der Wirklichkeit sind keine Partikel, sondern miteinander verflochtene „Wirks“ und „Passierchen“, reine Relationen und Potentialitäten, die ein Geflecht sich überlagernder Möglichkeitsfelder erzeugen, aus denen die Wirklichkeit in jedem Augenblick neu entsteht, allerdings nicht völlig frei, sondern immer bezogen auf die Wirklichkeit, die vorher schon war. „Was sich materialisiert hat, ist Ergebnis einer Art von Gerinnungsprozess von etwas nur Potenziellem. Nur diese Gerinsel sehen wir, die aus etwas entstehen, das nur Gestalt und nicht schon Energie/Materie ist.“[110] Die Wirklichkeit ist nicht Realität, sondern Potenzialität, die sich energetisch und materiell manifestieren kann. Wirklichkeit ist nicht räumlich lokalisiert. Es gibt nur das Ganz-Eine, Teile gibt es gar nicht. Die Zukunft ist in diesem neuen physikalischen Weltbild nicht determiniert, allerdings auch nicht beliebig, sondern unendlich offen. Die Tendenz ist zwar insoweit festgelegt, als alles Neue von den Möglichkeiten des Vorhergehenden beeinflusst ist. Aber das bedeutet keinen Determinismus. Die scheinbar materiell fest gefügte, naturgesetzlich determinierte Erscheinungswelt der klassischen Physik entsteht vielmehr erst durch statistische „Ausmittelung“ der unendlich vielen nicht determinierten mikrophysikalischen Vorgänge in der Wirklichkeit, so wie beim Würfeln der einzelne Wurf undeterminiert ist, aber bei Tausenden Würfen jede Zahl im statistischen Mittel (fast) gleich oft erscheint. Diese scheinbar determinierte materielle Welt ist aber nicht die Grunddimension der Wirklichkeit. Im Urgrund ist etwas, das dem Lebendigen, der Liebe, viel näher kommt als der Materie. Es gibt echte Kreativität. Am Grunde der Wirklichkeit ist eine Art Schwingung oder Schwingungsfigur nicht materiell im eigentlichen Sinne, aber voller Potentialität und ohne Ende kreativ.[111] „Die Beziehungen zwischen Teilen eines Ganzen ergeben sich also nicht nur, wie in der klassischen Physik, sekundär, als Folge einer Wechselwirkung von ursprünglich Isoliertem, sondern sind in der neueren Betrachtung Ausdruck einer primären Identität von Allem mit Allem.[112] Im quantentheoretisch holistischen Weltbild ist der Kosmos immer das unauftrennbare Ein-Ganze, ein einziger Lichtball von Beziehungsstrukturen. … Wir können für den Quantenkosmos auch als Gleichnis eine befruchtete Eizelle nehmen, die anfängt, sich zu ‚teilen’. Sie teilt sich eigentlich gar nicht, sondern errichtet in der Mitte nur eine Membran, eine halbdurchlässige Zellwand, welche die beiden Seiten nicht, wie eine Betonmauer, völlig trennt, sondern, mehr wie eine Hecke, ein gemeinsames Grundstück gliedert.“[113] Leben entsteht, weil in dieser ad-vaitischen Verbundenheit von allem mit allem quantenphysikalisch immer schon negentrope Prozesse der entropischen Tendenz zur „Ausmittelung“ der Wirklichkeitsprozesse entgegenlaufen: „Dass bei Anhäufungen einer großen Anzahl von gleichartigen Teilchen sich bevorzugt eine gute Durchmischung einstellt, hat seinen tieferen Grund im sogenannten Entropiesatz … Der Entropiesatz bezieht sich auf eine statistische Aussage und besagt schlicht: In Zukunft geschieht das Wahrscheinlichere wahrscheinlicher. … In der Regel hat diese Bedingung zur Folge, dass … ein differenziertes System (durch die Wechselwirkung mit sich selbst) … langfristig in totale Unordnung (gerät). Die Entropie, ein Maß der Unordnung, nimmt mit der Zeit immer zu. … Wenn wir nach Leben fragen, müssen wir Mechanismen suchen, die eine solche Ausmittelung gerade vereiteln, Prozesse also, die umgekehrt vom Wahrscheinlichen zum Unwahrscheinlichen führen. Dieser Gegentrend, diese Ausbildung höherer Differenzierung und Strukturierung aus einer Unordnung heraus, geht nicht von alleine.“[114] „Jetzt mache ich einen großen Sprung in meiner Argumentation und behaupte einmal kühn: Das Lebendige gleicht im Grunde einem Quantum-Chaos. … Im Kontrast zum Unlebendigen, das in der Nähe von stabilen Gleichgewichten angesiedelt ist, basiert das Lebendige im Wesentlichen auf Instabilitäten.“[115] Auf diesem Hintergrund lässt sich die Evolution des Lebens nicht mehr nur mit den Kategorien von Mutation und Selektion erklären. Der Zeitraum von dreieinhalb Milliarden Jahren wäre viel zu kurz, dass sich komplexes Leben nur durch eine Folge von trial und error, durch das Nacheinander verschiedener „Würfelversuche“, entwickeln könnte. „Aber mit der modernen Physik brauchen wir ja wohl gar nicht mehr diesen mühseligen Nacheinander-Weg anzupeilen und zu gehen, weil es hier kein Würfeln gibt. Die Wirks oder Passierchen anstelle der Atome, sind im Grunde gar nicht unabhängig voneinander. Potentiell ‚ahnen’ sie sich. Dieser innere Zusammenhang von allem mit allem, die starke Korrelation zwischen den Wirks deren prinzipielle Offenheit für die Zukunft wegen ihrer unendlich mehrwertigen Logik dabei nicht geopfert wird scheint auch der Grund zu sein, warum in der Evolution des Lebendigen der Gegentrend sich überhaupt erfolgreich ausbilden und durchsetzen kann.“[116] Anders gesagt: „Der Geist ist am Fundament der Wirklichkeit. Er kommt nicht erst durch den Menschen in die Welt, sondern er wird durch den Menschen zum ersten Mal bewusst erfahrbar.“[117] Unterhalb der materiellen Ebene haben die sich überlagernden Möglichkeitsfelder der Wirks und Passierchen im Grunde schon geistige Struktur. Die Einsicht, dass alles mit allem verbunden ist, und jedes Einzelne nur in seiner Kommunion mit dem Ganzen verstehbar, hat Auswirkungen auch für die Bestimmung einer globalen Perspektive der menschlichen Kultur: „Wenn wir an eine globale Gesellschaft denken, dann sagen wir nicht: Lasst uns alle Schranken niederreißen! Sondern wir achten dabei darauf, die Individualität des Menschen zu schätzen. … Das ist doch wunderbar: Denn wir können dann im Wechselspiel miteinander eine Flexibilität bekommen, mit der wir ein viel größeres Wirklichkeitsfeld austasten können, als wenn alle dasselbe denken und machen würden. Aber wie gesagt: Unsere Grenzen untereinander sind keine Mauern, es sind nur Hecken, die eine qualifizierte Durchlässigkeit haben wie die Membrane zwischen den Zellen. Deshalb ist es außerordentlich wichtig, dass wir uns auch Gedanken darüber machen, was uns letzten Endes im Grunde gemeinsam ist.“[118] Die Wirks mit ihren Möglichkeitsfeldern lassen es nicht mehr zu, die Wirklichkeit in binären Oppositionen (Ja/Nein) zu denken. Alles ist vielpolig und mehrwertig. Das gilt auch für den Begriff der Wahrheit: „Es gibt nicht die eine Wahrheit. Das wäre ja wieder ein Ja oder Nein, und in dieser Form lässt sich, nach heutiger Einsicht, über Wahrheit nicht entscheiden.“[119] Im Ramen einer solchen offenen, multipolaren Wirklichkeitsdeutung sind auch die unterschiedlichen Bilder und Begriffe von „Gott“, die die verschiedenen Religionen entwickelt haben, neu zu verstehen: „Ich denke, dass Gott eine Metapher für irgendetwas ist nein kein etwas, ja da fehlen uns einfach die Worte, weil es etwas Unbegreifliches ist -, was hinter dem Begreiflichen steht, aber in unserem Erleben deutlich Spuren hinterlässt.“[120] Anders ausgedrückt formuliert Dürr seinen Ansatz für eine religiöse Weltperspektive so: „Wir erleben mehr, als wir begreifen. … Transzendenz ist in diesem Sinne nicht begreifbar, erschließt sich“ uns aber auf einer anderen Ebene, nämlich, „wenn wir uns an unserem Gefühl orientieren“, konkret einem „Gefühl der Teilhabe“ an allem, was ist.[121] Religion und Gottesrede haben ihren Grund also in elementaren, eher intuitiven als kognitiven Dimensionen der menschlichen Wirklichkeitserfahrung: „Wenn ich im Zustand der Ahnung bin, gibt es keine Polarisierung des Entweder/Oder. In der Ahnung kann ich nicht sprechen oder urteilen. Ich schaue nur in eine Landschaft von gewichteten Möglichkeiten.“[122] Dieses intuitive, tastende Verständnis von Religion ist eingebettet in ein grundlegend metaphorisches Verständnis menschlicher Wirklichkeitserschließung überhaupt: „Aber nicht nur die Religionen, sondern auch die Wissenschaft müssen bescheiden zur Kenntnis nehmen, dass sie die ‚eigentliche’ Wirklichkeit im Urgrund nicht ausreichend und angemessen beschreiben, sondern nur mithilfe von Gleichnissen deuten können. Entsprechend ihrer jeweiligen beschränkten Wahrnehmung … entwerfen sie gleichsam ‚Karikaturen’ von dieser unbegreiflichen Welt, in der nichts existiert, sondern alles einem ‚Dazwischen’, einer unbegrenzten Verbundenheit entspringt. … Sie sind alle nur Gleichnisse, die uns helfen sollen, uns an das zu erinnern, für was sie als Gleichnis stehen: das Unbegreifliche, das schon als Ahnung in uns dämmert …“[123] Insofern Dürr die menschliche Gottesrede als Ausdruck solcher ahnenden Annäherung an das niemals aufzulösende Geheimnis alles Wirklichen interpretiert, ist auch seine neue Verhältnisbestimmung von Naturwissenschaft und Religion Ausdruck der „anatheistischen“ Suchbewegung, um die es mir hier insgesamt geht. g) Gott als Wort für das menschliche Ja zur WeltLektürebasis: Lloyd Geering, Tomorrow’s God, Santa Rosa 2000 Lloyd Geering, Such is Life. A Close Encounter with Ecclesiastes, Wellington 2010 Paul Morris und Mike Grimshaw (Hg.): The Lloyd-Geering Reader: Prophet of Modernity, Wellington 2008 Als siebter anatheistischen Zugang zu „Gott“ soll hier der Beitrag des Neuseeländer Alttestamentlers[124] und internationalen Religionstheologen Lloyd Geering stehen, der in seiner eigenen Rekonstruktion eines nachtheistischen Gottesbildes Impulse u.a. von Paul Tillich (Gott als „ultimate concern“ und „Zweifel“ als Dimension des Glaubens), Wilfred Cantwell-Smith (Unterscheidung von „faith“ und „belief“, Ziel einer „world theology“), Gordon D. Kaufman (Theologie als „imaginary human construction“, Gott als Symbol für ein Leben „in Face of Mystery“) und Don Cupitt („non-realistisches“ Verständnis von Theologie) eigenständig miteinander verknüpft und zu einem weiteren Vorschlag für eine heute plausible, postmoderne und globale Neubestimmung religiöser Lebensorientierung verwebt. Geering schlägt konkret folgende nachtheistische Rekonstruktion menschlicher Gottesrede vor: „As I see it, to speak of God is to use symbolic language … to refer to the mystery of the universe, to the origin of life, to the source of truth and to the meaning of human existence. … When I say ‚I believe in God‘, I mean that I can trust the world into which I have been born, in spite of all its threats and dissapointments, in spite of the evil and tragedy so often found within it. With these words I mean that I believe there is a unity and a purpose permeating the world and that I reject the alternative possibility, namely, that the world is a meaningless chaos and life is a horrible mistake. If I give thanks to God, it means that I am expressing gratitude for life itself. If I worship God it means that I stand in awe of the eternal mystery of the world and life.“[125] Für die weitere Ausführung seiner Rekonstruktion des Gottesgedankens bezieht sich Geering im Einzelnen auf unterschiedliche theologische Vordenker, die in den drei Teilen meines „Paradigmen“-Artikels selbst bereits verschiedentlich rezipiert sind. (1) Von Wilfred Cantwell-Smith übernimmt Geering neben seiner Forderung nach einer neuen globalen „world theology“ v.a. die grundlegende Unterscheidung von „faith“ und „belief“, und die damit verbundene Relativierung von „beliefs“ als kontingente zeitbedingte menschliche Denkversuche, die menschlichem „Glauben“ („faith“) immer unter- und nachgeordnet sind: „In my view beliefs are the servants of faith; faith must not be subservient to beliefs“[126]. Während „Glauben“ eine universale Grundqualität des menschlichen Lebens ist[127], sind „beliefs“ menschliche Konzeptualisierungen der Wirklichkeit im Lichte solchen Glaubens; Konzepte, die geschichtlich kontingent entstanden sind, und sich in der Geschichte vielfach gewandelt haben und wandeln müssen. „To regard any set of beliefs as absolute and unchangable is to turn into an idol something human, finite and fallible.“[128] Das bedeutet auch, dass „Glauben“ heute nicht mehr notwendig mit der Annahme der „beliefs“ früherer Zeiten verbunden sein muss, obwohl auch ein heute Glaubender diese früheren „beliefs“ noch achten und auch für sein heutiges Glauben fruchtbar machen kann: „One may still appreciate the role of one’s earlier beliefs even after they have been discarded. Even more so today’s Christian can honour and respect the beliefs in which Christians of former generations expressed their faith. Speaking of myself, for example, I owe to the Christian tradition nearly all the things I have come to value. … I value highly the written witness, creeds, confessions and theologies of former Christians, even though I can no longer express my beliefs in the words, thought-forms and imagery which they found it necesary to use.“[129] (2) Von Paul Tillich übernimmt Geering die symbolische Deutung menschlichen Gottesglaubens als Ausdruck des Ergriffenseins von einem „ultimate concern“ im menschlichen Leben, und die Einordnung des „Zweifels“ als konstitutive Dimension eines lebendigen Glaubens: Paul Tillich, so Geering, hat, indem er Religion als „the ‚state of being grasped by an ultimate concern‘“ und als „‘directedness toward … unconditional reality‘“[130] gedeutet hat, nicht nur „Glauben“ und „Zweifel“ eng aufeinander bezogen[131]. Glauben als „ultimate concern“ war für ihn auch insgesamt nicht mehr auf eine transzendente Realität „jenseits“ des menschlichen Lebens bezogen, sondern auf eine im menschlichen Leben selbst verwurzelte „‘reality of meaning‘“. Diese Einsicht machte Tillich, so Geering, nicht nur gegenüber absoluten religiösen Wahrheitsansprüchen kritisch, sondern ließ seinen religiösen Horizont auch, je älter er wurde, immer freier und universalistischer werden, so dass „at the end of his long and creative career, he said that if he had his time over again he would devote much more time to the study of non-Christian paths of faith“.[132] Glaube als „ultimate concern“ ist nicht auf einen Teil des Stroms menschlicher Kultur begrenzt, sondern als Teil der „conditio humana“ sowohl immer eine Erfahrung „auf der Grenze“, als auch eine Erfahrung, die alle Grenzen sprengt. (3) Von Gordon D. Kaufman übernimmt Geering ein Verständnis von Theologie als „imaginary human construction“, und den Bezug der Gottesrede auf eine Dimension von „mystery“ im menschlichen Erleben der Welt. Unsere Welterkenntnis ist, so Geering, immer „mentally constructed in the course of experience“[133]. Zu erkennen, dass auch religiöse Erkenntnisse menschliche „constructions or mental creations“ sind, bedeutet nach Geering vor allem, „that we should not take theology too seriously“. Religiöse Erkenntnisse zu ernst zu nehmen führt zur Verkehrung von Gottesdienst in Götzendienst: „It is often forgotten that the most heinous sin in the eyes of the Bible writers was not atheism but idolatry. … A graven image should never itself be worshipped but recognized for what it is: a man-made object a symbol. In the same way mental images, theological concepts and doctrines, should never be regarded as the ultimate truth. They are human attempts to say something of ultimate importance, but they can never manage it. Theology is highly symbolic; it is more like poetry than descriptive statements.“[134] Dabei deutet Geering wie Kaufman das Gottessymbol als poetischen Ausdruck für einen „ultimate point of reference“ im menschlichen Denken, der die Funktion hat, „to provide order and meaning to human existence“[135], und als Ausdruck einer religiösen Deutung des Lebens „in Face of Mystery“: „For God as I understand this word, is to be found … in the mystery of all living creatures ... So when I say ‚I believe in God‘, I mean a whole bundle of things, including such things as: … I trust the world. I say ‚Yes‘ to life. I look forward to each new day in hope and faith.“[136] Daraus ergibt sich für Geering wie für Kaufman ein radikal geschichtliches Verständnis auch von christlichem Glauben: „Christian beliefs have changed and diversified through the centuries. … I suggest that we think of Christianity as a stream of living culture flowing through the plains of time. Sometimes, like a river, it divides into sub-streams, and sometimes it is joined by other streams. As it flows onward it gathers new material from the banks it passes through.“ Der Strom führt die Sedimente, die er aufgewühlt hat, mit sich und manchmal spült er sie an Land. „There is a tendency for people to regard the visible objects“, die der Strom mit sich führt, „such as the priesthood, episcopal government, creeds and even the Bible“ für das Wichtigste an diesem Strom. „In fact“ aber „they have less permanence than the stream that carries them along.“[137] (4) Von Don Cupitt (genauere Darstellung und Diskussion im „Anhang“ dieses dritten Teils meiner „Paradigmen theologischen Denkens“) übernimmt Geering ein im Verlauf seiner Entwicklung immer radikaler durchgeführtes „non-realistisches“ Verständnis von Theologie, das aber bei ihm sehr viel stärker als bei Cupitt auf den Ausdruck durch die „klassischen“ biblischen und theologiegeschichtlichen Traditionen (nicht nur) des Christentums bezogen bleibt: Dieses „non-realistische“ Verständnis alter mythischer religiöser Wirklichkeitsdeutungen „omits“ im Besonderen „all reference to an unseen supernatural world and is entirely this-worldly (though not lacking in some transcendent element). … As I see it, the former dichotomy of reality into two worlds physical and spiritual, temporal and eternal, seen and unseen has been loosing its credibility over the last two or three hundred years and is now being replaced by the much vaster and even more complex view of the universe as one. It is a physical universe: all spiritual reality (such as we experience in the human condition) is based on the physical and cannot exist in complete independence of it.“[138] Ein „non-realistisches“ Religionsverständnis profanisiert und „entzaubert“ dabei nicht nur die Welt, sondern bestreitet auch eine unabhängig von unserer individuellen Sinngebung bestehende objektive Sinnhaftigkeit des Weltprozesses: „It is my belief that there is no ultimate meaning or purpose permeating the universe, amazing and mysterious though it is.“ Wir selbst müssen darum „create that meaning for ourselves“.[139] (5) Weitere Beiträge der Theologie Lloyd Geerings für eine heute plausible Glaubensperspektive sind: Zur Frage eines „hoped-for life after death“ verweist Geering als Alttestamentler darauf, dass gerade „the Old Testament is almost unique among the holy scriptures of the world“ darin, dass es keinerlei religiöse Vorstellung eines menschlichen Weiterlebens nach dem Tode entwickelt hat. Auch für das Christentum liegt die Bedeutung des Glaubens an die Auferstehung darin, dass er hilft, „to interpret what is going on in the here and now“.[140] Die Art, wie wir heute leben, gibt den Ausschlag, ob unser Leben bedeutungslos bleibt oder eine Bedeutung erhält, die „transcends the phenomenon of death“: „When we devote our lives to promoting the well-being of others, even to the point of loving our enemies“, können wir erleben, wie „Jesus‘ simple but transformative message“ unserem Leben „new meaning“[141] gibt, und es damit einen religiösen „Mehrwert“ gewinnt, dem der Auferstehungsglaube der ersten Christen metaphorischen Ausdruck gegeben hat. Das bgründet aber keinerlei heute noch mögliche oder auch nur wünschenswerte Vorstellung von einem Weiterleben nach dem Tod. Für sich selbst hält Geering entsprechend fest: „Strange as it may seem to some, I gain considerable more comfort from the belief that death is final … than I would out of any of the various beliefs in life after death … Any truncated form of life, such as a supposed spiritual or bodiless existence, or any one that would go on monotonously forever, I view with … distaste …“ Nur Tod und Sterblichkeit haben überhaupt erst die Evolution des Lebens und unser individuelles Dasein ermöglicht. „We are able to be the persons we are and live the kind of life we enjoy, only because the … forms of life which have preceded us have died.“ Der Tod gehört zum Leben, und wenn es eine Art von Unsterblichkeit gibt, dann die, dass „the human species … can continue from generation to generation in the form of ever new individuals, and it may yet evolve to (at present) unimaginable forms.“[142] Ähnlich wie Keith Ward in „A Vision to Pursue“[143] teilt Geering die menschliche Religionsgeschichte in drei Phasen ein, wobei auch er überzeugt ist, dass nach den „vorachsialen“ Stammesreligionen und den großen „achsialen“ und „postachsialen“ Erlösungsreligionen jetzt eine neue, globale Phase menschlicher Religiosität begonnen hat. Dabei ist, so Gering, für jede Phase der Religionsgeschichte eine weitere Universalisierung des Religiösen zu beschreiben: „Geerig came to understand religious history in three phases the ethnic/polytheistic, the trans-ethnic/theological and the global/humanistic and saw all religions, albeit not all at the same pace, moving towards our shared global and humanistic future.“[144] Waren die Stammesreligionen durchweg lokal begrenzte Volksreligionen, so waren die großen Religionen der Achsen- und Nachachsenzeit alle potentiell orts- und volksübergreifend, wobei allerdings nur der Buddhismus, das Christentum und der Islam dieses „trans-ethnische“ Potential voll entwickelt haben und echte „Weltreligionen“ wurden. In der „globalen“ Phase wird dieses trans-ethnische Potential der großen Religionen weiter entgrenzt: keine Religion allein kann jetzt mehr den Anspruch vertreten, dass ihre „Theologie“ universale Gültigkeit habe, sondern alle Religionen müssen sich verwandeln und ihren Teil beitragen zu einer neuen globalen „World Theology“.[145] Diese neue „Welttheologie“ ergibt sich als Folge der „radical cultural and religious transition“[146], die heute alle Menschen gemeinsam erfahren, und die im Wesentlichen zwei Komponenten hat: sie beruht auf dem „massive body of new knowledge about the cosmos in general, and life on this planet in particular, which has resulted from the rise of modern sciences“, und sie beruht auf der religiös pluralen Grundsituation, die heute jeder religiösen Identitätsbildung vorausgeht und sie bestimmt.[147] „Glauben“, der einmal als universales religiöses a priori begonnen hat, wird in der neuen globalen Welttheologie wieder als allen Menschen gemeinsame „activity of trustful response to life“[148] erkannt: eine „activity“, die die einzelnen religiösen Traditionen der Menschheit nicht mehr trennt, sondern verbindet. „The radically new age we have entered is requiring us to migrate from the supposed certainties of our own cumulative tradition to the much larger, but as yet fluid and unformed global culture encompassing all of humankind. All of us today, whether we be Christians, Muslims, Hindus, humanists, agnostics or whatever, are living in an era of transition from our own particular cultural tradition to the coming global culture of humankind“ einer globalen religiösen Kultur, in der „Glaube“ nicht mehr in Form partikularer „beliefs“ verstanden, sondern als allen Menschen gemeinsamer, aber unterschiedlich gestalteter „trustful response to ultimate reality“ reinterpretiert wird[149]. Dies führt zu einem neuen Religionsverständnis, zu dem aber weiterhin die „alten“ religiösen Grundgefühle von „awe, wonder, gratitude and obligation“ gehören Erfahrungen eines Lebens „in Face of Mystery“ (Gordon Kaufman), die auch nach Geering immer noch am tiefsten mit dem religiösen Grundsymbol „Gott“ interpretiert und vertieft werden können. In diesem Sinne, so Geering, bleibt „Gott“ als „the sum total of all that concerns us most“ auch in der neuen globalen Theologie „(a)t the very least … a useful symbolic word to hold together the mystery of the universe, the value of life, the moral imperatives, the goal of personal fulfillment, and the meaning of human existence“.[150] Auch, wenn man m.E. sicher das Postulat einer neuen religiösen Geschichtsteleologie bei Ward und Geering, nach der alle früheren getrennten Religionen heute auf eine neue konvergente Gesamtreligion der Menschheit hinauslaufen, mit einer gewissen Vorsicht und Zurückhaltung betrachten sollte (ein „Trend“ zur Globalisierung des Menschlichen ist sicher ein „Zeichen unserer Zeit“, aber ebenso gehören zu ihr noch starke gegenläufige Tendenzen der Abwehr dieser als Bedrohung empfundenen globalen Relativierung bisheriger Identitäten in der „Postmoderne“; aus diesem ambivalenten „Ist“ ein eindeutiges „Soll“ abzuleiten, verlässt sicherlich den Rahmen rein deskriptver Analyse und trägt ein starkes Moment eigener Wertvorstellungen in sie ein), ist das Ziel einer globalen und vernetzten „world theology“ nach meiner Überzeugung doch zumindest eine wichtige „regulative Idee“, die uns praktisch-pragmatisch als Orientierungshilfe für unser Denken und Handeln wertvolle integrative und weiterführende Impulse und Hilfestellungen zu geben vermag. „Gott“ symbolisiert für Geering im Rahmen dieser Idee ein zwar vielfach angefochtenes, aber dennoch niemals aufgegebenes Grundvertrauen ins Dasein und Ja zur Welt „trotz alledem“ und in diesem Sinne ist auch Geerings Beitrag als ein weiterer wichtiger „anatheistischer“ Denkvorschlag zu deuten, der in dieser Zusammenstellung seinen besonderen und weiterführenden Platz hat. h) Gott als „Being’s Self-Giving“Lektürebasis: Mark Johnston, Saving God. Religion after Idolatry, Princeton 2009 Als achten „anatheistischen“ bzw. nachtheistischen Zugang zum Göttlichen möchte ich Mark Johnstons „naturalistischen“ Panentheismus, sein Verständnis Gottes als "the outpouring of Existence Itself by way of its exemplification in ordinary existents“[151] vorstellen. „Saving God“[152] will, wie der Titel schon sagt, „Gott“ bzw. den menschlichen „Gottesdienst“ vor einer Verkehrung in "Götzendienst" (idolatry) „retten“, der den Namen „Gott“ menschlichen Wahrheitsansprüchen, Zielen und Zwecken unterordnet. Um solche idolatrische Verkehrung des Gottesglaubens zu vermeiden, entwickelt Johnston ein panentheistisches und naturalistisches Konzept Gottes als "the Highest One", der (oder das) die gesamte Wirklichkeit umfasst, aber nicht der Wirklichkeit als separate Größe gegenüber steht. Unter der Kategorie von „Götzendienst“ (Idolatry) fasst Johnston alle supranaturalistischen und abergläubischen Vorstellungen zusammen, durch die Menschen sich des Göttlichen habhaft machen und es sich „be-greifbar“ machen wollen, von der Verehrung von Götzenbildern über anthropomorphe und heteronome Verdinglichungen Gottes, bis zu der Hoffnung auf einen „Cosmic Intervener who might confer special worldly advantages on his favorites"[153]. Johnston ist von Haus aus Philosoph, kein Theologe, aber mit einem Verständnis von Philosophie, das in der „natürlichen Welt“, obwohl sie „causally complete and self-contained"[154] ist, dennoch eine religiöse Tiefe sieht und sie darum nicht nur materiell, sondern auch spirituell als „the site of the sacred“ interpretiert.[155] In Anlehnung an Anselm von Canterburys Definition Gottes als „id quo maius cogitari nequit“ versteht Johnston unter „Gott“ die Vorstellung des höchsten Prinzipes der Wirklichkeit, der oder das „Höchste“, das die gesamte Wirklichkeit umschließt („the Highest One“). Dieses „Höchste“ wäre, wenn es existierte, auch der höchsten menschlichen Treue und Hingabe wert, „not arbitrarily, but because of its perfections"[156] Ist der Gott der drei monotheistischen Religionen dieser oder dieses „Highest One“? Johnston möchte diese Frage für die historischen Formen von Judentum, Christentum und Islam nicht eindeutig positiv beantworten. Einerseits zielen sie mit ihren Gotteskonzepten tatsächlich auf die allerumfassendste Wirklichkeit. Andererseits tendieren sie auch immer wieder zum „Götzendienst“: Sie sind idolatrisch, soweit sie versuchen. "to evade or ignore the demanding core of true religion: radical self-abandonment to the Divine as manifested in the turn toward others and toward objective reality", und mit der Verheißung eines Lebens in einer jenseitigen Welt Menschen den "all too this-worldly interests of the religion" unterwerfen[157]. Johnston spitzt seine These noch zu, indem er schon die traditionelle jüdische, christliche und islamische Vorstellung eines „höchsten Wesens“, das „essentially a supernatural being" ist, als idolatrisch kritisiert.[158] Supranaturalismus als der Glaube „in invisible spiritual agencies whose putative interventions would violate the laws of nature, at least as those laws are presently understood" ist für Johnston grundlegend mit einem „spiritual materialism" verbunden, der die Vorstellung eines Höchsten für untergeordnete Zwecke instrumentalisiert und sie damit ihrer wahren transformativen Funktion für das menschliche Leben beraubt.[159] Gegen einen solchen idolatrischen Supranaturalismus setzt Johnston das, was er einen "legitimate naturalism" nennt, einen Naturalismus, der „arises out of proper respect for the methods and achievements of science"[160] einen Naturalismus, der Gott nicht zum „Lückenbüßer“ für noch nicht zureichend natürlich erklärbare Phänomene macht, aber gleichzeitig auch nicht in materialistischer und reduktionistischer Weise die Natur ihrer religiösen Tiefe, ihrer Geheimnisse und ihres Transzendenzhorizontes beraubt. Ein solcher ontologischer Naturalismus, so Johnston weiter, bewahrt jede „true religion" vor ihrer idolatrischen Verkehrung, weil er ein Religionsverständnis im Sinne einer Verehrung eines oder vieler „höchster Wesen“ unmöglich macht und damit eine „complete defense“ ist „against the supernatural powers and principalities that could otherwise exploit our tendency to servile idolatry and spiritual materialism"[161]. Von einem solchermaßen bestimmten „naturalistischen“ Ausgangspunkt aus können wir von Gott als dem Geheimnis und der Kraft der Erfahrung einer „Gnade“ denken, die unser von Leid und Bösem geprägtes Leben heilsam transformiert und verwandelt: „Salvation, understood as the goal of religious or spiritual life, is a new orientation that authentically adresses the large-scale defects[162] of human life, and thereby provides a reservoir of energy otherwise dissipated in denial of, and resistance to necessary suffering. Salvation, so understood, is a new orientation, a new form of life, which finds itself as the expression and the subject of Divine self-disclosure.“[163] Ein supranaturalistischer Dualismus, nach dem Gott der von ihm geschaffenen Welt als von ihr separate „außerweltliche“ Wirklichkeit gegenüber steht, ist für Johnston schon deshalb mit dem Gedanken Gottes als der allerumfassendsten Wirklichkeit unvereinbar, weil in diesem Fall die „joint reality made up of the Highest One and the separate creation" umfassender wäre als das Göttliche allein. Darum ist der Gedanke einer „separate creation“ religiös selbstwidersprüchlich. Vielmehr müssen alle von Gott unterschiedenen Aspekte der Wirklichkeit als „manifestations of the Highest One“ gedacht werden, im Sinne eines panentheistischen Gotteskonzeptes, nach dem, „what is called creation is some part or aspect or principle or mode of the Highest One. That is why a worshipful attitude to the whole of reality is not idolatrous"[164]. In Aufnahme von Gedanken von Thomas von Aquin hat die klasische christliche Theologie versucht, Gott in diesem Sinne als „Existence Itself“ zu denken: Gott ist die Quelle von allem, was existiert, und kann selbst nicht von einem anderen Seinden ontologisch abhängig sein. Aus diesem Grunde kann nach Thomas Gott auch kein komplexes Wesen wie wir sein, das zusätzlich zu seinem Gottsein noch Eigenschaften wie Güte, Gerechtigkeit und Liebe hätte, sondern nur eine „unzusammengesetzte“ einfache Wirklichkeit. Als komplexe Wirklichkeit wäre Gott von seinen weiteren Eigenschaften abhängig: dagegen muss Gott nach Thomas als identisch mit seinen Eigenschaften gedacht werden, die wiederum untereinander identisch sind. Hier liegt aber, so Johnston, in der thomistischen Theologie ein folgenschwerer Denkfehler, der das philosophische Gottesbild mit dem geschichtlichen Gottesbild des biblischen Monotheismus im Grunde unvereinbar macht. Nimmt man zur Kenntnis, dass „not every whole made up of distinct parts is ontologically subordinate to those parts“, sondern dass in komplexen Systemen „the parts may themselves essentially depend on the whole they make up"[165], kann man auch Gott als „the Highest One“ komplex denken. Aus diesem Gedanken der Komplexität der höchsten Wirklichkeit ergibt sich eine kleine, aber folgenreiche Verschiebung in einem panentheistischen gegenüber dem traditionellen thomistischen Konzept des Göttlichen. Ist „the Highest One“ nach Thomas statisch zu denken als „Existence Itself“, so kann „the Highest One“ in panentheistischer Perspektive dynamisch gedacht werden als „the outpouring of Existence Itself by way of its exemplification in ordinary existents“. Ist Gott als die höchste Wirklichkeit kein Seiendes und auch nicht das „Sein selbst“, kann Gott neu als die die Wirklichkeit durchströmende Aktivität der Liebe, als "Being's Self-Giving" gedacht werden.[166] Johnstons panentheistische Wirklichkeitssicht interpretiert die gesamte Natur als Prozess der Selbsterschließung des Seins, als „Being-making-itself-present“[167]. Sein an sich hat eine sich erschließende, „offenbarende“ Natur: "Being is by its nature present; Being's fundamental activity is self-disclosure."[168] Weil Sein immer schon von sich aus auf Erschließung, auf Präsenz zielt, konnten wir Menschen in der Evolution Gehirne etwickeln, die „samplers of Presence“ und nicht „producers of Presence“ sind, so dass unsere Bilder im Gehirn Dinge „abbilden“ können, die unabhängig von diesen Gehirnbildern existieren.[169] Hier unterscheidet sich Johston deutlich von dem an Kants Erkenntnistheorie orientierten konstruktivistischen Denkansatz, wie sie etwa die Theologien von Hick, Kaufman und vieler anderer im Rahmen meiner Paradigmen-Artikel gesammelten theologischen Entwürfe prägen. Dennoch kann, meine ich, Johnstons Entwurf als weiterer „anatheistischer“ Denkversuch im Rahmen der hier zusammengestellten Entwürfe viele weiterführende Impulse geben. i) Noch einmal: Gott und „creativity“Lektürebasis: Henry Nelson Wieman: The Source of Human Good, Neuausgabe Oxford 1995 Roland Faber: God as Poet of the World. Exploring Process Theologies, Louisville 2008 Jerome A. Stone: Religious Naturalism Today. The Rebirth of a Forgotten Alternative, New York 2008 Karl E. Peters, Dancing with the Sacred: Evolution, Ecology and God,
Karl E. Peters, Spiritual Transformations: Science, Religion, and Human Becoming; Minneapolis 2008 Thomas A. James: In Face of Reality. The Constructive Theology of Gordon D. Kaufman, Eugene, Oregon, 2011 Als letzter „anatheistischer“ Zugang zu „Gott“ soll hier noch einmal die Inbeziehungsetzung „Gottes“ und der kreativen evolutionären Prozesse des Kosmos stehen, also der Versuch, „in a manner not unlike that of the mystics“ Gott als Symbol zu verstehen, das auf die Einheit der „creativity within the collective human psyche“ und der „creativity within the self-evolving universe“ zielt, das sie hervorgebracht hat und von ihr wiederum als sie hervorbringende Welt konstruiert wird (Lloyd Geering[170]) oder, wie Gordon Kaufman es formuliert hat, „on thinking of God as serendipitous creativity“. Mark Taylor hat auf die Frage: „Do you believe in God?“ in einem Interview geantwortet: „Not in the traditional sense“, und anstelle des klassischen Gottesbegriffes nochmals den Kreativitätsbegriff gesetzt: „God, or, in different terms the divine, is the infinite creative process that is embodied in life itself. As such, the divine is the arising and passing that does not itself arise and pass away. This process is actualized in an infinite web of relations that is an emergent self-organizing network of networks extending from the natural and social to the technological and cultural dimensions of life.“[171] Die Beziehung (und Unterscheidung) von Gott und „creativity“ hat insgesamt eine zentrale Bedeutung im neueren internationalen religiösen Diskurs. Das gilt nicht nur in besonderer Weise für die in den ersten beiden Teilen meiner „Paradigmen“ bereits ausführlicher vorgestellten Entwürfe von Gordon D. Kaufman, Stuart A. Kauffman, Mark C. Taylor und Catherine Keller. Die Beziehung von Gott und Kreativität hat auch eine zentrale Bedeutung für den großen Bereich „prozesstheologischer“ Entwürfe (zu denen der von Catherine Keller gehört) im Anschluss an die „Prozessphilosophie“ von A.N. Whitehead[172]. Ebenso ist sie leitend für viele Vertreter des sog. „religious naturalism“; z.B. für Henry Nelson Wieman, der bereits 1946 in „The Source of Human Good“ vorschlägt, den „kreativen Prozess“ des Guten, der die mensche Geschichte durchdringt, mit „Gott“ zu identifizieren[173], oder für Karl E. Peters, der in seinem „Dancing with the Sacred“ von 2002 in Anknüpfung an Gordon Kaufman, aber auch an Henry Nelson Wieman und Ralph Wendell Burhoe seinerseits vorschlägt, „Gott“ nicht-personal als den kreativen Prozess der kosmischen Evolution zu deuten, der immer komplexeres Gutes hervorbringt. Dabei ist für die Prozesstheologie im Anschluss nach A.N. Whitehead eher eine Unterscheidung zwischen „Gott“ und „Kreativität“ bestimmend, die zwar eng aufeinander bezogen, aber doch klar unterschieden werden: „Kreativität“ ist das „cosmological moving principle of the world“, „Gott“ wird dagegen verstanden als „an aesthetic valuation process that meaningfully creates and reconciles the world“.[174] Der Weltprozess als ganzer wird hier ambivalent, der spezifische Gottprozess dagegen eindeutig als „gut“ bestimmt: „Whereas creativity refers to a ‚neutral activity’ grounding all becoming be it good or evil God represents the good, the process that establishes value.“[175] Gott als der „Eros“ zum Guten, der den kreativen Weltprozess durchdringt, „is always ideal“, seine Macht ist immer die Macht einer Verlockung („lure“), die kreatürliches Werden evoziert, aber nicht kausal verursacht.[176] Dabei wird „Gott“ teils eher traditionell theistisch, teils eher transpersonal als „event“ und „Matrix“ alles Seienden gedacht. Eine solche (nicht nur) für die Prozestheologie typische grundlegende Unterscheidung von „God“ und „creativity“ findet sich z.B. auch in der bereits im zweiten Teil meiner Paradigmen zitierten Formulierung Peter Hodgons: „God is not simply the cosmic ordering process itself but a personal spiritual eros that empowers the process and makes creativity serendipitous rather than destructive.“[177] Der “religiöse Naturalismus” identifiziert dagegen eher das Göttliche mit dem kreativen Weltprozess als ganzem (so nach Stone explizit vertreten z.B. von Charles Milligan, William Dean, Brian Swimme, Thomas Berry oder Donald Crosby), oder spezifisch jedenfalls mit dem Teil des kosmischen Prozesses, aus dem im menschlichen Bereich „goodness“ und „Liebe“ hervorgehen (nach Stone vertreten etwa von Charles Hardwick, Henry Nelson Wieman und ihm selbst).[178] Als Beispiele für eine solche „naturalistische“ Deutung der kreativen Prozesse im Kosmos bzw. in der menschlichen Geschichte insgesamt als Erfahrungsräume des „Heiligen“ sollen hier nun zunächst der (ältere) evolutionstheologische Ansatz von Ralph Wendell Burhoe und der (neuere) evolutionstheologische Ansatz von Karl E. Peters kurz skizziert werden, bevor ich nochmals auf die weiterführenden Aspekte der theologischen Deutung von Kreativität bei Gordon. D. Kaufman eingehe, und abschließend noch kurz nach bleibenden Impulsen der Theologie Henry Nelson Wiemans für die Verhältnisbestimmung von „Gott“ und „creativity“ frage. (1) Für die Darstellung von Burhoes Gedanken beziehe ich mich v.a. auf ihre Wiedergabe bei James, Reality, 24ff. und Stone, Religious Naturalism, 100f. u.ö. Ralph Wendell Burhoe (1911-1997), einer der Pioniere der neueren „science-religion“-Debatte in Amerika, geht davon aus, dass der Gegensatz zwischen einer Naturwissenschaft, die „excises all purpose from the world“, und einer Theologie, die Sinn und Wert des Weltprozesses durch eine empirisch nicht zu verifizierende „reference to a supernatural being“ begründen versucht, heute überholt und nicht mehr haltbar ist. In Überwindung dieses Gegensatzes hat „modern evolutionary science … reintroduced the notion of developement in nature and history“, und damit die Möglichkeit der Annahme von teleologischen Strukturen im kosmischen Prozesses selbst neu begründet. In einer nicht mehr statisch, sondern progressiv verstandenen Realität ist nach Burhoe auch „human purposiveness“ nicht mehr „the free-floating metaphysical surd“, zu dem sie eine reduktionistische Naturwissenschaft oft erklärt hat, sondern eine adaptive Entwicklung im Rahmen der menschlichen Evolution, die nach heutiger naturwissenschaftlicher Erkenntnis als Teil einer insgesamt von Wert und Zweck bestimmten Wirklichkeit verstanden werden kann einer Wirklichkeit, die „creates, sustains and fulfils human life“ und „promises it a future“.[179] Diese auch wissenschaftlich zu beschreibende, unser menschliches Leben tragende und transformierende, allumfassende kreative Letztwirklichkeit ist nach Burhoe „precisely what the religious traditions have meant by ‚God’“. Der natürliche Prozess wird dabei direkt mit dem göttlichen Wirken identifiziert. Gott ist der „selective process of evolution“[180], Gottes kreatives Wirken ist das Wirken der evolutionären Mechanismen, die, genau wie „Gott“ in den religiösen Weltentwürfen, schaffen, richten und erlösen: Der Evolutionsprozess „creates by bringing forth new types of … complexity“, „judges by rejecting … maladaptive traits“, und „redeems by selecting the … adaptive traits“ des sich entwickelnden Lebens. In dieser Weise wird für Burhoe gerade das „modern concept of natural selection“ zu einer Bestätigung und Vertiefung der traditionellen religiösen „insights about the sovereign creative and redemptive activity of God.“[181] Die Einsicht in diesen kontinuierlichen göttlichen Schöpfungs- und Erlösungsprozess ist nach Burhoe zugleich fundamental für die Orientierung menschlichen Lebens, denn sie „helps … human beings successfully to adjust to their surroundings“. Hier gehen modernes Weltwissen und alte religiöse Weisheit auch eine ethische Synthese ein: Weil Menschen durch ihre über ihre rein biologische Evolution hinausgehende kulturelle Ko-Evolution ein gegenüber der übrigen Schöpfung sehr viel größeres Potential haben, ihr Leben in bessere oder schlechtere Richtungen selbst zu steuern, brauchen sie eine über die reine Instinktlenkung hinausgehende moralische Orientierung und Sinndeutung ihres Lebens. Diese Orientierung und Sinndeutung erhielten sie im Rahmen ihrer kulturellen Evolution zuerst „by means of myths and rituals which portray and reenact the meaningful activity of God or gods as the source and fulfillment of human life“[182], und heute durch die moderne wissenschaftliche Vertiefung und Neuinterpretation dieser alten Symbole. Insofern bereiten Mythen und Rituale der Religionen, evolutionär verstanden, modernes naturwissenschaftliches Denken vor; umgekehrt bestätigt und vertieft die Naturwissenschaft „the ancient religious traditions about humans and their place in the world“[183]. Besonders die Entwicklung altruistischer Verhaltensweisen führte zu einer besseren Anpassung der Menschen an die sie umgebende Wirklichkeit und war damit ein wesentlicher Motor der evolutionären „Erfolgsgeschichte“ der menschlichen Kultur. Für die Entwicklung eines solchen die rein biologische Evolution übersteigenden Altruismus war aber, so Burhoe, wiederum die Entwicklung der menschlichen Religiosität entscheidend. (2) Karl E. Peters, unitarischer Christ und emeritierter Professor für Philosophie und Religion in Florida, führt den religiösen Naturalismus Burhoes und seine Beiträge zu einer naturwissenschaftlich reformulierten christlichen Theologie auf seine Weise fort und arbeitet dabei mit Bezug auf Wieman und Kaufman noch stärker die religiöse Bedeutung der damit verbundenen Kategorie von „creativity“ für ein heute plausibles evolutionär-naturwissenschaftliches Gotteskonzept heraus. Peters selbst beschreibt seinen Ansatz so: „During my career as a teacher of philosophy and religious studies and a scholar in religion and science, I have been developing a way of understanding the presence of God in my life that is compatible with the ideas of modern science. This not because I think science has all the answers but because the traditional understanding of God that I grew up with did not help me experience the presence of the sacred in my own life.“[184] Peters Ansatz ist also von einem doppelten Bemühen nicht nur um naturwissenschaftliche, sondern auch um biographische Plausibilität heutiger Gottesrede geprägt. Wissenschaftlich nicht mehr plausibel und im Leben nicht mehr tragfähig ist für Peters die Vorstellung eines persönlichen Gottes, der die Welt aus dem Nichts geschaffen hat und seither „von außen“ in sie eingreift und sie „lenkt“. Dagegen setzt er ein „nonpersonal model of God“, das Gott im Rahmen einer evolutionären Weltsicht als den kreativen Weltprozess selbst deutet, der sich in den Grundvorgängen von Mutation und Selektion entfaltet: „I have come to think of God as the creative process or creative event rather than a being who creates the world“, ein Prozess, der „all levels of existence“ bestimmt „cosmic evolution, biological evolution, cultural evolution, and developements in our own lives“[185], und der dabei fundamental „two aspects“ hat, die sich auf allen Ebenen dieses Prozesses wiederfinden: „One aspect … is the emergence of new possibilities in nature, human history, and personal living. The other is the selection of some of these possibilities.“[186] Dieser doppelte schöpferischen Grundprozess, der die ganze Wirklichkeit durchzieht, und darum auch in jedem menschlichen Leben erfahrbar ist, hat für Peters den Charakter eines kosmischen Jazz-Konzertes, in dem die „underlying laws of nature supply the rhythm, and the constant chance interaction of causal sequences of events improvises new genetic, behavioral, and intellectual melodies in various environments“[187], oder den Charakter eines kosmischen Tanzes, eines „sacred dance that continuously gives rise to new possibilities for existence and selects some of those to continue“; eines Tanzes, der auch unser Leben bestimmen kann: „By participating in the creative process we are dancing with the sacred.“[188] Dieser Jazz-Tanz des Lebens ist ein wilder, ungeführter Tanz: „The best kind of dancing is when no one leads, when the leading is a back and forth sharing, when each party responds to the subtle movements, touches, gestures, and words of the other. … Dancing with no one leading, with no goal or purpose but the dance itself is a good metaphor for portraying our contemporary scientific understanding of evolution on our planet.“[189] Die Metapher vom Tanz eignet sich so auch gut für eine religiöse Deutung der kosmischen Evolution: „In religious thought, this creativity that continually gives rise to new structures, new life forms, new thoughts and practices in a society, can be called the ‚dance of God’“.[190] Indem Menschen sich auf diesen göttlichen Jazz-Tanz des Lebens einlassen, selbst mittanzen mit dem Heiligen, lassen sie sich erfassen von von der Dynamik des Lebens, werden „transformed by the dance“, und indem sie lernen, selbst „fully in every moment of life“ zu partizipieren, lernen sie auch die anderen Mittänzer zu achten und zu lieben, und Verantwortung für die Zukunft des ganzen Tanzprozesses zu übernehmen, „trying to better ourselves, our society, the world in which we live“.[191] So führt das Mittanzen in diesem Tanz des Heiligen nicht nur zur Vertiefung des eigenen Lebens, sondern auch zu einem Bewusstsein für die gemeinsame Verantwortung aller Menschen für die Zukunft des gesamten Lebensprozesseses auf der Erde. In diesem heiligen Tanz erfahren Menschen Gott konkret in den Glücks- und Segenserfahrungen ihres Lebens, aber auch in seinen Brüchen und Leiden, die ihnen die Chance zu neuem Wachstum eröffnen. Für die „positive“ Gotteserfahrung in menschlichen Glücks- und Segensmomenten hat Peters den Begriff der „grace-type-events“ geprägt. Mit „grace-type-event“ bezeichnet er dabei jenen „kind of event“, der auftritt, „when things beyond our control come together in such a way that they bring about good“[192]. „Events of grace“, so Peters, „opening up new possibilities for good, occur all the time“[193], und es kommt darauf an, dass wir Menschen uns für sie öffnen und ihnen den Weg bereiten.[194] Dieser „positiven“ Gotteserfahrung steht aber im menschlichen Leben auch die „negative“ Erfahrung von Verlust und Leiden gegenüber, die eine evolutionäre Theologie ebenfalls auf „Gott“ beziehen wird: „People get sick and die. Species evolve to extinction. Occasionally natural catastrophies alter the functioning of planet Earth, bringing about mass extinctions.“[195] Diesen leidvollen Teil der Erfahrung des kreativen Weltprozesses hat die christliche Religion v.a. dadurch auf Gott bezogen, dass sie ihn mit dem Symbol des Kreuzes interpretiert, und in den Leiden der Welt ein „cruciform pattern“ ausgemacht hat. Das Kreuz „represents the suffering of the Holy in the midst of humanity“; im Symbol des Kreuzes können Menschen dabei selbst Verlust und Leiden anzunehmen lernen als notwendige Bestandteile der Dynamik der auch ihr Leben tragenden kosmischen Kreativität. Eine religiöse Weltinterpretation kann im eigenen Leiden und im Leiden der anderen „a suffering that is redemptive“ sehen, „bringing about new good for others“. Daraus folgt für Peters ein Konzept von evolutionärem „redemptive suffering“ überhaupt: „I think we can say that when some new good emerges through a process that involves suffering then the loss of the old and its accompanying pain and sorrow are redeemed in the new.“[196] In dieser „naturalistischen“ Deutung der Symbole von Kreuz (und Auferstehung) liegt m.E. deutlich das soteriologische Herzstück der Theologie Peters, bei dem seine religiöse Deutung der kosmischen Evolution zugleich auch sehr persönlich wird: Die Krebserkrankung seiner ersten Frau, so Peters, ihr daraus resultierendes Leiden und ihr früher Tod haben seine Sicht auf das menschliche Leben und Sterben sehr verändert und geprägt. Leiden und Sterben, so erlebte er hier ganz existentiell, sind Teil des Evolutionsprozesses, der auch unser jetziges Leben weiter umfasst und durchdringt. „Random variations and natural selection occur not just in the transmission of genes from one generation to the next. They occur within the confines of our own bodies.“[197] Darum kann Peters auch Krankheit und Tod, obwohl sie ihm und den ihm lieben Menschen Leiden und Trauer verursachen, theologisch nicht als „böse“ oder „gottlos“ betrachten: Sie sind zum Guten wie zum Schlechten Teil des Lebens, und sie sind notwendig für das Weitergehen des kreativen Prozesses in der Welt: „Death is tragic, and it often occurs with much suffering and loss. However, death also opens up new opportunities for living.“[198] Diese Einsicht vertieft Peters dann biblisch mit seiner evolutionären Deutung der christlichen Grundsymbole von „Kreuz“ und „Auferstehung“: Das Kreuz, so Peters, symbolisiert im Rahmen einer „naturalistic, evolutionary theology“ die menschliche Grunderfahrung, „that love can die“; doch das Symbol der Auferstehung besagt: Die Liebe stirbt „only to be born again, transformed into new, expanding love“.[199] Das wird am Leben Jesu paradigmatisch deutlich: „Jesus of Nazareth is one of a small number of people who have catalyzed a major transformation in human history.“[200] Wie Theißen deutet er dabei Jesu Wirken und seine Botschaft als wichtige „Mutationen“ in der kulturellen Evolution der Menschheit: „Jesus’ undiscriminating love was a cultural mutation“, die „transformed the lives of many he touched.“ Doch mit seiner Kreuzigung schien diese kulturelle Mutation zunächst „erfolglos“ aus der Geschichte der Menschheit wieder ausgeschieden worden zu sein: „In evolutionary terms he was a rejected cultural mutation selected against.“[201] Wir Christen machen oft den Fehler, so Peters weiter, zu schnell vom Kreuz Jesu zur Botschaft von seiner Auferstehung überzugehen, „the rebirth of Jesus in the minds and hearts of his followers“.[202] Doch die Tragik von Jesu Tod lässt sich nicht so einfach überspringen. In Wahrheit geht der Weg vom Kreuz zur Auferstehung nicht in drei Tagen. Trauer braucht ihre Zeit. Der Selektionsdruck, unter dem Jesu neuer Weg der Liebe zunächst scheiterte, war hart und unerbittlich. Und doch gibt es einen Weg vom Tod zum neuen Leben. Trotz der „selection pressures against Jesus“[203] wurde die Liebe, für die er gestorben war, in den Herzen und in der Praxis seiner Nachfolger schließlich neu geboren. Trotz der lähmenden Erfahrung von Tod und Trauer finden Menschen auch heute zu neuer Liebe und neuer Hoffnung. Diese Transformation vom Tod zum Leben, wie sie durch die Auferstehung Jesu symbolisiert ist, drückt sich christlich im Bekenntnis zu Jesus als dem Christus aus, wobei „Christus“ als geschichtlicher heilsamer Transformationsprozess verstanden wird, der zwar in dem Menschen Jesus von Nazareth paradigmatisch sichtbar wurde, der aber größer und universaler ist als der Mensch Jesus. Die heilsame Lebenstransformation, die in Jesu Auferstehung symbolisiert ist, kann sich im Leben jedes Menschen ereignen, der Leiden und Trauer zu ertragen hat. Diesen Weg lernte auch Peters nach dem Tod seiner Frau Schritt für Schritt zu gehen: „I realized that out of Carol’s death new possibilities for me to grow had arisen.“[204] Das Symbol der „Auferstehung“, so Peters, sagt evolutionstheologisch gedeutet, dass dieser Weg in der Evolution des Universums selbst verwurzelt und für jedes Geschöpf möglich ist: „When life goes and love fades, new possibilities for life and love arise. The spirit of life and the spirit of love continue as interactions that bring new life in the midst of death and new love in the midst of being forsaken. These creative interactions are the divine to be discerned in the midst of the continual dance of the universe a dance that includes death as well as life, sorrow as well as joy, suffering as well as wholeness, and the loss and rebirth of love.“[205] (3) In dieser sehr persönlich formulierten soteriologischen Zuspitzung führt Peters religiöse Interpretation der natürlichen kosmischen Kreativität, meine ich, am deutlichsten über Burhoes einfache Gleichsetzung von Gottes Gericht und evolutionärem Selektionsprozess hinaus. Zwar versteht auch Peters sowohl evolutionäre Mutation wie Selektion als grundlegende Formen der göttlichen Wirksamkeit in der Welt. Dennoch liegt für ihn die entscheidende Gotteserfahrung nicht im Prozess „natürlicher Auslese“ als solchem, sondern in der transformativen Erfahrung, dass auch Leiden den Weg zu neuem Leben öffnen können, biblisch: im Weg von der Kreuzeserfahrung zur Auferstehungserfahrung. Das Kreuz steht für die Prozesse der Selektion, aber die Auferstehung symbolisiert einen Heilsprozess, in dem auch die Erfahrung von Selektion „erlöst“ und verwandelt wird. Damit erreicht Peters m.E. eine die einfache Identifikation von Gott und Kreativitätsprozess transzendierende Dynamisierung des Verhältnisses von Kreativität und Heilsprozess; das Göttliche wird spezifisch als Segens- und Gnadenerfahrung nicht mehr so sehr im nackten Weltprozess als solchem lokalisiert, sondern in den „creative interactions“[206] zwischen den heilvollen und unheilvollen Anteilen des Weltprozesses, die den Weg vom Tod zum Leben markieren, und darum ermutigen, auch in schwersten Lebenssituationen „trotzdem Ja zum Leben (zu) sagen“ (V. E. Frankl). Ähnlich der von Peters vorgeschlagenen religiösen Deutung des mit der evolutionären kosmischen Kreativität verbundenen Leidens als „redemptive suffering“, wie es in der christlichen Deutung des Kreuzes Jesu zentral zum Ausdruck kommt, hat Thomas A. James am Ende seines in die Theologie Gordon Kaufmans einführenden und sie diskutierenden „In Face of Reality“ vorgeschlagen, stärker als Kaufman das „vicarious suffering“ Jesu als christologische Klammer zu benutzen, die den kreativen Weltprozess als ganzen und den darin enthaltenen, aber auch von ihm unterschiedenen Heilsprozess im Rahmen einer am Konzept der „serendipitous creativity“ orientierten religiösen Weltorientierung miteinander vermitteln kann: „The vicarious suffering of Christ thereby illumines God’s redemptive relation to the world.“[207] Die Schwäche, die Peters “naturalistische” Schöpfungstheologie mit der älteren von Burhoe teilt, ist dennoch m.E. ihre ansonsten zu undifferenzierte Gleichsetzung von Weltprozess und Heilsprozess, und die zu einfache, “glatte” Ableitung religiöser Aussagen aus naturwissenschaftlichen Kategorien (Mutation und Selektion sind Gottes Wirken in der Welt), die nach James in der Gefahr eines “absorbing God” ins naturwissenschaftliche Weltbild steht[208], die er v.a. an Burhoes Version einer “naturalistischen” Theologie festmacht: “talk about the mystery of God’s purposes for the world is retained merely to refer to the ever-shrinking domain of human ignorance about the cosmos”[209]; das undurchringliche Geheimnis des Göttlichen wird nach James in einem solchen Naturalismus zugunsten eines prinzipiell verstehbaren Rätsels aufgelöst.[210] Hier ist Kaufmans trinitarische Inbeziehungsetzung und Unterscheidung von Weltprozess und Heilsprozess m.E. noch wesentlich komplexer und fruchtbarer als ihre naturalistische Identifikation: Gott transzendiert für Kaufman als “profound mystery” der Wirklichkeit, das niemals aufgelöst warden kann, jeden menschlichen kognitiven Zugang zu ihr; daraus entwickelt er ein m.E. wesentlich flexibleres und ausgereifteres religiöses Orientierungsschema als Burhoe oder auch Peters - vgl. hier auch nochmals Taylors Unterscheidung “komplexer” religiöser Orientierungsschemata (“neither nor”) von dualistischen (“either or”) genauso wie von monistischen (“both and”), und seinen Verweis auf die Bedeutung trinitarischer religiöser Denkstrukturen für eine solche komplexe Religiosität[211]. Die Gefahr eines rein “naturalistischen” religiösen Ansatzes scheint mir v.a. darin zu bestehen, dass das Göttliche hier monistisch auf den Weltprozess selbst reduziert zu werden droht, und die “grausame” Seite des evolutionären Selektionsprozesses damit zumindest verharmlost wird. Dieser Gefahr scheint mir zwar bei Peters durch seine soteriologische Qualifizierung des Kreativitätskonzeptes (das Göttliche wirkt durch die dynamischen “interactions” zwischen den Erfahrungen von Leiden und neuem Leben) grundsätzlich besser gewehrt als bei Burhoe, aber auch er identifiziert an vielen Stellen dennoch die evolutionäre Selektion als solche undifferenziert mit “Gottes Handeln”. Verloren gegangen oder ungenügend akzentuiert ist bei einer solchen Identifikation m.E. auch die gerade den Selektionsdruck mindernde Bedeutung von Religion im Rahmen des Übergangs von der “biologischen” zur “kulturellen” Evolution des Menschen, wie sie am klarsten Theißen herausgearbeitet hat, aber wie sie auch in Gordon Kaufmans Unterscheidung der verschiedenen, teils widersprüchlichen “trajectories” der kosmischen Kreativität betont wird. (4) Gordon Kaufman hat, wie ich meine, tatsächlich statt einer einfachen Identifizierung von “God” und “creativity” v.a. in “In Face of Mystery”, wie Thomas A. James herausarbeitet, einen wesentlich komplexeren und differenzierteren Vorschlag für die Verhältnisbestimmung von Gott und “creativity” erarbeitet, der Gott weder einfach (wie Hodgson unterstellt) mit dem “cosmic ordering process” als Ganzem identifiziert, noch aber wie die Prozesstheologie als denjenigen besonderen Weltprozess „that establishes value“[212] von ihm unterscheidet, sondern Kreativität insgesamt und die kreative Emergenz von Liebe (“diretionality) in unserem menschlichen „trajectory“ des Weltprozesses trinititätstheologisch sowohl verbindet wie unterscheidet durch den Gedanken der perichoretischen Durchdringung von drei unterschiedlichen menschlichen Konzeptionalisierungsformen des Geheimnisses der kosmischen Kreativität. Etwas vereinfacht lassen sich eine “naturalistische” Ineinssetzung von “Gott” und “Kreativität” (wie sie unterschiedlich Burhoe, Wieman und Peters vertreten) und eine komplexere trinitätstheologische Inbeziehungsetzung (und Unterscheidung!) von “Gott” und “Kreativität” (wie sie bei Gordon Kaufmans differenziert ausgearbeitet ist) vielleicht so voneinander unterscheiden: Die “naturalistische” Position besagt: Die ehrfurchtsgebietende Kreativität, die wir in der kosmischen Evolution beobachten können, ist das Wirken Gottes in der Welt. Auch “Gott” ist eine Redefigur, deren Sinn vollständig in Kategorien einer empirischen Weltsicht darstellbar und erklärbar ist, und jede Vorstellung eines über die natürliche Welt hinausgehenden transempirischen Geheimnisses der Wirklichkeit, das “transcending reason” wäre, muss in einer heute plausiblen Gotteskonstruktion aufgegeben werden.[213] Gordon Kaufmans komplexerer trinitätstheologischer Ansatz besagt dagegen: Hinter allem, was wir im Kosmos beobachten können, steht eine abgründige, vielgestaltige, ehrfurchtsgebietende, geheimnisvolle Kreativität, die wir als solche eben nicht beobachten können, sondern gleichsam nur “von hinten” (Ex 33, 23b) ahnen können in den “Spuren”, die sie als das “profound mystery”, das all unser Erkennen transzendiert, in unserer Wirklichkeit hinterlassen hat. Dieses kreative “Geheimnis” der Welt wird in den jüdisch-christlichen Schöpfungsgeschichten “Gott” genannt, und christlich in seinen verschiedenen Dimensionen trinitätstheologisch konstruiert. James führt zur Bedeutung trinitarischer Denkstrukturen in Kaufmans “reifer” theologischer Konstruktion aus: “The fruitfulness of the idea of the Trinity is tied in part, for Kaufman, to the fact that it is itself a perichoretic idea. The irreducibility and yet deep relationality between the conceptions of Father, Son and Holy Spirit included within it fosters the development of fluid and broadly flexible conceptualities which can account both for the complexities of our context and for the practical needs of persons and communities for orientation in the world. It both encourages and deepens, for example, Kaufman’s own conceptuality of serendipitous creativity and directionality. By itself, the concept of serendipitous creativity may suggest an abstract and unprincipled fountain of novelty, just as the notion of God as ‘maker of heaven and earth’ by itself may suggest raw, unprincipled power. For classical Trinitarian thought, christologigal motifs add concreteness of purpose to faith in God the Creator, preventing theism from collapsing into a functional pantheism which cannot make distinctions between activities in the world which serve God’s purposes and those which do not[214]. The interpenetration with properly theological and christological ideas, however, prevent the confusion in basic orientation that would result from construing Christ as some sort of Promethean opponent to the creator. Kaufman’s conceptuality for construing the world already approximates this perichoretic logic insofar as a specific directionality gives the type of specific content or direction to serendipitous creativity that is required for human agents who need to make discriminating judgemends about what in their realm of experience is worthy of devotion, without portraying the former as anything other than the most authentic expression of the creativity which enables and upholds all events in the universe. As the Son does the will of the Father, so directionality fulfills rather than opposes the fecundity of serendipitous creativity.”[215] Kaufmans ausgearbeitetes Konzept der trinitarischen Perichorese von kosmischer Kreativität und die Menschen bestimmender Liebe fasst James dann so zusammen: “In Kaufman’s interpretation of the Trinity, the first intention or motif of Tinitarian reflection, the ultimate mystery behind the becoming of events and processes in the world, is given specific content by the other two motifs: the trajectory toward humaneness brought to vivid expression in the death of Christ, and the ubiquitous presence of God in all events and processes in the world, symbolized in the language about the Holy Spirit.These second and third motifs are seen, in turn, as paradigmatic rather than aberrant expressions of the creative fecundity of God expressed in the motif of God the Father. According to the perichoretic logic of the doctrine of the trinity as understood by Kaufman, in fact, God the Father (creativity) is not fully the Father apart from divine activity as both Son (directionality) and Holy Spirit (presence).“[216] Hier macht Kaufman tatsächlich die trinitätstheologischen Kategorien der christlich-theologischen Tradition für heutiges theologisches Denken in einer neuen Weise fruchtbar, die m.E. ungelöste Brüche und Aporien sowohl klassischer „naturalistischer“ als auch „prozessthelogischer“ Konstruktionen des Verhältnisses von Gott und Kreativität weiterführend bearbeiten und überwinden kann, auch wenn Kaufmans Entwurf, wie James im abschließenden Kapitel seines Buches zeigt[217], selbst noch zu gewissen ungelösten Aporien führt, die bei Kaufman schließlich in seinen letzten beiden Werken („In the beginning: Creativity“ und „Jesus and creativity“) zu einer stärkeren Betonung der Ambivalenz des kreativen Weltprozesses als ganzem und einer dadurch stärker heraustretenden bleibenden Fremdheit des „trajectory toward humaneness“ innerhalb dieses Gesamtprozesses führen.[218] Hier ist darum noch weitergehende theologische Konstruktionsarbeit nötig, für die nach James der (auch von Peters entwickelte) Gedanke stellvertretenden, „erlösenden“ Leidens ein hilfreicher Ansatzpunkt sein könnte[219]. (5) Abschließend zu diesem Abschnitt „Noch einmal: Gott und ‚creativity’“ will ich hier noch einige m.E. weiterführende Gedanken des „Klassikers“ der theologischen Reinterpretation klassischer Gottesrede mit dem Gedanken evolutionärer Kreativität, Henry Nelson Wieman notieren. Der fundamentale Bezug auf Wiemans bahnbrechendes „The Source of Human Good“ von 1946 verbindet nicht nur die neueren theologischen Gesamtentwürfe von Peters und Kaufman miteinander. In mancher Hinsicht nimmt Wiemans Entwurf eine „Zwischenstellung“ ein zwischen der „naturalistischen“ Gleichsetzung von Gott und Kreativität bei Burhoe und Peters, ihrer prozessphilsophischen Unterscheidung bei A. N. Whitehead, und ihrer komplexen trinitätstheologischen Inbeziehungsetzung bei Kaufman. Wieman, der auch zu den Klassikern prozesstheologischen Denkens gezählt werden kann[220], sich selbst aber in seiner Entwicklung eher als „religiösen Naturalisten“ betrachtet hat[221] hat in „The Source of Human Good“ m.E. sehr früh einige zentrale Einsichten formuliert, die für die weitere theologische Konstruktionsarbeit zum Thema „Gott und ‚creativity’“ auch heute noch fundamental bleiben, wenn auch die oben zu Burhoes und Peters Form des religiösen Naturalismus formulierten Einwände auch für Wieman weitgehend zutreffen. Einige seiner bleibenden Einsichten sind aus meiner Sicht: Für Wieman ist in der religiösen Interpretation des Gesamtprozesses der kreativen kosmischen Evolution, wie für Kaufman ihr „humanizing trajectory“, der Blick auf dasjenige „creative event“ entscheidend, das zur heilsamen kreativen Transformation des menschlichen Lebens führt oder führen kann. Wieman unterscheidet dabei theologisch grundlegend zwischen „creative good“ und „created good“: Glaube ist demnach zu verstehen als heilsamer „Wechsel“ der menschlichen Lebensausrichtung von der Bindung an das ambivalente und immer relative Geschaffene zur Bindung an die alles Geschaffene begründende, es zugleich relativierende und tragende, einzig „absolute“ schöpferische Kraft des Göttlichen selbst: „More accurately, religious faith of the sort here considered is shift from a life finding basic security in created goods over to a life finding basic security in the creative source of all good. Living in this new way, one must be ready to relinquish any created good when it hinders the work of the creative source and to receive newly emergent good when the creative source so demands.“[222] Marvin C. Shaw führt dazu in seiner „Introduction“ zur Neuausgabe von „The Source of Human Good“ von 1995 weiter aus: „For Wieman, creative good is absolute good, good under all conditions; this cannot be said of any form of created good, for what is valuable for one time, place, person or culture will not be so in others. The creative event is good even though it often works against what we would desire, and destroys existing structures in the self and society in order to bring about new good.“[223] Die Unterscheidung von „creative good“ und „created good“ aktualisiert so für Wieman die für den jüdisch-christlichen Glauben grundlegende kritische Unterscheidung von Gottesdienst und Götzendienst, und entspricht damit der auch in den Gleichnissen und Logien Jesu überlieferten Forderung nach radikaler Nachfolge (Mt 6,21;13,44-46; 16,24; 19,21 u.ö). Die kreative Kraft des Guten ist für Wieman dabei göttlich, weil sie durch Menschen zwar wirken und ihr Tun durchdringen kann, selbst aber keine Möglichkeit menschlichen Handelns oder Hervorbringens ist, sondern alle menschlichen Möglichkeiten übersteigt bzw. sie erst begründet, eine „creativity that is more than human, which works in this temporal world and can always be trusted to bring forth richer good beyond the human vision of any time“[224]. Göttlich ist die Wirkung dieser kreativen Kraft des Guten auch, indem sie nicht nur das individuelle menschliche Leben, sondern auch die menschliche Gemeinschaft in der Gegenwart, und die gesamte menchliche Geschichte heilsam transformiert, und so auch ihre Brüche und Konflikte kreativ verändert: „The creative event … weaves a web of meaning between individuals and groups and between the organism and its environment. Out of disruptions and conflicts which would otherwise be destructive, it creates vivifying contrasts of quality if it is able to operate at all. Thus it can utilize frustration and disaster to create and weave into the web of life’s meaning vivid and diversified qualities, thus adding immensely to the richness of its variety and the depth of its significant connections. This happy outcome ensues if the participant individuals provide the conditions under which the creative event can occur. One of the most important of these conditions is the self-giving of the individual himself to such transformation. In weaving the web of richer meaning, the creative event transforms the individual person so that he is more of a person. … Likewise, it creates and progressively transforms human community and the course of history.“[225] Ob Menschen sich für diesen göttlichen Transformationsprozess in ihrer Geschichte öffnen, entscheidet darum über Heil und Unheil nicht nur ihres individuellen Lebens, sondern des ganzen menschlichen Projekts: „It is our faith that man must be transcended in this way or be destroyed“.[226] Auch für Wieman ist diese menschliches Leben zum Guten transformierende göttliche Kraft in besonderer Weise in Jesus verkörpert, freilich nicht isoliert „in the man Jesus, athough it could not have occured apart from him“, sondern „in the interaction taking place“ zwischen Jesus, seinen Jüngern, und ihrem gemeinsamen jüdischen Erbe, einer kreativen „interaction“, die „transformed their minds, their personalities, their appreciable world, and their community with one another and with all men“[227]. Ein Höhepunkt seines Buches ist Wiemans entsprechende Deutung der Ostererfahrung, die auch Kaufman seinem „Jesus and creativity“ noch als Motto vorangestellt hat: Die Kreuzigung Jesu hatte seine Jünger zunächst tief traumatisiert: „They reached that depth of despair which comes when all that seems to give hope to human existence is seen to be an illusion. This was the immediate consequence of the Crucifixion. After about the third day, however, when the numbness of the shock had worn away, something happened. The life-transforming creativity previously known only in fellowship with Jesus began again to work in the fellowship of the disciples. It was risen from the dead. Since they had never experienced it except in association with Jesus, it seemed to them that the man Jesus was actually present, walking and talking with them. … But what rose from the dead was not the man Jesus; it was creative power. It was the living God that works in time. It was the second person of the Trinity. It was Christ the God, not Jesus the man.“[228] Wieman spricht sich im Zusammenhang seines Konzeptes von der die menschliche Geschichte durchziehenden Kraft des kreativen Guten schon früh gegen eine kultur-relativistische, und für eine globale religiöse und ethische Perspektive aus: „One objection often is raised to this inquiry concerning what is good necessarily and always. It is the claim that what is good for one person is not good for another. … We must not impose our own provincial appraisals upon other peoples and eras. … Then only, say these objectors, can we avoid tyranny and injustice.“ Dagegen betont Wieman seine Überzeugung von einer gemeinsamen Dynamik der gesamten Menschheitsgeschichte; „One age cannot be seperated from another, nor can one people or culture. The hope of man lies in cumulative developement through history; and human good can be increased only by progressive accumulation of good through a sequence of generations“.[229] Allerdings ist nach Wieman auch hier kritisch einzuschränken, dass nicht das einzelne aus der menschlichen Kultur hervorgehende „created good“ (und seien es die Menschenrechte oder die Abschaffung der Sklaverei) geschichts- und kulturübergreifende Geltung hat, sondern nur das es bewirkende „creative good“ selbst. Die religiöse Orientierung am heilsamen Transformationsprozess dieses „creative good“ hat im Christentum seine für Christen verbindliche Ausprägung erfahren, was Wieman in „The Source of Human Good“ noch von einer „finality of christian faith“ sprechen lässt, die das Christentum in einem gewissen Sinn über alle anderen Religionen heraushebt, wenn es in ihnen auch „a strand of redemptive revelation“ geben mag, „wherein the same final consummation of life is attained“[230]. In seiner weiteren Entwicklung hat Wieman dann eine solche universale religiöse und kulturelle Perspektive gegenüber seiner früheren noch fast exklusivstischen christlichen Orientierung verstärkt und ausgebaut, was, so Marvin C. Shaw in seiner „Introduction“, dazu führt, dass Wieman in seinen letzten Schriften „is much less concerned to relate his concept to Christian symbols and traditions“[231], und noch sehr viel stärker die allgemein menschliche Dimension einer an der kreativen Kraft des Guten orientierten „Religious Inquiry“[232] herausstellt. Anmerkungen[1] Gegenreligion, 33f. [2] Gegenreligion, 37 [3] Gegenreligion, 124 [4] Gegenreligion, 71f. [5] Gegenreligion, 81 [6] Gegenreligion, 83 [7] Gegenreligion, 83 [8] Face of the Deep, 177 [9] Gräb, Sinn fürs Unendliche, 304f.; vgl. auch Paul Tillichs entsprechende Aussage in seiner „Systematischen Theologie“, Band I: „It is as atheistic to affirm the existence of God as to deny it.“ (engl. Ausgabe, 263, zitiert nach Geering, Tomorrow’s God, 128) Gott ist auch für Tillich kein Seiendes oder Nicht-Seiendes, sondern Symbol für die menschliche Erfahrung „of being grasped by an ultimate concern“ (Dynamics of faith, 1, zitiert nach Geering, Tomorrow’s God, 128) [10] After God, 310 [11] S. 17 [12] Vgl. Vattimo, Jenseits des Christentums, 38: „„Wenn aber die Säkularisierung der Modus ist, in dem sich die Schwächung des Seins, und das ist die kénõsis Gottes, die den Kern der Heilsgeschichte darstellt, verwirklicht, dann kann sie nicht mehr als Phänomen der Preisgabe der Religion gesehen werden, sondern als, und sei es auch noch so paradoxe, Verwirklichung ihrer tiefsten Berufung.“ [13] Jenseits des Christentums, 10 [14] Jenseits des Christentums, 23 [15] Jenseits des Christentums, 12 [16] Jenseits des Christentums, 29 [17] Jenseits des Christentums, 70 [18] Jenseits des Christentums, 72 [19] Für die Darstellung von Caputos „The Weakness of God“ stütze ich mich hier teilweise auf die im Internet veröffentlichte Besprechung von Nicolas Acosta (http://www.goodreads.com/review/show/100639373 vom Januar 2009, Stand: Oktober 2011) [20] Weakness, 5 [21] Weakness, 14 [22] What would Jesus deconstruct, 26 [23] What would Jesus deconstruct, 57 [24] Evolution des Göttlichen, 31 [25] Evolution des Göttlichen, 14 [26] Evolution des Göttlichen, 18 [27] Evolution des Göttlichen, 16 [28] Evolution des Göttlichen, 17 [29] Evolution des Göttlichen, 17 [30] Evolution des Göttlichen, 68 [31] Evolution des Göttlichen, 82 [32] Evolution des Göttlichen, 70 [33] Evolution des Göttlichen, 105f. [34] Evolution des Göttlichen, 107 [35] Evolution des Göttlichen, 19 [36] Evolution des Göttlichen, 97f. [37] Evolution des Göttlichen, 102 [38] Evolution des Göttlichen, 102f. [39] Evolution des Göttlichen, 19 [40] Übersicht in Evolution des Göttlichen, 104 [41] Evolution des Göttlichen, 219 [42] Evolution des Göttlichen, 291 [43] Evolution des Göttlichen, 295 [44] Evolution des Göttlichen, 298 [45] Evolution des Göttlichen, 303f. [46] In dieser Hinsicht kritisiert Schaller z.B. auch das für ihn ansonsten richtungsweisende „Projekt Weltethos“ von Hans Küng. Küng glaubt nach Schaller, dass die unterschiedlichen religiösen Traditionen durch bessere Selbstauslegung und gemeinsame Orientierung an der in allen Religionen wichtigen „Goldenen Regel“ ein globales Friedensethos befördern können, ohne dass sie ihre bisherigen Dogmen grundsätzlich verändern oder kritisch transformieren müssten. [47] Evolution des Göttlichen, 335 [48] Evolution des Göttlichen, 359f. [49] Vgl. hierzu auch Taylor, Tears, 263ff. [50]
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[65] Vgl. Marion, God without being [66] Für die Darstellung von Kearneys Buch stütze ich mich teilweise auf die im Internet veröffentlichte Rezension von Lieven Boeve von 2005 (http://www.arsdisputandi.org/publish/articles/000187/article.pdf, Stand: Oktober 2011) [67] The God Who May Be, 3 [68] The God Who May Be, 1 [69] Catherine Keller, „
[70] The God Who May Be, 18 [71] The God Who May Be, 15 [72] The God Who May Be, 20ff. [73] The God Who May Be, 30 [74] The God Who May Be, 34 [75] The God Who May Be, 82 [76] The God Who May Be, 4 [77] The God Who May Be, 111 [78] Sallie McFague, in „Reflecting God“, Mannousakis, After God, 364 [79] The God Who May Be, 18 [80] The God Who May Be, 82 [81] The God Who May Be, 1 [82] Hefner, Human Project, 91 [83] Für die Darstellung hier stütze ich mich teilweise auf die im Internet veröffentlichte Rezension von Gerd Buschmann vom 07.02.2004 (http://www.theophil-online.de/filtriert/mffilt29.htm, Stand: Oktober 2011) [84] Sinn fürs Unendliche, 68 [85] Sinn fürs Unendliche, 96 [86] Sinn fürs Unendliche, 116 [87] Sinn fürs Unendliche, 117 [88] Sinn fürs Unendliche, 141 [89] Sinn fürs Unendliche, 249 [90] Sinn fürs Unendliche, 256 [91] Sinn fürs Unendliche, 276 [92] Sinn fürs Unendliche, 301 [93] Sinn fürs Unendliche, 307f. [94] Sinn fürs Unendliche, 304f. [95] Sinn fürs Unendliche, 308; vgl. zum besseren Verständnis hier auch Karl E. Poppers (in seinem 1977 gemeinsam mit John C. Eccles verfassten Buch „The Self and Its Brain“ entwickeltes) Modell der drei Welten, auf dessen Bedeutung für die Interpretation religiöser Symbole Lloyd Geering hingewiesen hat. Nach Poppers Modell leben Menschen in der Folge ihrer kulturellen Evolution heute ganz wesentlich nicht nur in der materiell-physikalischen Welt (Welt 1) oder der auch anderen „höheren“ Lebensformen zugänglichen „world of subjective experiences“ (Welt 2), sondern in der spezifisch menschlichen sprachlich konstruierten Welt kultureller Wirklichkeiten (Welt 3). Die geistigen Produkte menschlicher Kultur, aus denen „Welt 3“ besteht, sind „very real objects but they are quite non-physical.“ Am Anfang bestand „Welt 3“ weitgehend aus unmittelbaren sprachlichen Zeichen „but then quickly built up into such things as stories, poetry and explanatory theories, … works of art visual, dramatic and musical - … patterns of behaviour, codes of ethics, and social institutions“, die schließlich mit dem „increasingly symbolic use of language“ in der menschlichen Kultur „led to religion, philosophy and science“ (Darstellung nach Geering, Tomorrow’s God, 53). Diese „dritte Welt“ kultureller Wirklichkeiten hat heute im menschlichen Leben weitgehend die „erste Welt“ physikalischer Wirklichkeiten in den Hintergrund gedrängt: „In the highly complex cultures which exist today we often spend more time giving our attention to, and responding to, World 3, than to world 1.“ Je weniger Zeit Menschen zur Sicherung ihrer physischen Existenz aufbringen müssen, desto mehr Zeit ihres Lebens können sie dem Leben in der erst kulturell geschaffenen „dritten Welt“ widmen: „The proverbial bookworm, for example, seems hardly aware of World 1, for it is not the quality of the paper or print that the reader is primarily interested in but the story or content conveyed by the words. The child glued to the television is not interested in the ‚box‘ itself, but in the World 3 content being transmitted by medium of the sreen.“ (Geering, Tomorrow’s God, 55) … „The content in World 3 today is overwhelming, and we spend a great deal of our time engrossed within it. … Most of the population in the so-called developed nations are caught up in a world of ideas, planning, negotiations, professional skills, sport, entertainment and so on, all of which draw heavily and sometimes exclusively on World 3 content.“ (Geering, Tomorrow’s God, 57). Diese „dritte Welt“ lässt sich, so Popper, nicht naturalistisch auf die erste reduzieren. Ihre „Objekte“ „do posess a reality but it is a World 3 reality and not a World 1 reality“ (Geering, Tomorrow’s God, 131); sie sind, wie Gräb es formuliert hat, „geistige Realität(en)“, deren „Realität“ aber „in unseren Gedanken und Gefühlen, in der Wirklichkeit des bewussten Lebens, das wir selber sind“ (a.a.O.) begründet ist, und nicht in der materiellen Umwelt, aus der sie hervorgegangen sind. [96] Sinn fürs Unendliche, 311 [97] Sinnfragen, 26 [98] Sinnfragen, 8 [99] Sinnfragen, 7 [100] Sinnfragen, 25 [101] Sinnfragen, 30 [102] Sinnfragen, 36 [103] Sinnfragen, 81 [104] Sinnfragen, 35 [105] Sinnfragen, 90 [106] Sinnfragen, 89 [107] Sinnfragen, 217 [108] Für die allgemeine Darstellung von Dürrs Gedanken stütze ich mich hier teilweise auf die im Internet veröffentlichte Zusammenfassung von Robert Harsieber vom 27. Februar 2009 (http://d-robert-harsieber.suite101.de/die-materie-ist-nicht-materiell-a43302#ixzz1ML3aigRK, Stand: Oktober 2011) [109] Transzendenz, 7 [110] Auch die Wissenschaft, 100 [111] Vgl. Mainzer, Zeit, 82f.: „Der Glaube des deterministischen Weltbildes bestand darin, dass mit Hilfe mechanischer Bewegungsgleichungen einerseits und hinreichender Information über das betreffende System andererseits die Zukunft beliebig lange und exakt vorhersagbar ist.“ Durch unsere heutigen Möglichkeiten der Weltbeobachtung und beschreibung wurde aber dieses „deterministische Weltbild … als Illusion“ erwiesen. „Die Wirklichkeit scheinen vielmehr komplexe Strukturen zu prägen, die durch Synergieeffekte und Selbstorganisationsprozesse bestimmt sind, um sich entweder zu stabilisieren oder plötzlich zu zerfließen.“ [112] Natürlich sind solche Aussagen Dürrs metaphorische Interpretationen der Gesamtwirklichkeit aus quantenphysikalischer Perspektive, keine quantenphysikalisch zu belegenden „objektiven“ Tatsachen über sie. Aus der physikalischen Beobachtungen des Verhaltens der elementarsten Wirklichkeitsbestandteile zu folgern, „dass ‚alles mit allem verknüpft‘ sei oder dass ‚die Quantenmechanik uns alle zu einem einzigen universellen Ganzen‘ verschränke“, kann man mit Brian Green auch kritisch als „schwärmerisches Gerede“ empfinden, das die Ergebnisse der Quantenphysik „verschwommen und übertrieben“ darstellt (Kosmos, 149f.). Aber auch nach Greene bedeutet es eine fundamentale Veränderung unserer bisherigen Weltsicht, dass die quantenphysikalische Forschung die sog. „Nichtlokalität“ der Quantenteile und die Annahme eines „verschränkten Raumes“ nicht nur behauptet, sondern inzwischen auch vielfach experimentell bestätigt hat: u.U. lichtjahreweit voneinander entfernte Teilchen sind dennoch instantan miteinander verbunden, so dass eine Beeinflussung des einen eine gleiche Reaktion auch bei dem anderen auslöst, ohne dass es dazu irgendeine Möglichkeit der Informationsübertragung durch den Raum gegeben hätte. Weil die „Wahrscheinlichkeitsfelder“ aller Teilchen aus quantenphysikalischer Sicht jeweils den ganzen Raum umfassen, überlagern sie einander und lassen eine Veränderung an einem scheinbar isolierten Ort im Universum potentiell im ganzen Universum wirksam werden (vgl. Green 99-150). Das kann man philosophisch sicher unterschiedlich interpretieren. Es ist m.E. aber unbestreitbar das Verdienst Dürrs, auf die weitreichenden auch metaphysischen Folgen dieser Veränderungen in der Wirklichkeitsbeschreibung durch die „neue Physik“ für unser Nachdenken über die Welt als ganzer hingewiesen, und mögliche Konsequenzen aus ihnen auch für eine religiöse Deutung der Wirklichkeit poetisch-metaphorisch formuliert zu haben. [113] Auch die Wissenschaft, 36 [114] Auch die Wissenschaft, 37f. [115] Auch die Wissenschaft, 53 [116] Auch die Wissenschaft, 57f. [117] Auch die Wissenschaft, 104 [118] Auch die Wissenschaft, 91f. [119] Auch die Wissenschaft, 94 [120] Auch die Wissenschaft, 102 [121] Transzendenz, 12 [122] Auch die Wissenschaft, 112 [123] Auch die Wissenschaft, 114f. [124] Geering hat seine akademische Laufbahn als Alttestamentler begonnen und kommt auch für seine heutige theologische Rekonstruktionsarbeit immer wieder auf Impulse und Ressorcen aus der „Hebräischen Bibel“ zurück, an der ihn v.a. die „Weltlichkeit“ ihrer Religion und Gottesrede fasziniert. Jüngster Ausdruck dieser bleibenden Faszination ist sein 2010 veröffentlichtes Buch: „Such is Life. A Close Encounter with Ecclesiastes”, in dem er in einem fiktiven Dialog mit dem Autor von “Kohelet” wichtige Grundfragen einer religiös-weisheitlichen Lebensdeutung und Lebenspraxis damals und heute erörtert, und dabei Kohelet als einen biblischen Vorläufer einer nachmetaphysisch-skeptischen, “Gott” eher als Symbol für die “Ordnung der Natur” denn als Vollbringer mächtiger Heilstaten interpretierenden, “säkularen” Religiosität begreift. [125] Geering, Reader, 97f. [126] Geering, Reader, 97 [127] Geering führt seine Sicht von „Glauben“ folgendermaßen weiter aus: „Nearly everybody has some faith, however small. … To have no faith is to be in a condition of absolute despair. It is to find no meaning or significance in anything. It is to feel that life is not worth the candle. If such a condition persists for long our physical health soon deteriorates and we die or in more extreme cases we may take our own life.“ (Reader, 109) [128] Geering, Reader, 106 [129] Geering, Reader, 97 [130] Geering, Reader, 247 [131] Geering selbst beschreibt diesen konstitutiven Zusammenhang von „Glauben“ und „Zweifel“ so: „The capacity to doubt plays a very important role in both personal growth and cultural growth.“ Dass Kinder erwachsen werden vollzieht sich, indem sie bisherige kindliche Vorstellungen über die Welt und die Autorität ihrer Eltern anzweifeln. Und dasselbe gilt in übertragener Weise für das kulturelle „Erwachsenwerden“ der Menschheit als ganzer, und damit auch für den Bereich religiöser Weltorientierung in der „developing human culture“. „Without the capacity to doubt we cannot put away our childish beliefs and grow to the maturity of faith. Doubt is not the enemy of faith but the enemy of false beliefs.“ (Reader, 107) [132] Geering, Reader, 247 [133] Geering, Tomorrow’s God, 35f. [134] Geering, Reader, 143 [135] Geering, Reader, 225 [136] Geering, Reader, 118 [137] Geering, Reader, 153 [138] Geering, Reader, 99f. [139] Geering, Reader, 117 [140] Geering, Reader, 100 [141] Geering, Such is Life, 206 [142] Geering, Reader, 101; vgl. dazu meine ausführlicheren eigenen Gedanken zur „Christliche(n) Hoffnung angesichts des Todes“ in: Tà katoptrizómena. Das Magazin für Kunst, Kultur, Theologie, Ästhetik. Heft 73, Jahrgang 13/2011, https://www.theomag.de/73/index.htm). [143] Ward, Vision, 134, vgl. Teil I meiner „Paradigmen“ [144] Geering, Reader, 179 [145] Mit dem Titel der „World Theology“ nimmt Geering erneut nicht nur eine zentrale Formulierung, sondern auch wesentliche inhaltliche Anstöße der entsprechenden Denkimpulse von Wilfred Cantwell-Smith auf. [146] Geering, Reader, 323 [147] Geering, Reader, 324; vgl. hier auch meine Beschreibung der beiden für einen „für mich heute sagfähigen und tragfähigen Glauben“ aus meiner Sicht heute grundlegend notwendigen theologischen Rekonstruktionsaufgaben im Ersten Teil meiner „Paradigmen“, die genau diesen zwei von Geering beschriebenen Komponenten der heute nötigen „transition“ von einer „trans-ethnischen“ zu einer „globalen“ Theologie entsprechen. [148] Geering, Reader, 331 [149] Geering, Reader, 333 [150] Geering, Reader, 351 [151] Saving God, 113 [152] Für die Darstellung von „Saving God“ stütze ich mich hier teilweise auf die im Internet veröffentlichte Besprechung von Lynne Rudder Baker (http://ndpr.nd.edu/news/24190-saving-god-religion-after-idolatry/, Stand: Oktober 2011) [153] Saving God, 158 [154] Saving God, 48 [155] Saving God, 187 [156] Saving God, 95 [157] Saving God, 124 [158] Saving God, 39 [159] Saving God, 40 [160] Saving God, 43 [161] Saving God, 51 [162] Solche „large-scale structural defects in human life“, von denen „no amount of psychological adjustment or practical success can free us“ sind nach
[163] Saving God, 125 [164] Saving God, 95 [165] Saving God, 110 [166] Saving God, 113 [167] Saving God, 129 [168] Saving God, 132 [169] Saving God, 129-151 [170] In „Tomorrow’s God“, 190 [171] http://www.columbia.edu/cu/news/08/01/taylor.html (Stand: Oktober 2011) [172] Vgl. Faber, Poet of the World, 139-146 u.ö. [173] Vgl. die Darstellung bei Stone, Religious Naturalism, 84-86 [174] Faber, Poet of the World, 139 [175] Faber, Poet of the World, 140 [176] Faber, Poet of the World, 139 [177] Hodgson, Winds, 192 [178] Vgl. Stone, Religious Naturalism, 194ff. [179] James, Reality, 25; vgl. Stone, Religious Naturalism, 100 [180] Stone, Religious Naturalism, 100 [181] James, Reality, 25f. [182] James, Reality, 26 [183] Stone, Religious Naturalism, 100 [184] Peters, Dancing with the Sacred, VII [185] Peters, Dancing with the Sacred, VII [186] Peters, Dancing with the Sacred, VIIf. [187] Peters, Dancing with the Sacred, 133 [188] Peters, Dancing with the Sacred, VIII [189] Peters, Dancing with the Sacred, 46 [190] Peters, Dancing with the Sacred, 48 [191] Peters, Dancing with the Sacred, 50 [192] Peters, Dancing with the Sacred, 3 [193] Peters, Spiritual Transformations, 87 [194] Vgl. insgesamt Peters, Spiritual Transformations, 82-95 [195] Peters, Dancing with the Sacred, VIII [196] Peters, Dancing with the Sacred, 111 [197] Peters, a.a.O., 114 [198] Peters, a.a.O., 115 [199] Peters, a.a.O., 119 [200] Peters, a.a.O., 119 [201] Peters, a.a.O., 121 [202] Peters, a.a.O., 121 [203] Peters, a.a.O., 122 [204] Peters, a.a.O., 124 [205] Peters, a.a.O., 124f. [206] Peters, Dancing with the Sacred, 124f. [207] James, Reality, 180 [208] James, Reality, 24 [209] James, Reality, 29 [210] Vgl. entsprechend auch Wiemans Forderung, dass unter dem Begriff “mystery” für eine naturalistische Position nicht ein Geheimnis gemeint sein kann, das grundsätzlich “transcending reason”, sondern lediglich eines, das in der Gegenwart noch “unexplored and … uncomprehended” ist (Source, 32) [211] After God, 38 und Zusammenhang [212] Faber, Poet of the World, 140 [213] Wieman, Source, 32 [214] In der Unterscheidung von Gottes kreativer “Macht” von bloßer Macht an sich zeigt sich eine bei ihrem fundamental entgegengesetzten theologischen Grundansatz um so mehr überraschende inhaltliche Nähe der Theologie des reifen Gordon Kaufman zur christologischen Theologie Karl Barths. Diese inhaltliche Nähe hat James an verschiedenen Stellen seines Buches beschrieben und herausgearbeitet. Vgl. v.a. 134ff.; zusammenfassend schreibt James: “Barth’s and Kaufman’s programs both feature strong critiques of the reifying ontology of the Western metaphysical tradition and each attempts to specify God’s activity within the world and God’s transcendence in a way that privileges events of historical becoming rather than a static, uneventful being. In fact, both projects culminate in a form of what might be called ‘radical theological historicism’” (135), beide reden nicht abstrakt von “Gottes Sein”, sondern gehen davon aus, dass Gott nur erkannt werden kann im “event of His action” (KD II2, 263, vgl. den Zusammenhang, in dem Barth Gottes Sein mit dem Ereignis seines Handelns identifiziert; bei Kaufman entspricht diesem Ereignis des göttlichen Handelns eben die “activity” göttlicher Kreativität und Liebe), und beide benutzen trinitarische Denkkategorien, um diese Historisierung der klassischen Metaphysik zu begründen. [215] James, Reality, 148f. [216] James, Reality, 149 [217] James, Reality, 160ff. [218] In diesem Zusammenhang wäre auch die von Drees, Religion, formulierte “naturalistische” Kritik zu bearbeiten, nach der der theologische Vorschlag Kaufmans ähnlich wie der von Theißen und Hefner zu optimistisch sei, was die Verankerung von Werten wie Liebe, Toleranz und Annahme in der (christologisch gedeuteten) evolutionären Wirklicheit selbst, der “letzten Wirklichkeit” (Theißen), oder dem “way things really are” (Hefner) angeht. “This seems to me to be a claim which goes when understood in a realist way too far beyond, if not counter to, experience”, schreibt Drees (Religion, 279), weil er mögliche “regulative Ideale” der ethischen Orientierung von Menschen unzulässig ontologisiert und universalisiert. Der dagegen von Drees vertretene “konsequente” Naturalismus wird auch das, was Hick den “cosmic optimism” der großen religiösen Traditionen genannt hat, insgesamt nicht als mögliche realistische Beschreibung der Wirklichkeit selbst gelten lassen können. Kaufman ist sich dieses kritischen Einwandes gegen eine solche “optimistische” Deutung der Evolution wohl bewusst, und sieht in ihr eine über eine rein empirische Wirklichkeitsdeutung hinausgehenden “step of faith”, der für Christen in ihrer Orientierung am Christus-Ereignis begründet ist, und der einer existentiellen menschlichen Grunderfahrung des Getragenseins trotz alledem (“Gnade”) entspricht. Auch wenn die Annahme von “Gnade” oder “Liebe” am Grunde der Wirklichkeit nur ein regulatives Ideal ohne ontologische Basis wäre (Drees), wäre m.E. doch zu fragen, was dann der ontologische Grund der Emergenz solcher Welt und Leben heilsam verändernden (und in diesem Sinne “viablen”) Ideale im Rahmen der Emergenz von Schönheit, Güte, Altruismus, und Glauben ist, die, so Kaufman, als ein “trajectory” der Evolution auf jeden Fall auch aus dem kreativen Geheimnis der Welt selbst hervorgegangen sind. [219] Vgl. insgesamt James, Reality, 176ff. [220] Vgl. Faber, Poet of the World, 25ff. u.ö. [221] Vgl. Stone, Religious Naturalism, 84-86 u.ö.; Wieman selbst ordnet sich in „The Source of Human Good“ als Vertreter „of the newer naturalism“ ein, den er von „the older naturalisms, which tended toward reductive materialism“ unterscheidet (Source, 6). [222] Wieman, Source, 47 [223] Wieman, Source, XX7 [224] Wieman, Source, 115 [225] Wieman, Source, 20 [226] Wieman, Source, 52 [227] Wieman, Source, 41 [228] Wieman, Source, 44 [229] Wieman, Source, 10f. [230] Wieman, Source, 286f. [231] Wieman, Source, XIV [232] So der Titel seiner letzten Veröffentlichung von 1968
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Artikelnachweis: https://www.theomag.de/76/sts6b.htm
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