Teil 2: "Gestaltung und Kritik" - das Kulturpapier der EKDGrundsätzlich wird man dem EKD-Papier das Bemühen nicht absprechen können, zur Frage der Begegnung von Protestantismus und Kultur auch auf aktuelle Diskussionen und Erkenntnisse einzugehen. Zahlreiche Beiträge auch aus dem Autorenkreis dieses Magazins sind bis in Einzelformulierungen(1) in das Papier eingeflossen. Betrachtet man das Kulturpapier jedoch vor dem Hintergrund des im ersten Teil Skizzierten, dann wird schnell deutlich, dass es eine höchst ambivalente Position vertritt. Das wird gleich in den einleitenden Worten deutlich, welche die "die Wechselwirkung von Glaube und Kultur" verdeutlichen sollen. Bereits in den sogenannten 'Voraussetzungen' des Verhältnisses von Protestantismus und Kultur heißt es: "Die säkularistische Behauptung, die Verabschiedung der christlichen Überlieferung sei geradezu die Bedingung autonomer Kulturentwicklung, ist in Anbetracht der kulturellen Wirkungen speziell des reformatorischen Christentums absurd. Eine kulturprotestantische Apologetik, die sich um die schiedlich-friedliche Symbiose von Christentum und (bürgerlicher) Kultur bemüht, geht aber ebenso fehl, wie eine im Namen des Christentums selbst propagierte radikale Diastase von Glauben und Kultur." Diese Leitthese muß man sich schon auf der Zunge zergehen lassen. Sie ist in ihrem absolutistischen Duktus kaum noch zu überbieten. Schon die Verwendung des Wortes "säkularistisch" erinnert allzusehr an die römisch-kuriale Formulierung "modernistisch". Ausgewogen wie kirchliche Verlautbarungen nun mal sein sollen, werden dann sowohl kulturprotestantische wie dialektisch-theologische Überlegungen als Fehlwege verworfen. Das Anathema trifft sowohl die Symbiose wie die Diastase von Kultur und Glauben. Das Recht, derartige Anathema im Namen des Protestantismus vorzunehmen, steht allerdings der EKD definitiv nicht zu. Die Evangelische Kirche hat eine pluralistische Erscheinungsform, in der sowohl kulturprotestantische wie differenztheologische Positionen Platz haben und um des Überlebens der Volkskirche auch Platz haben müssen. Jeder Einzelne im Protestantismus kann dies zwar bestreiten, die Evangelische Kirche in Deutschland als Institution aber nicht. Was das Papier artikuliert, nämlich die Abqualifizierung bestimmter theologischer Positionen zur Kultur als Holzwege, ist eine Anmaßung, die von der evangelischen Lehre keinesfalls gedeckt wird. Auch Formulierungen wie die, dass die humanistische Beschreibung des Kunst-und-Kultur-Verhältnisses "absurd" seien, muss man sich als an der Auseinandersetzung mit säkularer Kultur Interessierter verbitten. Wie noch zu zeigen sein wird, hat die humanistische Betrachtung durchaus einige Argumente für sich. Als Zielperspektive bestimmt das Papier: "Zu den Aufgaben der Kirche gehört es vielmehr, auch im Bereich der Kultur zwischen Lebensförderndem und Lebensschädigendem zu unterscheiden. Gestaltung und Kritik bestimmen zusammen das Verhältnis von Protestantismus und Kultur. Die Kirche ist deshalb zur kritischen Teilnahme an der kulturellen Entwicklung der eigenen Gegenwart verpflichtet. Wenn ihr das gelingt, leistet sie kulturelle Diakonie. Zu ihren Aufgaben gehört es aber ebenso, nach den kulturellen Ausdrucksformen zu suchen, ohne die der Glaube gar nicht Gestalt gewinnen kann. Denn nur wo der Glaube in überzeugender Form kulturell zum Ausdruck kommt, gelingt die Inkulturation des Christentums. Sie kann nicht auf überlieferte Ausdrucksformen beschränkt werden, sondern muß sich auf die kulturelle Sprache der Gegenwart einlassen und an deren Weiterentwicklung mitwirken. Auch in einer Kirche mit einer langen kulturellen Tradition stellt sich die Aufgabe der Inkulturation immer wieder neu." So selbstverständlich diese Sätze wirken und so präzise sie auch das Gedankengut weiter Kreise der evangelischen Kirche wiedergeben, so sehr sind sie doch in Bezug auf bestimmte Bereiche der Kultur von Grund auf falsch. Sie bezeichnen jenen Graben, der es auch für die Zukunft als undenkbar erscheinen lässt, dass sich das Verhältnis von Kunst und Kirche normalisiert. Vor allem die konkrete Wortwahl des Kulturpapieres gibt zu Rückfragen Anlaß. Was heißt eigentlich z.B. in Bezug auf die Bildende Kunst, man müsse Lebensförderndes und Lebensschädigendes unterscheiden? Was im Blick auf die Gedenkkultur, die Medien und den Sonntag ielleicht noch einzuleuchten vermag (hier handelt es sich auch nicht um autonome Kultursphären), wird beim Blick auf die Kunst dann doch sehr fragwürdig. Die allgemeine Rede von "der Kultur" unterschlägt nämlich unbedingt notwendige Differenzierungen zwischen den kulturellen Einzeldiskursen. Vielleicht aber wird man hinter einer derartigen Formulierung tatsächlich die Verurteilung des Ästhetizismus in der Kunst vermuten dürfen, die bei vielen Theologen zu finden, aber keinesfalls kulturell zu begründen ist. Und wie soll man zeitgenössischen Künstlern das Wort "kulturelle Diakonie" erläutern? Ist es nicht so, dass jeder Künstler der Gegenwart gegenüber der Kirche kulturelle Diakonie leistet? Als ich vor kurzem Kunststudenten um Arbeiten zum Thema "Werke der Barmherzigkeit" bat, entgegnete mir ihre Professorin mit einigem Recht, dass jedes der Kunstwerke ihrer Studenten im Blick auf die Kirche ein Werk der Barmherzigkeit sei. Das allein kann der Sinn der Rede von kultureller Diakonie sein! Auch die objektivistische Formulierung "Die Kirche ist deshalb zur kritischen Teilnahme an der kulturellen Entwicklung der eigenen Gegenwart verpflichtet" ist höchst interessant. Was heißt denn "kritische Teilnahme"? Es kann doch nur selbstkritische Teilnahme gemeint sein. Wie soll sich denn sonst Kritik entfalten, wenn dazu doch wenigstens die elementare Kenntnis der Diskursregeln der kritisierten kulturellen Sparten gehören? Ich habe unter den Vertretern der Kirche - von wenigen Ausnahmen abgesehen - noch niemanden getroffen, der die elementarsten Selbstverständlichkeiten, d.h. die kulturellen Codes der Kunstszene beherrschen würde. Wenn statt von kritischer Teilnahme von einem aufmerksamen Hinhören und Hinsehen die Rede wäre, könnte ich dem nur zustimmen. So aber erschleicht sich das kirchliche Papier durch einen höchst allgemeinen Begriff von Kultur im Blick auf die Einzeldiskurse eine Kompetenz, die ihm nicht zusteht. Es ist einfach so, dass diejenigen, die in der Kirche derartige Papiere formulieren, vom Zustand der Gemeinden und ihrem Verhältnis zur Kultur so gut wie keine Ahnung haben. Die selbstverständliche und unwidersprochene Rede von Gemeindegliedern, welche moderner Kunst in der Kirche begegnen, dies sei einfach "Dreck", ist verbreiteter als sich kulturell interessierte Kirchenfunktionäre träumen lassen. Zwischen dieser Mentalität und der zeitgenössischen Kultur klaffen Welten, die sich mit noch so vielen Good-will-Aktionen nicht überbrücken lassen. Die kritische Haltung, die die Gemeinden zur zeitgenössischen Kunst einnehmen, ist von derselben Schlichtheit, wie das Papier der EKD. Es eint sie die Überzeugung, Aufgabe der Kunst in der Kirche sei es, den Glauben zum Ausdruck kommen zu lassen. Denn was ist das für ein Satz: nur wo der Glaube in überzeugender Form kulturell zum Ausdruck kommt, gelingt die Inkulturation des Christentums? Zeigt das etwa, dass man die kulturellen Differenzierungsprozesse der letzten 500 Jahre begriffen hat? Ein Formulierung wie "wo der Glaube ... kulturell zum Ausdruck kommt" desavouiert jeden, der im Kontext zeitgenössischer Kunst mit ihm arbeiten würde. Es sei denn natürlich, man würde ihn sophistisch so umdeuten, dass die säkulare Kultur das sei, was den Glauben kulturell zum Ausdruck bringt. Dafür gibt es Gründe, die Kurt Marti präzis benannt hat. Aber dann ist die Formulierung im Kulturpapier merkwürdig schief. Besser wäre es gewesen, mit Kurt Marti von der "Befreiung der bildenden Künste zur Profanität"(2) zu sprechen. Im Folgenden setzt sich das Papier mit den einzelnen Positionen auseinander, die vorher pauschal in die Schranken verwiesen wurden. Zur humanistischen Position heißt es: "Aus der Perspektive der Kultur wird von manchen behauptet, der christliche Glaube sei eine kulturfeindliche Macht. Der Durchbruch zur autonomen Kultur im modernen Sinn des Wortes wird mit der Emanzipation von der Vorherrschaft der Kirche und des Christentums in Verbindung gebracht. Die Säkularisierung gilt geradezu als Bedingung freier kultureller Entfaltung .... Die These von der Kulturfeindlichkeit des christlichen Glaubens verkennt die kulturelle Prägekraft, die das Christentum in allen Phasen seiner Geschichte entwickelt hat und noch entwickelt." Hier werden Argumentationen und Fakten zusammengebracht und denunziert, die nicht notwendig zusammengehören. Zumindest der zweite Satz, der den Zusammenhang von Autonomie und Emanzipation von kirchlicher Vorherrschaft beschreibt, müßte nicht nur aus der Perspektive der Kultur, sondern auch innerkirchlich unumstritten sein. Er formuliert einen kulturwissenschaftlichen Konsens, der auch die damit befaßten theologischen Disziplinen einschließt.(3) Es gibt freilich keinen zwingenden Grund, daraus eine Kulturfeindlichkeit des Christentums zu konstruieren. Zumindest hat das nur die gleiche Plausibilität wie die entgegengesetzte These von der expliziten Kulturfreundlichkeit des Christentums. Freilich wird das Christentum einräumen müssen, dass es, solange es kulturell dominierend war, auf die kulturellen Ausdrucksformen nicht in freiheitlicher Weise Einfluß genommen hat. Dass auf der Höhe des kirchlichen Einflusses 97% aller Kunst religiöse Motive hatte, wird man kaum mit der Freiheit erklären können, die das mittelalterliche Christenum der Kunst eingeräumt hat. In moderner Terminologie würde man das strukturelle Gewalt nennen. Erst die Renaissance hat sich dann den Gedanken der Autonomie der Kunst erobert.(4) Und auch heute wird man einräumen müssen, dass sich die Kirchen der Kunst nicht mit "interesselosem Wohlgefallen", sondern höchst interessegeleitet nähern. Die erste Frage, die Gemeinden bei Kunstausstellungen stellen, ist immer die nach dem "Wozu". Und wenn die Ausstellung nicht dazu führt, dass Menschen sich der Kirche nähern, sie für ihren Mut, zeitgenössische Kunst auszustellen, loben, erlischt das Interesse an der Kunst schnell. Kunst als Selbstzweck ist der Kirche außerordentlich fremd. Der Autonomie steht sie mit einer bleibenden Fremdheit gegenüber. Zur kulturprotestantischen Position lautet das Dekret des Kulturpapiers: "Aus der Perspektive des christlichen Glaubens ist im Gegenzug der Versuch unternommen worden, den Anschluß an die Kultur der Moderne zu gewinnen. Vor allem im Protestantismus ist immer wieder das Bemühen zu erkennen, sich in die Entwicklung der Kultur einzufügen. Eine solche Symbiose zwischen Glaube und Kultur gehörte zur Lebensform des protestantischen Bildungsbürgertums im 19. Jahrhundert; im Rückblick erhielt sie den Namen 'Kulturprotestantismus' ... Die These von der Symbiose zwischen christlichem Glauben und Kultur verdeckt die kritische Kraft, die der christliche Glaube in die Deutung und Weiterentwicklung der Kultur einbringt." M.E. ist der Kulturprotestantismus aber weniger daran gescheitert, dass er versuchte, sich in die Kultur des Bildungsbürgertums einzufügen, als vielmehr daran, dass er die Kultur des Bildungsbürgertums in einer ganz bestimmten Weise prägen wollte und dabei die avancierte Kultur jener Zeit, die wir heute z.B. in den Museen betrachten, einfach ignoriert hat. Wäre der Kulturprotestantismus wirklich auf der Höhe der Kultur seiner Zeit gewesen, d.h. wäre er geistesgegenwärtig gewesen, wäre er vielleicht auch nicht gescheitert. Was die Theologen jener Zeit kulturell wirklich interessiert hat, kann man einem weit verbreiteten Lehrbuch der Praktischen Theologie vom Ende des 19. Jahrhunderts entnehmen. Dort schreibt der Theologe Achelis, daß der Zweck der Beschäftigung mit Kunst "kein anderer sein darf, als die Erbauung der Gemeinde im Sinne Christi selbst, und dieser Zweck allein gibt auch die Bestimmung über den Gegenstand der Kunstdarstellung, über Art und Ausdehnung der Verwertung." Und er fährt fort: "Für die Verwendung der Malerei gelten folgende Grundsätze: 1. es sind nur Bilder mit evangelisch-kirchlichen Motiven und in künstlerisch unanstößiger Ausführung zu dulden ... 2. sind nur solche Motive zu verwerten, welche der Gemeinde verständlich sind und in allen Gottesdiensten der Gemeinde zur Sammlung und zur Erbauung dienen. Damit sind vom kirchlichen Gebrauch ausgeschlossen zunächst alle Landschaftsbilder." Denn, so begründet er seinen Kriterienkatalog, "die Gemeinde ... sucht normalerweise an den Bildern nicht Kunstgenuß und Erweiterung ihres Kunstverständnisses, sie sucht lediglich eine religiöse Wirkung der ihr längst bekannten Werke."(5) Und man kann mit Blick auf Letzteres nicht einmal sagen, dass Achelis Unrecht hat. Denn was wir so präzise beschrieben finden, ist die gängige Haltung auch heutiger Gemeinden zur Bildenden Kunst, es ist zugleich aber eine geistige Bankrotterklärung im Verhältnis zur Kultur. Hinwendung zur Kultur ja, aber nur insofern diese sich in die bekannten religiösen Vorstellungen einfügt oder ihnen wenigstens nicht widerspricht. Das Kulturpapier der Evangelische Kirche in Deutschland tut wenig, um dem Mißverständnis vorzubeugen, dass es eine ähnliche Position bei der Verhältnisbestimmung von Kultur und Glaube vertritt. Als nächstes verwirft das Kulturpapier die Position der dialektischen Theologie: "Im Widerspruch gegen diese Anpassung des Glaubens an die Kultur wurde die Trennung zwischen beiden Größen proklamiert. Der Kern des Glaubens besteht für eine solche Betrachtungsweise darin, daß er sich der Wirklichkeit Gottes zuwendet, die der Wirklichkeit der Welt unendlich überlegen ist. Deshalb zeichne sich die Botschaft der Kirche durch eine unverrechenbare Fremdheit gegenüber den kulturellen Ausdrucksformen der jeweiligen Gegenwart aus ... Die Trennung zwischen Glaube und Kultur schließlich ist schon deshalb unzureichend, weil der christliche Glaube selbst, wann immer er geschichtlich wirksam wird, kulturelle Gestalt annimmt." Letzteres hat ja nun auch niemand bestritten. Worum es aber im Kern geht, ist, im Interesse beider Bereiche - der Kultur und des Glaubens -, keine vorschnellen Verbindungen zu konstatieren, sondern ihre je besondere Eigenart anzuerkennen. Es gilt sich von jeder Idolatrisierung der Kultur fernzuhalten, ohne jedoch das Spezifisch Menschliche und Besondere an ihr zu verwerfen. Gerade in dieser Eigenart kann man dann aus der Perspektive theologischer Deutung etwas Bedeutsames erkennen. Hier befindet sich die dialektische Theologie in absoluter Übereinstimmung mit dem kulturellen Selbstverständnis der Moderne. Es ist müßig, an dieser Stelle schon wieder Karl Barths Äußerungen zur Kunst anführen zu müssen, aber das Nicht-Verstehen-Wollen bzw. die Hermeneutik des Mißverständnisses, die derartige Abqualifizierungen der Position der dialektischen Theologie zur Kultur weiterhin auszeichnet, zwingt dazu.(6) Kunstwerke schaffen heißt nach Barth, besondere Werke zu schaffen, Werke, die sich durch ihre Differenz zu allen anderen Bereichen menschlichen Lebens auszeichnen. Das Werk des Künstlers steht "neben den lebensnotwendigen Werken der eigentlichen Arbeit, neben der Wissenschaft, neben Kirche und Staat". Gerade der absolute Spielcharakter der Kunst ist theologisch relevant: "Kunst bezieht sich als reines Spiel auf Erlösung", sie ist nur eschatologisch zu verstehen(7). In der Kunst wird nach Karl Barth, "die Problematik der Gegenwart gerade darum und darin ernstgenommen, daß sie in ihrer Beschränktheit eingesehen, daß sie in der Aisthesis grundsätzlich überboten wird ... Das Wort und Gebot Gottes fordert Kunst".(8) Auch wenn die Kultur unter dem eschatologischen Vorbehalt steht, nur begrenztes Menschenwerk zu sein, so ist sie dennoch "die dem Menschen ursprünglich gegebene Verheißung dessen, was er werden soll"(9). Von Beziehungslosigkeit zwischen Kultur und Glaube kann bei dieser Position keine Rede sein. Wer mehr will, wer also über die Anerkenntnis der Kultur als Freiraum menschlicher Aktivität hinausgehen will und substantielle und nicht nur kontingente oder zeitgeschichtliche Verbindungen von Glaube und Kultur behauptet, muß diese auch aufweisen können, d.h. er muß über bloße Analogien oder Ähnlichkeiten in den Erfahrungsformen hinaus Zusammenhänge belegen. Bevor es sich einzelnen kulturellen Sparten zuwendet, proklamiert das Kulturpapier den goldenen Mittelweg, also jenen Königsweg aller Institutionen, welcher regelmäßig in der Abweisung der Extreme besteht (als ob die Wahrheit nicht auch einmal extrem und randständig sein könnte): "Eine zureichende Verhältnisbestimmung von Glaube und Kultur kann nur gelingen, wenn beide zwar voneinander unterschieden, gerade deshalb aber auch in ihrer Verbundenheit gesehen werden. Denn nur so kann eine Verhältnisbestimmung jenseits der fatalen Alternative von Beziehungslosigkeit und bloßer Bestätigung, von Trennung und Anpassung gefunden werden." Die dabei gebrauchte Formulierung des Papiers stellt schon etwas Besonderes dar: unterschieden, gerade deshalb aber auch verbunden. Hegel hätte es nicht besser sagen können. Der ferne Anklang an die berühmte paradoxe Formulierung der Chalcedonense (unvermischt und ungetrennt!) hat natürlich seinen eigenen Reiz. In derartigen Formulierungen beweisen Theologen ihre Stärke. In der Vorlage, auf die sich das Papier bezieht, ohne sie beim Namen zu nennen, klang das noch anders. Dort heißt es: So "ist zu zeigen, wie ästhetische und religiöse Erfahrungen zustandekommen, wie sie sich bilden, was sie rein als solche spezifische ausmacht, wie ästhetische und religiöse Erfahrung miteinander verbunden sind, wodurch sie sich voneinander unterscheiden, wie sie am Aufbau dessen beteiligt sind, was als ein 'Kunstwerk' oder als das 'Heilige' angesehen werden kann."(10) Aber soviel Differenzierungen kann und will das Papier kaum leisten. Was eigentlich erst zu zeigen ist, wird im Kulturpapier bereits im Voraus gesetzt. Was aber macht die Verfasser des Kulturpapiers eigentlich so sicher, daß in der Kultur die einzelnen differenten Bereiche wirklich noch so miteinander verbunden sind, daß sie aufeinander bezogen werden können? Gegenüber den verführerischen Bildern eines gesamtkulturell funktionierenden Zusammenhangs ließen sich ja alternativ andere Bilder beschreiben, wie etwa das des (torkelnden) Polypen, das Clifford Geertz für kulturelle Zusammenhänge gebraucht hat: "Das angemessene Bild einer kulturellen Organisation kann, sofern überhaupt eines nötig ist, weder das eines Spinnennetzes noch das eines Sandhaufens sein. Vielleicht könnte man sie mit einem Polypen vergleichen, dessen Arme weitgehend eigenständig funktionieren, untereinander und mit dem, was beim Polypen als Gehirn gilt, nervenmäßig nur wenig verbunden sind, und der es dennoch zuwege bringt, als lebensfähiges, wenn auch recht ungeschicktes Wesen zurechtzukommen und sich - zumindest für eine Weile - zu erhalten."(11) Wenn dieses Bild zutrifft - mir jedenfalls erscheint es plausibel -, dann fängt es auch die immer wieder zu machende Erfahrung ein, daß auf der Ebene der kulturellen Selbstorganisation die Polypenarme "Religion" und "Kunst" derartig different reagieren, daß kaum noch Verbindungslinien wahrzunehmen sind und dass sich auch die Subjekte empirisch nach ihren Vorlieben für die verschiedenen "Polypenarme" unterscheiden lassen.(12) Mit dem bisher Zitierten sind wir immer noch im allgemeinen Teil des Kulturpapiers. Nun aber wird es konkret. Nach den kulturellen Begegnungsfeldern "Religion" und "Gedenkkultur" widmet sich das Papier dem Begegnungsfeld Kunst: "Kunst und Religion gehören ursprünglich eng zusammen. Beide drücken auf ihre Weise aus, was uns unbedingt angeht, die existentielle Betroffenheit durch eine letztgültige Wirklichkeit. Beide benötigen Symbole als Zeichen, die im Anschaulichen das Unanschauliche darstellen. Die Geschichte von Kunst und Religion ist Beleg für ihre Nähe. In der vormodernen Gesellschaft war die Verbindung von Kunst und Religiosität, Kunst und Kult, Kunst und Kirche unübersehbar und mit Händen zu greifen. Tanz und Bewegung, Literatur in Lyrik und Epik, bildende Kunst in Plastik und Malerei und vor allem Musik standen für sehr lange Zeiten - das ganze Mittelalter hindurch - im Dienst der Religion, d.h. des katholischen Glaubens. Die Künste sahen ihre Aufgabe in der Aneignung und Interpretation der christlichen Überlieferung; erst mit Renaissance, Reformation und Aufklärung setzte ihre Verselbständigung gegenüber der offiziellen Religion ein." Da wird einem richtig schummrig: was uns unbedingt angeht, die existentielle Betroffenheit durch eine letztgültige Wirklichkeit, ausgedrückt von der Kunst - da bin ich nun wirklich betroffen. Man könnte sich natürlich an Georg Simmel erinnert fühlen, würde dieser nicht gerade mit denselben Worten die Differenz von Kunst und Religion beschreiben: "An und für sich haben Religion und Kunst nichts miteinander zu tun, ja sie können sich in ihrer Vollendung sozusagen nicht berühren, nicht ineinander übergreifen, weil eine jede schon für sich, in ihrer besonderen Sprache, das ganze Sein ausdrückt."(13) Aber so etwas paßt nicht ins Konzept. Die weitere Beschreibung ist etwas blauäugig. Sie ist fragwürdig nicht nur im Blick auf den beschriebenen Vorgang der Säkularisierung,(14) sondern auch im Blick auf das Verhältnis von Kunst und Religion, wie es in die Vergangenheit projiziert wird. Denn schließlich ist es doch mehr als komisch, wenn der Protestantismus, der selbst mit guten Gründen zur Differenzierung von Kunst und Religion beigetragen hat, nun die paradiesischen katholischen Zeiten beschwört. Wie heißt es so schön: Die Geschichte von Kunst und Religion ist Beleg für ihre Nähe. In der vormodernen Gesellschaft war die Verbindung von Kunst und Religiosität, Kunst und Kult, Kunst und Kirche unübersehbar und mit Händen zu greifen. Warum, so muß man sich doch unwillkürlich fragen, hat dann der Protestantismus - und hier nicht nur der calvinistische Flügel der Reformation - damit Schluß gemacht? War das ein Willkürakt oder gab es dafür Gründe? Das ist nun wirklich ein protestantischer Offenbarungseid. Aber auch fachlich ist es natürlich Unsinn. Vormodern hat es "die Kunst", wie Hans Belting überzeugend nachgewiesen hat, überhaupt nicht gegeben. Präziser wäre da schon die Rede von Bildern bzw. Kultbildern.(15) Aber wer hat schon ein Interesse an Differenzierungen? Kirche und Kunst sind heute ausdifferenziert als eigenständige Systeme darstellenden Handelns. Im Themenkatalog moderner Kunst ist die christliche Überlieferung ein Strukturelement neben anderen. Daß sich die Kunst seit Beginn der Moderne zunehmend weniger als Magd der Kirche und als Instrument der Selbstauslegung christlicher Tradition versteht, rechtfertigt aber keineswegs die Behauptung vom endgültigen Auseinandertreten von Kunst und Religion. Sie erweist sich vielmehr als ein ideologisch besetztes Vorurteil. Das ist wirklich schon dreist. Ich weiß nicht, wen derartige Formulierungen blenden sollen.(16) Aber vielleicht erklärt es mir ja jemand: Kirche und Kunst sind heute ausdifferenziert als eigenständige Systeme darstellenden Handelns - [das] rechtfertigt aber keineswegs die Behauptung vom endgültigen Auseinandertreten von Kunst und Religion. Was soll denn das Wort "ausdifferenziert" anderes meinen, wenn nicht das "Auseinandertreten von Kunst und Religion"? In meinem Duden wird differenzieren immer noch als "trennen" beschrieben, und was mag dann wohl "ausdifferenzieren" meinen? Ob dies "endgültig" ist, weiß natürlich niemand - vor dem Rückfall in Barbarei ist man nie geschützt.(17) Aber hier muß das Papier schon Position beziehen, nämlich klarstellen, wie es sich zu den Differenzierungsprozessen der Moderne - die der Protestantismus ja mit initiiert, zumindest aber gefördert hat - verhält. Ich hoffe jedenfalls, dass die Evangelische Kirche dieses "ideologisch besetzte Vorurteil" mit mir teilt. Wenn nicht, hat sie von dem, was die autonomen Bereiche der Kultur vom Verhältnis von Religion und Kultur denken, keine Ahnung, sie erwiese sich dann als das, was die Kultur so und so von ihr denkt: als ewig gestrig. Die Autonomie der Kunst - darum geht es schließlich - hat elementar etwas mit Freiheit zu tun. Es geht m.a.W. darum, ob man bereit ist, die von der Kunst erkämpfte Freiheit der Kunst anzuerkennen. Nicht als ob davon etwas für die Kunst abhängen würde, aber für das Selbstverständnis der Kirche ist diese Anerkenntnis wichtig. Tatsächlich gibt es Indizien, die es nahelegen, die ganze Passage als reaktionäre zu lesen. Was meint etwa die Beschreibung der Kunst als "darstellendes Handeln"? Darstellungsästhetik ist schon lange kein Thema mehr in der Kunst. Und was meint der merkwürde Satz "Im Themenkatalog moderner Kunst ist die christliche Überlieferung ein Strukturelement neben anderen"? Hier stimmt so gut wie nichts mehr. Was sind das denn für Begriffe: Themenkatalog? Strukturelement? Einmal angenommen, es gäbe tatsächlich so etwas wie einem Themenkatalog in der Kunst (faktisch gibt es ihn nur kunstwissenschaftlich a posteriori), dann läge der Anteil religiöser Themen im 20. Jahrhundert unter 5%. Gäbe es also eine 5%-Klausel in der Kunst, stände die Religion außen vor. Und selbst bei diesen 5% gilt, dass hier nicht mehr Menschen, Landschaften, Dinge mit Farben, Flächen und Linien gebildet werden, sondern Farben, Flächen und Linien, anhand von Menschen, Landschaften und Dingen in der Fläche organisiert werden.(18) Nach der inhaltlichen Beschreibung der Kunst (Themenkatalog), die einen funktionierenden Werkbegriff voraussetzt, leitet das Papier dann über auf das konkurrierende Modell der ästhetischen Erfahrung.(19) "Unter den Bedingungen der Moderne erweist sich die Nähe von Kunst und Religion darin, daß sie in unterschiedlicher Form an die individuelle Erfahrung gebunden sind und auf sie verweisen." Diese These ist zumindestens problematisch. Dass Kunst an individuelle Erfahrung gebunden sind, ist unbestreitbar, dass sich dadurch ihre Nähe zur Religion und nicht nur eine Gemeinsamkeit mit dieser erweist, ist damit aber noch nicht belegt. In Wilhelm Gräbs Thesen zum Verhältnis von religiöser und ästhetischer Erfahrung heißt es: "In ästhetischer Erfahrung kommt dem Individuum die Welt endlich entgegen. In religiöser Erfahrung weiß es sich unendlich von ihr unterschieden."(20) Das sollte man m.E. so stehen lassen und daraus nicht eine Nähe von Kunst und Religion konstruieren, die doch von den verschiedenen Theologen und Philosophen in der Geschichte der Ästhetik höchst kontrovers beurteilt wird.(21) John Dewey hat in seinem Klassiker "Kunst als Erfahrung" auf ein weiteres Problem aufmerksam gemacht, nämlich auf die Neigung, bei der Beschreibung ästhetischer Erfahrung auf religiöse Begriffe zurückzugreifen. Er behandelt dies unter der Rubrik Kategorienverwechslung bzw. Verwirrung der Werte: "Kritiker ebenso wie Theoretiker sind der Versuchung ausgesetzt, das spezifisch Ästhetische in Begriffe irgend einer anderen Art von Erfahrung zu übersetzen ... Das Kunstwerk wird behandelt, als ob es eine Neuausgabe von Werten wäre, die schon auf anderen Gebieten der Erfahrung kursieren ... Es kann zum Beispiel kein Zweifel darüber herrschen, daß religiöse Werte einen fast unvergleichbaren Einfluß auf die Kunst ausgeübt haben ... Aber dieser Umstand für sich genommen sagt uns nichts über die spezifisch ästhetischen Werte. Byzantinische, russische, gotische und frühe italienische Gemälde sind alle in gleicher Weise 'religiös'. Aber ästhetisch hat jedes seinen eigenen Wert. Zweifellos sind die verschiedenen Formen mit der Verschiedenheit religiösen Denkens und seiner Praxis verknüpft. Aber ästhetisch gesehen ist der Einfluß des Mosaiks ein treffenderes Thema."(22) Letztlich impliziert das, dass im Kulturpapier zur Kunst gar nicht Stellung bezogen wird, sondern im Kunstwerk nur das Eigene - die Religion - thematisiert wird. Diese aber bildet allenfalls das außerästhetische Substrat. "Die religiöse Deutung ... liegt ja nicht schon im Werk selber beschlossen. Die ästhetische Erfahrung, die es auslöst, ist genuin die Suche nach einem Allgemeinen der Bedeutung, nach einem Begriff, der zum Verstehen des Kunstwerks erforderlich scheint, der aber gerade nicht greifbar ist, sondern in der Reflexionsbewegung ästhetischer Erfahrung, die zwischen sinnlicher Wahrnehmung und ideeller Einbildung spielt, immer wieder entgleitet. Jede Deutung dieser Erfahrung, die über das rein Ästhetische des Gefallens am glückenden Zusammenspiel hinausgeht, macht von Konnotationen Gebrauch, die anderen Diskursuniversen entstammen: politischen, moralischen, religiösen."(23) So ist es und so hätte man es gerne im Kulturpapier auch gelesen. Nach der Erörterung der einzelnen kulturellen Begegnungsfelder wendet sich das Kulturpapier der EKD abschließend noch einmal allgemein der Kultur zu. Danach geht es perspektivisch darum, 1. die kulturelle Gestalt des Glaubens zu pflegen, 2. die Entwicklung der Kultur kritisch zu begleiten und 3. die Kultur zu prägen. Insbesondere letzteres scheint mir aber gerade in der pluralen Verfaßtheit der Gegenwart höchst problematisch zu sein. Als Aufgabe der Kirchen beschreibt das Papier: "Christliche Kirchen tragen eine bleibende Verantwortung für die Prägung unserer Kultur. Ihr Kulturbeitrag erschöpft sich nicht in der christlichen Prägung, die aus der Vergangenheit in unsere Gegenwart hineinragt. Zu diesem Kulturbeitrag gehört vielmehr auch die bewußte Mitgestaltung der eigenen kulturellen Gegenwart und die Mitverantwortung für deren voraussehbare Zukunftswirkungen." Die Ambivalenz, die diese Worte kennzeichnen, ist mehr als deutlich. Niemand hat etwas gegen einen Kulturbeitrag der Kirchen, niemand protestiert gegen die bewußte Mitgestaltung und die Mitverantwortung. Das ist ein notwendiger Beitrag zum Gelingen einer Kultur in der postmodernen Gesellschaft. Problematischer wird es schon, wenn das Wort "Prägung" Verwendung findet. prägen "Münzen schlagen; einpressen; formen; bilden": Mhd. præchen. bræchen ,,einpressen, abbilden", ahd. [gi]prahhan ,,mit dem Grabstichel arbeiten, gravieren, einpressen", aengl. abracian ,,einritzen, gravieren" gehören vermutlich im Sinne von ,,aufbrechen. aufreißen" zu der Wortgruppe von brechen. Was immer die Verfasser bewogen haben mag, ausgerechnet dieses Wort zu wählen, das damit Bezeichnete geht klar an der Sache vorbei, es desavouiert alles, was vorher gesagt wurde. Die latente Gewalt der verwendeten Sprache ist mehr als entlarvend. Sie verrät den Wunsch, jenen Einfluß wieder zu erringen, den das Christentum einmal gehabt hat und der aus guten Gründen in der Moderne einer pluralen Form der Kultur gewichen ist. Die Kultur ist keine Münze, der eine christliche Gestalt aufgeprägt werden muß. Die Kultur bedarf der Gestaltung, aber nicht durch die Kirchen, sondern vor allem durch den einzelnen Christen, der mit seinen kulturellen, moralischen, politischen Überzeugungen das Erscheinungsbild einer Gesellschaft mit gestaltet. Anmerkungen
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