50 Jahre danach: Kunst und Kirche |
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ZeitläufteKunst und Kirche vor 50 JahrenAndreas Mertin Dieses Heft 71 des Magazins für Kunst, Kultur, Theologie und Ästhetik schreitet einen Zeitraum von etwa 25 Jahren ab, ein Vierteljahrhundert, von dem man sagen kann, dass in ihm die Öffnung der Kirche zur modernen Kunst überhaupt erst wirklich ermöglicht wurde, und dass andererseits immer noch nicht mit seinen Ideen wirklich umgesetzt ist, so dass es der Einlösung seiner Versprechungen von einem offenen Verhältnis zur umgebenden Kultur harrt. Nicht zuletzt im Erschrecken darüber, was Theologen im Faschismus zur Unterstützung des ideologischen Überbaus und zur Stärkung des nazistischen Systems getan haben, versuchten jüngere Theologen in dieser Zeit, neue Paradigmen der Begegnung von Kunst und Kultur auszuarbeiten. Denn man kann den engeren Aufbruch zwischen 1957 und 1963 nur verstehen, wenn man sich der Gefahr bewusst wird, die damals bestand: dass nämlich die restaurativen Tendenzen zur Beschreibung der Verhältnisse auch im Bereich von Kunst und Kirche Bestand haben bzw. erneut Raum greifen sollten. Schon 1945 polemisierte Theodor W. Adorno in seinem Aufsatz „Art and Religion today“ gegen derartige restaurative Tendenzen: „Hence there is reason for the suspicion that wherever the battle cry is raised that art should go back to its religious sources there also prevails the wish that art should exercise a disciplinary, repressive function.“[1] 1948 erschien dann Hans Sedlmayrs programmatisches Buch „Verlust der Mitte“[2], in dem der Zerfall der modernen Gesellschaft und der angebliche Zerfall der modernen Kunst auf den (gesellschaftlichen) Verlust des Gottesglaubens zurückgeführt wurde. Es geht um eine Mitte, für die man sich entscheiden muss. Der erzkatholische Sedlymayr[3] hatte dabei Geistesverwandte im Bereich der evangelischen Kirche, wie etwa den Lutheraner Leo Fremgen,[4] der in seiner Dissertation Anfang der 40er-Jahre Ähnliches vertreten hatte (vgl. dazu den Text „Gott oder Satan? Kunst-Diskurse vor 1950“ in diesem Heft). Sedlmayrs Gedankengut hat bis heute in bestimmten Kreisen nicht an Attraktivität verloren; seine enge Verbindung zum Nationalsozialismus spielt dagegen inzwischen kaum eine Rolle mehr. Gegenüber dieser restaurativen Tendenz einer Verklärung eines an Gott orientierten Mittelalters und der Verdammung einer gottverlorenen Moderne versuchten dann Theologen beider Konfessionen seit den 50er-Jahren alternative Modelle zu entwickeln, die in der Wahrnehmung der säkularen Kultur der Gegenwart und damit in der Zuwendung zur Profanität eine positive theologische Herausforderung sahen. 20 Jahre nach Sedlmayrs „Verlust der Mitte“ konnte dann zum ersten Mal die „Autonome Kunst im Raum der Kirche“ positiv gewürdigt werden. Zugleich machten die jüngeren Kunstgeschichtler in dieser Zeit der Theologie aber auch deutlich, dass sie nicht mehr gewillt waren, als Erfüllungsgehilfen theologischer Bedeutungsphantasien („Kunst ist Ausdruck von Religion“) zu dienen. Wenn überhaupt, dann sei das eine vergangene Epoche. Sie sprachen konsequent und realistisch über Das Ende der Gottesgeschichte im Bild und ergänzten spöttisch, ob man nicht ehrlicherweise die Worte im Bild aus diesem Titel streichen müsse (Wolfgang Schöne).[5] Diese 25 Jahre zwischen 1943 und 1968 skizzieren vielleicht aber auch grundsätzlich die Deutungsmöglichkeiten der Theologie und der Kirche im Blick auf die zeitgenössische Kunst. Sie sind sozusagen ein geistesgeschichtliches Biotop der unterschiedlichen christlichen Lebensformen im Blick auf die kulturelle Umwelt. Nicht zuletzt aus diesem Grunde setzen sich die Aufsätze des Magazins mit dieser Zeit auseinander. Mit dem Hier und Jetzt hat das Ganze insofern zu tun, als dass anders als noch vor 10 bis 15 Jahren gedacht die restaurativen Kräfte im Verbund mit den technokratischen Kräften in der Kirche wieder die Oberhand gewonnen haben. Dass die Kirche bzw. die Religion die Kultur prägen müsse, steht eben nicht nur in den Schriften von Leo Fremgen (1942) und Hans Sedlmayr (1948), sondern auch in der Kulturdenkschrift der EKD[6] und in entsprechenden Verlautbarungen des früheren „Chefhistorikers des Vatikan“ Kardinal Walter Brandmüller.[7] Sie alle fordern die Durchsetzung einer größeren Bedeutung der Religion in der Kunst, ja eine Grundierung der Kunst durch die Religion bei gleichzeitiger Kritik ihrer aktuellen Verfasstheit: „Absage an den Inhalt, den Gegenstand, macht die Kunst eo ipso kirchen- und kultunfähig. Die Loslösung aus der Bindung an die Schöpfung und ihre Ordnung nimmt dem Kunstwerk seine allgemeine Verständlichkeit und seine Verbindlichkeit … Es dürfte kaum möglich sein, für eine Kunst, die sich erklärtermaßen von Schöpfer und Schöpfungsordnung emanzipiert und sich zwecks Darstellung der künstlerischen Individualität einem von Inhalten entleerten Formalismus verschrieben und dazu noch auf Schönheit verzichtet hat, einen Platz in der Kirche zu finden.“[8] Aber wer in diesem Falle A sagt, muss notwendig auch B sagen: Wenn es eine in Gott gegründete (oder sagen wir noch zugespitzter: eine gottbegnadete[9]) Kunst gibt, die nicht zugleich alle Kunst meint, dann ergibt sich wie von selbst auch eine zu verwerfende gottferne oder sogar eine satanische Kunst, die sich Gott widersetzt. Leo Fremgen jedenfalls konnte ohne Probleme von der „Kunst als gloria dei oder pompa diaboli“ sprechen und wusste auch präzise, welche Werke er darunter zu fassen hatte.[10] Von hier aus ist es dann nicht mehr weit zur „entarteten Kunst“, ein Begriff, der in der christlichen Kunstdeutung Anfang des 20. Jahrhunderts häufig anzutreffen war. Blickt man auf die theologische Fachliteratur der Zeit nach 1940, kann man vielleicht folgende Texte als einflussreiche bzw. zu erörternde Texte benennen:
Die ersten Texte werden hier benannt, weil sie den Hintergrund für das nachfolgende Geschehen bilden. Wir haben in unserer Beschreibung die Zeit vor 1950 zwar weitgehend ausgespart, aber nicht, weil wir davor zurückgescheut wären, sondern weil wir dieser Zeit eine eigene Ausgabe des Magazins widmen wollen. Was vor exakt 75 Jahren in Sachen Kunst mit Hilfe der Evangelischen Kirche in Deutschland geschah, muss noch einmal deutlich und besonders in Bewusstsein gerufen werden. Hans Prolingheuers leider inzwischen vergriffene Studie „Hitlers fromme Bilderstürmer“[11] sollte zur Pflichtlektüre eines jeden gehören, der sich mit dem Thema Kunst und Kirche beschäftigt. Hingewiesen werden sollte aber auch darauf, dass Heinrich Lützelers Buch „Die christliche Kunst des Abendlandes“[12] zeigt, dass es selbstverständlich Handlungs- und Positionsalternativen gegenüber dem Mitschwimmen im nationalsozialistischen Strom gab (vgl. dazu den Text „Epos oder Tragödie? Kunst-Diskurse vor 1950. Teil II“ in diesem Heft). Was aber auffällig ist, ist der Umstand, wie stark der deutende Diskurs über Bildende Kunst in der Zeit vor 1950 noch von religiösen Begrifflichkeiten geprägt war: „Bei dem ersten 'Darmstädter Gespräch' im Sommer 1950 saßen die Hunderte der Zuhörer in der Julihitze wie bei einem Religionsgespräch“[13] kann Sedlmayr schreiben. Aber eben auch in der Sache geht es lange Zeit darum, ob und inwiefern Gott oder der Mensch im Zentrum der Kunst zu stehen habe, eine Frage, die in der Gegenwart außer in ghettoisierten Kirchenkreisen auf befremdetes Entsetzen stoßen dürfte. Noch im Jahr 1967 widmet Heinrich Lützeler in seinem kunsthistorischen Buch über die abstrakte Malerei einen ganzen Abschnitt der Gottesfrage.[14] Offensichtlich konnte die Säkularisierung der Kunstbetrachtung nur sehr mühsam und langsam gegen viel Widerstände durchgeführt werden. Der AufbruchEin besonderer Punkt ist unabhängig von den Ereignissen in Deutschland der dramatische Aufbruch, der parallel dazu in Frankreich stattgefunden hat[15] und der Rückwirkungen auf die Entwicklung in Deutschland hatte, weil er die deutschen Theologen, die sich in der Folge mit Bildender Kunst beschäftigten, außerordentlich beeindruckte. Dass glaubenslose Künstler, wie es damals hieß, ganz augenscheinlich die bessere „christliche Kunst“ schaffen konnten als die dem Christentum verbundenen (vgl. dazu den Text „'Christliche Möglichkeiten glaubensloser Künstler'. Das französische Reformprojekt“ in diesem Heft), hatte Folgen auch für die theologische Diskussion in Deutschland. Während sich der katholische Aufbruch in Frankreich aber letztlich nicht von der letztlich religiösen Fragestellungen des zum Ausdruck kommenden Glaubens löste, entwickelten sich Ende der 50er-Jahre im deutschsprachigen Raum dann etwas, was man exzentrische Modelle nennen könnte. Es war eine reformierte Stimme, die 1958 in der Zeitschrift Evangelische Theologie einen grundsätzlichen Wandel in der Reflexion des Verhältnisses von Kunst und Kirche einläutete und dies auch rückwirkend geltend machte:
Grundsätzlich hinfällig und theologisch irrelevant - deutlicher kann man es kaum sagen. Damit war im Grund alles hinfällig, was bis dato zur christlichen Kunst und zum Verhältnis von Kunst und Religion gesagt worden war (vgl. dazu den Text „Befreiung der Künste zur Profanität“ in diesem Heft). Eigentlich hätte man danach die Geschichte von Christentum und Kunst bzw. Kunst und Kirche von Grund auf neu schreiben müssen. Leider ist das nicht geschehen, weil man von der Radikalität des Ansatzes zurückschreckte und dann lieber doch subtile Beziehungskonstellationen von zeitgenössischer Kunst wie z.B. dem Expressionismus und dem Protestrantismus beschrieb (vgl. dazu den Text „Expressionismus als religiöser Stil? Paul Tillich und die Bildende Kunst“ in diesem Heft). Parallel dazu trennten sich aber auch, wie oben bereits erwähnt, die Kunsthistoriker von einem Modell einer weiterhin gültigen, quasi nur vorübergehend gestörten Beziehung von Kunst und Kirche und sprachen von Ende der christlichen Kunstgeschichte (vgl. dazu den Text „Das Ende der Gottesgeschichte im Bild?“ in diesem Heft). Auch geistesgeschichtlich war damit die Fiktion einer innigen Beziehung von Kunst und Kirche nicht mehr aufrechtzuerhalten. Hans Eckehard Bahr hat dann die erste ‚moderne’ monographische Arbeit zur theologischen Deutung der Kunst vorgelegt. Seine Lösung bestand darin, der Kunst eine aufklärende Funktion im Blick auf die Wirklichkeit zuzuweisen, ein Modell, das bis heute in der Diskussion an Attraktivität nicht verloren hat. Allerdings sind bei Bahr noch deutlich normative Züge gegenüber der Kunst wahrnehmbar. (Vgl. dazu den Text „Kunst als Entlarvung der Wirklichkeit“ in diesem Heft). Parallel finden wir bei dem katholischen Publizisten Karl Ledergerber eine dezidierte Absage an die sakrale Kunst, die es immerhin seinerzeit bis auf die Seiten des Nachrichtenmagazins DER SPIEGEL gebracht hat: „In seinem jüngst im kirchenreichen Köln erschienenen Buch ‚Kunst und Religion in der Verwandlung’ hat er die Geschichte der sakralen und der religiösen Kunst untersucht und ist dabei zu der Ansicht gekommen, daß die meisten Bemühungen, sakrale Kunst und Architektur in zeitgemäßen Formen zu bieten, unangebracht und verfehlt seien. Ledergerbers Hauptthese: Die sogenannte moderne christliche Kunst einschließlich des modernen Kirchenbaus ist größtenteils Produkt eines Mißverständnisses.“[17] (Vgl. dazu den Text „Abschied vom Sakralen“ in diesem Heft). Horst Schwebel schließlich bündelte die Debatte über Kunst und Kirche in den 50er- und 60er-Jahren und schloss sie in einem gewissen Sinne ab wenn auch die Diskussionen de facto nie zu Ende waren. Er konnte zeigen, dass selbst die bis dato am rigidesten aus der theologischen Kunsttheorie ausgeschlossenen Kunstbewegungen theologisch adaptierbar waren (vgl. dazu den Text „Autonome Kunst im Raum der Kirche“ in diesem Heft). Damit hatte sich die Kirche zumindest theoretisch der autonomen Kunst der Gegenwart geöffnet. Wenn man heute auf die Debatten dieser Zeit blickt, verwundern einen zunächst die starken religiösen Vorgaben. Man hat das Gefühl, um Welten von diesen Debatten entfernt zu sein. Niemand kann heute ernsthaft eine Debatte darüber führen, inwiefern Gott die Mitte der Kunst sein müsse er würde sich lächerlich machen. Zugleich zeigt der Blick in diese Zeit, dass sie in den Problemlösungsansätzen (Befreiung zur Profanität) wesentlich weiter und vor allem programmatisch weiter war als die aktuelle Zeit. Während heute sich die Theologen um die Rechtfertigung eines religiösen Bildgebrauchs im Sinne der Orthopraxis des Christentums sorgen, konnte man sich damals vorbehaltlos der Kunst der Gegenwart öffnen. Es wird Zeit, diese Offenheit wieder zurück zu gewinnen. Anmerkungen
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Artikelnachweis: https://www.theomag.de/71/am344.htm
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