Kult(ur)ort Padua
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Kult(ur)ort PaduaEine Reise zu ‚heiligen Stätten‘ von Religion und KunstAndreas Mertin Gliederung Warum ausgerechnet Padua?Wenn man heute unter touristischen, kulturgeschichtlichen oder religiösen Aspekten nach Italien blickt, fallen einem vor allem Rom, Mailand, Venedig oder Florenz ein, alles Städte mit 10 bis 5 Millionen Besucher:innen pro Jahr. Dagegen fällt eine Universitätsstadt wie Padua natürlich ab, touristisch ist sie seit über 100 Jahren eher ein Zwischenstopp. Schon der junge Walter Benjamin kürzte Anfang des 20. Jahrhunderts seinen Besuch ab, weil er meinte, nach vier Stunden alles gesehen zu haben. Dabei kann Padua mit guten Gründen als Geburtsort der Moderne begriffen werden, hier sind schon früh Frauen gleichberechtigt zum Studium zugelassen, hier erhält die erste Frau einen Doktortitel, hier kann Giotto schon vor über 700 Jahren jene Idee von der Eigenständigkeit des Kunstwerks entwerfen, die dann über Jahrhunderte nach und nach zum Tragen kommt. Padua, so hat es der frühere Bundespräsident Roman Herzog 1997 gesagt, kann „in gewisser Weise als ein europäischer Ort par excellence beschrieben werden“. Aber das ist er nicht im öffentlichen europäischen oder deutschen Bewusstsein. Während das im Wasser und im Touristenstrom versinkende Venedig im Positiven wie im Negativen vollste Aufmerksamkeit genießt, ist das bei Padua nicht der Fall. Dabei erlebt man hier wirklich vitales studentisches Leben und kann zugleich in aller Ruhe(!) Weltkulturerbe studieren. Jacob Burckhardt hat in seinem „Cicerone“ und seiner „Kultur der Renaissance in Italien“ Padua und seinen Errungenschaften große Aufmerksamkeit gewidmet. Es lohnt sich auch heute noch, seinen Ausführungen zu folgen. Zur Bedeutung von Padua greift Burckhardt mit einem gewissen Augenzwinkern auch auf ökonomische und aufmerksamkeitsökonomische Kategorien zurück:
Padua ist also zumindest für Juristen und Mediziner eine lohnende Universitätsstadt, für Vertreter anderer Disziplinen zumindest der Ort, wo man seine Thesen und Erkenntnisse einem aufmerksamen Publikum vortragen und sich einen Namen machen kann. Aber es ist nicht nur die Universität, die Padua so interessant macht, es ist vor allem die unentwirrbare Vermischung von Kultur und Religion. Padua ist bis in den letzten Winkel durchdrungen vom Geist des/der Heiligen.
Ja so ist das, wenn man nachts durch Padua geht. Michele Savonarola (1384-1464), der Großvater des Predigers Girolamo Savonarola (1452-1498), hatte 1446, als ihn das Heimweh nach seiner Geburtsstadt überkam (obwohl es ihn nur ins benachbarte Ferrara verschlagen hatte), ein Buch mit dem Titel „Über die prächtigen Zierden der königlichen Stadt Padua“ geschrieben.
Da schwingt natürlich ein gutes Stück Heimatstolz mit, aber in manchen Teilen ist dieser auch nur allzu berechtigt. Padua verdient es, aus dem Schatten der Touristenstädte herauszutreten. Der ursprüngliche Anlass für diese Ausgabe des Magazins für Theologie und Ästhetik war eine Studienreise mit einem Pastoralkolleg zum Thema „Was ist uns heilig?“ Für die Bearbeitung dieser Frage ist Padua geradezu prädestiniert. Und das liegt an zwei zentralen Orten, der Basilika des Heiligen Antonius (1195-1231) im Süden der Stadt und der Scrovegni-Kapelle mit den Fresken von Giotto di Bondone (1267-1337) im Norden der Stadt. Und dazwischen liegen zahlreiche öffentliche Gebäude und Kirchen, die ebenfalls von Bedeutung sind. Vor allem aber sind es der Heilige Antonius und Giotto, die seit über 700 Jahren die Menschen nach Padua ziehen. Giotto und die Scrovegnikapelle Die Grundlegung der neuzeitlichen KunstBeginnen wir mit dem später Geborenen. Auch wenn bereits Vasari in seinen Künstlerviten Giotto ein Denkmal gesetzt hat, so tritt doch erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts die Kunst Giottos in ein breiteres öffentliches Bewusstsein Europas. Und manchmal beschleicht einen das Gefühl, dass jenseits der Kunstszene Giotto bis heute nicht in der Form gewürdigt wird, die ihm zukommt. Als evangelischer Theologie würde ich sagen, dass die Rolle, die Martin Luther im Blick auf die protestantische Reformation und damit die moderne christliche Religion einnimmt, der Giottos im Blick auf die Entwicklung der modernen Kunst entspricht, nur dass Giotto 200 Jahre vorher lebte. Bei ihm finden wir schon die emphatische Hinwendung zum Maß des Menschlichen, den Blick auf den konkreten Menschen in Raum und Zeit. In einer der zentralen Schriften zur Erschließung Giottos im 20. Jahrhundert schreibt Theodor Hetzer:
Das erklärt, warum die Scrovegni-Kapelle in Padua zu einem Kult-ur-ort der Kunst werden konnte, aber es erklärt noch nicht, ob und wie sich Heiliges und Profanes in der Scrovegni-Kapelle verbinden. Das geschieht durch den Stiftungsakt des Werkes dazu aber mehr im entsprechenden Kapitel dieser Magazin-Ausgabe. Der Hl. Antonius …
Ein Gebet an den Hl. Antonius um Hilfe könnte dann so lauten:
Er hilft viel und vor allem bei vielem vielleicht erklärt allein das schon die Attraktivität des Antonius von Padua. Nachdem der Franziskanerorden seine Rednerbegabung entdeckt hatte, setzte er ihn zunächst gegen die Katharer und dann gegen die Albigenser ein. Später entwickelt er sich zum großen wundertätigen Bußprediger. 1230 zieht er sich zurück und lebt sein letztes Jahr auf einem Nussbaum. 1231 stirbt er und wird 1232 im bis dahin kürzesten Kanonisierungsprozess der Kirchengeschichte heiliggesprochen. 1263 wird sein Leib erhoben und in die neue Basilika S. Antonio überführt. 1946 ernennt Papst Pius XII. den „meistverehrten Heiligen der Italiener“ zum Kirchenlehrer. Sein Festtag ist der 13. Juni, der in Padua mit großen Prozessionen gefeiert wird. … und seine Basilika
Diese beiden Punkte aus dem Codex des kanonischen Rechts der katholischen Kirche erklären die Hierarchie der baulich umkleideten Frömmigkeitsausübung. Nicht einmal der Petersdom in Rom gehört zu den internationalen Heiligtümern, nur zwei Kirchen kommt in Italien diese Ehre zu: der Basilika vom Heiligen Haus in Loreto und der von uns betrachteten Basilika des Hl. Antonius in Padua. Weltweit gibt es derzeit 11 internationale und 229 Nationale Heiligtümer (Deutschland hat nur ein nationales: die Gnadenkapelle in Altötting). Es geht um eine Ökonomie der Frömmigkeit, darum, wohin Pilgerströme sich wenden. Und jedes Jahr pilgern Zigtausende an das Grab des Hl. Antonius. Das macht dieses so bedeutsam. Wenn man diese Basilika betritt, eröffnet sich ein komplexer Kosmos des Heiligen, ein wirklicher Kult-Urort in vielfachen Variationen. Es gehört zu den interessanten Erfahrungen, die man als nicht-katholischer Mensch machen kann, wenn man sich dem Grab des „meistverehrten Heiligen“ Italiens nähert und dabei das Verhalten der Pilger beobachtet. Die unmittelbare Ausstrahlungskraft, die vom Altarstein ausgeht, die Geduld, mit der die Pilger:innen darauf warten, selbst ihre Hände an den Stein zu legen, die Vielzahl der Dankzettel an der Seite des Altars. Das alles verdichtet sich zu einem einzigartigen Eindruck. Man geht dann ein paar Schritte weiter in den Chorgang der Kirche und stößt dort auf die Reliquienkapelle, ein eigener Kosmos im Gesamtkosmos der Kirche. Dort findet man neben einigen erhaltenen Körperteilen des Heiligen auch sein ‚Ruhekissen‘, ein Stein, auf dem er seinen Kopf gebettet hat. Dann geht man weiter bis in die Kreuzgänge, von denen zwei mit bedeutenden Bäumen ausgestattet sind, die Mircea Eliades „Axis Mundis“-Theorie erinnern. Was müssen das für Zeiten gewesen sein, als diese Kreuzgänge noch von Mönchen gefüllt waren. Auch in diesem religiösen Kosmos werden die heutigen Kultursucher zufriedengestellt, denn was für die religiösen Menschen das Grab und die Reliquien des Hl. Antonius sind, sind für die Kunstinteressierten die Kunstwerke von Donatello, Altichiero da Zevio oder Tullio Lombardo und seinen Kollegen. All das macht Padua als Kult(ur)ort so faszinierend und interessant. Es beginnt mit seiner mythischen Gründung durch einen trojanischen Helden und endet noch lange nicht mit den wilden Szenen der späten 68er Generation. -> Weiter zu Antenor - Der mythische Ursprung Anmerkungen[1] Burckhardt, Jacob (1934): Die Kultur der Renaissance in Italien. Berlin: Deutsche Buch Gemeinschaft. S. 190. [2] Ebd., S. 453. [3] Joseph Schnitzler, Savonarola. Ein Kulturbild aus der Zeit der Renaissance, München 1924, S. 3. [4] Hetzer, Theodor (1981): Giotto. Mittenwald: Mäander; Stuttgart Urachhaus ((Hetzer, 1)). S. 35 [5] Art. Antonius von Padua, in: Gorys, Erhard (2007): Lexikon der Heiligen. CD-ROM. Berlin: Directmedia, S. 183 [6] Fundstück im Internet. |
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Artikelnachweis: https://www.theomag.de/133/am735.htm |